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Kapitel 5

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»Bereit machen für Bodenkontakt.« Tobys Stimme, die normalerweise so locker und charmant war, erklang nun todernst über die knisternde Leitung des Headsets.

Schauder durchzuckten Reubens Körper. Er hatte gewusst, dass etwas nicht stimmte, als der sonst so redselige Toby eine ganze Weile still geworden war. Genau das war Reubens schlimmste Angst dabei, in einer kleinen Maschine zu fliegen – auf Gedeih und Verderb dem Wetter ausgeliefert zu sein. Beim Anblick der Blitze hatte er fast die Tüte unter seinem Sitz gebraucht.

Und er war niemand, der schnell Angst bekam. Er wurde nie nervös, wenn er in große Meetings ging oder wichtige Verträge unterzeichnete. Ja, als Jurastudent hatte er nicht einmal Prüfungsangst gehabt. Im Winter fuhr er regelmäßig bei Schnee und war dafür bekannt, gut mit Notfällen umgehen zu können. Aber diese schreckliche Furcht um sein Leben war neu und so heftig, dass sie ihn fast betäubte.

Komm schon, denk nach. Denk nach. Die Sicherheitsinformationen vor Flügen, denen er jahrelang nur mit einem Ohr zugehört hatte, fielen ihm bruchstückhaft wieder ein und er versuchte, sich daran zu erinnern, was Bereit machen bedeutete. Nach vorne beugen. Füße auf den Boden. Arme angezogen. Verflucht. Er hoffte, er machte das richtig. Das Flugzeug ruckelte wieder, aber er wagte es nicht, den Kopf zu heben und aus dem Fenster zu sehen.

Lieber Gott, bitte lass mich leben.

Wann hatte er zuletzt gebetet? Als sein Vater vor Jahren gestorben war? Bei Amelias Geburt? Amelia. Er konnte nicht sterben, noch nicht, er hatte noch nicht herausgefunden, wie er mit ihr reden konnte, hatte als Vater so spektakulär versagt und noch gar nicht gesehen, was aus ihr geworden war. Er konnte nicht so sterben. In diesem Moment sah er alles glasklar vor sich.

Gott, ich tue alles, was nötig ist, um ein besserer Vater zu sein. Ein besserer Mann. Aber lass uns leben.

Rumms. Seine Gebete brachen abrupt ab, als das Flugzeug nicht mehr im Wind umherruckelte, sondern auf etwas Festes, Solides stieß. Nicht Wasser.

Es gab ein Rumms, ein Rattern und dann noch einen Aufprall.

Die nächsten paar Sekunden fühlten sich zugleich wie eine Ewigkeit und wie ein einziger chaotischer Augenblick an. Das Flugzeug holperte stark, er wurde von einer Seite zur anderen geworfen wie ein Flipper und der Sitzgurt schnitt in seine Schenkel. Das grässliche Geräusch reißenden Metalls erfüllte die Luft, aber er hörte auch ein paar gedämpfte Flüche, die nicht von ihm kamen.

Dann Stille. Nichts als unheimliche und schreckliche Stille, als die Welt grau und dann schwarz wurde.

»Reuben? Reuben?« Eine starke Hand schüttelte seine Schulter. Es dauerte einige lange Momente, bis ihm klar wurde, dass er noch in seinem Sitz war. Und lebendig. Seine Arm- und Beinmuskeln brannten und er vermutete, dass sich der Tod schwereloser und weniger dringlich anfühlen würde. Er nahm einen zittrigen Atemzug nach dem anderen, während sein Herz raste wie noch nie zuvor. Ja, er war definitiv am Leben.

»Toby?«

»Wir müssen dich hier rausholen.« Toby stand über ihm, zerrte an seinem Gurt und seinen Schultern. »Rauch. Feuer. Komm schon.«

»Rauch?« Schon während er das Wort sagte, nahm er den ätzenden Gestank von Sprit und beschädigtem Metall in der Luft wahr – ein trockener, bitterer Geruch, der eine Ahnung von etwas Schlimmerem mit sich trug. Feuer. Feuer könnte ausbrechen. Er schüttelte den Kopf und versuchte erneut, das Unmögliche zu begreifen. Durch den Rauch konnte er Toby nicht richtig sehen.

»Die vordere Klappe ist zu stark beschädigt. Wir müssen hinten rausklettern. Ich muss den Notfallkoffer mitnehmen, bevor alles in die Luft fliegt.« Toby zerrte wieder an ihm und diesmal zwang Reuben seinen Körper, zu kooperieren.

Steig aus. Steig jetzt aus.

An seinen besten Tagen nicht gerade gelenkig, schob er den Sitzgurt, den Toby bereits geöffnet hatte, mit zitternden Händen beiseite und drehte sich mühsam um, damit er Tobys Befehle befolgen konnte. Als er sich schließlich befreit hatte, sprang er ungeschickt auf den Boden. Es fühlte sich gut an, wieder Erde unter den Füßen zu haben, und Erleichterung durchströmte ihn mit fast verwirrender Intensität. Er stolperte unter dem Flugzeug heraus. Toby war damit beschäftigt, Dinge aus dem Flugzeug zu werfen – ihr Gepäck, ein Nylonpaket mit einem roten Kreuz darauf, Schlafsäcke.

»Was kann ich…« Er konnte die Frage nicht mehr beenden, denn ein Flügel des Flugzeugs, der bereits in einem seltsamen Winkel abstand, löste sich mit einem Übelkeit erregenden Kreischen, stürzte auf Toby, warf ihn vom Flugzeug und begrub ihn unter sich. Toby hatte keine Chance zu reagieren – keiner von ihnen hatte das, er konnte nicht einmal schreien, bevor es vorbei war und Toby unter dem Flügel und Schutt begraben auf dem Boden lag.

»Toby? Alles in Ordnung?« Reuben eilte zu ihm und brachte die Worte trotz seiner Panik heraus. Schweigen antwortete ihm, aber er musste es wissen. Bitte sei nicht tot. Ein weiteres nutzloses Gebet an den Himmel. Bitte lass mich nicht allein hier sein. Fast konnte er Gott über die so egoistische Bitte lachen hören. Aber er meinte es ernst, er wollte nicht allein sein. Und er mochte Toby, mochte sein lässiges Lächeln und seinen Charme und seine Fähigkeit, mit anderen zu scherzen, ohne sich etwas gefallen zu lassen, mochte die wachsende Nähe, die sie miteinander geteilt hatten, sogar über die flirtenden Momente und leidenschaftlichen Blicke hinaus, und er weigerte sich, an eine Welt zu denken, in der all diese Lebhaftigkeit erloschen war.

Tobys Oberkörper war frei von Schutt, aber er hatte eine böse Beule an der Schläfe, die sich bereits violett färbte.

Fuck. »Toby?« Reuben streckte die Hand aus und rüttelte sanft seine Schulter.

»Mmmmh.« Toby stieß ein kräftiges Ächzen aus, dann blinzelte er zweimal. »Fuck. Tut das weh.«

»Ich weiß. Du hast einen bösen Schlag eingesteckt.«

»Reuben.« Toby blinzelte wieder, als versuchte er herauszubekommen, wo er sich befand und wer bei ihm war. Kein gutes Zeichen. Reubens Magen, der sich ohnehin mulmig anfühlte, tat einen Satz. Sie brauchten einen Sanitäter. Einen Krankenwagen. Irgendetwas.

»Wir sind abgestürzt. Du hast mich gerettet. Hast uns beide gerettet. Aber jetzt müssen wir dich vom Flugzeug wegschaffen, bevor ein Feuer ausbricht.«

»Nein.« Toby stöhnte wieder, diesmal eindeutig schmerzerfüllt. »Geh du.«

»Auf keinen Fall.« Irgendwie beschwor Reuben den Tonfall herauf, mit dem er im Büro dafür sorgte, dass Dinge erledigt wurden. »Wir müssen dich befreien.«

»Tut weh.«

»Ich weiß.« Er berührte Tobys Haare mit einer hoffentlich sanften Geste. »Kannst du deine Finger und Zehen spüren?«

Zum Teufel. Reuben kannte sich zwar nicht mit medizinischer Fachsprache aus, aber er wusste doch, dass man einen Patienten mit möglichen Wirbelsäulenverletzungen nicht bewegen durfte. Nicht, dass er eine Wahl haben würde, wenn ein Feuer ausbrach.

»Kopf. Tut weh. Bewegen… ja. Finger. Zehen. Bewegen sich.« Toby klang, als wäre jedes Wort eine Herausforderung.

»Gut. Was tut weh?« Gott, er hasste dieses Gefühl der Hilflosigkeit, nicht zu wissen, wie er die Situation richten konnte, was das richtige Vorgehen wäre. Aber er wusste immerhin, dass er Toby nicht zurücklassen konnte.

»Bein. Steckt fest. Ziemlich sicher gebrochen.« Tobys Grimasse zerrte auf eine tiefe, instinktive Art an Reuben – er wollte ihm die Schmerzen nehmen. Er war bei dem Versuch, Reuben zu retten, verletzt worden, er hatte Reuben gerettet. Ja, wenn Toby nicht gewesen wäre, würde er wahrscheinlich immer noch bewusstlos dort drinnen hocken.

»Noch etwas?«

»Schulter. Rechter Arm. Ziemlich hinüber. Bring… dich… in Sicherheit.«

»Ich lasse dich nicht zurück.« Mit beiden Händen und ganzer Kraft hievte er die Überreste des Flügels von Toby hoch, um ihn darunter hervorzuziehen, und kniete sich dann hin, um Toby irgendwie über seine Schulter zu heben.

»Ich bin zu schwer. Wird nicht funktionieren.« Toby fielen kurz die Augen zu, dann öffnete er sie wieder. »Nimm Notfallausrüstung. Notsignal. Hilfe sollte kommen.«

»Ich bin kein Leichtgewicht.« Reuben schlug einen strengen Ton an. Wenn er ehrlich war, hatte er keinen Schimmer, was er gerade tat, aber das würde er Toby nicht merken lassen. »Und ja, es wird wahrscheinlich wehtun. Tut mir leid. Aber ich werde dich bewegen. Du kommst an erster Stelle.«

»Okay.« Toby nahm einen tiefen Atemzug, als sammelte er Energie oder Entschlossenheit oder vielleicht ein wenig von beidem. »Dann los.«

Der Geruch nach Treibstoff war jetzt stärker. Wertvolle Sekunden verstrichen, während er herauszufinden versuchte, wie er Toby am besten anheben sollte, und am Ende zog er ihn auf eine Schulter und ächzte selbst, als Toby schmerzerfüllt aufschrie.

Verdammt. Toby war schwer, aber Reuben war nicht so weit gekommen, nur um jetzt aufzugeben. Er stolperte vom Flugzeug weg und einen kleinen Hügel hinauf, bis er beschloss, dass sie aus der unmittelbaren Gefahrenzone des Feuers heraus waren. Er legte Toby unter einem Baum ab und versuchte, ihn sanft anzupacken, aber Toby stöhnte trotzdem einige Male auf. Von dem Hügel aus konnte er ein Stück hinter dem Flugzeug einen kleinen See sehen.

»Jetzt hole ich die Notfallausrüstung«, sagte er und versuchte, selbstbewusst zu wirken.

»Geh keine dummen Risiken ein.« Toby wirkte jetzt etwas wacher und seine Stimme war kräftiger, aber es klang immer noch so, als würde ihn jedes Wort Energie kosten.

»Verstanden.« Der Regen, der bis auf feinen Nebel nachgelassen hatte, war möglicherweise der einzige Grund, warum sich das Flugzeug noch nicht in einen Feuerball verwandelte, daher versuchte er, schnell zu arbeiten, und sammelte die Ausrüstung ein, die Toby herausgeworfen hatte. Er nahm so viel mit, wie er zum Baum tragen konnte.

Zisch. Das Flugzeug gab ein seltsames Rumpeln von sich und Rauch stieg in die kühle Luft auf. Scheiße. Sie hatten es gerade rechtzeitig hinausgeschafft.

»Lauf!«, schrie Toby und Reuben tat genau das und zerrte das Gepäck zu ihrem Unterstand, als Flammen das Flugzeug gerade einhüllten. Der Regen zischte, als er auf das Feuer traf, und ein beißender chemischer Geruch lag in der Luft.

»Fuck.« Zur Hölle. Seine Hände zitterten und sein Magen drohte, sich von seinem Inhalt zu verabschieden. Wenn Toby ihn nicht wachgerüttelt hätte, wenn Toby schon früher oder schlimmer verletzt worden wäre, dann wäre Reuben noch in dem Wrack und würde jetzt bei lebendigem Leib verbrennen. Sie hatten sich gerade erst in Sicherheit gebracht und hatten das zum größten Teil Tobys schnellem Denken zu verdanken.

Völlig ausgelaugt ließ er sich neben Toby fallen und beobachtete, wie Feuer und Regen um den dampfenden Trümmerhaufen kämpften.

»Wenn wir Glück haben, wird der Regen verhindern, dass es sich ausbreitet.« Toby hatte die Augen fest geschlossen und Reuben war nicht sicher, ob es am Schmerz oder daran lag, dass er sein Flugzeug nicht brennen sehen wollte.

»Vielleicht funktioniert es wie ein Rauchsignal.« Das war ein Ding, oder? Wenn sein begrenztes Wissen stimmte, konnten Retter sie mit einem Feuer leichter finden.

»Ha.« Toby begann zu lachen und hustete dann schmerzerfüllt. »Uff. Schlechte Idee. Ja, es könnte helfen.«

»Du hast etwas von einem Notsignal gesagt?« Reuben musste sich verzweifelt an die Hoffnung auf Rettung klammern.

»Ja. Ein Notfall-Transponder. Ich hab das Signal ausgelöst. Sollte ihnen helfen, uns zu finden. Der zweite für Wanderungen ist im Notfallkoffer.«

»Schon dabei.« Reuben kramte sich durch und fand schließlich ein leuchtend oranges Gerät mit einem SOS-Knopf, das an einem Karabiner hing. »Können wir dadurch mit jemandem reden?«

»Nein. So schick ist es nicht.« Toby klang schläfrig, was Reuben innehalten ließ.

»Wie geht es deinem Kopf? Ist dir schwindlig?«

»Ja. Fühlt sich an wie ein Kater.« Toby verzog das Gesicht und wandte den Blick ab.

»Bleib bei mir. Red weiter. Nicht einschlafen.« Das war mehr oder weniger Reubens gesamtes Wissen über Gehirnerschütterungen.

»Ich versuch's. Drück auf den Knopf am Gerät.«

»Das ist alles?« Reuben folgte der Aufforderung und neben dem SOS-Knopf begann ein Licht zu blinken.

»Ja. Sollte reichen.« Toby musste sich unterbrechen, um tief zu stöhnen, und Reuben wünschte sich sogar noch verzweifelter ein Schmerzmittel, als er sich wünschte, das Signal würde funktionieren. »Musste noch nie einen verwenden. Wir können nicht wissen, ob er funktioniert, vor allem nicht auf diesem Gelände, aber es ist einen Versuch wert.«

»Das ist alles.« Er musste einfach glauben, dass Hilfe unterwegs war. Nicht nur, weil er keine Nacht in den Bergen verbringen wollte, sondern auch, weil Toby weit mehr medizinische Aufmerksamkeit brauchte, als Reuben ihm geben konnte. »Also, was ist mit deinen Verletzungen? Was können wir tun?«

»Du bist auch verletzt.« Toby tippte sich an die Schläfe und als Reuben dasselbe tat, waren seine Finger blutig. Teufel aber auch. Und seine Schulter schmerzte, weil er Toby getragen hatte, aber auch wegen der groben Landung, bei der er innen gegen die Wand des Flugzeugs geknallt war. Allerdings glaubte er nicht, dass irgendetwas ernstlich gebrochen war. Er war vielleicht etwas angeschlagen, aber das war nichts verglichen damit, was Toby durchmachte.

»Mir geht's gut. Sollen wir dein Bein schienen? Würde das helfen?« Fuck. Warum hatte er nicht Medizin studiert, wie seine Eltern ihm geraten hatten? Nicht, dass er mit Jura unzufrieden gewesen war, aber in diesem Moment hätte er eine Menge für irgendwelche medizinische Kenntnisse gegeben.

»Vielleicht. Allerdings wird es verdammt wehtun, es überhaupt zu bewegen. Ich bewege andauernd aus Versehen meinen Arm und… fuck. Schon wieder.«

»Okay. Also zwei Schienen.«

»Knie… tut auch weh. Verletzt.«

»Na gut, wir machen eine lange Schiene für das Bein.« Fast froh darüber, eine Beschäftigung zu haben, machte Reuben sich an die Arbeit und fand vier geeignete Äste. Unter Tobys Anleitung schnitt er mit Tobys Taschenmesser die seitlichen Zweige ab und zerschnitt dann eins seiner eigenen Shirts in grobe Streifen, um die Schienen festzuzurren.

»Oh, fuck. Auuuu.« Toby stieß ein klagendes Stöhnen aus, als Reuben sein Bein für die Schiene streckte. Gott, er hasste es, Toby so wehzutun, auch wenn es letztendlich helfen würde. Er versuchte, wie ein Arzt zu denken, und fixierte jede Schiene an mehreren Stellen, um die Durchblutung nicht abzuschnüren und die Verletzungen trotzdem gut genug zu stabilisieren, dass die Schienen gegen den Schmerz halfen. Als er fertig war, hatte Toby die Augen zugekniffen und Reuben wusste nicht, ob es Schweiß oder Regenwasser war, der sein Gesicht bedeckte. Der Baum schirmte sie etwas vor dem Wetter ab, aber sie waren beide ziemlich nass und Reubens Shirt klebte an seinem Rücken. Kälte und Feuchtigkeit schienen ihm eine schlechte Mischung zu sein, vor allem, wenn sie noch eine Weile auf Rettung warten mussten.

Ein Unterstand. Sie brauchten irgendetwas, das sie schützen würde. Seine Gedanken wanderten eine Million Jahre zu seinen Tagen im Sommercamp zurück. Dort hatten sie einmal einen Wetterschutz gebaut. Er konnte sich nur undeutlich an die Details erinnern, aber für den Anfang würde er noch mehr Äste brauchen. Er sammelte die längsten, die er finden konnte, und stapelte sie neben Toby auf einen Haufen.

»Was machst du da?«

»Muss etwas bauen, damit du im Trockenen bist.«

»Zu spät.« Toby stieß ein weiteres Lachen aus, das in einem Wimmern endete. »Verdammt. Rippen tun auch weh.«

»Wenn ich die hier zusammenbinde und an den Baum lehne, könnte es klappen. Ich brauche etwas, mit dem ich sie abdecken kann.«

»Nimm Rettungsdecken. Im Notfallkoffer ist strapazierfähiges Klebeband.«

»Gute Idee.« Nachdem er die Stöcke in den Boden gerammt und einen sinnvollen Winkel geschaffen hatte, band er sie mit weiteren Stofffetzen seines Shirts zusammen und befestigte dann zwei Rettungsdecken mit dem Klebeband daran. Als er schließlich mit dem Unterstand zufrieden war, den er um Toby herum gebaut hatte, richtete er sich auf. »Jetzt Feuer, richtig? Und die feuchte Kleidung loswerden.«

»In jeder anderen Situation würde ich denken, du würdest mich unbedingt nackt sehen wollen.«

»Will ich nicht. Das ist nicht meine Absicht«, stotterte er allzu hastig.

»Entspann dich. Ich mach nur Witze. Versuche, wach zu bleiben.«

»Na, wenn das so ist, dann mach ruhig weiter.« Reuben kniete sich neben Toby, betrachtete seine Augen und die verschiedenen blauen Flecken an seinem Kopf, als würde ihm das einen Hinweis darauf geben, wie ernst seine Verletzung war. »Und rede weiter. Sag mir, wie ich ein Feuer machen kann, um uns aufzuwärmen.«

»In dem Nieselregen wird das schwierig. Der hat das Feuer im Flugzeug schon bis auf die Glut gelöscht. Warten wir noch eine Weile ab, ob es aufklart.«

Reuben gefiel dieser Rat nicht. Er wollte nicht warten, sondern etwas Sinnvolles tun und hasste es, dass trockene Kleidung und Herumhocken unter dem Wetterschutz scheinbar ihre beste Option war, bis sie gerettet wurden. Gott, bitte mach, dass die Signale funktionieren.

In der letzten Stunde hatte er mehr gebetet als in den dreißig Jahren davor, aber er meinte jede Silbe ernst. Er hatte den Flugzeugabsturz nicht überlebt, nur um hier draußen zu sterben. Und er würde nicht zulassen, dass Tobys Bemühungen, sie zu retten, vergeblich gewesen waren. Außerdem stand mehr als nur überleben auf dem Spiel – er würde Toby auch nicht im Stich lassen, sondern dafür sorgen, dass er die Rettung bekam, die er verdient hatte.

***

Toby hatte viel zu starke Schmerzen, um es richtig schätzen zu können, als Reuben mühsam seine feuchten Kleider aus- und trockene anzog. Unter anderen Umständen würde er die Aussicht auf Reubens behaarte Brust genießen, aber in diesem Moment war er eher mit dem unaufhörlichen Pochen in seinem Bein beschäftigt. Nachdem er sich umgezogen hatte, duckte Reuben sich unter den Wetterschutz, um Toby aus seinen eigenen durchnässten Kleidern zu schneiden, ohne seine Schienen zu bewegen.

»Vorsicht mit dem Messer.« Diesmal machte er keinen Scherz. Er hatte nicht wirklich Lust auf eine weitere Verletzung. Der Art nach zu schließen, wie er auf die Zweige eingehackt hatte, war Reuben ein Anfänger mit Messern und konnte mit der Schere aus dem Notfallkoffer auch nicht besser umgehen. Aber er meinte es offensichtlich gut und machte ein großes Getue um Tobys nasses Shirt und kalte Haut, als wäre das die schlimmste ihrer Sorgen.

»Weißt du, es gibt auch einfachere Wege, mich nackt zu sehen. Ein Glas Jack mit Cola würde besser funktionieren.« Okay, das war ein Witz und noch dazu einer, bei dem sich Reubens blasse Wangen rosa färbten.

»Ich wollte nicht…« Reuben schluckte hart und Toby fühlte sich etwas schlecht, weil er in dieser Situation seinen Spaß mit ihm hatte. Fuck, ihr Flirten in Katmai schien jetzt Jahrzehnte zurückzuliegen. Dieser Moment, als sie ihrer Anziehung hätten nachgeben können, war wie eine verschwommene Illusion und verblasste vor der Hölle der Gegenwart, in der er entweder Scherze machen oder der Verzweiflung nachgeben konnte, die ihn zu überwältigen drohte.

»Entspann dich. Ich nehm dich nur auf den Arm, weil das einfacher ist, als ständig über diese Schmerzen zu fluchen.«

»Du kannst fluchen, wenn du willst. Oder Witze machen. Alles, was dir hilft, das durchzustehen. Aber mit der Nacktheit wirst du leben müssen, denn ich glaube nicht, dass wir dir problemlos frische Kleider anziehen können.« Reuben deckte ihn mit einem Schlafsack zu, was eigentlich gar keine schlechte Idee war – die Schlafsäcke sollten ohnehin mehr Wärme konservieren, wenn man weniger Kleidung trug.

»Leben ist gut. Und so ist es auch in Ordnung.«

»Gut.« Reuben wickelte sich in den anderen Schlafsack und legte sich endlich hin. Unter dem Wetterschutz war es eng, sie lagen dicht nebeneinander und ihre Schultern berührten sich. Reuben hatte sie so angeordnet, dass er auf Tobys unverletzter Seite lag, wofür Toby ihm dankbar war. Vor ein paar Stunden hätte er nie vorhergesehen, dass Reuben sich in den Bergen gestrandet so gut halten würde. Nicht, dass er Hysterie erwartet hatte, aber Reuben hatte stur jedes Problem angepackt, das sich ihnen präsentiert hatte: Zuerst hatte er Toby in Sicherheit gebracht und war dann der Notwendigkeit eines Unterschlupfs und trockener Kleidung nachgegangen, während das Flugzeug die ganze Zeit über schwelte und eine ernüchternde Erinnerung daran bot, wie nahe sie dem Tod gekommen waren. Durch die Öffnung im Wetterschutz sah Toby zum ersten Mal am Flugzeug vorbei.

»Fuck. Der See ist so nah.«

»Darauf hast du zugehalten?«, fragte Reuben ohne jegliche Kritik in der Stimme.

»Ja. Aber der Motor ist abgestorben. Konnte den Sinkflug nicht kontrollieren und auf den See gleiten. Und meine Sicht war dahin. Hab's aber versucht…« Er musste innehalten und Atem schöpfen, als ihn die Ungeheuerlichkeit der Ereignisse einholte.

»Ich weiß, dass du das getan hast.« Reuben überraschte ihn mächtig, als er einen Arm um ihn legte. »Ich gebe dir nicht die Schuld. Ja, du hast uns zweifellos das Leben gerettet, als du das Flugzeug so schnell runtergebracht hast. Und dann hast du meins noch einmal gerettet, als du zu mir gekommen bist und mich aufgeweckt hast.«

»So, wie du bewusstlos warst, hast du vielleicht eine Gehirnerschütterung. Aber danke.« Es war ein Geschenk, dass Reuben nicht wütend war. Die meisten Anwälte, die Toby kannte, würden bereits ihre Klage planen. Und vielleicht würde das noch kommen, aber vorerst würde er sich mit Reubens freundlichen Worten begnügen.

»Das meine ich ernst. Verschwende keine Zeit damit, dir selbst Vorwürfe zu machen. Ich habe gesehen, dass das Wetter wie aus dem Nichts heraufgezogen ist. Du hast dein Bestes gegeben und mir – uns – das Leben gerettet.«

»Sagt der Kerl, der mich von einem schwelenden Flugzeug weggetragen hat.« Trotz des Klingelns in seinem Kopf und seiner schmerzenden Glieder fühlte sich Scherzen weit besser an, als den Emotionen nachzugeben, die ihn zu überwältigen drohten.

»Das habe ich, oder?« Reuben klang leicht belustigt, als hätte ihn seine Heldentat selbst überrascht. »Vielleicht wollte ich hier draußen einfach nicht allein sein.«

Es war ein Moment der nüchternen Ehrlichkeit und Toby revanchierte sich dafür, indem er mit der guten Hand hinabgriff und Reubens Bein drückte.

»Ich auch nicht. Und wir werden hier rauskommen.« Er versuchte, seine ganze Überzeugung in seine Stimme zu legen, um Reuben und auch sich selbst zu überzeugen. »Wenigstens die Mitarbeiter der Hütte in Fishhook werden es merken, wenn wir heute Abend nicht dort aufkreuzen. Sie werden uns finden.«

»Ich hoffe es. Als das Flugzeug abgestürzt ist, konnte ich nur an Amelia denken und daran, wie gründlich ich bei ihr gescheitert bin.«

»Wie ist sie so?«, fragte Toby, brauchte eine Ablenkung von den Schmerzen.

»Ein typischer Teenager, schätze ich. Launisch. Nicht von ihren elektronischen Geräten zu trennen. Glaubt, sie weiß alles. Aber andererseits war sie irgendwie schon von Geburt an so – hat endlose Fragen gestellt und ständig die Regeln getestet.«

»Ich habe eine Schwester, die so ist. Nell. Feurig, hat meine Mom es genannt.« Fuck, Toby wollte jetzt nicht an seine Familie denken, nicht, wenn er alles dafür gegeben hätte, wieder bei ihnen zu sein und ihnen zu versichern, dass es ihm gut ging.

»Ja, feurig. Das ist es. Und als sie jünger war, war sie in vielerlei Hinsicht so ein süßes Kind. Ist ständig in der Gegend umhergestreift, hat Geheimverstecke gebaut und sich kreative Spiele ausgedacht.« Reuben stockte und schluckte hart. Die Liebe, die er für seine Tochter empfand, war deutlich in seinen schimmernden Augen zu lesen, bevor er wegsah. »Ich bin vermutlich nicht der beste Vater. Wir arbeiten beide sehr viel, seit wir Partner sind. Wir sorgen immer dafür, dass sie gute Kindermädchen hat und auf die besten Schulen geht, aber… ich vermisse sie sehr. Fühlt sich an, als hätte ich nur einmal geblinzelt und auf einmal ist sie vierzehn statt vier.«

»So läuft es immer.« Er bewegte sich etwas, was einen schmerzhaften Stich auslöste, und er musste erst stillhalten, bevor er fortfuhr. Aber ganze Sätze herauszubringen, hielt ihn davon ab, dem Schmerz nachzugeben. »Fühlt sich an, als wäre es erst gestern gewesen, dass Nell mich dazu bringen wollte, mit ihr Barbie zu spielen, und jetzt ist sie fast zwanzig. Aber immer noch eigenwillig.«

»Du klingst wie ein guter großer Bruder«, sagte Reuben beruhigend und etwas an seiner Stimme traf eine weiche Stelle in Tobys Brust, von der er vergessen hatte, dass sie existierte.

»Ich versuche es. Ich habe viel verpasst, wie du. Musste arbeiten. Hab versucht, das Haus und die Familie beisammenzuhalten.«

»Du hast Nell aufgezogen?« Reuben klang neugierig, aber auch nervös, als versuchte auch er, dem Schmerz und der Verzweiflung nicht nachzugeben.

»Irgendwie schon. Ist eine lange Geschichte.«

»Wenn wir eins haben, dann Zeit, und du musst weiterreden.« Der strenge Unterton kehrte in Reubens Stimme zurück, während der Wind um sie herum blies und der Regen wieder stärker fiel.

»Es ist eine Familiensache.« Toby seufzte und wusste, dass er doch die ganze Geschichte erzählen würde. Aber wie Reuben gesagt hatte, sie konnten genauso gut reden. Es hatte ja doch keinen Sinn, diese abenteuerlustige, sorglose Fassade noch länger aufrechtzuerhalten. Er hatte bereits mehr mit Reuben geteilt als mit allen anderen Kunden der letzten zehn Jahre. Er wusste nicht, was dafür sorgte, dass er so gut mit Reuben reden konnte. Der Kram über Nell war ihm einfach herausgerutscht, genau wie alles andere, das Toby ihm erzählt hatte. Nell. Dad. Hannah. Fuck.

Er stöhnte wieder, sowohl vor Schmerz als auch Frust. »Und fuck. Das ist der Grund, warum wir nicht hier sterben werden. Die Signale werden funktionieren. Meine Familie braucht mich zu sehr, als dass ich es nicht zurückschaffen kann.«

»Erzähl mir von ihnen«, sagte Reuben sanft, nicht drängend.

»Jetzt sind da nur mein Dad, meine zwei jüngeren Schwestern und ich. Mom ist vor zwei Jahren an Meningitis gestorben. Aber eigentlich hat es mit dem Unfall meines Dads begonnen. Als ich zwanzig war, habe ich gerade in Anchorage studiert, als ich einen Anruf bekam, dass mein Dad bei einem Unfall mit dem Schneemobil ernsthaft verletzt wurde. Ich hab das Studium abgebrochen, um der Familie während seiner Genesung zu helfen. Letztendlich hat er teilweise Lähmung und bleibende gesundheitliche Probleme zurückbehalten. Er versucht, so viel selbst zu tun, wie er kann, aber er musste sich trotzdem oft von meiner Mom helfen lassen und jetzt ist sie nicht mehr da.«

»Mein Beileid. Das ist schrecklich. Meine Eltern sind beide gestorben, aber sie waren viel älter.«

»Danke. Wie auch immer, ich habe ihr versprochen, dass ich mich um Dad kümmern und dafür sorgen würde, dass meine Schwestern einen Studienabschluss schaffen. Und ich gebe mir Mühe, aber…«

»Es ist schwer, diese Verantwortung.« Reuben klang verständnisvoll und berührte Tobys unverletzten Arm. »Ich verstehe. Und wir bringen dich zu ihnen zurück, versprochen.«

»So oder so werde ich ihnen nicht viel nützen.« Toby deutete auf seine Verletzungen. Er hatte nicht einmal bemerkt, wie der Flügel sich gelöst hatte – in einer Sekunde war er voller Adrenalin gewesen, um Reuben zu retten, und in der nächsten war er auf den Boden gedrückt und hatte flach auf dem Rücken gelegen. Unter der unmittelbaren Notwendigkeit, gerettet zu werden, lag eine tiefere Sorge darum, was als Nächstes kommen würde. Und fuck, der Gedanke war fast mehr, als er ertragen konnte, und er stieß einen zischenden Seufzer aus.

»Ruhig.« Reuben tätschelte seine Hand. »Du wirst dich erholen. Und sie werden sich einfach nur freuen, dich zurückzuhaben, da bin ich sicher.« Dann wurde er nachdenklich und leckte sich die Lippen. »Ich hoffe, Amelia geht es genauso. Als wir gestern und heute draußen am Fluss waren, habe ich mir gewünscht, ich könnte die Erfahrung mit ihr teilen.«

»Hab's dir doch gesagt. Wir machen noch einen Angler aus dir.« Seine Stimme wurde zu einem Murmeln, als es plötzlich zu einer Herausforderung wurde, die Augen offen zu halten.

»Hey.« Reuben stupste seine Schulter an. »Wirst du schläfrig?«

»Ja.« Toby konnte ein Gähnen nicht unterdrücken.

»Du darfst nicht schlafen, schon vergessen?«

»Weck mich auf. Alle zwanzig oder dreißig Minuten.« Ein weiteres langes Gähnen. »Kann nicht wach bleiben. Tut mir leid.«

»Das muss es nicht.« Reuben zog Toby an sich, gab ihm seine breite Schulter als Kissen und die Geste war so natürlich, als hätten sie es schon tausendmal gemacht. »Ich wecke dich auf. Und ich versuche, nach deinem Schläfchen nicht so langweilig zu sein.«

»Bist du nicht«, murmelte Toby undeutlich und war nicht sicher, wie er Reuben sagen sollte, dass er alles andere als gelangweilt war und es tatsächlich genoss, mit ihm zu reden, wie er es seit Jahren mit niemandem erlebt hatte. Es hatte sich seltsam richtig angefühlt, ihm von seiner Familiensituation zu erzählen, und statt komisch, fühlte er sich warm. Gesehen. Verstanden. Reuben verstand ihn und was ihm wichtig war, und versuchte nicht, ihn zu bemitleiden oder mit leeren Phrasen aufzuheitern. Und während Toby in den Schlaf hinüberglitt, hüllte er sich in diese Wärme und benutzte sie, um sich selbst zu versichern, dass sie das überstehen würden. Rettung würde kommen. Das musste sie.

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