Читать книгу Frozen Hearts: Arctic Wild - Annabeth Albert - Страница 5
Kapitel 1
Оглавление»Was meinst du damit, sie kommt nicht?« Reuben versuchte, nach dem langen Sprint von der Sicherheitskontrolle zum Gate seines Flugs, wieder zu Atem zu kommen. Während er darauf wartete, dass Craig diese unerwartete Wendung erklärte, streifte er sein Anzugjackett ab. Normalerweise trug er an einem langen Reisetag keinen Anzug, aber da ein Meeting am frühen Morgen länger gedauert hatte, hatte er keine Zeit zum Umziehen gehabt.
»Sie hat gerade angerufen. Irgendjemand hat die Neuigkeiten vom Henderson Motors-Buy-out durchsickern lassen, also müssen sie jetzt Überstunden schieben, um sowohl den Kauf des Unternehmens über die Bühne zu bringen, als auch den Schuldigen zu finden. Köpfe werden rollen und sie ist auf dem Kriegspfad. Du kennst Leticia. Verdammt.« Craig wirkte zugleich beeindruckt vom Ruf seiner Frau und kurz davor, irgendetwas zu treten. »Da habe ich mir eine Woche freigenommen, um Zeit mit meiner Frau zu verbringen – nichts für ungut, Rube –, und sie wird in Meetings festsitzen, während ich ohne Empfang vier Zeitzonen von ihr entfernt bin. Fuck. Die letzten drei Urlaube, die wir geplant hatten, wurden alle entweder abgesagt oder in Geschäftsreisen verwandelt.«
»Ich weiß.« Reuben war nicht sicher, was er sonst sagen sollte. Dieser ganze Trip war Craigs Idee gewesen. Seit ein anderer Partner in Reubens Anwaltskanzlei von einem Besuch bei seinem erwachsenen Sohn aus Alaska zurückgekehrt war, war Craig Feuer und Flamme für die Idee gewesen, ein Abenteuer in der arktischen Wildnis zu erleben, und hatte Reubens bevorstehenden Geburtstag als Vorwand genommen, ihn mitzuschleifen. Das Argument, dass Reuben und Leticia zu hart für ihre Anwaltskanzlei arbeiteten, war veraltet und Craig hatte sich leidenschaftlich für die Reise ausgesprochen. Außerdem hatte er Reuben dazu ermutigt, jemanden mitzubringen, aber der Plan war ins Wasser gefallen, als Dan sich um Pessach herum von Reuben getrennt hatte. Die Zurückweisung schmerzte immer noch und daher hatte Reuben keinerlei Verlangen verspürt, jemanden mitzubringen, nur um nicht das fünfte Rad am Wagen zu sein. Und null Zeit für Dates gehabt. Das auch.
»Ich weiß wirklich nicht, was ich noch tun soll. Wir sehen uns kaum und wenn ich sie doch einmal sehe, klebt sie an ihrem Handy oder Laptop.« Craig wippte auf den Fußballen vor und zurück. »Meine Ehe geht in die Brüche und verflucht, ich habe keinen Schimmer, wie ich sie retten soll.«
Reuben war der absolut letzte Mensch, der bei Beziehungsproblemen Ratschläge geben konnte, aber er versuchte es mit einem mitfühlenden Ton. »Willst du die ganze Sache einfach vergessen?«
»Das würde dir gefallen, nicht wahr?« Craigs Augenrollen ließ ihn eher wie Reubens Tochter im Teenageralter als nach einem Veranstaltungsplaner in den Vierzigern aussehen. Er war lässiger als Reuben in Pullover und Kakihose gekleidet und seine zerzausten Haare deuteten darauf hin, dass er an diesem Morgen mehr Zeit damit verbracht hatte, sich um seine Frau als um sein Aussehen Gedanken zu machen. »Mehr Zeit für dich, um zu arbeiten. Aber nein, so gerne ich meiner Frau auch nachlaufen will, wir können nicht komplett absagen. Das ist das Familienunternehmen, für das der Partner von Vales Sohn arbeitet. Sie zählen auf unsere Buchung und es wäre mehr als unhöflich, wenn wir alle absagen. Und du hast in zwei Tagen Geburtstag. Komm schon, Rube, willst du dieses Jahr wirklich, was… achtundvierzig werden und mit einem Papierstapel vor dir im Büro sitzen?«
»Ach. Es ist ein Tag wie jeder andere.« Reuben zuckte mit den Schultern. Und das war es wirklich. Er war kein besonders sentimentaler Kerl. Seine Tochter Amelia hatte angedeutet, dass sie ihren Schulausflug am Ende der achten Klasse schwänzen könnte, um den Tag mit ihm zu verbringen, aber er hatte darauf bestanden, dass sie mitfuhr. Für ihn war es nur eine weitere Zahl im Kalender, aber Craig liebte es, Geburtstage und Feiertage groß in Szene zu setzen. Und anders als Reuben war Craig besessen davon, dass sie beide fast fünfzig waren, obwohl Reuben sich große Mühe gab, wirklich nicht daran zu denken. »Und ich sage nicht, dass du für mich absagen sollst. Du würdest dich elend fühlen. Wenn du bleibst, kannst du Leticia wenigstens sehen, wenn sie Zeit hat, vielleicht mit ihr essen oder ins Theater gehen, solange du freihast. Staycation oder wie auch immer das heißt. Vielleicht versuchen, mit ihr zu reden.«
»Da hast du nicht unrecht.« Craig ließ sich gegen eine nahe Betonsäule sinken. »Ich will diese Sache wirklich retten, bevor es zu spät ist. Aber ich kenne dich. Wenn ich sage, dass ich nicht fahre, wirst du auch aussteigen. Und dann wirst du an deinem Geburtstag wieder am Schreibtisch sitzen.«
»Das Priority Boarding für Flug 435 nach Seattle-Tacoma beginnt in Kürze«, kündigte eine Flugbegleiterin über Lautsprecher an. Fuck. Nicht viel Zeit, um mit Craig zu diskutieren, der ganz offensichtlich Streit suchte.
»Überlass es mir, mich um meinen Geburtstag zu kümmern. Würde es helfen, wenn ich sage, dass ich doch hinfliege?«
»Das würdest du wirklich tun? Ohne uns nach Alaska fliegen?«
»Ist es wirklich so eine große Sache?« Reuben gefiel Craigs Andeutung nicht, dass er allein hilflos wäre. »Klar, es ist ein langer Flug, aber ich war letztes Jahr in Brisbane und Tokio und im Jahr davor in Jakarta. Mit Natalie war ich mehr als einmal in Europa, als wir noch zusammen waren. Es ist nicht so, als wäre mir das Reisen völlig fremd. Und es gibt einen Reiseführer, oder?«
»Ja, aber das ist in der Wildnis. Buschflugzeuge und Nationalparks.«
»Vor ein paar Stunden warst du noch ganz dafür«, erinnerte Reuben ihn.
»Ja, war ich. Und ich bin immer noch sauer, weil ich es verpassen werde. Diese verdammte Henderson-Neuigkeit. Also tust du es?« Craig machte sich nicht die Mühe, den skeptischen Blick zu verbergen, mit dem er Reubens Anzug und sein Lederhandgepäck musterte.
Es stimmte, Reuben war nicht unbedingt für Alaska gekleidet, aber er richtete sich zu seiner vollen Größe auf und bedachte seinen Freund mit seinem besten, harten, starrenden Blick, der die Mitarbeiter im ersten Jahr normalerweise an ihre Schreibtische huschen ließ. »Natürlich.«
Jetzt fühlte sich die Reise fast wie eine Frage des Stolzes an. Wenn Craig wirklich glaubte, dass er nicht damit fertigwurde, kneifen würde oder sonst irgendetwas Lächerliches, dann hatte er vergessen, wer Reuben war: einer der gefragtesten Firmenanwälte im Dreistaatenbereich, ein Macher mit einem Ruf, den er jetzt fünfundzwanzig Jahre lang gepflegt hatte. Partner in einer großen Kanzlei, der dafür bekannt war, jeden Job perfekt zu erledigen. Er scheute nicht vor Herausforderungen zurück. Klar, er würde fast alles lieber tun, als heute nach Anchorage zu fliegen, aber er war sehr wohl dazu imstande, es durchzuziehen und damit sowohl Vale glücklich zu machen – was ihm im momentanen Führungsdrama in der Kanzlei einen Verbündeten einbringen könnte –, als auch, sich vor Craig zu beweisen. Doppelter Gewinn.
»Okay. Okay. Danke.« Craig lächelte zum ersten Mal, seit Reuben aufgetaucht war, aber es war ein vorsichtiges Grinsen, das seine übliche Selbstsicherheit vermissen ließ.
Reuben klopfte ihm auf die Schulter. »Ich kümmere mich um das hier. Du kümmerst dich um deine Beziehung. Ich glaube daran, dass ihr das überstehen könnt.« Er versuchte, Überzeugung in seine Worte zu legen. Zugegeben, seine eigenen Beziehungen überlebten seine Karriere nur selten, aber er glaubte durchaus, dass Craig und Leticia gut füreinander waren. Wenn es zwei Leute gab, die das nie endende Dilemma der Work-Life-Balance überwinden konnten, dann diese beiden.
»Ja. Und wer weiß, vielleicht wird das gut für dich sein. Eine schöne Auszeit allein. Sag mir, dass du keine Arbeit mitbringst.«
»Nur für den Flug«, log Reuben. Da er eine Reihe langweiliger Abende vor sich haben würde, konnte er bestimmt einige Dokumente nachlesen, solange es Strom gab. Aber Craig würde nichts von diesem Plan halten.
»Du solltest gesellig sein. Mit dem Reiseführer plaudern. Wandern. Spaß haben.«
»Das Boarding für Fluggäste der ersten Klasse und Priority des Flugs 435 nach Seattle-Tacoma beginnt jetzt.«
»Das wäre dann ich«, sagte Reuben, vor allem, um weiteren Lebenstipps von Craig zu entgehen. »Pass auf Leticia auf.«
»Okay, mache ich. Ich schreibe dem Reiseführer und sage Bescheid, dass du allein kommst.«
»Mach das.« Reuben zwang sich, zu lächeln und nicht das Gesicht zu verziehen, als er plötzlich erkannte, dass er und sein Touristenführer aufeinander angewiesen sein würden, ob es ihnen gefiel oder nicht. Wahrscheinlich war es ein ergrauter, alter Bergmann-Pilot, älter als Reuben und wie diese Kerle in der Realityshow, von der er, auf Dans Beharren hin, ein, zwei Folgen geschaut hatte. Vielleicht wäre er ein starker, aber schweigsamer – bitte, Gott, schweigsamer – Typ und würde Reuben in Ruhe seiner Lektüre überlassen. Ja. Das wäre perfekt. Wenn der Reiseführer für sich blieb und nicht viel von ihm erwartete, wäre diese ganze Sache vielleicht nicht so schlimm.
***
»Also, der Bär ist genau vor uns, neben den Türen vom Flugzeug, und starrt uns nieder, aber wir müssen bald abheben, damit die Leute ihre Rückflüge erwischen. Und was glaubt ihr, was wir als Nächstes getan haben?« Toby riss absichtlich die Augen auf, lehnte sich vor und genoss, wie die zwei Gäste in der Hotelbar es ihm gleichtaten.
Er hatte noch nicht herausgefunden, ob die zwei jungen Reisenden Geschwister, Freunde oder ein Paar waren, aber er liebte ein aufmerksames Publikum und sie boten hervorragende Ablenkung, während er darauf wartete, dass sein Kunde für diese Woche auftauchte. Kunde in der Einzahl, denn offenbar war eine der zwei anderen eine kraftvolle Superanwältin, die den Alaska-Urlaub in letzter Minute abgesagt hatte. Und da er wusste, wie sehr Anwälte es liebten, mit Leuten über jeden einzelnen Cent zu verhandeln, zweifelte er nicht daran, dass die anderen beiden eine Erstattung verlangen würden. Eine personalisierte private Tour mit dem Buschflugzeug war nicht billig und Toby hatte auf seinen Anteil an der Bezahlung von drei Touristen gezählt, nicht von einem. Einem, der noch dazu spät dran war.
»Etwas zu trinken?«, fragte der Barkeeper einen gut gekleideten Mann, der sich der Bar näherte, als Toby gerade mit seiner Geschichte fortfahren wollte. Da der Kerl auf jeden Fall so aussah, als könnte er sich Tobys Dienste leisten, obwohl seine teuren Klamotten nicht gerade ins Hinterland passten, stand Toby von seinem Stuhl auf und entfernte sich von dem eifrigen Duo.
»Noch nicht. Ich treffe mich mit jemandem.« Der Kerl hatte einen Ostküstenakzent mit einem Unterton, der verriet, dass er Gehorsam gewöhnt war. Er sah sich zerstreut um und direkt über Toby hinweg. Typisch. Tausend-Dollar-Anzug und trotzdem weniger Verstand als ein Rentier.
»Mr. Graham?« Toby streckte die Hand aus. Er trug ein offizielles Barrett Tours-Poloshirt – das war seit dieser Saison neu, denn seine Chefin würde nie aufhören, sich Expansionspläne auszudenken – und eine saubere Jeans, aber neben der mühelosen Eleganz dieses Kerls fühlte er sich trotzdem eindeutig ungepflegt. Manche Leute würden den Kerl wohl einen Silberfuchs nennen – älter, vornehme Züge, sorgfältig gestutzter Bart und volles, mit silbernen Strähnen durchzogenes Haar – aber Silberbär wäre passender, wenn Toby sich die Größe, die breiten Schultern und den allgemein kräftigen Körperbau so ansah. Normalerweise waren Ältere nichts für Toby, aber er musste zugeben, dass der Kerl heiß war wie ein alternder Filmstar oder eben ein reicher Mann. »Ich bin Tobias Kooly, Ihr Reiseführer. Schön, dass Sie gut angekommen sind.«
»Bitte nenn mich Reuben.« Er schüttelte Tobys Hand – guter, fester Griff, große Hand und Selbstsicherheit, die Toby mit einem Mann assoziierte, der Dinge erledigt bekam. »Das soll ein Urlaub sein. In meinem Büro kann ich wieder zu Mr. Graham werden. Und da wir nur zu zweit sind, können wir ebenso gut locker miteinander umgehen.«
»Verstanden. Meine Freunde nennen mich meistens Toby. Und apropos Freunde, es tut mir leid, dass deine nicht kommen konnten. Mann, den Urlaub absagen, um im Büro zu bleiben… das kann ich mir gar nicht vorstellen. Aber typisch Anwalt, oder?«
Reuben blinzelte langsam, eine Geste, die Toby sofort sagte, dass er es vermasselt hatte. »Ich bin auch Anwalt. Und ja, so etwas passiert nun einmal. Eigentlich viel zu oft. Bei dem Deal, für den Leticia zu Hause geblieben ist, stehen Millionen – möglicherweise Milliarden – auf dem Spiel.«
»Oh, tut mir leid.« Verdammt noch mal. Eigentlich war Toby niemand, der ständig in Fettnäpfchen trat, aber in diesem Fall hatte er ganz offensichtlich den falschen Ton angeschlagen. Nicht der Start, auf den er gehofft hatte. »Ich wollte nicht respektlos sein. Und ich dachte, meine Chefin hätte gesagt, du wärst Veranstaltungsplaner.«
»Nein, das ist Leticias Mann.« Reubens Seufzer gab Toby das Gefühl, als hätte er bei Annies Beschreibung der Kunden nicht gut genug aufgepasst. »Und gut, dass du deine Chefin erwähnt hast, denn ich nehme an, du hast ein paar Formulare für mich? Verzichtserklärungen und so? Das können wir genauso gut gleich hinter uns bringen.«
»Habe ich.« Toby nahm seinen Ordner von der Theke. Der Kerl klang, als würde Toby ihm eine Darmspiegelung statt eines einwöchigen Vergnügens anbieten, was bedeutete, dass Toby härter arbeiten musste als sonst, um einen guten Eindruck zu hinterlassen. »Aber du bist wahrscheinlich am Verhungern. Nehmen wir uns einen Tisch. Hier ist es Zeit fürs Abendessen, aber du bist ein paar Stunden voraus. Normalerweise empfehlen wir den Leuten, einen Tag oder so früher zu kommen, damit sie sich an die andere Zeitzone gewöhnen können.«
»So viel Zeit hatten wir nicht.« Reuben folgte Toby zu einem nahen Tisch, warf jedoch einen Blick über die Schulter zu den anderen Touristen. »Du musst dich nicht von deinen… Freunden verabschieden?«
Verdammt. Nicht, dass Toby irgendetwas falsch gemacht hätte, indem er sich bei einem Mineralwasser und mit ein wenig Flirten die Zeit vertrieben hatte, aber Reuben gab ihm das Gefühl, als hätte er sich während seiner Arbeitszeit vergnügt.
»Ach nein. Besorgen wir dir etwas zu essen.« Allerdings erübrigte er doch ein Lächeln und ein kleines Winken für die anderen Touristen, nur um zu beweisen, dass er kein kompletter Arsch war, und sagte etwas lauter: »Tut mir leid. Das Geschäft ruft.« Das Duo winkte zurück und wandte sich wieder ihren Drinks zu.
Reuben ging auf die distanzierte, aber respektvolle Art mit dem Kellner um, die Toby inzwischen von reichen Leuten kannte, und verweilte über der Weinkarte, ohne jedoch in unhöfliches Territorium abzurutschen. Toby blieb bei seinem Mineralwasser und bestellte den Burger, den er immer nahm, wenn er sich im Hotel mit Kunden traf. Er konnte seine Mahlzeiten vom Lohn absetzen, versuchte aber, es nicht allzu oft auszunutzen. Das Steak und das Kartoffelpüree mit Knoblauch würde er Reuben überlassen, der außerdem einen Rotwein mit einem Namen bestellte, den Toby nicht einmal versuchen würde auszusprechen.
»Danke, dass du an Essen gedacht hast.« Reuben schnitt sein Fleisch in kleine, genau bemessene Stücke. »Die Optionen im Flugzeug ließen deutlich zu wünschen übrig.«
»Deine Freunde haben dir aber gesagt, dass die meisten Mahlzeiten unterwegs ziemlich rustikal ausfallen werden, oder?« Toby wollte ihm keine Hoffnungen machen, dass alle seine Mahlzeiten so schick sein würden. »Alles kleine, ländliche Hütten und schlichtes, aber herzhaftes Essen. In manchen Hütten gibt es Wein oder Bier, aber die Auswahl ist normalerweise begrenzt.«
»Ich komme schon klar.« Reuben winkte Tobys Sorgen ab. »Ich bin mit sehr einfacher Kost in Brooklyn aufgewachsen. Ich bin kein pingeliger Esser.«
»Gut.« Toby holte die Papiere heraus, die Annie geschickt hatte, und warf einen Blick auf das Programm, bevor er es Reuben reichte. »Ich werde mich größtenteils daran halten, was ich für euch drei ausgearbeitet habe, aber du kannst mir sagen, wenn du irgendetwas nicht machen willst, dann können wir es abändern.«
»Wunderbar. Ich bin sicher, Craig und deine Chefin haben einen guten Plan aufgestellt, aber ich hätte nichts gegen mehr Ruhepausen. Ich habe mehr als genug Beschäftigung für mich mitgebracht.«
»An den meisten Stopps kann ich kein WLAN garantieren.« Es wäre nicht Tobys erster Kunde, der sich nicht von seiner Arbeit trennen konnte, und es war nie lustig, den limitierten Mobil- und Internetempfang zu erklären.
»Das habe ich erwartet. Ich habe mir eine Menge Lektüre auf meinen Laptop heruntergeladen und der Akku hält lange.«
»Das sollte in Ordnung sein. Die meisten Orte haben Strom.« Was Toby betraf, so sah er nicht ein, welchen Wert es haben sollte, einen Stapel Arbeit auf einen Urlaub mitzubringen, den man nur einmal im Leben machte. Und warum auf einen Laptop sehen statt in die Landschaft? Aber er nickte trotzdem. Er wusste es besser, als mit einem Kunden zu diskutieren. Wenn Reuben den ganzen Urlaub hindurch arbeiten wollte, dann sollte es so sein. »Wir brechen gleich morgen früh auf – sehr früh, weshalb wir das erste Treffen normalerweise auf den Abend davor legen. Aber du hattest eine lange Anreise. Willst du, dass ich den Flugplan etwas nach hinten verschiebe?«
»Sei nicht albern.« Reubens durchdringender Blick hatte etwas Hartes an sich – ein Mann, der sich nicht verhätscheln ließ, was Toby respektieren konnte. Der Blick heizte ihn außerdem von innen auf, ein unerwarteter Funke der Erregung – Befehle bewirkten normalerweise nichts bei ihm, aber da er mitten in einer Dürreperiode war, konnten wahrscheinlich sogar ältere, vermutlich heterosexuelle Silberbären seinen Motor zum Summen bringen.
»Tut mir leid.« Er wandte den Blick ab, da er seinen Gedankengang nicht verraten wollte – dieser Kerl würde sich bestimmt nicht darüber freuen, dass er Tobys Augenweide der Woche war.
»Ich bin an lange Tage gewöhnt. Solange es Kaffee gibt, werde ich überhaupt keine Probleme haben.«
»Es wird Zeit für einen Kaffee geben, bevor wir zum Wasserflugzeug gehen«, versicherte Toby ihm.
Als sie das Essen beinahe beendet hatten, nahm Reuben einen großen Schluck Wein. »Also, wie war das mit dem Papierkram? Ich sollte wirklich daran denken, meine E-Mails zu checken.«
Der Mann musste erschöpft sein und dringend Schlaf benötigen, aber Toby hatte so eine Ahnung, dass er sich derart triviale Bedürfnisse nie eingestehen würde. Also konzentrierte sich Toby darauf, ihn die notwendigen Formulare unterzeichnen zu lassen. Genau wie jeder andere Anwalt, den Toby je getroffen hatte, nahm sich Reuben reichlich Zeit, die Paragrafen durchzulesen, und sein Stirnrunzeln vertiefte sich mit jeder Seite, bis er schließlich ein kräftiges Hmpf ausstieß.
»Nicht deine Schuld, aber deine Chefin braucht bessere Standardklauseln.« Reuben schüttelte den Kopf.
»Ich kann dich erst im Flugzeug mitnehmen, nachdem du unterschrieben hast.« Toby hatte sich schon mit Kunden herumgeschlagen, die gerne Abschnitte gestrichen oder neue dazugeschrieben hätten. Rette ihn jemand vor den Reichen und Kleinlichen.
»Na gut. Schätze, ich lege mein Leben in deine Hände.« Reuben unterzeichnete und Tobys Inneres führte ein seltsames Tänzchen auf, als würde es diese Verantwortung und auch die Möglichkeit nicht wollen, diesen Mann zu enttäuschen.
»Danke.« Toby schoss für Annie Handyfotos von den unterzeichneten Dokumenten und steckte sie wieder in seinen Ordner, damit sie die physische Kopie für ihre Akten hatte.
»Also…« Reuben lehnte sich auf seinem Stuhl zurück, scheinbar doch nicht so begierig darauf, in sein Zimmer zu kommen, wie Toby angenommen hatte. »Wie endet die Geschichte? Was hast du mit dem Bären angestellt?«
Teufel aber auch. Reuben hatte diesen Teil von Tobys Geschichte gehört. Und normalerweise wäre es keine große Sache und er würde Reuben dasselbe dramatische Ende erzählen, das er für die jungen Touristen geplant hatte, aber etwas an diesem Kerl hielt ihn davon ab, zu lügen oder eine Show abzuziehen. Es war nicht der Anzug, die teuren Schuhe oder der Haarschnitt – Toby hatte schon vielen reichen Kunden Geschichten erzählt. Vielleicht war es Reubens intensives Starren, das verriet, dass er zuhörte, richtig zuhörte und nicht enttäuscht werden wollte. Oder die Spannung in seinem Kiefer, als würde er jede Lüge erkennen und entsprechend über ihn urteilen. Was auch immer es war, Toby war zur Abwechslung einmal nicht in Stimmung für seine übliche Angeberei.
»Gar nichts«, gestand er die Wahrheit. »Ich habe die Touristen hinter mir warten lassen und wir haben dem Bären Platz gegeben, bis er davongetappt ist. Bären reizt man besser nicht. Wir hatten einen verspäteten Abflug, aber ich habe die Zeit in der Luft wieder wettgemacht und alle konnten ihren Heimflug noch erreichen.«
Und sie hatten gutes Trinkgeld gegeben und sich darüber gefreut, so ein aufregendes Abenteuer und haarscharfen Kontakt mit der Natur gehabt zu haben, von dem sie ihren Freunden erzählen konnten. Es war ein langweiliges, vorhersehbares Ende, aber wenn er die Wahl hatte, hielt Toby lieber den Kunden am Leben, anstatt einen Moment des Ruhms zu erhaschen. Natürlich war er verdammt gut darin, diese Momente des Heldentums hinzuzufügen, wenn er jemanden abschleppte oder eine Gruppe eine gute Geschichte hören wollte. Aber Reuben musste nicht alle seine Tricks kennen.
»Ich verstehe.« Auch darüber hob Reuben eine gezupfte Braue und seine zusammengekniffenen Augen verrieten, dass er wusste, dass Toby für sein vorheriges Publikum ein anderes Ende im Sinn gehabt hatte, aber er sagte nichts dazu, sondern sprach in lässigerem Ton weiter. »Ich habe nichts dagegen, der örtlichen Fauna ihren Raum zu lassen. Bin kein großer Fan von Tieren.«
»Von allen Tieren? Keine Haustiere?«
»Nein.« Er zuckte mit den Schultern, was ihre Breite betonte und wie sich der Stoff des teuren Anzugs um sie schmiegte. »Hatte eigentlich nie die Zeit oder das Bedürfnis dafür.«
»Das ist zu schade.« Plötzlich sah Toby Reuben mit einer großen, alten Promenadenmischung vor sich, die alles mit Schlamm einsaute. Jepp. Dieses Bild passte überhaupt nicht zu diesem kultivierten Mann. Und warum das Toby ein wenig traurig stimmte, konnte er nicht genau sagen. Reuben trug keinen Ehering und die Vorstellung, dass er jeden Abend allein in ein stilles Haus zurückkam, gefiel ihm gar nicht. Toby selbst brauchte ein wenig Chaos, um sich richtig zu Hause zu fühlen.
»Ich sollte mich wirklich daran machen, meine Nachrichten zu checken und zu sehen, welche ich schnell beantworten muss.« Reuben stand auf und nachdem sie vereinbart hatten, sich am nächsten Morgen an der Rezeption zu treffen, entließ Toby ihn mit den E-Mails als Ausrede auf sein Zimmer. Allerdings hoffte er aufrichtig, dass der Kerl schlafen würde. Morgen würde ein langer Tag werden und ein mürrischer, müder Anwalt, der jetzt schon aussah, als wäre er lieber an jedem anderen Ort, würde Toby den Job nur noch erschweren. Und ohne die anderen beiden zahlenden Kunden musste Toby sich dieses Trinkgeld am Ende unbedingt verdienen, um den möglichen Einkommensverlust auszugleichen, falls Annie Reubens Freunden ihr Geld doch zurückgeben musste. Es könnte zwar eine lange Woche werden, aber Toby würde es irgendwie schaffen, Reuben für sich zu gewinnen, und ihn dazu bringen, Spaß zu haben. Er hatte schon weit größere Herausforderungen als einen kratzbürstigen Anwalt gemeistert.