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Kekskrümelgedanken

Meine Mutter sagt immer, ich bin was ganz Besonderes.

Bestimmt hört man den Satz als Kind voll oft. Ich glaub, jede Mutter ist total verliebt in ihr Kind und sagt: Du bist was ganz Besonderes. Aber bei mir stimmt’s halt!

Vielleicht hört sich das jetzt eingebildet an oder nach Nase oben, aber so ist es voll nicht gemeint. Ich bin so ein bisschen anders als der Rest und deshalb bin ich halt, glaub ich, irgendwie was Besonderes.

Heute ist wieder so ein Abend, an dem ich alleine zu Hause in meinem Bett sitze und über meine Welt nachdenke. Meine Gedanken sind nicht so groß, weil mein Kopf für die richtig großen Gedanken einfach zu klein ist. Aber ich glaub, das ist okay. Meine Welt ist schön, so wie sie ist.

Ich funktionier zwar nicht ganz richtig im Kopf, aber das ist gar nicht mal so schlimm. Ich finde es nur nervig, wenn ich zum Beispiel mit jemandem rede und wenn mich was nicht interessiert, also wenn ich mich langweile, dann schweif ich total schnell ab und kann mich dann nicht mit dem anderen weiter unterhalten und ich hab gelernt, dass das voll unhöflich ist und dass man das nicht tut, weil wenn man sich mit jemandem unterhält, dann muss man das auch zu Ende führen und bis zum Ende interessiert ausschauen. Ich weiß das zwar, aber es geht halt einfach nicht.

Meine Mutter sagt, es liegt dran, dass ich was extra hab. Ich weiß nicht genau, was das ist, aber es heißt Chromosom oder so. Ich stell mir ein Chromosom immer wie einen Kekskrümel vor, weil ich mag Kekse und die Vorstellung, dass irgendwo in mir drin ein Kekskrümel ist, der mich zu dem macht, was ich bin, ist irgendwie schön.

Jedenfalls, ich bin nicht so ganz richtig im Kopf. Also ich finde, ich bin voll richtig im Kopf, ich glaub, ich bin sogar richtiger im Kopf als alle anderen. Weil, zum Beispiel so Zeug wie Lügen, das geht bei mir gar nicht. Ich kann das nicht! Ich kann mir keine Geschichten ausdenken, was passiert wäre, wenn alles anders gelaufen wäre, wie es eigentlich gelaufen ist, und ich weiß auch gar nicht, was mein Gegenüber denkt, was hätte passieren können, daher weiß ich auch gar nicht, was ich ihm erzählen sollte, damit er hört, was er hören will, ich versteh das einfach nicht, dazu fehlt mir der Kopf. Manchmal, wenn ich mal wieder was nicht verstehe, dann komm ich mir wieder vor, als wäre mein Kopf für die richtig großen Sachen einfach ein bisschen zu klein. Aber ich bin froh, dass er für so was wie Lügen zu klein ist, weil Lügen sind ganz arg doof.

Nervig find ich es auch, wenn ich was mache, was für mich ganz normal ist. Oft ist es dann nämlich für andere ­aufdringlich oder unangebracht – ich find das echt komisch. Letztens war ich mit meiner Mutter einkaufen und ich hab endlich einen neuen BH bekommen. Und Mann, was für einen! Einen roten, mit Blumen drauf. So schön ist der! Ich war total stolz drauf und hab ihn direkt nach dem Bezahlen angezogen. Als wir zu Hause grade aus dem Auto gestiegen sind, kam unsere Nachbarin vorbei und hat gefragt, wo wir waren, und als ich ihr erzählt habe, dass wir einkaufen waren, dann hat sie gefragt, was wir gekauft haben. Ich hab dann natürlich als Antwort stolz mein T-Shirt hochgezogen und ihn ihr gezeigt! Die Nachbarin war dann sehr schnell wieder zu Hause und meine Mutter hat mir dann drinnen gesagt, dass ich ihr meinen BH jetzt nicht unbedingt hätte zeigen müssen, aber ich versteh nicht, warum. Ich mein, der BH macht mich glücklich, weil er schön ist. Wieso sollte er andere Leute nicht glücklich machen? Er ist wirklich schön!

Ich versteh auch nicht, warum Menschen so wenig lachen. Wenn was lustig ist, dann lach ich ganz laut. Ich kann das dann gar nicht zurückhalten. Wenn was nicht lustig ist, dann lach ich halt nicht. Das ist ganz einfach. Lustig: Lachen, nicht lustig: Nicht lachen. Viele Menschen täuschen Lachen vor oder unterdrücken es, wenn sie nicht lachen wollen oder sollen, und ich versteh nicht, warum, aber das ist mir eigentlich auch egal, solange ich lachen darf.

Ich werde manchmal gefragt, ob ich, wenn ich mal selbst ein Kind bekommen würde, vorher nachschauen lassen würde, ob es genauso ist wie ich. Ich weiß zwar nicht, wie das funktioniert, aber ich würde es auch nicht machen. Was würde es mir denn bringen? Ich würde das Kind auch nicht wegmachen lassen, wenn es auch einen Kekskrümel hat. Es hätte ein schönes Leben. Ich glaub nicht, dass meine Eltern so ein arg anstrengendes Leben mit mir haben, ich gebe mir nämlich echt Mühe, alles richtig zu machen, weil ich hab meine Eltern ganz arg lieb. Ich mache ihnen nur manchmal Sorgen, weil mein Herz nicht so richtig funktioniert, weil bei meiner Geburt war in der Mitte zwischen meinen Herzklappen ein Loch und dann ist das Blut in meine Lunge geflossen und das ist nicht so gut, deswegen hat man das Loch dann zumachen müssen. Manchmal denk ich mir, dass man den Kekskrümel ja ganz einfach in das Loch hätte stecken können, aber so funktioniert das irgendwie nicht. Jedenfalls denk ich, dass gute Menschen ihr Kind liebhaben würden. Und wenn man ein Kind wegmachen lässt, nur weil es einen Kekskrümel hat, dann ist man halt, glaub ich, einfach kein so ein guter Mensch.

Ich werde oft gefragt, ob ich mir wünschen würde, ein Chromosom weniger zu haben. Aber ich kann dem Krümel ja auch nicht böse sein. Vor allem hat meine Mutter gesagt, ich hab nicht den normalen Kekskrümel, sondern einen Mosaik-Kekskrümel, also einen ganz besonderen. Also nein, ich wünsche mir nicht, ohne Kekskrümel auf die Welt gekommen zu sein. Das wäre erstens ein kleines Wunder, und das bin ich schon, deshalb brauch ich nicht noch mal eins, und zweitens wäre ich ja dann nicht ich. Dann müsste ich lügen und große Gedanken haben und ich glaube, das wäre echt anstrengend. Der Kekskrümel setzt mir ja auch keine Grenzen, er kann ja nichts dafür, dass er da ist. Es ist nur doof, dass man sofort in meinem Gesicht sieht, dass ich gekekskrümelt bin. Ich weiß genau, dass andere Menschen mich nicht schön finden, aber das ist okay, ich finde mich ja selber schön. Jedes Mal, wenn man mich anschaut, dann sieht man das, aber ich find es doof, sofort darauf reduziert zu werden. Die anderen setzen mir die Grenzen, nicht mein Krümel. Wer sich zu viele Gedanken macht, der setzt sich selbst Grenzen, und das lass ich halt einfach nicht zu, weil es nicht geht. Und ich fühl mich schön und ohne Grenzen, und ich glaub, dann ist ein Leben viel schöner. Und wenn alle Menschen sich so fühlen könnten, wie ich mich fühle, dann wäre alles einfacher.

Und wenn ich jetzt aufhöre zu denken und schlafen gehe, dann bin ich glücklich. Das ist immer so. Ich glaube, jeder sollte das machen. Weil, wenn man glücklich ist, dann schläft man viel besser.

Und ich schlafe fantastisch.


Schimmer

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