Читать книгу Die neue Schulmeisterin - Anna Staub - Страница 8

Ich stelle andauernd solche Sachen an…

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„Elizabeth?“, rief Charlotte unsicher, wagte es jedoch nicht nach unten zu schauen.

„Miss! Miss!“, antwortete das kleine Mädchen sofort aufgeregt und die Schulmeisterin atmete erleichtert auf. Gott sei Dank, das Mädchen war noch da. „Elizabeth, kannst du die Leiter wieder aufrichten? Wenn du sie mir unter die Füße schiebst, müsste ich…“ Sogar jetzt, während sie hier an dieser Dachkante hing, redete sie zu viel. Ärgerlich biss Miss Charly sich auf die Lippen und versuchte ihre Gedanken zu ordnen. Was in dieser Situation nicht ganz einfach war.

„Miss, die Leiter ist kaputt“, antwortete das kleine Mädchen und ihrer Stimme nach zu urteilen, schien sie schon wieder kurz vor einem Weinkrampf zu stehen. Wenn sie vor lauter Angst bloß nicht einfach weglief, fuhr es Charlotte durch den Kopf. Die junge Frau biss fest die Zähne zusammen, denn die scharfe Kante des Daches begann, schmerzhaft in ihre Handflächen zu scheiden.

„Hör mir jetzt gut zu. Du musst auf die Straße laufen und jemanden bitten hierher zu kommen. Am besten einen Mann, Elizabeth. Kannst du das machen?“, fragte Miss Van Halen. Die Augen hielt sie allerdings weiterhin fest auf die Dachkante gerichtet, um sich nicht noch einmal damit zu konfrontieren, wie weit der sichere Boden von ihren Füßen entfernt war. Elizabeths Nicken entging ihr dadurch und sie hörte lediglich die davonlaufenden Schritte. Jetzt blieb ihr nichts anderes mehr übrig als zu beten, dass das Mädchen auch das tat, was sie ihr aufgetragen hatte.


Bill Sullivan hatte dem Grab seiner Mutter und seiner Frau den wöchentlichen Besuch abgestattet und war gerade wieder auf dem Weg zurück zu Plockton's, wo er sein Pferd untergestellt hatte. Allerdings kam er nicht weiter als bis zur Friedhofspforte, als ihm plötzlich die kleine Lizzie Slane in den Weg stolperte. Das Mädchen war mal wieder in Tränen aufgelöst, drückte eine kleine, schwarze Katze an sich und wäre um ein Haar hingefallen, als sie über seine Füße stolperte.

Bill war kein Mann von vielen Worten, aber er fing die Kleine gerade noch rechtzeitig auf, bevor sie im Straßenstaub landen konnte. Elizabeth schaute etwas panisch um sich, und als sie Bill erkannte, lächelte sie plötzlich so breit, als hätte er ihr ein Bonbon angeboten.

„Sie müssen mitkommen, Mr. Bill, bitte! Sie müssen! Sonst fällt sie vom Dach und bricht sich alle Knochen!“ Mit dieser Ankündigung packte Miss Slane sehr bestimmt seine Hand und begann ihn hinter sich herzuzerren.

Der Sullivan-Bruder ließ sich mit einem angedeuteten Lächeln auch wegzerren und fragte sich, was Davy wieder angestellt hatte, um seine kleine Schwester zu ärgern. Der kleine Slane war in ganz Green Hollow und Umgebung für seine dummen Streiche bekannt und Bill erwartete so etwas in der Art, dass er eine von Lizzies Puppen auf ein Dach befördert hatte oder Ähnliches.

Als das kleine Mädchen ihn schließlich in den Hinterhof des alten Mornington-Hauses zog, war es allerdings keine Puppe, die an der Dachkante hing, sondern eine junge Frau mit blonden Haaren.

Die erste Frage, die ihm durch den Kopf schoss, war: Was zum Teufel hatte sie da oben gewollt und wie war sie da überhaupt hochgekommen?

„Die Leiter ist kaputt gegangen“, flüsterte Lizzie neben ihm und trat jetzt einen Schritt zurück. Gleich darauf klang von oben ein verzweifeltes „Elizabeth? Hast du jemanden gefunden? Ich glaube nicht, dass ich mich noch lange festhalten kann.“ herunter.

Diese Feststellung nötigte dem sonst so schweigsamen Bill Sullivan einen Kommentar ab. „Dann hätten Sie gar nicht erst auf dem Dach herumturnen sollen“, meinte er trocken und bezog unter der jungen Frau Stellung, nachdem er sich mit einem Blick überzeugt hatte, dass die Leiter tatsächlich kaputt war. Mehrere Sprossen waren durchgebrochen und auch der Rest war offensichtlich so morsch, dass er die blonde Dame dort oben wohl keine zwei Augenblicke getragen hätte.

Auf diese Worte hin schaute Charlotte nun doch nach unten, bereute es aber gleich wieder. Der blonde Mann, der die Situation mit einem Blick abschätzte und sich direkt unter ihr aufbaute, war ihrer Meinung nach viel zu weit weg.

„Ich habe hier nicht herumgeturnt!“, antwortete Miss Charly halb entrüstet, halb weinerlich. Ihr „Ich bin geklettert…“ klang allerdings schon etwas kleinlaut.

Bill hatte indes festgestellt, dass die Rettungsaktion kein Problem sein würde. Er war zwar etwas kleiner als seine älteren Brüder, aber da die Dame über ihm nicht so kurz geraten war wie seine Schwägerin, war der Abstand zwischen ihm und ihren Füßen nicht allzu groß.

„Loslassen!“, befahl er, ohne auf ihre Erklärung einzugehen.

„Was?!“, rief Charlotte erschrocken. „Ich werde mir alle Knochen brechen, wenn…“

Doch der blonde Sullivan fiel ihr ins Wort. „Entweder Sie lassen augenblicklich das Dach los oder ich sehe mich gezwungen zu glauben, dass Sie zu Ihrem Vergnügen dort hängen. Und dann werde ich gehen, da meine Hilfe ja offensichtlich nicht benötigt wird.“


Die kleine Lizzie stand währenddessen mit einem ehrfürchtigen Ausdruck im Gesicht in der Hintertür des alten Hauses. Sie hatte Bill Sullivan noch nie so viele Worte an einem Stück sagen hören!

Nach einem weiteren Blick nach unten zu diesem seltsamen Gesellen beschloss Miss Charlotte, ihre Geschicke einfach in Gottes gütige Hände zu legen. Dieser Mann dort wirkte wenigstens so, als wüsste er, was er täte. Da war er ihr schon um einiges voraus.

Nachdem sie noch einmal tief durchgeatmet hatte, schloss die junge Frau die Augen und ließ die Dachkante los. Für einen Moment hatte sie das Gefühl zu fliegen und das nächste, was sie spürte, waren zwei starke Arme, die sich um sie legten und das mörderische Tempo rechtzeitig abbremsten, bevor sie auf dem Boden aufgeschlagen wäre.

Verwirrt öffnete sie die Augen und blickte in ein sonnengebräuntes Gesicht mit kornblumenblauen, ernsten Augen und einem blonden Vollbart.

„Da-danke“, stotterte Charlotte und atmete erleichtert auf, als der Mann sie vollends nach unten gleiten ließ und sie wieder festen Boden unter den Füßen spürte. „I-ich… Himmel, Sie müssen denken, dass ich völlig verrückt bin. Es war nur wegen der Katze“, versuchte sie zu erklären. Glücklicherweise schaltete sich nun auch die kleine Elizabeth ein. „Ja, wegen Blacky. Die Miss hat Blacky vom Dach gerettet, Mr. Bill“, beteuerte der kleine Blondschopf treuherzig und drückte den Unruhestifter fest an ihre Brust.

Bill hatte indes seinen Blick nicht von der Frau wenden können, die er da gerade in den Armen hielt. Finney war ja schon ein hübsches Mädchen, aber diese seltsame Person stellte sie noch um einiges in den Schatten.

„Was hatten Sie eigentlich hier zu suchen?“, fragte er etwas unwirsch, da es ihm gar nicht gefiel, dass er überhaupt bemerkte, dass die Fremde so gutaussehend war. Frauen interessierten ihn seit Josephine eigentlich nicht mehr.

Charlotte, die bei Elizabeths kleinem Ausbruch zu dem Mädchen geschaut hatte, wandte sich verblüfft wieder ihrem Retter zu. „Ich wohne hier! Ich meine, ich werde bald hier wohnen.“ Nach dieser Erklärung herrschte für eine Weile Schweigen und Miss Charly nutzte die Zeit, um tief durchzuatmen und sich zu beruhigen. Schlecht sah dieser Mr. Bill ja nicht aus, aber etwas seltsame Manieren hatte er schon, stellte sie schließlich fest. Allerdings musste er sie natürlich auch für eine sehr komische Person halten, so wie sie sich eben kennengelernt hatten.

Jetzt war es an dem Sullivan-Bruder sie etwas verwirrt anzuschauen, doch gleich darauf ging ihm ein Licht auf. Das musste wohl die Frau des neuen Schulmeisters sein.

Als ihm klar wurde, dass er Mrs. Van Halen immer noch im Arm hielt, ließ er sie abrupt los und trat einen Schritt zurück. Es gehörte sich nicht, verheiratete Frauen dermaßen zu umklammern.

Bills plötzlicher Rückzug hatte allerdings zur Folge, dass Charlotte etwas zur Seite taumelte und sich an der Tür festhalten musste. Gleich darauf ließ sie sich wacklig auf den Treppenstufen nieder, die von der Hintertür in den Hof hinunter führten. Woraufhin ihr Retter sich genötigt sah, wieder einen Schritt näher zu treten und sich zu ihr herunter zu beugen.

Bill hielt sich prinzipiell von Frauen fern, aber dieses besondere Exemplar konnte er ja kaum seinem Schicksal überlassen. Wo sie ganz offensichtlich nicht mal allein stehen konnte.

„Geht es Ihnen gut? Haben Sie sich verletzt?“, fragte er, doch die junge Frau lächelte schon wieder, als sie ihm antwortete.

„Nein, nein, danke. Das ist wohl nur der Schreck. In ein paar Minuten wird es vorbei sein und ich kann wieder aufstehen. Das ist eine ganz natürliche Reaktion des Körpers, wenn man sich… Naja, mein Mund funktioniert ja einwandfrei, also kann mir nicht so viel passiert sein“, zügelte sie sich und diese freizügige Selbstkritik brachte Bill Sullivan schon wieder zum Lächeln.

„Sie sind also Mrs. Van Halen. Wenn Sie mir sagen, wo Ihr Mann ist, dann könnte Lizzie ihn vielleicht holen“, bot ihr Retter ihr jetzt an.

„Oh nein, nein! Ich meine… Hach, meine Schusseligkeit! Ich bin Miss Van Halen und das mit dem Schulmeister war ein Fehler. Ich meine, ich bin die neue Lehrerin. Aber ich habe dem Bürgermeister einen Brief geschickt, den ich mit Charly unterschrieben hab, als ich mich auf die Stelle bewarb. So nennt mich meine ganze Familie, aber ich heiße eigentlich Charlotte. Mrs. Van Halen ist meine Mutter, die mir den Haushalt führen wird“, lächelte Charly entschuldigend zu dem blonden Mann herauf. Der schien zuerst nicht ganz aus ihrer verworrenen Erklärung schlau zu werden, doch dann nickte er, ohne ein weiteres Wort zu verlieren.

Miss Van Halen beäugte ihren Retter einen Moment neugierig, doch da er keine Anstalten machte noch etwas zu sagen, glaubte sie das Gespräch sei beendet. Sie stand auf und war erleichtert, als ihre Beine sie wieder ohne weiteres trugen.

„Ich bin Ihnen wirklich dankbar für Ihre Hilfe, Sir.“ Damit streckte sie ihm die Hand entgegen, die der junge Mann nach kurzem Zögern auch ergriff. „Keine Ursache.“ Doch als Charlotte bei seinem Händedruck leicht zusammenzuckte, musterte er sie mit einem besorgten Blick. Nach einem kurzen Moment drehte er Miss Van Halens rechte Hand, so dass er die Innenfläche betrachten konnte.

Charlotte erschrak selbst, als sie sah wie wund und aufgescheuert ihre Handflächen waren. Die Linke, die dieser Mr. Bill jetzt ebenfalls ergriffen hatte und betrachtete, sah nicht besser aus. „Ich bringe Sie zu Dave, unserem Arzt.“

„Ach, das ist halb so wild. Ich stelle andauernd solche Sachen an“, erklärte Miss Charly mit einem verlegenen Lächeln und zog ihre Hände zurück, um sie hinter ihrem Rücken zu verstecken.

„Das war kein Vorschlag, Miss Van Halen.“ Und ohne ihre Antwort abzuwarten, packte Bill die junge Frau vorsichtig am Ellenbogen und schob sie durch die Tür ins Innere des Hauses. Die kleine Lizzie Slane lief ihnen jetzt fröhlich voran, und als sie das Haus durch die Vordertür verließen, verabschiedete das Mädchen sich mit einem artigen Dank und lief davon.

Erst als ihr Retter ihr die Schlüssel abgenommen, zugesperrt hatte und sie bereits mit ihm auf dem Weg zu diesem Dave war, fand die verblüffte Lehrerin ihre Sprache wieder. „Sind Sie immer so bestimmend?“, fragte sie mit einem prüfenden Seitenblick. Zu Bills Überraschung klang sie dabei nicht im Geringsten beleidigt, sondern eher neugierig.

„Nur wenn ich weiß, dass ich im Recht bin“, war die kurze Antwort. Charlotte war sich nicht ganz sicher, was sie von diesem seltsamen Mann halten sollte, aber da er ihr sofort geholfen hatte, musste er eigentlich ein netter Kerl sein. Er redete offensichtlich nicht gern, aber nicht jeder Mensch konnte so mitteilsam sein wie sie.

„Reden nur Sie selbst nicht gern, oder stört es Sie auch bei anderen?“, fragte sie plötzlich und erntete dafür einen verblüfften Blick von ihrem Begleiter.

„Bei anderen stört es mich nicht“, antwortete er schließlich, musterte sie aber mit gerunzelter Stirn.

„Das ist gut. Ich rede meistens sehr viel. Ich merke es einfach nicht und das geht den Leuten manchmal auf die Nerven“, bekannte Miss Charly mit einem treuherzigen Lächeln, während Bill an Doc Daves Haustür klopfte. Inzwischen hatten sie das Arzthaus erreicht.

Es dauerte nur wenige Augenblicke, bis der alte Dave öffnete und seine Besucher ziemlich verwirrt anstarrte. Dem blonden Sullivan war klar, was Doc Dave so irritierte. Wahrscheinlich konnte der Arzt sich nicht mehr erinnern, wann er Bill Sullivan zum letzten Mal mit einer Frau gesehen hatte.

„N'Abend, Doc. Miss Van Halen hat sich an den Händen verletzt“, brach Bill schließlich das Schweigen und der alte Dave nickte. „Na dann kommt mal rein, Kinder. Sie sind also unsere neue Schulmeisterin. Freut mich, Sie kennenzulernen.“ Und damit ließ er die junge Frau eintreten, doch Bill blieb etwas unentschlossen auf der Türschwelle stehen.

Aus irgendeinem Grund hätte er sich gerne persönlich davon überzeugt, dass die chaotische Miss Van Halen wieder sicher zu ihrer Unterkunft fand. Doch eigentlich ging ihn das überhaupt nichts an. Hatte ihn nichts anzugehen.

„Dave, könnten Sie darauf Acht geben, dass Miss Van Halen nachher sicher heimfindet?“, fragte er schließlich, und nachdem Doktor McAbberty erklärt hatte, dass Trudi die junge Missy persönlich zur Witwe Straight zurückbringen würde, verabschiedete sich Bill und verschwand in Richtung Plockton's.





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