Читать книгу Worte wie wir - Annah Fehlauer - Страница 12

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Marie hatte spürbar schlechte Laune, als sie Catharina einige Tage später besuchte. Bereits zwei Versuche, einen Apfel am Stück zu schälen, waren gescheitert, und ihre Ungeduld, als sie sich einen dritten vornahm, war deutlich zu spüren. Das war ungewöhnlich, denn meist hatte Marie eine Riesenfreude daran, Catharina dabei zu helfen, Apfelkuchen zu backen.

Heute nicht.

Heute schien sie richtig wütend zu sein.

Sie wirkte auch nicht betrübt, so dass Catharina nicht annahm, dass die Opfer des Anschlags sie an diesem Tag belasteten. Es musste etwas anderes vorgefallen sein.

„Ist heute irgendwas passiert, meine Süße? Hast du dich wieder über deine Deutschlehrerin ärgern müssen?“ Catharina wusste, dass Marie und Frau Dr. Otterpohl sich nicht besonders gut ver­standen, was wirklich schade war, da Marie ja im Grunde große Freude an Sprache hatte.

Marie kniff die Lippen zusammen und schüttelte den Kopf. Auch der dritte und vierte Versuch, den Apfel an einem Stück zu schälen, waren gerade gescheitert. Sie nahm sich einen fünften, und Catharina hoffte insgeheim, sie werde danach auf­geben. Mehr als fünf Äpfel brauchten sie wirklich nicht für den Kuchen­belag.

Catharina respektierte Maries Schweigen. Sie wusste, das Mädchen würde von alleine anfangen zu sprechen, wenn ihm da­nach war. Und genau so war es auch. Nachdem es Marie bei ihrem fünften Anlauf endlich gelungen war, eine einzige lange Apfel­schalenschlange zu produzieren, reichte sie Catharina den Apfel hinüber und begann, ihrem Ärger Luft zu machen.

„Lou hat heute was ganz Doofes gesagt.“

„Oh, habt ihr euch gestritten?“

„Naja, so ein bisschen.“

Marie sah etwas verlegen aus. Möglicherweise ging ihr das Gespräch durch den Kopf, das sie vor einigen Tagen mit­ein­an­der geführt hatten, und sie erinnerte sich daran, dass man besser nicht streiten sollte.

„Und habt ihr euch wieder vertragen?“

Marie schüttelte den Kopf, ein trotziger Ausdruck huschte über ihr Gesicht.

„Hat sie dich absichtlich ärgern wollen, mit dem, was sie gesagt hat?“

„Nee, ich glaube nicht. Aber es hat mich trotzdem geärgert.“

Catharina verteilte die eingeschnittenen Äpfel auf dem Ku­chen­teig und wartete geduldig ab, bis Marie weitersprach.

„Sie hat behauptet, jedes Mädchen träumt davon, in einem wun­der­schönen weißen Brautkleid zu heiraten, am besten mit einer weißen Kutsche.“

Marie verzog ihr Gesicht, was ihrer Missbilligung noch deut­licher Ausdruck verlieh.

Catharina musste unwillkürlich lachen und hoffte, das möge Maries schlechte Laune nicht noch verstärken. Doch Marie schien gar nichts davon mitzubekommen, sie sprach schon wei­ter.

„Ich hab’ gesagt, dass das Quatsch ist und dass ich zum Beispiel überhaupt nicht davon träume, in einem weißen Kleid und einer Kutsche zu heiraten… Und dann hat sie gesagt, dass ich dann kein richtiges Mädchen bin!“ Die Empörung war Marie nun deut­lich anzuhören.

„Da hat Lou aber wirklich Quatsch erzählt. Ich kenne viele Mädchen, die nicht davon träumen, in Weiß und mit einer Kutsche zu heiraten. Wenn es dich tröstet: Ich gehöre übrigens auch dazu.“

„Ha, das werde ich Lou morgen sagen.“

Nach einer kurzen Pause fragte Marie etwas zaghafter nach: „Darf ich das?“

„Natürlich darfst du das, meine Süße, das ist kein Geheimnis.“

„Und hast du dann auch wirklich nicht in einem weißen Hoch­zeits­kleid geheiratet?“

„Nein, habe ich nicht. Mein Kleid war sehr schlicht.“

„Und was hatte Martin an?“

Catharina versuchte, den Hochzeitstag vor ihrem inneren Auge Revue passieren zu lassen. Es gelang ihr, auch wenn die Bilder an­fangs nur verschwommen liefen.

„Martin trug tatsächlich so eine Art richtigen Hochzeitsanzug, einen schwarzen, schicken Anzug, der ihm sehr gut stand.“ Natürlich stand er ihm gut. Kleidungsstücke, die Martin nicht standen, mussten erst noch geschneidert werden.

„Sah er schön aus?“

„Ja, er sah sehr schön aus.“

„Du bestimmt auch.“ Marie sah Catharina voller Be­wun­de­rung an, und Catharina lächelte angesichts des unerwarteten Kom­pli­ments.

„Ich weiß nicht, aber danke, du Süße.“

Maries Gesichtsausdruck verfinsterte sich erneut, als sie an den Fort­gang ihres Gesprächs mit Lou dachte.

„Außerdem hat Lou noch gesagt, dass jedes Mädchen sich einen richtigen Hochzeitsvertrag oder Antrag oder so was wünscht und dass der Mann sich auf den Boden werfen und einen Riesenbatzen Geld für einen Verlobungsring ausgeben muss, damit es richtig ist.“ Sie wedelte empört mit ihrer linken Hand vor ihrem Gesicht herum, um deutlich zu machen, was sie von Lous Thesen hielt.

Inner­lich schüttelte Catharina den Kopf über die aus­ge­spro­chen kon­servativen Ansichten, die Maries Freundin Lou da vertrat, behielt ihre Meinung jedoch fürs erste für sich.

Marie schien ein neuer Gedanken zu kommen, der sie ein wenig ver­unsicherte.

Etwas zögernd fragte sie: „Hat sich Martin denn auch auf den Boden geworfen und dir so einen teuren Verlobungsring ge­schenkt?“

Catharina schüttelte den Kopf. „Nein, meine Süße, hat er nicht. Allerdings…“ Sie überlegte, wie sie ihre Worte wählen sollte. „Na, jedenfalls war bei uns alles sowieso ein biss­chen… anders.“

„Und wenn wir wirklich heiraten?“

„Meine Eltern jedenfalls würden begeistert sein.“ Catharina konnte sich den ironischen Unterton nicht verkneifen.

„Ich meine es ernst. Warum nicht? Wir wohnen zusammen, wir lieben einander – irgendwie jedenfalls – und wir haben vor Jahren beschlossen, dass wir heiraten würden.“

„Und was geht wirklich in deinem Kopf vor?“

Martin zögerte. „Dass es gut wäre für meine Karriere.“

Catharina sah ihn überrascht an.

„Ist das dein Ernst? Du meinst, wir sollen heiraten, damit du deine Karriere vorantreiben kannst?“

„Und weil ich dich wirklich gerne hab.“ Er blitzte sie mit seinem char­manten Lächeln an. „Und weil du die einzige Person bist weit und breit, bei der ich mir vorstellen kann, sie zu heiraten.“

„Also gut, warum eigentlich nicht?“

Und so hatten sie geheiratet, ohne viel Aufhebens, etwas versteckt, auf einem Standesamt in einem anderen Bezirk als dem, in dem sie wohnten.

Die beiden Elternpaare hatten sie erst im Nachhinein davon in Kennt­nis gesetzt. Beide Familien fanden natürlich, dass eine solche Eheschließung im Verborgenen alles andere als standes­gemäß sei, doch andererseits waren sie zufrieden, dass die „Kinder“ nun scheinbar endlich zur Vernunft gekommen waren und ihre „wilde Ehe“ in bürgerliches Fahrwasser über­führt hatten.

Martin hatte großen Wert darauf gelegt, dass sie die Ringe ge­mein­sam aussuchten. Catharina war nicht daran gewöhnt, regel­mäßig Schmuck zu tragen und kam sich in den ersten Wochen nach der Eheschließung wirklich seltsam vor, wann immer ihr Blick auf den goldenen Ring fiel, der an ihrem Finger so verloren wirkte, doch nach und nach verlor der Anblick seine Fremdheit.

In den folgenden Monaten bat Martin sie hin und wieder, ihn zu einem förmlichen Empfang zu begleiten, und meist tat sie ihm den Gefallen. Martins Karriere nahm gerade Fahrt auf, und es machte Catharina lange Zeit nichts aus, seine Ehefrau zu spielen.

Am meisten gefiel ihr, dass sie einen neuen Namen tragen konnte. Den Namen Düsterweg hatte sie nie besonders gemocht. Zu ihren miese­petrigen Eltern mochte dieser Name ja passen. Doch das war nur ein Grund mehr für sie, ihn innerlich abzulehnen. Freu­den­berg war doch bedeutend schöner, fand sie.

„Ich mag Martin.“

„Ich mag ihn auch, meine Süße.“

Marie drehte eine Haarsträhne zwischen ihren Fingern und fing dann an, darauf herum zu kauen. Seltsam, dass es An­gewohn­heiten – oder Ticks – gab, die in mehreren Genera­tio­nen nach­ein­ander auftraten, obwohl sie völlig sinnfrei waren. Auf den eigenen Haaren herum zu kauen, gehörte dazu. Catharina erinner­te sich gut daran, wie sie selbst als Jugend­liche dieser An­gewohn­heit eine Zeit lang exzessiv gefrönt hatte. Irgendwann hatte sie damit genauso spontan aufgehört, wie sie angefangen hatte.

„Was war denn bei euch anders?“

Es war ja fast davon auszugehen gewesen, dass Marie nachfragen würde.

Catharina überlegte. Sollte sie Marie in ihr Geheimnis einweihen?

Warum denn eigentlich nicht?

Natürlich, sie war noch ein Kind. Doch davon abgesehen war sie eine gute Freundin. Eine sehr junge Freundin, aber dennoch eine Freun­din. Eine Seelenverwandte.

Was war daran verwerflich? Dass Martin und sie ihre Eltern getäuscht hatten? Als ob die sich je aufrichtig für sie interessiert hätten. Die Wahrheit wollten sie doch gar nicht wissen. Sowohl Martins als auch ihre eigenen Eltern waren doch glücklich mit dem Schein gewesen, den sie als ver­hei­ratetes Paar erschaffen hatten.

Nein, im Grunde sprach nichts dagegen, Maries Frage wahr­heits­gemäß zu beantworten.

Außer vielleicht...

Außer, dass diese Antwort weitere Fragen aufwerfen würde. Fragen nach ihrer Vergangenheit, die, das wusste Catharina nur zu genau, sie wieder zutiefst aufwühlen würden. Trotz all der Jahre.

Andererseits hatten die Gespräche mit Marie sie in den ver­gangenen Monaten ohnehin schon so oft an die Vergangenheit den­ken lassen. Manchmal kam es ihr beinahe so vor, als teste Marie sie. Die Frage nach dem Lügen zum Beispiel. Es war, als wisse Marie genau, in was für ein Wespen­nest sie mit dieser Frage stach.

Doch das war ja Unsinn! Marie hatte keinen solchen Hinter­sinn im Sinn. Sie fragte einfach nach allem, was sie interessierte. Das war ja eine der Eigenschaften, die sie so an ihr schätzte.

Da Marie Martin mochte, war es nur normal, dass sie früher oder später wissen wollen würde, weshalb Catharina und er nicht mehr zu­sammen waren. Und dass ihre Ehe anders als andere gewesen war, hatte sie ja selbst aufgeworfen.

Catharina räusperte sich, schob ein letztes Mal die Äpfel auf dem Kuchenteig in Position, öffnete den vor­geheizten Ofen und schob die Kuchenform hinein.

„Du weißt ja, dass Martin und ich sehr gute Freunde sind.“

Marie nickte.

„Das waren wir schon, seit wir…, nun, seit wir sehr jung waren. Wir sind zusammen zur Schule gegangen und waren schon in der Schule die besten Freunde.“ Ein warmes Gefühl durch­strömte Catha­rina, als sie an ihre nun schon mehrere Jahrzehnte währende Freund­schaft mit Martin dachte. Über so lange Zeit war ihr noch nie ein Mensch so nahe gewesen, und sie schätzte sich über­glücklich, eine solche Freundschaft leben zu dürfen.

Marie saß ganz still und sah sie aufmerksam und ernst an.

Catharina schluckte.

„Aber wir waren kein Liebespaar. Die meisten Menschen, die heut­zutage heiraten, sind das. Deine Eltern zum Beispiel waren ein Liebespaar, als sie geheiratet haben.“

Marie schnaubte nur verächtlich, bevor sie sagte: „Aber jetzt mögen sie sich nicht mehr besonders. Jedenfalls reden sie kaum noch miteinander.“ Sie klang eher traurig als ärgerlich, was Catharina nicht verwunderte.

„Als wir jung waren, hatten wir irgendwann einmal gesagt, wir könnten ja heiraten, wenn wir bis zu einem bestimmten Zeitpunkt nicht anderweitig verheiratet wären. Das war halb im Spaß und halb im Ernst.“

Wenn man es so erzählte, hörte man die Verrücktheit dieser Idee zweier Jugendlicher, die in keine der verfügbaren Schubladen so richtig reinpassen wollten.

„Martin ist ein Schwuler, oder?“

Catharina blieb vor Überraschung schier die Luft weg. Wieso um alles in der Welt passierte es ihr immer wieder, dass sie Marie unterschätzte?

Noch immer sprachlos, nickte sie stumm.

„Und du? Bist du eine Lesbe?“

Was jemand anders möglicherweise als Affront aufgefasst hätte, war für Catharina ein Beweis größter Nähe und Vert­rauens. Sie wusste, dass Marie sie nie etwas fragen würde, um sie in Ver­legen­heit zu bringen. Immer wieder war sie in der Vergangen­heit baff gewesen, wie wertschätzend Marie mit ihr umging, un­gewöhn­lich reif für ein Kind ihres Alters.

„Ja, liebe Marie, wenn du so willst, bin ich eine Lesbe. Ich mag den Ausdruck nicht besonders gerne, weil es so klingt, als gehöre man zu einer bestimmten Sorte Mensch.“

Marie nickte. „So wie eine Hunderasse“, schlug sie kichernd vor.

„Ja, stimmt“, erwiderte Catharina lachend. „Aber wie auch immer. Was damit gemeint ist, ist ja, dass ich als Frau Partner­schaf­ten mit anderen Frauen eingehe.“ Wohl eher eingegangen bin, berichtigte sie sich in Gedanken.

„Und Martin hat einen schwulen Freund, oder?“

„Er ist sogar verheiratet mit seinem Freund.“

„Seid ihr deshalb nicht mehr verheiratet, weil er gemerkt hat, dass er ein Schwuler ist?“

„Nein, das wussten wir schon, als wir geheiratet haben. Aber wie du weißt, ist Martin Anwalt. Und viele der Mandanten, für die er arbeitet, finden die Vorstellung nicht angenehm, dass ein schwuler Mann sie vor Gericht vertritt.“

„Warum denn?“

„Tja, wieder einmal stellst du eine ziemlich kluge Frage, die ganz schön schwer zu beantworten ist.“ Catharina dachte an ihren Vater und an sein Entsetzen, als Martin und sie sich hatten scheiden lassen und Martin kurz danach seinen Peter heiratete. „Ja ist denn die ganze Welt verrückt geworden?!“, hatte er gewettert. „Ein schwuler Anwalt, warum ist er denn dann nicht Frisör geworden?!“ Und das waren noch die harmloseren der verbalen Ent­gleisungen gewesen.

„Ich weiß es nicht genau. Ich stelle mir vor, dass es etwas mit Angst zu tun hat. Angst davor, dass jemand anders anders ist und man sich selbst dadurch verunsichert fühlt. Vielleicht ein bisschen so, wie manche Menschen Angst davor haben, sie könnten einen Außerirdischen treffen.“

„Aber das wäre doch toll. Solange sie einem nichts tun. So ein Außerirdischer wie E.T. ist doch süß!“

„Das ist genau der Punkt. Aus irgendeinem Grund scheinen manche Leute zu denken, Schwule oder Lesben würden ihnen eben doch etwas antun. Auch wenn das natürlich Quatsch ist.“

„Ich denke jedenfalls nicht, dass du mir was antun willst.“ Marie sah Catharina vollkommen ernst an bei diesen Worten.

„Ich denke, dass du genau richtig bist, so wie du bist.“

Vor Rührung schossen Catharina beinahe Tränen in die Augen.

Die Heftigkeit dieser Reaktion hatte, wenn sie ganz ehrlich war, vielleicht auch damit zu tun, dass sie so lange nicht explizit mit Marie darüber gesprochen hatte.

Sie hatte nicht direkt Sorge gehabt, dass Marie sich von ihr abwenden würde, aber irgendwo, tief in ihrem Unter­bewusst­sein, hatte wohl doch ein Stachel aus Sorge gesessen, der sie sich hatte fragen lassen, ob Marie sich möglicherweise etwas unwohl fühlen würde, wenn sie wüsste, dass Catharina Frauen liebte. Ohne dass es ihr zuvor bewusst gewesen war, spürte sie jetzt auf einmal, wie erleichtert sie auf diese Worte reagierte.

„Danke, meine Süße. Das ist so lieb, dass du das sagst. Und ich bin sehr froh, dass du das so empfindest!“

„Wenn Lou nicht manchmal so blöde Sachen sagen würde, könnte ich mir auch vorstellen, sie zu heiraten. Aber ich glaub, ich heirate doch lieber einen Mann. Da ist es wahrscheinlich leichter, Kinder zu bekommen.“

Diesmal blieb Catharina vor Überraschung tatsächlich der Mund offen stehen.

Erst als Marie gegangen war, fiel Catharina auf, dass Marie nicht nachgefragt hatte, weshalb Martin und sie ge­hei­ratet hatten, wenn er doch schwul und sie lesbisch wäre.

Worte wie wir

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