Читать книгу Schimmer - Anna Teufel - Страница 12

Оглавление

Zwei

Gefühlspotenzial

Als ich zwölf war, trugen alle Kinder an meiner Schule Chucks und Vans. Ich dürstete nach den Schuhen, konnte mir keine leisten, sparte, bettelte meine Eltern an und kaufte mir schließlich schwarze Fake-Vans von Deichmann mit einem weißen Totenkopf auf der Oberseite. Nachdem ich die Schuhe gekauft hatte, traute ich mich mehrere Wochen lang nicht, die Schuhe anzuziehen, aus Angst, dass alle anderen merken würden, dass ich sie nachahmte. An einem kühlen Februarmorgen trug ich sie das erste Mal und versuchte, die Schuhe unter weiten Jeansschlaghosen zu verstecken. Ein einziger Mensch bezeichnete meine Schuhe als hässlich. Ich trug sie nie wieder.

Die Mutter meines ersten Freundes schenkte mir zu Weihnachten eine karierte französische Barrettmütze. Ich trug die Mütze unter dem Weihnachtsbaum unter meinen eigenen wohlwollenden Blicken und derer meiner Familie. In Kombination mit Jeans fand ich sie grauenhaft. Ich trug sie vier Jahre später zum ersten Mal außer Haus. An diesem Tag sagte ich zu meiner Mutter, dass ich mir es nun erlauben könne, die Mütze zu tragen. Sie sagte, ich hätte es mir schon immer erlauben ­können. Ich glaubte ihr nicht.

Mir fiel es schwer, Menschen abseits ihrer Äußerlichkeiten zu beurteilen. Als ich das erste Mal eine Frau als «schön» bezeichnete, war ich 15 und erschreckte Menschen damit. Ich hatte damit eine Freundin meiner Mutter gemeint. Das einzige Mädchen im Dorf, das sich die Haare färbte, hieß Marie und trug ihren blauen Schopf als Zeichen der Verweigerung sämtlicher an sie herangetragenen Erwartungen. Alle nannten sie «die Lesbe». Ich auch.

Wir rauchten. Wir brachen dünne Zweige von den Bäumen ab, knickten sie in der Mitte und klemmten die Zigaretten am ­Filter in den Knick; unsere Finger rochen nie nach Nikotin. Wir brachten uns gegenseitig das Rauchen bei; ziehen und erschrecken, ziehen und erschrecken, huch und einatmen, Mama kommt. Ich hatte Angst vor dem Tod und Angst davor, dass meine Eltern eines Tages den Rauch in meinem Atem riechen würden; am meisten Angst hatte ich davor, uncool zu sein. Erst viel später erfuhr ich, dass es nie einen Unterschied gemacht hatte.


Schimmer

Подняться наверх