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Asti – eine Chance bleibt immer

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von Natalie Reineke


Im Januar 2002 wurde ich auf eine zehnjährige blinde und zuckerkranke Hündin namens Asti aufmerksam. Ihre ehemalige Besitzerin musste ins Pflegeheim und hatte Asti deshalb im Tierheim abgegeben. Die Hündin erblindete dort innerhalb einer Woche, weil ihr Diabetes nicht rechtzeitig erkannt worden war. Die Mitarbeiter des Tierheims starteten einen Notruf – der auch mich erreichte –, da Diabetiker wegen des unvermeidlichen Stresses in Tierheimen sehr geringe Überlebenschancen haben.

Ich hatte keine Ahnung, ob Asti sich mit meinen anderen Hunden und vor allem mit meinen Katzen verstehen würde. Auskunft darüber konnte man mir nicht geben. Auch wusste ich zum damaligen Zeitpunkt nicht, ob ich mit der Krankheit Diabetes zurechtkommen würde. Astis Größe war ebenfalls nicht ganz unerheblich, immerhin handelte es sich bei ihr um einen Irish-Wolfshund-Mischling. Aber ich wollte mich der Herausforderung stellen, diesem Hund ein schönes Leben zu bieten. Schließlich hatte ich ein großes Haus, einen riesigen Garten und war immer zu Hause. Also fuhr ich ins Tierheim und schaute mir Asti an. Ihr Zwinger in der Krankenstation war viel zu klein. Die Hündin wirkte traurig und verunsichert, dennoch strahlte sie einen enormen Charme aus. Meine Bedenken waren wie weggeblasen. Ich unterschrieb die notwendigen Papiere und erfuhr ganz nebenbei, dass Asti zusätzlich noch eine starke Augenentzündung, einen kleinen Herzfehler und einige Tumore hatte. Außerdem hätte man einige Gegenstände aus ihren Pfoten herausoperiert – die ehemalige Besitzerin hatte wohl nicht bemerkt, dass Plastikteile in die Pfoten und Läufe eingewachsen waren – und gleichzeitig ein Geschwulst am Hals entfernt. Auf dem Röntgenbild der Lunge waren einige Schatten zu sehen, doch auf eine Diagnose wollte sich niemand festlegen. Ich bekam einen Berg von Medikamenten in die Hand gedrückt.

Zuerst traute ich mich nicht, fragte dann aber doch, ob sich das Tierheim möglicherweise an den Kosten für Spezialfutter und Medikamente beteiligen würde. Zu meiner freudigen Überraschung sicherte man mir zu, dass alle anfallenden Aufwendungen komplett übernommen werden würden. Sicher hätte ich Asti auch ohne diese Unterstützung zu mir genommen, dennoch war ich über die Hilfe sehr dankbar. Immerhin beliefen sich die monatlichen Auslagen anfänglich auf 150 bis 200 Euro. Gott sei Dank war meine Mitarbeiterin Anne gelernte Krankenschwester und konnte mich ausführlich über die Krankheit Diabetes informieren. Zusätzlich ließ ich mich von einigen Tierärzten beraten, um Asti die bestmögliche Behandlung zu bieten. Ich kaufte alles Notwendige, war darauf vorbereitet, absolut konsequent in der Vergabe des täglichen Futters zu sein, zweimal täglich Blutzucker zu messen, Insulin zu spritzen und Buch darüber zu führen.

Für die erste Woche bei mir zu Hause hatte ich Asti einen Platz in der Küche zurechtgemacht. Ich wollte sie langsam an die neue Umgebung gewöhnen und ihr vor allen Dingen erst einmal Ruhe gönnen, bevor sie ihre tierischen Mitbewohner kennen lernen würde. Außerdem konnte ich auf diese Weise üben, ihr täglich einen Tropfen Blut am Ohr abzunehmen, ohne durch die anderen gestört zu werden. Asti ertrug das sehr geduldig. Sieben Tage später wagte ich den ersten Versuch, sie mit meinen drei kleinen Hunden zu konfrontieren: einem Kleinspitz und zwei Malteser-Mischlingen. Nach anfänglichem Gekläffe – welches natürlich von den Kleinen ausging – tolerierte man sich gegenseitig. Angespornt von diesem ersten Erfolg führte ich Asti nun auch ins Wohnzimmer zu meinen Katzen. Zuerst machte sie den Eindruck, als wollte sie die Katzen fressen. Das stimmte mich nicht gerade glücklich, da ich natürlich nicht vorhatte, Asti für den Rest ihres Lebens in der Küche wohnen zu lassen. Aber was hatte ich denn auch erwartet innerhalb einer Woche in völlig fremder Umgebung, noch dazu mit ihrer kürzlich erworbenen Blindheit und meiner geringen Kenntnis über ihre Vergangenheit! Ich versuchte die Zusammenführung also immer wieder unter kontrollierter Aufsicht und schließlich hatte Asti sich an die Katzen gewöhnt, die übrigens überhaupt keine Probleme mit der Hündin hatten. Im Gegenteil: Sie begrüßten diese stets überschwänglich. Insgesamt dauerte es etwa vier Wochen, bis Asti als vollwertige Mitbewohnerin bei uns akzeptiert war und alle sie mochten, auch meine großen Hunde.

Die anfänglich so unsichere Hündin blühte immer mehr auf. Nach einer Weile bewegte sie sich zielstrebig im Haus und auf dem Grundstück, ohne über etwas zu stolpern oder irgendwo anzustoßen; von Tag zu Tag wurde sie lebensfroher. Sie freute sich über jede Art von Zuwendung, egal ob von menschlicher oder tierischer Seite. Im Garten lief sie stets mit der ganzen »Horde« mit und wenn alle bellten, bellte sie auch. Ich ging mit Asti jeden Tag auf demselben asphaltierten Feldweg spazieren. Wenn sie ihn erkannte, war ihre Freude groß. Der Teerbelag machte es ihr leicht zu spüren, ob sie vom Weg abkam. Das war sehr wichtig für sie, um sich sicher bewegen zu können. Später ließ ich sie auch ohne Leine laufen. Asti lief schnell voraus und sah dabei sehr glücklich aus. Ich würde wahrscheinlich nicht jeden blinden Hund ohne Leine laufen lassen. Doch zwischen Asti und mir hatte sich in kurzer Zeit ein großes Vertrauensverhältnis aufgebaut, sodass ich den Versuch wagen konnte. Es gab nur ein paar Dinge zu beachten: Der Weg musste ihr vertraut sein; ich musste mich sehr konzentrieren und viel mit ihr sprechen. In kurzen Abständen rief ich sie immer wieder zu mir, zog Schuhe mit harten Gummisohlen an und »schlurfte« beim Gehen, damit sie mich hörte. Ich trug außerdem eine weite Nylonhose, die bei jeder Bewegung raschelte. So wusste Asti immer, wo ich war, auch wenn ich mal nicht redete. War das Gelände nicht gut zu überblicken, leinte ich sie an.

Inzwischen liebte jeder Asti. Sie hatte immer gute Laune, begrüßte alle Besucher stürmisch und teilte sich das Sofa mit ihren drei besten Freunden: den beiden Malteser-Mischlingen und einer Siamkatze. Sie liebte die kleinen Racker und ließ sich von ihnen täglich die Ohren und Augen putzen. Ihre diversen Behinderungen schienen ihr absolut keine Probleme zu bereiten. Zunehmend spielte sie mit Artgenossen; selbstverständlich nur mit Hunden, die sie schon kannte. Ich ging mit Asti um wie mit einem gesunden, normalen Hund, hatte kein Mitleid mit ihr – damit hätte sie wahrscheinlich gar nichts anfangen können – und behandelte sie auch niemals wie ein »rohes Ei«. Die medizinische Behandlung und die Futtermengen hielt ich konsequent ein, Leckerchen zwischendurch gab es nicht. Auch den anderen verbot ich es strikt, ihr aus Mitleid etwas »zuzustecken«.

Im Herbst 2002 wurde Asti läufig. Komisch, im Tierheim hatte man mir gesagt, sie sei kastriert. Ein Drama begann, alle in der Umgebung lebenden Rüden wollte sie besteigen, sogar die kastrierten. Astis Zuckerwert stieg ins Bedenkliche. Alle Tierärzte und Tierschützer rieten mir aufgrund ihrer Krankheit und ihres Alters von einer Kastration ab. Aber ich wusste, sie würde ohne diese Operation bald sterben. Ich gab nicht auf und fand einen Tierarzt, der sich mit Diabetikern sehr gut auskannte und diese auch operierte. Es war eine sehr aufwändige Operation. Leider musste auch die Milz entfernt werden, aber ich bin heute noch froh über diesen Entschluss. Asti hat den Eingriff hervorragend überstanden. Im Laufe der Zeit besserte sich ihr Gesundheitszustand immer mehr, sodass sie ab September 2003 schließlich kein Insulin mehr brauchte. Ihre Werte waren – wie durch ein Wunder – wieder völlig normal. Ich vermute, das lag an der konsequenten Diät, den ständigen Kontrollen und natürlich auch an Asti selbst mit ihrem starken Lebenswillen. Umso härter traf es mich, als sie Ende Januar 2004 plötzlich wiederholt epileptische Anfälle bekam. Die tierärztliche Untersuchung ergab, dass sie einen faustgroßen Lebertumor hatte. Am 2. Februar 2004 musste ich meine geliebte Asti einschläfern lassen.

Ich habe nicht einen Tag bereut, Asti zu mir genommen zu haben. Fremden Menschen fiel ihre Behinderung gar nicht oder erst sehr spät auf. Das war auch gut so, denn Mitleid wollten wir beide nicht. Sicher, ich musste auf einiges verzichten, schließlich bekam die Hündin zweimal täglich zu bestimmten Uhrzeiten pünktlich ihr Futter und Insulinspritzen und alle zwei Tage wurde ihr Blutzucker gemessen. Aber ich habe großartige Freunde, die in Notfällen auch in der Lage waren, mich zu vertreten, und das auch gerne taten. Asti erweckte nie den Anschein, unglücklich oder krank zu sein. Wo sie sich auskannte, verhielt sie sich genauso wie jeder andere Hund, in fremder Umgebung half ich ihr durch meine vertraute Anwesenheit. Astis fröhliches, aufgewecktes Wesen, ihre Anpassungsfähigkeit, ihr Lebenswillen und ihre liebenswerte Art waren der Dank für all die Arbeit. Ich habe jeden Tag mit ihr genossen und mich gefreut, sie so glücklich und zufrieden zu sehen.

Anders – aber trotzdem glücklich

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