Читать книгу Martha schweigt - Anna Neder von der Goltz - Страница 9

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1955

Ich hätte das Dorf nicht verlassen dürfen, dachte sie, ich hätte niemals fortgehen sollen.

Noch immer hielt Martha den Brief fest in ihren Händen. Sie trat ans Fenster und schaute in Richtung Westen, dort wo ihr Dorf in fünfzig Kilometer Entfernung lag.

Ihr Blick schweifte über die Dächer der Stadt. Der Kirchturm von Sankt Josef, der sie an ihren Heimatort erinnerte und dessen Glockentöne stündlich in e-fis-gis-h-cis ertönten, hatte ihr so oft Trost gespendet, vor allem dann, wenn ihr Heimweh sie überwältigte.

Anstelle der Dächer stellte sie sich manchmal weite Felder und Wiesen mit blühenden Bäumen vor, im Mai weiß, im Sommer rot, voll mit Kirschen, und im Herbst voller gelber Äpfel.

Wie gerne wäre sie hinausgerannt, barfuß über die Wiesen gelaufen, so wie sie es oft als Kind getan hatte – doch es lag das vierstöckige Treppenhaus dazwischen, und unten angekommen, bot sich die Natur, wenn sie die Tür ins Freie öffnete, nur als kümmerlicher, von Hecken begrenzter Stadtpark an. Und der Wald viel zu weit weg, um ihn zu Fuß zu erreichen und ihm die Sorgen hinaustragen zu können.

Sie starrte erneut auf das Dokument. Ihr Name war auf der Besitzurkunde eingetragen. Das Haus gehörte ihr. Das schönste Haus im Dorf, aus Buntsandstein, ein Garten mit Obstbäumen, umgeben von einer alten Steinmauer.

Er hatte es ihr vermacht. Ausgerechnet er.

Martha schweigt

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