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Zwei

Szenerie:

Eine graue Stadt im Süden Deutschlands, die Sonne schien kurz, als es noch hell war, man riecht es noch am Asphalt. Ein Wohngebiet, ein Hallenbad, vier Bäume auf Rasen für die Hunde; es ist zu spät, um noch Menschen auf der Straße zu begegnen und zu früh für uns, im Bett zu sein. Die Fußgängerampel springt von rot auf grün und du sagst: Da ist es gleich.

Den ganzen Abend lang hab ich dich angestarrt wie ein scheues Kaninchen. Habe jedes deiner Worte aufgesogen wie ein Schwamm, habe jedes Zucken deines Mundwinkels betrachtet, wenn du verstandest, was ich sagte, und es geliebt, dass nur dein rechter Mundwinkel zuckt, ohne links; habe in Gedanken deine Hand gehalten, während du noch wild vor deinem Gesicht gestikuliertest, habe deinen Körper betrachtet, deine Form.

Du bist ein Mensch, nach dem man sich auf der Straße umdreht, wenn du vorbeiläufst, um, da man bedauerlicherweise keinen Blick mehr in dein blitzendes Gesicht erhaschen kann, wenigstens noch dein formvollendetes Hinterteil in Jeans zu bestaunen, über stramme Waden nach unten, weiße Sneakers und der Rücken gerade, du weißt, wie du aussiehst, du straffst dich ganz automatisch.

Lass dir gesagt sein, an guten Tagen mag ich mich auch. Ich stelle tatsächlich ab und zu mal fest, dass ich ein äußerst angenehmer und sympathischer Mensch sein kann, aber neben dir fühle ich mich wie ein herausgerotztes Exemplar himmelschreiender Mittelklasse. Ich bin nicht deine Liga und das wissen wir beide; aus welchem Grund auch immer du mir deinen Lieblingsplatz gezeigt, mir Kekse mitgebracht und mir deinen Pulli gegeben hast, es ist ja noch recht frisch draußen.

In deiner Wohnung stelle ich meine Sneakers in den Flur, neben deinen sehen sie aus wie Kinderschuhe. Wir kochen Tee und unterhalten uns. Ich sitze am Fenster und sehe die Ampel, an der wir eben noch standen, rot auf grün, grün auf rot.

Dann sagst du, dass es ein überraschend schöner Abend war. Ich frage, wieso überraschend. Du antwortest, dass du normal nicht mit Frauen wie mir ausgehst; und, na ja, normalerweise hättest du mich schon lange geküsst, aber irgendwas ... stimmt da nicht.

Ich denke kurz nach, nehme einen Schluck Tee und schaue schweigend aus dem Fenster; die Ampel springt gerade von grün auf rot, mein Herz klopft sich wühlend aus meiner Brust frei, baut sich vor mir auf und schreit «Na? Na? Reicht dir das nicht? Das ist nicht deine Liga, das wird niemals deine Liga sein!», und bevor es hämisch grinsend zurück an seinen Platz marschieren kann, springt die Ampel von rot auf grün, ich sehe aus dem Augenwinkel eine Bewegung und zwischen zwei Atemzügen stehst du vor mir, beide Hände um mein Gesicht abgeschlossen wie einen Hochsicherheitstrakt; ich bin mir sehr sicher, dass du meine Gedanken in Schönschrift in meinen Augen lesen kannst, denn du sagst «Scht. Nicht.» Ich sehe nichts davon kommen, ich spüre es nur; deine Hände schieben meinen Kopf ein klein wenig nach hinten, deine Augen sind groß und braun und blinzeln einmal kurz wie nervöse Schmetterlingsflügel, deine Lippen brennen auf meinen. Es ist anders, als ich es kenne, anders, weil es sanft ist, anders, weil du wartest, anders, weil du auch irgendwo zögerst, anders, weil wir beide nicht so richtig wissen, ob das wirklich sinnvoll ist, was wir da tun, aber wir tun es trotzdem, weil wir beide es wollen, ich greife mit beiden Händen nach dir. Ich erwische mit rechts deinen Arm irgendwo am Ellbogen und mit links gelange ich in deinen Nacken; du zuckst kurz, als ich in dein Haar greife, vielleicht lächelst du auch, ich weiß es nicht. In meinem Kopf explodieren meine Gedanken in einem Schwall aus Glitzer und Farben, du bist hellblau und ich ein ganz sanftes braun, wie Karamell vielleicht oder ein bisschen wie Sand; wir sind wolkenfarben und im Himmel und leicht, wir tanzen und ich glaube, wir führen beide. Der Nagel meines linken Zeigefingers gräbt sich in deine Haut und du reagierst, drückst mit dem rechten Daumen mein Gesicht ein wenig nach oben, deine Körperwärme ist eine flauschige Decke und hüllt mich komplett ein und wenn ich nicht schon sitzen würde, verlöre ich spätestens jetzt den Boden unter den Füßen und dann mich selbst zwischen deinen Händen; du hältst mich wie ein rohes Ei, ich schwebe.

Wir knutschen. Wir knutschen lang. Alles stimmt, alles passt, wir haben beide die Augen zu und befühlen uns gegenseitig an Stellen, die man nicht sieht, wenn man die Augen offen hat. Unsere Bewegungen sind gleitend, intuitiv und richtig. Wir spielen in derselben Liga. Knutschen ist erst der Anfang. Wir beide wissen das.

Wir sitzen dort. Wir halten uns. Wir sind da, wir fühlen, wir denken. Wir sind zu zweit, vier Hände, zwei Köpfe, vier Lippen, tausend Gedanken in zweien; wir sind nicht speziell. Wir sind zu zweit und allein und waren vorher allein, bis wir dann zu zweit waren und jetzt in diesem Moment sind wir auch nur zwei völlig normale schöne Menschen, sich haltend, voller Wärme, voller Kuss und ohne Ende.


Schimmer

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