Читать книгу Die neue Schulmeisterin - Anna Staub - Страница 7

Damit haben wir Blacky im Handumdrehen vom Dach geholt!

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Miss Van Halens Zimmer bei der Witwe Straight, die im Herzen der kleinen Stadt wohnte, bot einen großzügigen Ausblick über Green Hollows Hauptstraße. Interessiert ließ die Lehrerin den Blick über ihre neue Heimat schweifen. Rechts neben dem Haus der Witwe befand sich das Green Hotel und ein Stück die Straße hinunter, auf der anderen Seite, sah sie ein großes Haus mit einer Art Scheune, das laut des riesigen Schildes Plockton's Warehouse war. Gegenüber davon wohnte der örtliche Arzt, Dr. McAbberty, dessen Frau sich ja gestern so nett um ihre Unterbringung gekümmert hatte.

Charlotte ließ ihren Blick weiter in die andere Richtung wandern, bis er schließlich an einem großen Gebäude mit dem Namen „Gemstone“ hängen blieb. Sie hatte keine Ahnung, worum es sich dabei handelte, aber da so früh am Morgen bereits einige Männer dieses Haus verließen, war es vielleicht eine Art Pension. Nun, einerlei, sie musste sich beeilen und sollte nicht die Zeit verträumen. Die seltsame Witwe Straight hatte ihr gestern gesagt, dass es um Punkt acht Uhr Frühstück geben würde. Wenn sie bis dahin nicht am Esstisch wäre, dann müsste sie sich selbst um ihre Mahlzeit kümmern. Miss Van Halen seufzte. Und das konnte dann nur in einer weiteren Katastrophe enden. So gut ihre Noten am College auch gewesen waren, in der Küche war sie, wie in den meisten anderen Bereichen des täglichen Lebens, eine Katastrophe. Und auch wenn Miss Charly von der anstrengenden Fahrt in der Postkutsche gestern reichlich erschöpft war, war die Neugier auf ihr neues zu Hause doch größer als der Wunsch, sich einen Tag Ruhe zu gönnen. Als sie die Treppen zum Esszimmer hinunter eilte, lag bereits wieder ein fröhliches Lächeln auf ihrem Gesicht. Weder der Gedanke an ihre eigenen Unzulänglichkeiten noch die Erschöpfung konnten ihre Unternehmungslust dämpfen.

„Guten Morgen, Mrs. Straight“, grüßte sie gutgelaunt, als sie die letzten zwei Stufen ausließ und von der Treppe sprang. Was ihr einen missbilligenden Blick der Witwe eintrug.

„Morgen, morgen… Was kümmert mich morgen, wenn doch nur schon heute herum wäre“, knurrte die Dame des Hauses und verschwand mit einer Kaffeekanne im Esszimmer. Miss Charly schaute ihr verblüfft nach, denn sie konnte sich keinen Reim auf diese seltsamen Worte machen, die in so gar keinem Zusammenhang mit ihrem Gruß zu stehen schienen.

Schulterzuckend ließ sie es dabei bewenden und gesellte sich zu der Witwe an den Esstisch, wo sie sich akribisch über ihre Tagespläne ausfragen lassen musste. Doch da Charlotte von Natur aus ein mitteilsamer Mensch war und keinen Grund sah, warum sie Eugenia Straight nicht von allem erzählen sollte, was sie vorhatte, berichtete sie gutgelaunt, dass Mr. Malbeth ihr heute die Schule und ihr zukünftiges Heim zeigen wolle.

Bei der Erwähnung des Hauses zog Mrs. Straight dann allerdings ein bitteres Gesicht und Charlotte musste gleich darauf eine Strafpredigt über sich ergehen lassen, dass es unschicklich wäre, als junge, alleinstehende Frau in der Postkutsche zu reisen. Ohne Begleitung!

Auch wenn Miss Van Halen dem plötzlichen Gedankensprung vom Haus zu ihrer Reise nicht ganz folgen konnte, ließ sie alles mit demütiger Miene über sich ergehen. Charlotte versuchte gar nicht erst, sich zu rechtfertigen. Sie kannte diese Art von Vorhaltungen bereits von ihrer Mutter und wusste, dass auf solche Zurechtweisungen nicht unbedingt eine Antwort erwartet wurde. Die Gardinenpredigt diente wohl eher dazu, dass die Schimpfende sich Luft machen konnte.

Nachdem Eugenia Straight sowohl ihre Neugier als auch ihren Drang jemanden zurechtzuweisen befriedigt hatte, musste Green Hollows zukünftige Lehrerin sich die lange Litanei von Mrs. Straights unzähligen körperlichen Leiden anhören. Aber auch diese Prüfung bestand Miss Charly mit Bravour. Es gab nicht viel, was ihr die gute Laune verderben konnte.

Um zehn Uhr stand dann wie verabredet der nuschelnde Bürgermeister vor der Tür und nahm Miss Van Halen unter seine Fittiche. Sie besichtigten das kleine, aber ordentliche Schulhaus von Green Hollow, das Charlotte in einen wahren Begeisterungssturm versetzte und sie veranlasste, wie ein kleines Mädchen in die Hände zu klatschen.

„Oh Mr. Malbeth, ich kann mir so gut vorstellen, wie die Kinder in den Bänken sitzen und wir zusammen Spaß haben werden!“, rief sie begeistert aus und schaute sich neugierig um. Das Schulzimmer war lichtdurchflutet und das helle Holz der Schulbänke tat ein Übriges, um eine positive Atmosphäre zu erzeugen.

„Nuja, nuja, is ja schön, aber se sollen hier och was lernen, nich?“, brummte der Bürgermeister vor sich hin. Er fand zwar, dass Miss Van Halen eine ganz entzückende junge Dame war, aber die erhoffte strenge Hand, die Green Hollows Nachwuchs züchtigen sollte, konnte er wohl abschreiben. Das kam davon, wenn man Frauen Aufgaben außerhalb des häuslichen Umfelds anvertraute.

„Aber Lernen macht doch Spaß, finden Sie nicht, Mr. Malbeth? Ich liebe es neue Dinge kennenzulernen und zu erfahren!“, antwortete Miss Charly im Brustton der Überzeugung und der Bürgermeister gab es vorerst auf, seine Vorstellung von vernünftigem Unterricht mit denen der neuen Schulmeisterin abgleichen zu wollen.

Und auch das kleine Häuschen, das der Stadtrat der neuen Lehrkraft zugedacht hatte, fand Charlottes ganze Zustimmung. Mr. Malbeth hatte ja am Anfang fast Scheu gehabt, es Mr. Van Halen als Bleibe anzubieten. Das Haus bestand nur aus einer Küche, einem Salon und zwei kleinen Schlafzimmern im Obergeschoss, aber spätestens nach Miss Van Halens spontaner Freudenkundgebung im Schulhaus war er dieser Sorge ledig. Die junge Dame schien einfach allem, was sie sah, eine positive Seite abgewinnen zu können. Er hatte sich entschuldigt, dass das kleine Haus nur zwei Schlafzimmer bereithielt, aber Miss Charly hatte ihm sofort inbrünstig versichert, dass das mehr war, als sie erwartet hatte. Sie schien ganz begeistert über den Gedanken, ein eigenes Schlafzimmer zu haben und sich nicht mit ihrer Mutter ein Bett teilen zu müssen.

Nachdem also die Schlüssel für das kleine Häuschen den Besitzer gewechselt und Bürgermeister Malbeth sich verabschiedet hatte, schlenderte Miss Charly noch durch die Zimmer, um ihre neue Bleibe im Geiste einzurichten. Hier und dort konnten noch ein paar Möbelstücke ergänzt werden, aber das sollte kein Problem sein, wenn ihre Mutter mit dem Hausrat eintraf. Überhaupt machte jetzt schon alles einen so schönen Eindruck auf sie. Das ganze Haus war von oben bis unten sauber geputzt und man konnte sich sofort wohlfühlen. Das Werk einer gewissen Mrs. Aldridge, wie ihr der Bürgermeister berichtet hatte.

Ihr eigenes Haus! Nach einem kleinen Luftsprung drehte sich Charly einmal um ihre eigene Achse und breitete die Arme aus. Keiner ihrer Freunde oder Verwandten hätte je gedacht, dass ausgerechnet sie ihr eigenes Haus haben würde. Noch dazu ohne verheiratet zu sein. Gut, sie war sich durchaus bewusst, dass sie anderswo nicht so hofiert worden wäre und ihr Glück nur daher kam, dass so wenige Lehrer bereit waren in den unerschlossenen Westen zu gehen. Die Städte und Gemeinden in den Territorien, die nicht zu den Vereinigten Staaten gehörten, mussten ihren Lehrern, Ärzten und Sheriffs schon etwas bieten, wenn die sich die Mühe machen sollten, in so eine abgelegene und manchmal gefährliche Gegend zu kommen.

Aber nichtsdestotrotz: Sie hatte ein eigenes Haus, eine Arbeit und konnte für ihre Mutter und sich sorgen!

Ein Geräusch, das anscheinend aus dem verwilderten Hinterhof ihres neuen Hauses kam, riss Miss Van Halen aus ihren Gedanken. Gleich darauf waren schnelle Schritte und ein herzzerreißendes Heulen zu hören. Besorgt eilte die junge Frau in die Küche, um im Hof nach dem Rechten zu sehen, machte die Rechnung allerdings ohne die widerspenstige Hintertür. Es gab einen immensen Knall und einen leisen Jammerlaut, als Miss Charlys Knie unsanft Bekanntschaft mit dem robusten Pinienholz der Tür machte.

Was das Geheul im Hof augenblicklich verstummen ließ. Wenige Augenblicke später, als sich Charlotte mit einem unsanften Tritt gegen die Tür endlich Zutritt zu ihrem Hof verschafft hatte, sah sie sich mit einem kleinen blonden Mädchen konfrontiert. Aus einem tränenverschmierten Gesicht sahen sie große, blaue Augen verschreckt an.

„Nanu? Wer bist du denn? Hast du dir wehgetan?“, fragte die Lehrerin besorgt und beugte sich zu dem Mädchen hinunter, das ganz sicher einer ihrer neuen Schützlinge war. Doch zu ihrer Beruhigung konnte Charly kein Blut oder sonstige Verletzungen an dem Blondschopf bemerken.

„Elizabeth, ich bin Elizabeth“, brachte die Kleine schließlich zwischen zwei Schluchzern hervor. Sobald sich ihre erste Verwunderung über die schöne Dame gelegt hatte, war Lizzie Slane natürlich sofort wieder in die für sie üblichen Tränen ausgebrochen. Was Miss Charlotte dazu brachte, vor dem Mädchen auf die Knie zu gehen und ihr beruhigend über den Rücken zu streichen.

„Aber was ist denn los, Elizabeth? Was tust du hier überhaupt? Das ist doch kein Ort zum Spielen! Hast du dir wehgetan?“

Ihre kleine Besucherin schien von den vielen Fragen etwas überfordert zu sein und so konzentrierte sich Green Hollows neue Schulmeisterin gezwungenermaßen auf das Wesentliche. „Hast du dir wehgetan?“

„Nein“, war die simple Antwort. „Aber… aber… aber…“ Und damit brach das kleine Mädchen wieder in bittere Tränen aus. Charlotte beschloss das Kind vorerst weinen zu lassen und reichte ihr ein Taschentuch.

„Davy hat gesagt, es wäre bestimmt lustig hier zu spielen, weil in dem Haus keiner wohnt. Ich wusste nicht, dass Sie hier sind, Miss. Ehrlich nicht. Bestimmt nicht“, beteuerte die Kleine schließlich treuherzig und Miss Charly musste lachen.

„Keine Angst, ich bin dir nicht böse, Elizabeth. Es ist bloß aus Sorge, weil euch hier leicht etwas passieren könnte. Aber was war denn jetzt los? Hat dieser Davy etwas angestellt?“

Lizzie Slane nickte jetzt inbrünstig. „Davy ist mein Bruder und er hat… er hat… hat…“ Und schon strömten wieder die Tränen wie Regen bei einem Aprilgewitter.

Himmel, auf diesen Davy Slane würde sie ein Auge haben müssen, beschloss Miss Van Halen augenblicklich. Er musste ja sonst was angestellt haben, dass seine Schwester so durcheinander war.

„Blacky!“, schluchzte das Kind schließlich mühsam beherrscht und deutete mit dem Arm nach oben.

Charly drehte sich verblüfft herum, nur um auf dem Dach ihres Hauses eine kleine, schwarze Katze zu erblicken, die interessiert zu ihnen herunter schaute.

„Davy hat sie hochgeworfen“, jaulte das kleine Mädchen jetzt anklagend. Miss Charlotte wusste nicht, ob sie lachen oder wütend sein sollte. Sie fand es überhaupt nicht lustig auf diese Art und Weise mit Tieren zu spielen, aber offensichtlich war dem Kätzchen ja nichts passiert. Und Elizabeths Tränenstrom hatte eher darauf schließen lassen, dass Davy Slane das arme Tier vor ihren Augen gekreuzigt hatte.

„Das war natürlich überhaupt nicht nett von deinem Bruder. Ich denke, ich werde ein ernstes Wort mit ihm reden müssen. Aber ich glaube, du kannst ganz beruhigt sein. Blacky geht es doch gut und ich bin mir sicher, dass deine Katze bald von selbst herunterkommt. Katzen sind nämlich sehr gute Kletterer, weißt du? Und selbst wenn sie fallen, dann fallen sie immer auf die Füße. Sie drehen sich, während…“ Miss Charly hielt abrupt inne, denn sie merkte, dass sie schon wieder zu viel redete. Zu viel für die momentane Aufnahmefähigkeit des kleinen Mädchens. Denn die schien nicht im Mindesten beruhigt von ihrer Versicherung und ihre Unterlippe fing schon wieder verdächtig an zu zittern. „Aber Blacky ist noch so klein und weiß das alles nicht, Miss!“

„Nein, nein, nein! Nicht weinen, bitte nicht weinen, Elizabeth!“, bat Miss Van Halen jetzt inständig und tätschelte der Kleinen beruhigend die Schultern, während sie sich suchend umsah. Vielleicht konnte sie das Tierchen irgendwie vom Dach herunter locken. Auch wenn Blacky sich da oben in der Sonne anscheinend ganz wohl fühlte.

Eine Leiter! Das war es doch! Erleichtert sprang Charlotte auf und zerrte eine halb von Gras überwachsene Leiter in die Höhe. „Siehst du, Elizabeth, damit haben wir Blacky im Handumdrehen vom Dach geholt.“

Ihre Besucherin sah zwar etwas skeptisch aus, aber wenigstens fing sie nicht wieder an, Tränen zu vergießen. Das war schon mal eine Verbesserung.

Irgendwie schaffte es Miss Charly tatsächlich, die Leiter aufzurichten und gegen das Dach zu lehnen. Natürlich nicht ohne sich einen Splitter einzureißen, aber das war momentan das geringste Übel.

Mit einem letzten Lächeln in Richtung Elizabeth stieg die junge Frau auf die Leiter. Was sich dank ihrer Röcke als gar nicht so einfach erweisen sollte, aber schließlich hatte sie es geschafft. Miss Charlotte streckte die Hand nach der kleinen Katze aus, aber Blacky bedachte sie lediglich mit einem Fauchen.

„Miez, Miez, Miez!“, versuchte Miss Van Halen es jetzt mit einschmeichelnder Stimme und schaute entschuldigend zu dem kleinen Mädchen hinunter. Was gar keine gute Idee war. Entsetzt drehte die Lehrerin den Kopf wieder nach oben. Sie hatte nicht damit gerechnet, dass der feste Boden so weit von ihr entfernt sein würde. Wenn sie doch nur fünf Minuten nachgedacht hätte! Das Haus hatte schließlich zwei Stockwerke!

Miss Charly musste mehrmals tief durchatmen, bevor sie sich dazu entschließen konnte, noch eine Sprosse hinaufzusteigen, um nach der Katze zu angeln.

Je schneller sie das hinter sich brachte, umso besser. Und tatsächlich kam Blacky jetzt zögerlich auf sie zu. Nur um gleich darauf gar nicht zögerlich von allein und ohne Hilfe an ihrer Retterin vorbei auf den Boden zu klettern.

„Blacky!“, klang es jauchzend vom Hof herauf, doch diesmal ersparte Charlotte sich den Blick nach unten. Jetzt musste sie selbst nur wieder heil auf den Boden zurückkommen!

Im gleichen Moment, als die junge Frau vorsichtig einen Fuß auf die untere Sprosse schieben wollte, gab es plötzlich ein lautes Knacken. Mit einem erschreckten Aufschrei musste Miss Charly feststellen, dass die Sprosse plötzlich wegsackte. Panisch griff sie nach dem erstbesten Halt, der ihr unter die Finger kam, was zu ihrem Glück die Dachkante und nicht die Leiter war. Denn die neigte sich unter Miss Van Halens plötzlichen Bewegungen nun zur Seite und kippte um. Mit dem Ergebnis, dass Green Hollows Schulmeisterin sich an die Dachkante ihres neuen Hauses klammerte.





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