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Der Freund

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Vor drei Tagen lag ein Brief in seinem Briefkasten. Nicht durch den Postversand ausgetragen, sondern nur mit seinem Namen versehen, ohne Absender und ohne beigelegte Nachricht.

Das wirklich Seltsame jedoch war sein Inhalt. Im Umschlag steckte ein Blatt Papier, das mit verschiedenen Koordinaten beschriftet war. Zahlencodes und Messdaten. Amiel brauchte einen ganzen Abend, um diese zu enträtseln.

Zum Glück verstand er etwas von der Seefahrt und wusste, dass es eine Ortsangabe sein musste und am Ende konnte er die Daten entschlüsseln. Er rechnete sie mehrmals nach, denn das Ergebnis ergab wenig Sinn. Sie deuteten auf einen Ort inmitten des südlichen indischen Ozeans. Irgendwo zwischen Südafrika und Australien, nördlich der Antarktis. Und beim besten Willen, dort gab es nichts aber auch gar nichts, ausser ein paar kleiner Inseln in weiter Umgebung verstreut. Doch auf diese trafen die Daten nicht zu.

Er konnte sich wirklich keinen Reim darauf machen, was dieser komische Brief bedeuten sollte. Womöglich war es Leo, einer der alten Fischer, der seine Navigations-Kenntnisse testen wollte. Der Gute musste sich selbst wohl etwas vertan haben, er war eben auch nicht mehr der Jüngste.

Nun begrüsste die Sonne den Morgen mit goldrotem Gelb und zeichnete ihre Konturen in den Himmel. Kaum eine Wolke war zu sehen. Der Waldboden war mit trockenem Laub übersät und die Luft angenehm frisch. Schon bald war von der kleinen Stadt nichts mehr zu sehen, und es machte fast den Anschein, als sei jegliche Zivilisation eine Tagesreise entfernt. Der Fluss wand seine Schlaufen durch die Landschaft. Im Sommer bot er eine gute Möglichkeit zum Schwimmen. Amiel war oft mit Freunden hier. Auch zum Jagen, denn hier im Norden gab es viel Wild, besonders um diese Jahreszeit.

Noch lieber war ihm aber das Meer. Kaum war er hierher gezogen, lernte er zu segeln. Schon immer war dies sein grosser Traum gewesen und er lernte schnell. Die Bewohner bewunderten sein Talent, und schon bald nahmen sie ihn zum Fischfang mit.

Amiel sparte seit seiner Ankunft für ein eigenes Boot, für das er sich aber noch gedulden musste. Manchmal träumte er vom Reisen. Ob er eine Atlantiküberquerung schaffen könnte? Oder südlich, nach Afrika? Kap Verde, das war schon immer sein Ziel, da wollte er hin.

Seine Gedanken schweiften hin und her, zwischen dem Traum, seiner Familie und dem Leben hier, das er sich aufgebaut hatte und auf das er stolz war.

Er wünschte sich, dass Lyon ihn bald einmal besuchen würde. Eine Woche zu ihm in den Urlaub fahren könnte. Dann würde er ihn mit raus nehmen, auf die See. Er könnte ihm vielleicht ein wenig Segeln beibringen, das würde ihm bestimmt Freude machen.

Er kam aus einem Waldstück auf den Uferweg. Unten am Fluss zog sich eine Sandbank, mit grossen Steinen und Büschen, am Ufer entlang. Dort unten erblickte er einen Mann am Flussufer sitzen. Ein Fischer, dachte sich Amiel. Ob er ihn wohl kannte? Er ging auf ihn zu.

Der Mann war nicht beim Fischen, sondern sass auf einem Stein und war mit irgendeiner Handarbeit beschäftigt. Er schnitzte an einem Holzstab herum und sass in Gedanken versunken da. Dann jedoch drehte er sich um und winkte Amiel fröhlich zu. „Hallo, mein Freund!“, rief er ihm lachend entgegen. „Wie schön, dich zu sehen. Man trifft nicht viele Wanderer in aller Herrgottsfrühe mitten im Wald an. Bist wohl zu früh aus den Federn gefallen?“

Amiel erkannte den Mann nicht. Er war klein, aber kräftig gebaut. Er hatte braunes, leicht gelocktes, kurzes Haar und auffallend grüne Augen. Sein Gesicht war mit fröhlichen Lachfalten durchzogen und schienen einige Lebensjahre zu zeichnen. Er mochte so um die 50 Jahre alt sein, obwohl dies schwer zu sagen war. Dieser Mann strahlte eine bemerkenswerte Ruhe aus und hatte etwas sehr Geheimnisvolles an sich. Er machte den Anschein, als sei er schon eine ganze Weile unterwegs. Neben ihm standen ein Rucksack und abgetragene Wanderschuhe. Sein Aussehen war dennoch sehr gepflegt und ansehnlich. Er trug Jeans und eine braune Lederjacke.

Irgendetwas machte den Mann von Anfang an interessant. Amiel dachte bei sich, dass ihm einiges an Lebenserfahrung und Herzenstiefe auf den ersten Blick anzusehen war.

„Guten Morgen. Ja, das kann man wohl sagen. Mein Tag hat heute schmerzhaft früh angefangen. Doch was solls, wenn man sich stattdessen aufmacht für einen Morgenspaziergang in dieser herrlichen Umgebung.“ Amiel grinste ihn an. „Ich habe Sie hier noch nie gesehen. Woher sind Sie?“

Der Mann winkte ab. „Nenn mich bloss nicht beim Sie, da komm ich mir ja ganz grau vor. Nee, ich komme nicht von hier, da hast du recht. Meine Heimat ist ganz schön weit weg, und ich bin schon eine Weile auf Reisen. Komm, setz dich. Hast ne Pause verdient.“

Amiel setzte sich neben den Mann auf einen Stein.

„Um ehrlich zu sein, kam ich hierher, um dich zu treffen...“, sagte dieser aus heiterem Himmel. Amiel sah ihn verwundert an. „Nun, da hast du ja Glück gehabt. Bin nämlich selten um diese Uhrzeit hier anzutreffen. Wie ist denn dein Name?“

„Nun Amiel, am besten nennst du mich Dalin. Den mag ich am liebsten. Bedeutet „Freund" in der alten Sprache.“

Amiel war überrascht. „Und woher kennst du meinen Namen und weisst, wann ich wo zu finden bin?“

Dalin lachte. „Ich weiss, die Sache ist ganz schön verwirrend. Sagen wir mal, dass unser Treffen im Grunde längst überfällig war, doch warte ich am liebsten auf den richtigen Zeitpunkt, und wie mir scheint, ist dieser heute Morgen.“

Die Sache wurde Amiel etwas ungemütlich, und er sah sich verstohlen um, ob da noch irgendetwas oder irgendjemand zu sehen war. Doch es schien alles ruhig. Der Mann sah noch immer harmlos und friedlich aus und machte nicht den Anschein eines verwirrten Irren oder gewaltsamen Übeltäters. Die Sache war indes recht kurios.

„Also, wovon sprichst du genau?“, wollte er wissen.

„Manchmal sagen sie mir, ich sei ein guter Traumdeuter.“, sagte Dalin geradeheraus.

Amiel zuckte zusammen. Er sah Dalin prüfend und erschrocken ins Gesicht. Für einen Moment verschlug es ihm die Sprache.

„Traumdeuter?“, kam es ihm stockend über die Lippen.

Dalin legte das Holzstück, an dem er gerade arbeitete, weg und klopfte sein Hemd aus. Die Holzreste fielen zu Boden. Dann sah er Amiel direkt in die Augen.

„Mein Freund, ich weiss, dies ist alles ganz fürchterlich verwirrend. Es wäre ganz schwierig, dir jetzt gleich alles zu erklären. Um etwas Neues zu verstehen braucht es seine Zeit. Deshalb macht es keinen Sinn, dich mit allen Hintergründen gleich voll zu texten. Aber du kannst mir voll und ganz vertrauen. Ich bin gekommen, um dich auf deiner bevorstehenden Reise zu begleiten.

Die Zeit ist gekommen, ein altes Geheimnis aufzudecken, worauf du lange gewartet hast. Wenn ich ein guter Traumdeuter sein will, dann führe ich dich mitten durch die Geschichte hindurch, anstatt sie dir einfach in unpersönlicher Weise vorzubuchstabieren. Denn die Geschichte ist ja mehr als persönlich, und dieser Traum hat schon eine umfängliche Antwort verdient.“

Amiel musste sich einen Moment am Stein festhalten. Er sah diesen Fremden an, hinein in seine tiefgrünen, schimmernden Augen.

War das, was hier gerade vor sich ging, denn möglich? Etwas Übernatürliches rückte in die Form des Natürlichen, ganz unmittelbar und ohne Vorwarnung. Das war zu viel für sein Gehirn. Selbst wenn er diese Dinge nicht ausgeschlossen hatte, passten sie so gar nicht in seine Wahrnehmung. Alles schien ihm verschoben.

Konnte es denn tatsächlich sein, dass es eine Antwort auf seine Fragen gab? Dass jemand ihn kannte und sah, wie er sich den Kopf darüber zerbrach?

„Ich verstehe nicht... seine Stimme war unsicher und überschlug sich ein wenig. „Du kennst mich?“

„Natürlich!“, antwortete Dalin. „Du bist ein ganz fantastischer junger Mann und ich konnte es kaum erwarten, dich endlich zu treffen. Wollte dir schon lange sagen, wie toll ich deine Angelrutensammlung finde. Vielleicht kannst du mir ja was beibringen?“ Er zog den Holzstab wieder hervor. „Schau mal, ich wollte eine spezielle Hochseefischerrute basteln. Bin wohl nicht gerade ein Talent. Aber wir werden eine brauchen. Vielleicht bringst du morgen besser eine mit.“

„Wofür denn? Wohin willst du mich mitnehmen?“

Erstaunt sah ihn Dalin an. „Ja hast du denn meinen Brief nicht bekommen?“

Amiel dachte nach. „Meinst du diesen seltsamen Brief mit den Koordinaten? Ist der etwa von dir?“ Dalin strahlte. „Musste ganz schön rechnen, das kann ich dir sagen. Faszinierend, diese Seefahrt. Die Menschen haben sich schon echt was ausgedacht. Ich bin wirklich sehr froh, dass du so gut Bescheid weisst. Wäre ich der Kapitän, könnte wohl einiges schiefgehen.“

Die Sache wurde Amiel echt zu viel. Was für ein seltsamer Morgen. Am liebsten wäre er weggerannt oder, noch besser, im Bett geblieben.

„Du willst mir also sagen, dass wir zusammen irgendwohin reisen?“, sagte Amiel sichtlich verwirrt. „Ganz genau, mein Freund. Ich hab uns ein prima Segelschiff gekauft. Steht schon am Hafen, die Arbeiter machen es gerade startklar. Ich habe schon alles eingepackt. Proviant für zwei Wochen, man weiss ja nie, wie lange wir genau brauchen. Wasser und Karten und ein paar Flaschen Wein und Spielkarten für die Abende.“

Amiel fand das nun beinahe amüsant. „Nun, mein werter Herr, ihre Rechnenkünste sind nicht gerade die Besten. Für die Route, die du mir da markiert hast, werden wir noch einiges mehr an Gepäck brauchen. Zum Beispiel Tonnen an Wollpullovern und langen Unterhosen, weil wir nämlich mit grosser Wahrscheinlichkeit halb verhungert an der arktischen Küste Anker legen und Pinguine jagen müssen, um zu überleben.“

Dalin hob eine Augenbraue. „Nee nee, mein Freund, wir werden es schon nicht verpassen. So weit südlich werden wir nicht kommen, da vertraue ich ganz auf deine Kenntnisse als Seefahrer. Noer liegt einige tausend Kilometer weiter nördlich.“

„Noer?“, fragte Amiel.

„Noer, genau. So heisst unser Ziel. Eine stattliche Insel mitten im Ozean. Ein bisschen kleiner als Neuseeland, aber es hat doch gewisse Ähnlichkeiten. Dahin werde ich dich bringen und dir die Geschichte von deinem Traum erzählen.“

„Bei allem Respekt, ich bin nicht auf den Kopf gefallen. Ich habe Jahre von Schulbildung hinter mir und bin ein begeisterter Fan der Geographie. An diesem Ort gibt es nichts, aber auch gar nichts. Von einer solchen Insel habe ich nie gehört“, meinte Amiel.

Dalin lächelte nur. „Nun, nicht alles, was nicht sichtbar ist, ist tatsächlich auch nicht da. Ihr wisst ganz schön viel, das ist mir schon klar. Doch da gibt es noch einige kleine Lücken.“

Amiel stand auf. Diese Unterhaltung ging ihm zu weit. Was für ein Verrückter war der denn? Er würde ja bestimmt nicht so blöd sein, mit einem wildfremden, esoterischen Hippie ins Nichts hinaus zu segeln auf der Suche nach irgendeinem fernen Sagaland. Ganz egal, was der alles über ihn wusste, ein bisschen Menschenverstand war ihm doch noch erhalten geblieben, und er hatte echt andere Probleme. Er kannte diese Möchtegernwahrsager. Heute fahren ja alle auf die ab. Doch er war nicht dafür zu begeistern. Er war jemand, der mit beiden Beinen auf dem Boden stand. So schnell liess er sich davon nicht abbringen. „Was für ein komischer Kauz“, dachte er bei sich.

„Nun, Dalin, herzlichen Dank, aber dafür interessiere ich mich echt nicht.“ Dalin wirkte etwas überrascht.

„Nun lauf mal nicht so schnell weg, junger Mann. Wie ich schon sagte, ist mir klar, wie absurd das alles klingt, doch ich kann dir versichern, du wirst mich bald verstehen.

Ich habe alles vorbereitet. Ich dachte mir, am besten fahren wir von Mosambik los, das ist eine gute Strecke. Von da aus sollten wir etwa sechs Tage brauchen bis Noer. Der Wind wird günstig sein und ich habe gewisse Fähigkeiten, die gewohnten Gesetzmässigkeiten etwas zu beschleunigen. Etwa 45 Kilometer südlich von Maxixe, einer der grösseren Städte, ist ein kleiner Fischerhafen. Da hab ich unser Boot. Wir treffen uns morgen da. Ich werde auf dich warten.“

Amiel blieb einige Sekunden lang mit offenem Mund vor ihm stehen. Was für ein durchgeknallter Vogel. Nach Mosambik. Das fehlte ihm gerade noch. Dies war nun eindeutig das Ende dieser verrückten Unterhaltung.

„Guten Tag noch“, zischte Amiel und drehte ihm den Rücken zu. Mit schnellen Schritten ging er davon. Er hörte Dalin rufen. „Amiel, warte doch“, Doch Amiel wartete nicht.

Im Wald beschleunigte er seinen Schritt. Er konnte nicht abstreiten, dass ihm unbehaglich zumute war. Warum mussten immer ihm solche komischen Dinge passieren? Er, der doch so gerne ein ganz normales Leben geführt hätte.

Dann wurde er langsamer. Hie und da blickte er zurück, um zu sehen, ob dieser Typ ihm nicht auch noch folgte. Aber er war allein und langsam beruhigte er sich.

Irgendwann musste er laut lachen. Was für eine schräge Geschichte. Das alles war sehr verwirrend. Erst dieser Traum, dann all die alten Erinnerungen und Fragen und nun noch dieser Irre mitten im Wald. Das war ja mal wieder ein Tag. Er schlug den Weg zum Hafen ein. Er wollte jetzt nicht gleich in die Werkstatt. Er brauchte jetzt einen starken Espresso am Strandcafé, und dann würde er mit dem Boot rausfahren und fischen, um sich von all dem zu erholen.

Es war noch ein gutes Stück durch den Wald. Amiel erinnerte sich nochmals an Dalins Worte. Schon seltsam, was der alles über ihn wusste. Im Grunde äusserst unheimlich, dass ein Fremder all diese Dinge wissen konnte, die Amiel niemandem erzählt hatte. Ihm lief ein Schauer über den Rücken, und er blickte nochmals um sich. Wenn dieser ihn nicht gerade auf eine Schiffsfahrt in die Antarktis eingeladen hätte, dann wäre die Sache mehr als spannend gewesen.

Einen kurzen Moment stieg eine Sehnsucht danach in ihm hoch, all die Fragen beantworten zu können, um sie irgendwann hinter sich zu lassen. Gerne hätte er jemandem von allem erzählt: der ungeklärten Kindheit, dem Traum und der Geschichte seiner Familie.

An diesem Mann war etwas Geheimnisvolles. Etwas, was ihn vertrauenswürdig machte und in Amiel das Bedürfnis weckte, ihn in die eigenen Gedanken einzuweihen.

Einen Moment lang wollte er umkehren und zu Dalin zurückgehen. Vielleicht hatte er diese Chance nur dieses eine Mal. Er blieb stehen. Um ihn herum war es merkwürdig still.

Sollte er nochmals hingehen? Diesen komischen Vogel zum Kaffee einladen und ihm Fragen stellen? Er hätte wirklich viel mehr Fragen stellen sollen, dachte er. Im Grunde wusste er nichts über diesen Mann. Doch nein, das Ganze war ihm zu unheimlich.

Er ging weiter.

Plötzlich fuhr er zusammen. Mitten auf dem Pfad, auf einem Baumstrunk, sass ein kleiner, blonder Junge. Er strahlte Amiel an und baumelte mit den Beinen in der Luft.

Amiel überkam eine Gänsehaut und gleichzeitig fühlte er sich von diesem Kind angezogen. Es war irgendwie anders. Was machte es hier, alleine und mitten im Wald?

„Was machst du denn hier?“, sprach er ihn an.

„Ich zeige dir den Weg!“, meinte der Junge.

„Welchen Weg?“, fragte er.

„Deine Heimreise.“, antwortete das Kind und sah ihn mit grossen Augen an.

Amiel spürte einen stechenden Schmerz im Kopf. Das Gehirn rebellierte. Er rieb sich mit den Zeigefingern in den Augen um den Schmerz zu beheben. Als er sie wieder öffnete, war der Junge verschwunden.

Als Teenager mochte Amiel diese Gruselgeschichten. Beim Zelten am Lagerfeuer. Nie hätte er gedacht, selbst mal Zeuge einer übernatürlichen Begegnung zu werden.

Er sah sich lange um. Das Kind war weg. Es konnte unmöglich davongelaufen sein in dieser kurzen Zeit. Etwas ging hier vor sich.

„Kind? Wo bist du? Welche Heimreise? Ich verstehe nicht?“

Es blieb ruhig.

Er setzte sich auf den Baumstrunk. Die Schläfen hämmerten, sein Herz schlug wie eine innere Faust gegen seine Brust.

Das Kartenhaus zerfiel. Er begriff nichts mehr. Die Formen vermischten sich, verhakten sich ineinander und vor seinen Augen entstand ein heilloses Durcheinander.

Er stand auf und ging weiter. Es musste sein Schicksal sein, ein hilfloser Träumer zu bleiben, der nicht zum Rest der Gesellschaft passte. Das normale, stille Leben blieb ihm verwehrt. Etwas war von der Ferne wieder an ihn herangerückt, war mitten in sein Leben getreten und er wusste, dass Dalin recht hatte. Der Zeitpunkt war da.

Er begann zu rennen. Er musste seine Glieder bewegen und seinen Körper spüren. Er rannte und rannte ohne zu ermüden, bis er plötzlich den Boden unter den Füssen verlor.

Er fiel. Der Waldboden endete abrupt auf einer Anhöhe, die er nicht bemerkt hatte, und fiel dann ab. Amiel stürzte über einen Stein und fiel einige Meter den steilen Hang herunter. Dumpf schlug er mit der Seite auf dem Boden auf. Sein Kopf prallte gegen einen Baum und er sah nur noch kalte, weisse Punkte. Dann schwanden seine Sinne.

Sag deinem Herzen, dass die Angst des Leidens grösser ist, als das Leiden selbst.

Und kein Herz hat jemals gelitten, wenn es sich auf die Suche nach seinen Träumen gemacht hat.“

Paulo Coelho („Der Alchimist", 1996)

An die Ränder der Erde

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