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ОглавлениеObwohl ich oft nicht gesehen wurde, war es dennoch schön, in einer großen Familie aufzuwachsen, in der Vielfalt Platz hatte und vieles ausgelebt werden durfte. Ich lernte früh, mich vertrauensvoll auf Menschen einzulassen, auch wenn ich befürchten musste, dass Schwächen gegen mich ausgespielt werden könnten. Und ich lernte schnell, mich durch Kritik oder Rückschläge nicht von meinem Weg abbringen zu lassen.
An dieser Stelle blicke ich zu Rosi. Sie lächelt. „Heute find ich es auch schön, so viele Schwestern zu haben, aber damals habe ich es nicht gut gefunden. Mir war das peinlich, in einer Familie mit so vielen Kindern zu leben, und den Spruch von Vater habe ich ziemlich doof gefunden: ‚Wir sind reich – kinderreich.‘ Ich wäre lieber wirklich reich gewesen. Mir war es peinlich, das Kind von Bauern zu sein. Ich wollte in einer gebildeten Familie leben. Was sollte ich nach den Ferien in der Schule erzählen? Alle anderen waren in den Ferien in Kärnten, in Italien, auf den Inseln in – damals noch – Jugoslawien gewesen, nur ich habe nichts zu erzählen gehabt.“
„Nun, immerhin war unser Vater dann Bürgermeister. Das hat dir bestimmt gefallen, oder?“
„Ich war damals erst acht Jahre alt, an die Wahl erinnere ich mich nicht so gut“, sagt Rosi. „Als er dann Bürgermeister war und jedes Jahr am 1. Mai vor unserem Haus der Maibaum aufgestellt worden ist, hat mir das tatsächlich sehr gefallen“, erzählt sie. „Nun waren wir plötzlich die Töchter des Bürgermeisters.“
Im Jahre 1960, als ich zehn Jahre alt war, kandidierte unser Vater als Bürgermeister. Ein großes Ziel, denn noch nie zuvor hatte die konservative Partei in unserem Ort den Bürgermeister gestellt. Weil ich es als Schmach und persönliche Niederlage empfunden hätte, wenn Vater dieses Ziel nicht erreicht hätte, schien mir Beten das Einzige zu sein, was ich dafür tun konnte. Meine Gebete wurden erhört beziehungsweise hatte ihm wohl vielmehr seine Beliebtheit im Ort zum Sieg verholfen. Der Vater einer Schulkollegin war der Gegenkandidat gewesen. Wie es ihr damit erging, dass ihr Vater in der Wahl unterlegen war, daran dachte ich in meinem Hochgefühl des Triumphs keine Sekunde.
Trotz der strengen Regeln, die wir nun als Kinder des Bürgermeisters einzuhalten hatten, war ich sehr stolz. Mein Vater war ein engagierter Politiker, alle Menschen aus dem Ort wandten sich mit ihren Fragen und Nöten an ihn. Er fühlte sich für alle und alles zuständig, und die Bewohnerinnen des Ortes liebten ihn dafür. Es imponierte mir, wie selbstbewusst und selbstverständlich unser Vater seine Meinung vertrat. Er war ein Mann, der zu wissen schien, was es zu tun gab und wo es langging. Im Grunde genommen orientierte er sich an den Grundwerten seiner Partei und an denen der katholischen Kirche, und er vertrat sie voller Zivilcourage.
Vater genoss es, unter Menschen zu sein, und er brachte oft Besucher mit zu uns nach Hause. So war bei uns immer etwas los. Dass sich zwanzig oder mehr Menschen bei uns zum Mittagessen um den großen Küchentisch versammelten, war ganz normal. Egal, ob Beamte von der Landesregierung oder Handwerker, wer auch immer bei uns zu tun hatte, wurde herzlich zum Essen eingeladen. Manchmal geschah es, dass für uns Kinder, besonders für die, die später von der Schule nach Hause kamen, nichts mehr vom Mittagessen übrig war. Dann musste ein Schmalzbrot genügen.
„Ich habe das so gern gehabt, wenn Leute bei uns waren“, erinnert sich Rosi. „Erstens war Vater dann immer gut drauf, und zweitens habe ich gerne den Gesprächen der Erwachsenen zugehört. Manchmal gab es tatsächlich nichts Warmes mehr zu essen für uns, aber da war ja noch immer der Kühlschrank, und der war immer randvoll mit allem, was geschmeckt hat.“
„Ja, in unserer Familie wurde immer gern gut und viel gegessen. In dieser Hinsicht war unsere Mutter ganz und gar ‚italienische Mama‘“, schmunzle ich und lese weiter.
Meine Mutter kochte und wusch ab, kochte und wusch ab. Auch wenn ihr die viele Arbeit oft über den Kopf wuchs, besaß sie – ähnlich wie mein Vater – das Talent, sich das Leben angenehm zu gestalten. Sie liebte nämlich gesellschaftliches Zusammensein und Spaß, Feste und Feierlichkeiten.
Unter vielen Menschen präsentierte sich Vater immer vergnügt und gut gelaunt. Leidenschaftlich gerne unterhielt er andere, stundenlang konnte er Witze erzählen und er freute sich, wenn er alle zum Lachen brachte. Das ging mitunter auf Kosten der Mutter, denn auf ihre Bedürfnisse nahm er keine Rücksicht. Oft wurden wir um unseren lustigen Vater beneidet. Die anderen im Dorf dachten, bei uns zu Hause sei es immer locker und unbeschwert. „Wenn ihr wüsstet“, antworteten wir dann, aber man glaubte uns nicht.
Vater war außerdem ein begeisterter Musiker mit absolutem Gehör. Alle Kinder mussten Klavier spielen lernen – koste es, was es wolle. Einmal pro Woche reiste eine Klavierlehrerin aus Wien an. Wir Mädchen übten eher lustlos, doch Vater empfand dabei solche Freude, wenn er uns am Klavier klimpern hörte, dass er seine Geige holte und ungebeten mitspielte. Auch hier gewann sein Perfektionssinn rasch die Oberhand, und so manches Mal holte er das Metronom, damit wir im Takt blieben. So wurde aus dem spontanen Musizieren schnell wieder eine Übungsstunde.
Ein regelmäßiger Besucher war der Klavierstimmer aus Wien. Wenn er den Flügel komplett auseinandernahm, putzte und alle Tasten und Saiten stimmte, sahen wir Kinder ihm bewundernd zu. Unser Flügel stammte aus Mutters Elternhaus – angeblich hatte darauf schon Friedrich Gulda, der berühmte Pianist, gespielt. Er war öfters in den Ferien auf Sommerfrische im Nachbarort gewesen, wo unsere Großeltern als Einzige ein Klavier besessen hatten.
Vater kaufte auch noch ein Harmonium, eine Ziehharmonika für Rosi, eine Geige für Katharina und später eine Gitarre für Veronika. Nichts war ihm zu teuer, wenn es um die Musik ging. Schon als zehnjähriger Bub hatte er Flügelhorn spielen gelernt und wurde noch im gleichen Jahr Mitglied der Ortsmusikkapelle. Es wäre nicht Vater gewesen, hätte er nicht auch hier die „erste Geige“ spielen wollen. Bereits mit 33 Jahren übernahm er die Leitung der Kapelle, die er dann zwanzig Jahre innehatte. Gemeinsam zu musizieren und das Beisammensein mit den Musikanten bereiteten ihm große Freude. Er legte großen Wert auf die bestmögliche Spielweise.
„Ach ja, die Musikkapelle … Da war ich auch dabei. Ich habe die Tschinelle gespielt, Martha die große und Katharina die kleine Trommel“, entsinnt sich Rosi. „Wir haben mindestens einmal pro Woche am Abend im Wirtshaus mit der ganzen Kapelle geprobt. Da haben wir dann ein Kracherl oder einen Almdudler bekommen, was uns der Vater sonst nie erlaubt hat.“
„Und ihr habt euch immer wieder und wieder eine Flasche bestellt, um auszukosten, was euch sonst vorenthalten worden ist“, ergänze ich.
„Dass wir dringend auf die Toilette gehen hätten müssen, hatten wir uns aber während der Probe nicht zu fragen getraut. Wir haben bis zur Pause warten müssen. So groß war unsere Angst vor dem Vater, dass wir nicht einmal verlangt haben, was wir dringend benötigt hätten. Und das ist nur ein Beispiel. Das zieht sich durch das ganze Leben mit ihm zusammen durch. Na ja, immerhin, die Ziehharmonika habe ich heute noch. Was kommt in deinen Aufzeichnungen als Nächstes?“
Die Ehe unserer Eltern wurde mit der Zeit immer schwieriger. Mutter hatte sich in der bäuerlichen Umgebung nie wirklich heimisch gefühlt. Immer öfter kam es zu Streit und Kritik. Mutter provozierte Vater, er wurde aufbrausend und brüllte, und sie stellte sich dann als Opfer dar. Sie war tatsächlich mit den vielen Kindern oft überfordert, und Vater spielte dann den Richter, wenn er von der Feldarbeit nach Hause kam. Wir kassierten so manche Ohrfeige und hatten als Strafe stundenlang am Boden zu knien.
Welche unterschiedlichen Rollen Vater und Mutter in der Familie einnahmen, wurde besonders deutlich, wenn Vater abends zur Gemeinderatssitzung musste. Kaum hatte er die Haustür hinter sich zugeschlagen, rief Mutter uns Kinder zu sich: „Kinder, heute machen wir es uns gemütlich.“ Verbotenerweise wurden dann Sardinen, Wurst und andere Köstlichkeiten gekauft. Bei unserem Nachbarn, dem Besitzer eines kleinen Lebensmittelgeschäftes, konnten wir zu jeder Tagesund Nachtzeit einkaufen gehen, ein Anruf genügte. Wir saßen dann mit Mutter am Küchentisch, plauderten und lachten und beschwerten uns über unseren strengen Vater. Bei ihm durfte nur gegessen werden, was Haus und Garten hergaben – alles vom Schwein und von den Hühnern, Äpfel und Birnen. Für die Jause in der Schule gab es ein Schmalzbrot und einen Apfel und zur Nachmittagsjause wieder ein Schmalzbrot und einen Apfel. Butter stand nicht zur Diskussion, die hätten wir ja kaufen müssen.
Als ich diese Stelle vorlese, erinnert mich Rosi an ein kleines Geheimnis aus jener Zeit: „Damals hat es noch die mit Butter beschmierte Semmel gegeben, die mit ungarischer Salami und einem dünn geschnittenen sauren Gurkerl belegt war und die man beim Fleischer hat kaufen können. Das war mit Liebe gemacht – so etwas gibt es ja heute gar nicht mehr. Die habe ich mir oft nach der Schule heimlich gekauft. Das hätte ich dem Vater nie erzählen dürfen. Die Mutter hat es gewusst, denn ich habe dann ihr gutes Mittagessen verschmäht. Diese Salamisemmel war für mich das Beste damals.“
Irgendwann in den 60er-Jahren kaufte Vater einen Fernseher – für unser Familienleben eine großartige Neuerung. Es war uns Kindern verboten fernzusehen, nur ab und zu bekamen wir die Erlaubnis dazu. Doch wenn Vater am Montagabend in der Gemeinderatssitzung war, schauten wir heimlich aufregende Serien, eine davon hieß Mit Schirm, Charme und Melone. Wir liebten die beiden Hauptdarsteller über alles, und der Fernseher wurde zu einem Fenster in eine aufregende, fremde Welt.
Dann gab es noch die amerikanische Serie Bezaubernde Jeannie. Jeannie besaß magische Kräfte und konnte durch Zaubertricks – das Blinzeln ihrer Augen – ihren „Meister“ immer wieder in Schwierigkeiten bringen. Und wenn Vater beim Fernsehen die Wohnzimmertür nicht geschlossen hatte, dann konnten wir vom Vorraum aus mit ihm den Film im Hauptabendprogramm anschauen, ohne dass er es merkte. Wir saßen alle auf der Treppe und schauten über einen großen Spiegel im Flur direkt auf den Fernseher.
Feste wurden bei uns feierlich begangen. Weihnachten war der Höhepunkt für uns Kinder. Das Haus war auf Hochglanz poliert und weihnachtlich dekoriert. Am Nachmittag putzten sich alle Familienmitglieder fein heraus, wir Mädchen alle in identischen Kleidern, das war so üblich damals. Rosi und ich spielten vierhändig am Klavier, Geschwister und Eltern hörten zu, danach wurde mit Inbrunst und Ausdauer gebetet. Andächtig und feierlich sprachen unsere Eltern mit uns die Gebete, für jedes verstorbene Familienmitglied eines – ein langer Vorspann zur Bescherung und eine harte Geduldsprobe für uns Kinder!
Jedes Jahr luden unsere Eltern außerdem alleinstehende Menschen ohne familiären Anschluss zu uns zum Feiern ein. Der unverheiratete Wallner Hans verbrachte den Weihnachtsabend regelmäßig bei uns, und auch Fräulein Gerti, Pfarrersköchin beim Dechant Holzer, nahm bei solchen Anlässen oft in unserem Wohnzimmer Platz.
An einem solchen Tag nahm sich der Vater viel Zeit für uns. Wie sehr wir das genossen! Entspannt und gut gelaunt spielte er mit uns den ganzen Abend Gesellschaftsspiele. Wir sangen gemeinsam Weihnachtslieder, und der Vater begleitete uns auf der Geige. Um Mitternacht gingen wir dann in die Mette, wo die Dorfbewohner einander trafen und „Gesegnete Weihnachten“ wünschten.
Als älteste Schwester leitete ich meine jüngeren Geschwister immer wieder zu allerlei Aktivitäten an. Zu Weihnachten studierte ich mit ihnen Krippenspiele ein. Die Koordination war jedoch nicht so einfach. Rosi spielte nur mit, wenn sie die Maria sein durfte, denn in dieser Rolle konnte sie sich einen wunderschönen mitternachtsblauen Bettüberwurf über Kopf und Schultern legen. So schlüpfte ich jedes Jahr in die Rolle des Josef, und die Jüngeren spielten die Hirten. Martha wollte vor Publikum nicht auftreten und wirkte aus dem Hintergrund.
„Ich weiß heute noch genau, wie es damals war“, unterbricht mich Rosi. „Ich war nur bereit, die Maria zu spielen. Sie war die interessanteste Rolle mit dem schönsten Umhang. Du hast mir diese Rolle immer gegeben, weil du gewusst hast, dass ich sonst alles durcheinandergebracht hätte. Schließlich warst du ja auf die gute Mitarbeit von allen Schwestern angewiesen. Hätte ich nicht mitgemacht, dann hätten sich vielleicht auch andere angeschlossen, und das Weihnachtsspiel wäre gescheitert.“
„Und ich wollte doch unbedingt, dass wir unser Krippenspiel aufführen. Da habe ich dir halt deinen Willen gelassen. Aber zurück zu unserer religiösen Erziehung.“
Der sonntägliche Kirchenbesuch während des Jahres war vor allem für meinen Vater besonders wichtig. Und wehe, wenn wir während der Sonntagsmesse nicht aufmerksam waren! Eines Sonntags flüsterte mir meine beste Freundin Friedl während der Messe zu: „Wir sitzen heute so, dass uns dein Vater nicht sehen kann. Wir können sicher ein wenig tratschen.“ Vater bemerkte es sofort, ganz so, als hätte er die ganze Messe über nichts anderes zu tun, als uns mit Argusaugen zu beobachten. Er holte mich aus der Kirchenbank, und ich musste zur Strafe die verbleibende Zeit vor dem Altar bei der Kommunionsbank zubringen. Es fühlte sich an wie am Pranger. Anschließend verpasste er mir vor dem Kirchentor Ohrfeigen, in aller Öffentlichkeit. Ich schämte mich sehr. Zu Mittag bekam ich, die Übeltäterin, kein Sonntagsschnitzel, sondern nur Salat. Das war nicht ganz so schlimm, weil Mutter immer einen Weg fand, uns heimlich doch noch ein Stück Fleisch zukommen zu lassen. Schrecklich war jedoch die verheerende Stimmung. Ich fühlte mich, als hätte ich ein schweres Verbrechen begangen.
„Warum war ihm das wohl so wichtig?“, fragt Rosi kopfschüttelnd. „Wenn ihm bewusst gewesen wäre, wie sehr ihm das geschadet hat, uns so zu behandeln! Schaden insofern, als wir ihn deswegen gemieden haben, wo es nur gegangen ist. Er hätte sicherlich auch gerne unsere Liebe gespürt.“
„Ich glaube, er hat keine Zeit und Muße gehabt, darüber nachzudenken, was Kindererziehung bedeutet“, entgegne ich.
„Ja, und durch seine eigene harte Kindheit und später die Erlebnisse im Krieg ist er ein ‚Disziplinjäger‘ geworden.“
Ähnlich wie der Sonntag hatte der Muttertag für uns Kinder eine ganz besondere Bedeutung, wir nahmen ihn sehr ernst. Jedes Jahr kauften wir einen großen Blumenstock mit sieben Hortensien, sechs rosa Blüten für die Mädchen und eine weiße Blüte für unseren Bruder, und sagten Gedichte und Sprüche auf. Unsere Mutter weinte jedes Mal vor Rührung.
Ein Festtag war auch der 31. Oktober, der wurde über viele Jahre festlich gestaltet. An diesem Tag im Jahr 1945 waren Vater und sein Bruder, unser Onkel Hans, gemeinsam aus der Kriegsgefangenschaft nach Hause gekommen. „Wie ihr ja wisst, war ich in englischer Gefangenschaft in Kärnten“, begann Vater alljährlich seinen Bericht. „Als ich dann freigelassen wurde, habe ich mich nach Graz durchgeschlagen, um den Hans abzuholen. Miteinander sind wir dann über den Semmering geflohen – ohne Papiere! Der Semmering war von den Russen besetzt, über Schleichwege haben wir ihn nachts überquert, immer auf der Hut vor den Russen. Wenn die uns erwischt hätten, dann hätten sie uns nach Sibirien deportiert. Dann haben wir noch eine Frau mit einem Baby getroffen, die auch nach Wien wollte und sich uns angeschlossen hat. Als wir durch den Wald geschlichen sind, haben wir immer große Sorge gehabt, dass das Kind zu weinen beginnen könnte und uns jemand hören würde. Aber wir haben’s geschafft. Am 31. Oktober 1945 um 20 Uhr sind wir heimgekommen. Das war vielleicht ein Wiedersehen mit der Familie.“ An dieser Stelle seiner Erzählung seufzten wir immer alle auf. Unsere Familie hatte Glück gehabt: Alle hatten das Regime überlebt. Es gab nur einen materiellen Schaden. Die letzten Pferde und der Traktor waren von den Russen requiriert worden, alles, was der Familie geblieben war, waren zwei Ochsen, die die Maul- und Klauenseuche hatten.
Abgesehen von diesen besonderen Festtagen war unser Alltag geprägt von harter Arbeit auf dem Feld und im Haus. Kaum waren wir von der Schule zu Hause, hieß es, Schweine füttern, ausmisten, Hof und Gasse kehren, dem Vater in der Garage helfen, im Weingarten oder auf dem Feld mit anpacken. Und wenn wir Geschwister es uns dann ein wenig gemütlich machen wollten, teilte uns Vater für weitere Arbeiten ein.
Rosi zieht eine Grimasse: „Wenn er ins Haus gekommen ist, hat immer schon eine von uns gerufen: ‚Der Vater kommt!‘ Dann haben wir uns jede eine Arbeit gesucht. Ich bin meistens zum Bügelbrett gelaufen, Veronika hat immer einen Besen in die Hand genommen oder einen Putzlappen. Er ist mit prüfendem Blick reingekommen und hat nachgefragt, ob jemand Zeit hätte, dann hat jede von uns irgendeinen anderen Vorwand gehabt: ‚Ich muss bügeln! Ich muss das Badezimmer putzen …‘ Wer nicht schnell genug reagiert hat, ist sofort aufgefordert worden mitzukommen, um irgendeine Arbeit auszuführen. Sobald er dann weg war, haben wir die angefangene Arbeit wieder liegen lassen, weißt du noch?“
„Daran erinnere ich mich auch noch.
In den Ferien mussten wir gemeinsam mit den Arbeitern schon sehr früh aufs Feld. Vater kam morgens in unsere Zimmer, ein Pfiff und wir hüpften aus den Betten.
„Also ich nicht“, unterbrach mich Rosi, „ich bin immer noch eine Weile liegen geblieben – mit dem Gedanken, wie man nur so erbarmungslos sein könne.“
Nach dem Frühstück begann der Arbeitstag. Mähdreschen, auf dem Wagen Stroh auf- und abladen, Kukuruz „abfahneln“, Steine klauben, melken, Unkraut bei den Rüben ausziehen … Wie sehr beneideten wir andere Kinder, die baden und spielen durften, während wir Beregnungsrohre verlegten. Eine von uns durfte immer zu Hause bei der Mutter bleiben, um ihr zu helfen. Gerne übernahm man diese Rolle, in der Hoffnung, sich tagsüber etwas erholen zu können. Leider ließ uns unsere Mutter jedoch auch nicht in Ruhe. Sie war insofern anstrengend, als sie nicht gut organisiert war.
„‚Kann sie mich nicht einfach mal in Ruhe lassen?‘, war mein einziger Wunsch an so einem Tag“, warf Rosi noch abschließend ein.