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Höflicher Helm

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Sonne, See und Wind lenken meine Entscheidung, und ich merke, dass ich nicht die Einzige bin. Die Terrasse des Restaurants ist voll. Alle sitzen da und trinken etwas; sobald ein Tischchen frei wird, setze ich mich ebenfalls. Die Einkäufe werde ich später ­erledigen, einstweilen werfe ich einen Blick in die Zeitung, halte den Nachmittag bei den Segeln draus­sen im Offenen an; in Reichweite das prickelnde San ­Pellegrino, das der Kellner mir einschenkt, als wäre es sein Werk.

Die Segel draussen, alle weiss, könnte man für Klosterschülerinnen im Wettstreit halten, bereit für die Regatta: Sind sie nummeriert?

Am Nebentisch lässt sich ein Paar nieder: sportlich er und sie, braungebrannt. Er schielt nach meiner Zeitung, meinem Glas: Braucht er etwas? Rasch blättere ich die Seiten durch, und als ich ihm über die Überschriften hinweg einen flüchtigen Blick zuwerfe, fragt er mich schnell auf Französisch «c’est libre?» und legt sofort seinen glänzend blauen Motorradhelm auf den Stuhl gegenüber.

Vom Helm befreit, widmet er sich nun seiner blonden Gefährtin, beugt sich über das Tischchen, streichelt und küsst ihre Hände, als wären es zwei ihm hingestellte Tässchen. Auf Französisch bestellen sie dann nacheinander ihr Eis, komplizierte, unterschiedliche Sorten.

Doch unterdessen bittet mich eine distinguierte, grauhaarige Dame um die Erlaubnis, sich an mein Tischchen setzen zu dürfen, «ist hier frei?», sagt sie selbstsicher und schickt sich an, sich niederzulassen.

«Passen Sie auf, da liegt der Helm», warne ich sie und weise auf den verliebten Besitzer daneben; augenblicklich weicht die Dame zurück, entschuldigt sich gebührend bei dem Helm, und schon ist sie fort. Dieser kurze Augenblick der Ablenkung hat genügt, damit die halbe Zeitung mir rücksichtslos davonflog: Ich muss hinterherrennen, sie ausschütteln und ge­gen den Wind ohrfeigen, um sie wieder zu ordnen.

«Daran ist bloss der Wind schuld», erkläre ich dem Helm auf Italienisch; ich begreife, dass auch ich ihm ein bisschen Konversation schulde, das Wetter erleichtert jedenfalls den Kontakt, das kommt häufig vor, und ich füge noch ein paar Belanglosigkeiten hinzu, bevor ich den unterbrochenen Artikel wieder aufnehme.

Die Motorradfahrer haben inzwischen ihr Eis ­bekommen: wahrscheinlich Kirsche und ein Regenbogeneis er, sie Mokka und Torrone mit einem Schokoherz, oder Amaretto mit Herz.

Nun wendet sich ein junger Vater an mich, seine Frau und die Kinder setzen sich an einen Ecktisch, aber ein Stuhl fehlt: wenn der, auf dem mein Helm liegt, frei wäre …, und mit der Attitüde des Familienoberhaupts hat der eifrige Papi schon den glänzenden Helm hochgehoben, um ihn korrekt auf meinen Tisch zu legen. Dann trägt er den Stuhl mit erhobenen Armen über die Köpfe hinweg zwischen den noch stehenden Kindern zu Mami; beflissener als der Kellner.

Wer weiss, ob der Kellner Kinder zu Hause hat, die auf ihn warten. Ich frage ihn danach, als ich noch ein San Pellegrino und einen Espresso bestelle: nur so, um dem blauen Schädel, meinem Tischgenossen, der gutmütig daliegt, ohne gefragt worden zu sein, noch kurz Gesellschaft zu leisten. Man möchte daran lecken wie an einem Rieseneis: Blau kühlt, doch vielleicht glüht es, oder fiebert.

Kein Eis mehr nebenan; die Motorradfahrer lutschen nun lange am Löffelchen, jeder an seinem, betrachten den See, jeder in seinem Schweigen: Niemand zweifelte daran, dass die Segel und der Wind heute extra für die beiden hergeweht worden sind, eine weisse Herausforderung, schon Vorahnung einer gemeinsamen Erinnerung.

«Ja, sicher, ich bin Vater eines Babys», antwortet der Kellner, während er mir das zweite Wasser einschenkt; doch jemand, ein Mädchen mit Rucksack, stösst gegen das Tablett, sorry, und er giesst fast alles über den Tisch, den Helm und die Zeitung.

Sie bringen mir ein drittes San Pellegrino und einen frischen Espresso, und als ich bezahlen will, weil ich noch einkaufen muss, sagt der Kellner zu mir, nein, es sei alles schon beglichen und bezahlt.

Mir fehlt die Zeit, mich mit Nachforschungen und Förmlichkeiten aufzuhalten, unwillkürlich wende ich mich an den Helm: Drei grosse San-Pellegrino-Tränen glitzern auf seiner Rundung, schimmern blau und lebendig in der Sonne, drei vollkommene Perlen, und ich danke ihm von Herzen für alles, für seine Höflichkeit, seinen azurblauen Charme, den Espresso samt Wasser; «falls er die Zeitung brauchen sollte …», ich schiebe ihm die Seiten unters Hirn, «trocknen tun sie im Nu», versichere ich ihm.

So mache ich mich geschwind auf den Weg, kehre den Segeln den Rücken, als wäre ich schon ein sausendes Auto oder Motorrad, radarbespitzelt rasend, sofort untergetaucht im frechen Lärm des Verkehrs.

Circolare

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