Читать книгу Worte wie wir - Annah Fehlauer - Страница 10

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„Manchmal kann ich mich selbst nicht leiden.“ Marie nagte an ihrer Unterlippe und baumelte unruhig mit den Beinen, kaum dass sie auf ihrem Lieblingsplatz auf Catharinas Küchenbank Platz genommen hatte. „Dann finde ich mich richtig doof und kann mich nicht ausstehen. Und am liebsten würde ich dann jemand ganz anders sein.“

„So? Was sind das denn für Situationen, in denen du dich nicht leiden kannst, meine Süße?“

„Ich weiß nicht genau.“ Marie überlegte. „Manchmal fühle ich mich so komisch. So, als würde ich gleich anfangen zu weinen, aber dann weine ich doch nicht. Und manchmal ist mir so langweilig und Spielen macht überhaupt keinen Spaß.“

Catharina nickte bedächtig. „Das kann ich verstehen. Ich kann mich auch manchmal nicht gut leiden.“

„Und manchmal bin ich so wütend, dass ich irgendwas kaputt­machen will. Dann reiße ich manchmal alle meine Bücher aus dem Regal und schmeiße meine Spielsachen auf den Fußboden.“

„Und fühlst du dich dann besser?“

„Ja!“ Die Antwort kam schnell.

Doch dann besann sich Marie eines Besseren.

„Nein, eigentlich nicht. Wenn, dann nur ganz kurz. Aber wenn ich dann alles wieder aufräumen muss, bin ich wieder wütend, weil ich Aufräumen nicht mag. Manchmal geht dabei auch was kaputt, wenn ich so wütend bin, und dann bin ich hinterher noch traurig dazu.“

„Und wie wäre es, wenn du versuchst, deine Wut anders los­zuwerden?“

„Wie denn?“

„Ich weiß nicht. Lass mich mal überlegen.“ Catharina erhob sich von der Küchenbank und trat ans Fenster.

„Zum Beispiel, indem du in ein großes Kissen boxt. Da kannst du doll draufhauen, aber es geht nichts kaputt, und du tust dir auch nicht weh.“

„Machst du das denn so? Bist du überhaupt manchmal so wütend?“ Maries Tonfall klang skeptisch, und als Catharina sich zu ihr umdrehte, sah sie, dass sie sie auch genau so ansah.

„Mittlerweile selten. Aber ich kenne so etwas gut. Früher ging es mir sehr viel häufiger so. Als ich Kind war, war es noch sehr oft, später hat es deutlich nachgelassen. Aber doch, ja, hin und wieder geht es mir auch noch so.“

„Wütend oder traurig?“

„Ich kenne beides. Zum Glück hat die Wut wirklich ziemlich stark nachgelassen. Aber ich verstehe dieses Gefühl, dass du dich dann selbst nicht ausstehen kannst.“

„Und was machst du dann also?“

„Also früher habe ich es so ähnlich gemacht wie du. Da hatte ich, wenn ich wütend war, richtige Tobsuchtsanfälle. Damals war ich allerdings noch ziemlich klein.“

Marie sah Catharina erstaunt und auch ein bisschen ungläubig an.

„Später, als ich schon erwachsen war, bin ich dann eine Zeit lang, wenn ich merkte, dass ich wütend werde, entweder an die frische Luft gegangen oder, noch besser, habe Sport gemacht. Das hat meistens geholfen. Gegen die Wut jeden­falls. Bei Traurigkeit habe ich versucht, an etwas Schönes zu denken. Aber das ist natürlich gar nicht so einfach, je nach­dem doll man traurig ist.“

„Und wie machst du es jetzt?“

„Wie gesagt, heutzutage passiert mir das zum Glück nur noch selten. Aber wenn, dann bitte ich die Lieben da oben, mich wieder zur Ruhe kommen zu lassen.“

„Gott?“

„Ja, den lieben großen Schöpfergott und all die Helfer, die er hat.“

Marie schwieg eine Weile, während sie mit ihrem Zeigefinger die Musterung des Küchentischs nachfuhr. Als Catharina ge­rade dachte, für Marie sei die Unterhaltung an dieser Stelle be­endet, hörte sie wieder die ihr so vertraute kleine Stimme.

„Glaubst du wirklich, dass es Gott gibt?“

„Ja, meine Süße, ich bin überzeugt davon, dass es den lieben großen Schöpfergott gibt.“

„Meine Mama glaubt nicht an Gott. Sie sagt, das ist alles Blödsinn und nur was für Dummköpfe. Und Papa glaubt auch nicht an Gott.“ Marie klang nun beinahe ein wenig abweisend.

„Viele Menschen glauben nicht an Gott. Nun, ich schon. Ich denke allerdings, dass er ganz anders ist, als die Kirchen, Pfarrer und Priester uns erzählen.“

„Wie denn?“

„Viel gütiger und barmherziger. Voller Licht und Liebe. Ich bin mir sicher, es ist auch ganz egal, ob wir ihn Gott nennen oder ein­fach Liebe. Über die Liebe haben wir ja schon gesprochen, meine Süße. Liebe ist einfacher zu begreifen, meine ich.“

„Und hilft dir das dann, wenn du betest?

„Meistens schon. Ich versuche dann, das Negative, das, was mich belastet, abzugeben nach oben und bitte darum, dass es ver­wan­delt wird in etwas Positives.“

„Meinst du, ich kann das auch machen, auch wenn ich nicht an Gott glaube?“ Marie strich Jule, die sich in der Zwischenzeit zu ihnen in die Küche gesellt hatte, gedankenverloren über den Kopf.

„Jeder kann das tun. Aber es gibt auch noch andere hilfreiche Möglichkeiten, mit Wut und Traurigkeit umzugehen.“

„Welche denn? Kannst du mir noch mehr sagen? Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich mit Gott reden will, wenn es den doch vielleicht gar nicht gibt. Und Mama fände das sicher auch doof.“

„Oft hilft es mir auch, wenn ich mich selbst von der Wut oder der Traurigkeit dadurch ablenke, dass ich etwas tue, von dem ich weiß, dass es eine beruhigende Wirkung auf mich hat. Zum Beispiel versuche ich dann manchmal, Klavier oder Cello zu spielen oder etwas zu malen. Manchmal hilft es mir auch, hinaus in die Natur zu gehen, in den Himmel zu sehen oder mir die Bäume im Park einmal ganz genau anzuschauen.

Catharina spürte, wie das Sprechen über Wut und Trau­rig­keit Erinnerungen in ihr aufsteigen ließ, die sie lange Zeit ver­drängt hatte. Es war nicht ganz so, wie sie es Marie erzählt hatte. Es hatte durchaus eine Zeit gegeben, als sie schon längst er­wachsen war, als sie noch einmal Phasen hatte, die stark geprägt waren von diesen Gefühlen und Gefühls­aus­brüchen. Allzu lange war diese Zeit gar nicht her. Doch Catharina schien es, als gehörte diese Zeit zu einem anderen als zu dem Leben, das sie jetzt führte.

Es war in der Zeit nach der Trennung gewesen, dass Catharina immer wieder überwältigt wurde von Wut und Trauer. Trauer, weil sie Mariella verloren hatte. Wut auf sich selbst, weil sie es war, die dies zu verantworten hatte.

Elf Jahre.

Elf Jahre, zwei Monate und fünf Tage war es her, dass sie Mariella das letzte Mal gesehen, das letzte Mal gesprochen, das letzte Mal geküsst hatte.

Und zwölf Jahre, dass sie sie das erste Mal geküsst hatte.

Wie schnell dieses Jahr damals vorüber gegangen war. Und gleich­zeitig schien damals die Welt stillzustehen, schien sich auf­zu­lösen in einen einzigen, wundervollen Moment.

Während um sie herum damals das ganze Land dramatische, wenn­gleich begrüßenswerte, Veränderungen durchlebte, bebte auch ihr eigenes, ganz privates Leben unter der Wucht der Ver­än­de­rung, die mit der Liebe Einzug in ihr Leben hielt.

Catharina hielt den Wasserkocher unter den Hahn, ließ genügend Wasser hineinlaufen und stellte ihn an. Marie hatte inzwischen ihre Malsachen aus dem Arbeitszimmer geholt und war dabei, sie auf dem Küchentisch bereit zu legen.

Catharina spürte, wie die Wut und die Traurigkeit, die in diesen Tagen meist so weit weg schienen, irgendwo tief in ihr nach­hallten. Sie wollte sich ihnen nicht hingeben, doch die Erinnerung an die Trennung war nun geweckt und damit auch das dumpfe Echo.

Es war, als spüre sie die Gefühle von damals wie durch einen Schleier oder als sei sie leicht betäubt und nehme den Schmerz nicht in seiner ganzen Gewaltigkeit wahr, sondern nur einen dumpfen Nachhall davon.

Das Wasser kochte, und Catharina setzte eine frische Kanne Tee auf. Glückstee. Eine Biokräutermischung, die ihr gut bekam und die sie allein schon des Namens wegen gerne trank.

„Möchtest du mit mir Tee trinken oder magst du einen Kakao haben oder irgendetwas anderes?“

„Mmm?“

„Ob du auch einen Tee möchtest oder lieber etwas anderes?“

Catharina stand vor dem Schrank, in dem sie die Tassen auf­bewahrte und wartete geduldig auf die Antwort.

„Tee ist gut.“ Marie klang hoch konzentriert. Sie war gerade dabei, ihre Holzmalstifte der Größe nach zu sortieren.

Catharina wollte die friedvolle, liebevolle Stimmung nicht ver­derben, die in der Küche herrschte, indem sie den hoch­kommenden Erinnerungen und Gefühlen freien Lauf ließ. Sie ver­suchte, sich auf den gegenwärtigen Augenblick zu kon­zen­trieren und sich darin wiederzufinden.

„Und manchmal schreibe ich dann auch etwas.“

„Was schreibst du denn dann?“

„Vielleicht erinnerst du dich daran, ich habe doch angefangen, ein „Lexikon der positiven Botschaften“ zu schreiben. Da füge ich dann manchmal neue Einträge hinzu. Oder ich versuche, mir neue Glücksnachrichten auszudenken.“

„Was sind denn Glücksnachrichten? Wenn Leute im Lotto gewinnen, solche Sachen?“

„Das wäre auch möglich, ja. Aber meistens schreibe ich dann eine andere Sorte Glücksnachrichten.“

„Und was für eine Sorte?“ Maries Neugier schien geweckt zu sein.

„Ich schneide aus der echten Zeitung einzelne Wörter aus und füge sie zu neuen Nachrichten zusammen, die nicht in der Zeitung stehen. Zum Beispiel, dass berechtigte Hoffnung besteht, dass das Ozonloch wieder kleiner wird.“

„Was ist das Ozonloch?“

„Unsere Erde ist umgeben von einer Art Schutzschild. Das schützt uns zum Beispiel vor zu starker Sonneneinstrahlung.“

„Aber Sonne ist doch toll. Ich mag es, wenn die Sonne scheint.“

„Ich mag es auch, wenn die Sonne scheint. Aber wenn kein Schutzschild zwischen uns und der Sonne wäre, wäre die Sonne zu stark für uns.“

„Würden wir dann verbrennen?“

„Naja, vollständig verbrennen wahrscheinlich nicht. Aber unsere Haut würde verbrennen, so, wie wenn wir einen schlimmen Sonnen­brand haben. Und nach einer Weile würden wir richtig krank werden. Deshalb ist es wichtig, dass das Schutz­schild aus Ozon unsere Erde umgibt.“

„Aber das Ozonschild hat ein Loch?“

„Sozusagen. Das Ozon ist so eine Art Schleier aus Gas. Und an einigen Stellen ist es so dünn geworden, dass es nicht mehr richtig als Schutzschild wirken kann. Dann sprechen wir vom …“ „So wie meine Jeans am Knie?“, wurde sie von Marie unter­brochen, die nun ihre Hose untersuchte und an der Stelle herum­pfriemelte, an der die Jeans nur noch aus einzelnen Fäden bestand.

„So kann man es sich vorstellen.“ Catharina bewunderte einmal mehr, wie Marie immer wieder imstande war, Dinge rasch zu be­grei­fen und in ihrer kindlichen Art so herrlich treffende Ver­gleiche zu finden.

„Und stimmt es, dass das Ozonloch wieder gestopft werden kann?“

„Ich hoffe das und glaube ganz fest daran. Und immer mal wieder gibt es auch Wissenschaftler, die sagen, dass es dazu Grund zur Hoffnung gibt.“

Marie begann nun, die Ordnung der nach ihrer Größe sor­tierten Holzmalstifte wieder aufzubrechen und stattdessen jeweils zwei Stifte unterschiedlicher Farben einander zu­zuordnen. Erneut dachte Catharina, das Thema sei für ihre kleine Freundin beendet, als Marie nach mehreren Minuten des Schweigens fortfuhr: „Und wenn du keine Nachrichten über das Ozonloch schreibst, was schreibst du dann für Nach­richten?“

Catharina dachte kurz nach, bevor sie antwortete: „Zum Beispiel, dass alle Menschen genug zu essen haben, solche Dinge.“

„Stimmt das denn? Meine Klassenlehrerin sagt immer, dass es viele Menschen gibt, die nicht genug zu essen haben, und dass wir deswegen unsere Pausenbrote unbedingt aufessen sollen.“

„Manchmal ist es so, dass mehrere Dinge wahr sein können, die sich auf den ersten Blick scheinbar ausschließen. Mit dem Hunger auf der Welt ist es so. Was du in der Schule lernst, nämlich dass viele Menschen heutzutage hungern, ist schon wahr. Aber es müss­te nicht so sein. Nicht, wenn man das Essen und auch manches andere anders verteilt.“

Marie schien nicht unbedingt über hungernde Menschen sprechen zu wollen, jedenfalls ging sie auf die Bemerkung nicht weiter ein, sondern wendete sich einer anderen Frage zu.

„Und warum schneidest du dazu die Wörter aus der Zeitung aus und schreibst nicht so?“ Sie deutete mit einer Hand­bewegung an, dass sie meinte, weshalb Catharina die Nach­richten nicht hand­schrift­lich schrieb. „Das würde doch viel schneller gehen.“

„Da hast du völlig recht, Marie. Das würde auf jeden Fall schneller gehen. Aber irgendwie bilde ich mir ein, dass so die Wirkung größer ist.“

„Wie meinst du das? Welche Wirkung?“

„Dass das, was ich als Glücksnachrichten formuliere, wirklich wahr wird.“

„Glaubst du denn wirklich daran?“

„Nun ja, wir haben ja schon viel über die Macht der Gedanken und Worte gesprochen, meine Süße, und ja, ich glaube daran, dass beides eine große Wirkung hat. Früher habe ich viel Zeitung gelesen. Aber irgendwann wurde ich immer trauriger, weil ich das Gefühl hatte, dass das allermeiste, was in der Zeitung steht, schlimme Nachrichten sind. Natürlich gibt es auch ein paar Aus­nahmen. Zum Beispiel, wenn sich Politiker in einer wichtigen Sache einigen.“

„Oder wenn es ein neues Kind gibt?“

„Auch das natürlich.“

Catharina dachte daran, wie sie irgendwann beschlossen hatte, Nachrichten zu fasten, weil sie es schier nicht mehr ertragen konnte, so viel Negatives zu hören und zu lesen. Das hatte sie einige Monate lang versucht, doch auch das empfand sie nicht als befriedigend. Sie wollte ja durchaus etwas von der Welt mit­bekommen. So hatte sie angefangen, auf die Jagd nach positiven Nach­richten zu gehen. Es hatte damit begonnen, dass sie in der Tages­zeitung die wenigen Nachrichten mit einem Leuchtstift markierte, in denen tatsächlich Gutes verbreitet wurde. Bald darauf hatte sie diese Art von Nachrichten ausgeschnitten und in einem Notizbuch gesammelt, ihrem persönlichen Glückskalender des laufenden Jahres. Und daraus hatte sich nach und nach ihr Glücks-Kunst-Projekt ergeben.

Neben den Originalnachrichten, die sie am Stück aus­geschnitten und aufgeklebt hatte, hatte sie angefangen, Collagen zu erstellen, indem sie einzelne Worte aus der Zeitung ausschnitt und daraus Über­schriften und Nachrichten zusammenstellte, die so nicht in der Zeitung zu lesen waren. Aus diesen Wortschnipseln stellte sie eine Art Wandzeitung her. Auf einer großen Leinwand klebte sie die einzelnen Worte zu neuen, positiven Botschaften zusammen. Anfangs waren das recht realitätsnahe Nachrichten gewesen, zunehmend hatten ihre Botschaften allerdings einen poetischeren Ton an­genommen. Mittlerweile war daraus eine Art „Tageslyrik“ ge­worden. Sie mochte auch den Ausdruck „Gebrauchslyrik“, wie ihn Mascha Kaléko, eine ihrer Lieblingsdichterinnen, geprägt hatte.

Ausbildung zum Helfer.

Experten berichten: Gespräche mit Sternen

schenken friedvolle Momente

konnte man beispielsweise dort lesen, oder:

Durchbruch bei Glückskonferenz:

Delegierte für eine Friedwelt der Liebe

Antrag einstimmig angenommen.“

Lange Zeit hatte sie diese Glücksnachrichten vornehmlich für sich selbst geschrieben, doch eine Freundin, der sie davon erzählt hatte, hatte sie mehrfach ermuntert, sie zu ver­öffent­lichen.

„Mach doch ein Buch daraus!“

„Ich weiß nicht, mal sehen“, Catharina hatte zunächst ihre Zweifel gehabt, diese dann jedoch über Bord geworfen. „Ach, warum eigentlich nicht? Ich habe dabei ja nichts zu verlieren.“

Ein Jahr später hatte sie genügend Material für einen kleinen Glücks­band zusammengestellt. Bei zwei Verlagen hatte sie erfolg­los angefragt, ein dritter, ganz kleiner Verlag hatte einer Ver­öffent­lichung schließlich zugestimmt. Geld verdienen ließ sich damit nicht, aber darauf kam es ihr ja auch nicht an.

Wenn sie ehrlich war, musste sie zugeben, dass es sie durchaus mit Stolz erfüllte, wenn ihr Blick beim Schweifen über die Bücher­wände im Wohnzimmer zufälligerweise an ihrem eigenen Bänd­chen hängenblieb. „Das Glück von morgen in den Nach­richten von heute“ hatte der Verlag das Bändchen tituliert. Catha­rina hätte es umgekehrt sinnvoller gefunden, hatte sich damit jedoch nicht durchsetzen können. Für ihre eigenen Ansichts­exemplare hatte sie deshalb einen zweiten Schutzumschlag selbst gestaltet, auf dem der Titel hieß: „Das Glück von heute in den Nachrichten von morgen“.

„Catharina Freudenberg entwirft eine bessere Welt. Wohl­fühl­gedanken zum Schmunzeln und Schnurren“ hatte die Lektorin als Klappentext verfasst, was Catharina als passionierte Katzen­lieb­haberin im Grunde recht gut gefiel. Einmal hatte sie das Bänd­chen auch tatsächlich in einer Buchhandlung ent­deckt und sich sehr gefreut. Sie war sich durchaus bewusst, dass auch eine solche Freude oder das Gefühl des leisen Stolzes ein Produkt des eigenen Egos waren. Die Tatsache, dass sie einen kleinen Lyrikband ver­öffentlicht hatte, machte sie nicht zu einem besseren Menschen. Andererseits wollte sie damit ja tatsächlich etwas mehr Licht in die Welt tragen – und das an sich war doch nicht verwerflich?

„Soll ich dir was verraten?“ Maries Stimme riss sie aus ihren Gedanken.

„Gerne, meine Süße, was denn?“

„Heute war auch so ein Tag.“

„Was für ein Tag war heute?“

„So einer, an dem ich mich selbst nicht ausstehen kann.“ Marie runzelte noch einmal kurz die Stirn bei dem Gedanken daran, welch schlechte Laune sie gehabt hatte, als sie an diesem Tag bei Catharina klingelte.

„Und wie geht es dir jetzt? Kannst du dich jetzt wieder ein biss­chen besser ausstehen?“ Catharina sah ihre kleine Freundin liebe­voll an.

„Ja, viel besser. Vorhin habe ich mich gefühlt wie eine dicke schwarze Gewitterwolke, aus der es gleich blitzt und donnert und hagelt.“

„Oh, das hört sich ja wirklich ganz schön düster an. Da bin ich sehr froh zu hören, dass du dich jetzt nicht mehr so gewitterwolkig fühlst.“

„Nee, gar nicht mehr gewitterhaft. Jetzt fühle ich mich eher so wie eine kleine weiße Wolke, so eine Schäfchenwolke, die ganz friedlich am Himmel entlangwandert und sich sonnt.“ Und tat­säch­lich erhellte sich bei diesen Worten ihr kleines, zartes Gesicht, und die großen Augen, deren Farbe je nach Licht und Stim­mung zwischen grau und blau changierten, hellten sich sicht­bar auf und blitzten Catharina strahlend blau an.

„Na, das freut mich, dann haben wir deine schlechte Laune also vertrieben wie einen großen brummigen Bären.“ Catharina sah Marie fragend an, während sie ihre leere Teetasse hochhob.

„Nachschub gefällig?“

Marie nickte, schüttelte jedoch unmittelbar danach den Kopf.

„Nachschub ja. Aber das mit dem Bär stimmt nicht.“

„Nicht? Oh. Dann haben wir deine schlechte Laune doch noch nicht vertrieben?“

„Doch, schon. Aber die war nicht wie ein brummiger Bär. Ich mag Bären. Meine schlechte Laune war wie ein Stinktier. Ein großes fieses Stinktier, das sich unter dem Haus versteckt.“

Catharina musste lachen bei diesem herrlichen Vergleich, doch Marie blieb ernst.

„Nee, das ist aber überhaupt nicht zum Lachen. Papa hat mir davon erzählt. Er war mal in Amerika, und da gab es ganz viele von diesen Stinktieren. Die Familie, bei der er gewohnt hat, musste beinahe aus ihrem Haus ausziehen, weil sich das Stinktier so gut darunter versteckt hat, dass sie es kaum wieder raus­bekommen haben, und es hat alles, wirklich alles, komplett voll­gestunken!“

„Da können wir ja wirklich von Glück sagen, dass wir diese Stinktier-Laune gerade nochmal so vertrieben haben, bevor sie auch hier alles vollgestunken hat.“

Catharina stand von der Küchenbank auf, um Marie noch etwas Tee nachzuschenken. Bevor sie sich wieder setzen konnte, stand auch Marie auf und lehnte sich leicht an sie. Catharina legte ihrer kleinen Freundin zart den Arm um die schmalen Schultern und beugte sich zu ihr runter, da Marie ihr bedeutete, dass sie ihr etwas ins Ohr flüstern wollte.

„Danke“, hörte sie ein leises Flüstern. „Danke, dass du das fiese Stinktier verjagt hast“.

Catharina flüsterte zurück: „Jederzeit wieder! Du hast ja auch prima mitgemacht bei der Jagd, da war es eigentlich ganz leicht. Das Stinktier hat quasi von allein die Flucht ergriffen.“

Und damit richtete sie sich wieder auf, erwiderte den leichten Druck, mit dem Marie sich an sie schmiegte, und beide sahen aus dem Küchenfenster in den Herbsthimmel, über den kleine Wolken zogen, harmlose kleine Schäfchenwolken, die sich in den schwächer werdenden Sonnenstrahlen wärmten.

Worte wie wir

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