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Drei

Anpassungsformate

Als ersten und einzigen Nebenjob wurde mir die Aufgabe anvertraut, einmal im Monat eine Zeitschrift für alte Frauen auszutragen. Ich klingelte regelmäßig an 18 verschiedenen Türen im Dorf und forderte das Geld in bar ein. Viele der Damen boten mir ein Päuschen mit Apfelsaftschorle oder Sprudel an, eine davon schenkte mir alle drei Monate wahlweise Schokolade («zu Ostern»), hässliche Nippesfiguren in Engelsform («zu Weihnachten») oder Geld («für den Sommer»). Ich lernte schnell, was Einsamkeit bedeutet und wie sehr meine Anwesenheit von den Damen gebraucht wurde. Ein Vierteljahr später klingelte ich nur noch an 15 Türen. In meinem Zimmer stehen drei Nippesengel und ich trug auf den Beerdigungen schwarz, wie es sich gehörte.

Im kältesten Zeitraum eines jeden Jahres feierten wir Fasching. Was genau gefeiert wurde, wussten wir nicht. Wir nutzten die Umzüge als kollektives Besäufnis, froren draußen und schwitzten in Festzelten und kehrten zurück mit ­Blasenentzündung und Schnaps in den Haaren. Einmal knutschte ich mit einem Jungen im Festzelt, sodass alle es sahen. Dem ersten, der mich deswegen aufzog, kippte ich Wodka mit Kirschsaft ins Gesicht. Hinterher bereute ich es, da mein Becher noch fast voll gewesen war. Den Namen des Jungen kenne ich nicht mehr.

Ich war gut in der Schule. Ich war Schülersprecherin. Ich trug weiße Sneakers. Ich schrieb Abitur. Ich wollte eine Karriere­frau sein und wusste genau, dass ich das nie werden würde. Ich neidete anderen ihre Studienplätze und fand selbst nie das, was mich wirklich interessierte. Ich trug meinen Pessimismus am Revers meines Abschlussballkleids. Ich trank Cocktails an ­diesem Abend.

Ich fragte mich, wie viel Liebe mein Herz groß ist, damit ich jemals wieder zurückkehre. Ich fragte mich, wie viel Hass meine Seele groß ist, damit ich niemals wieder zurückkehre. Ich fragte mich, ob jemals jemand den Atem angehalten hatte, während ich sprach; fragte mich, welches Glück von allen denn nun meins sei. Ich weinte. Ich weinte darüber, zurück geblieben zu sein, ich weinte, da ich fort wollte und aus Liebe zu meiner Familie. Ich weinte um meine Kindheit, weinte um meinen Ruf.

Dann straffte ich meine Schultern und zog fort.


Schimmer

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