Читать книгу Worte wie wir - Annah Fehlauer - Страница 6
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Оглавление„Du, Catharina?“
„Ja, Marie, was gibt’s“?
„Du magst doch Kinder?“
„Ja, ich mag Kinder sehr. Ich würde sogar sagen, ich liebe Kinder.“
„Aber du hast keine.“
„Nein, ich habe keine.“ Catharina war gerade dabei, Wasser für einen Tee aufzusetzen und fuhr mit langsamen Bewegungen fort.
„Wolltest du keine haben?“
„Doch, Marie, ich wollte eine Zeit lang sehr gerne Kinder haben. Eigene meine ich.“
„Und warum hast du dann keine?“
Auch ohne Marie anzusehen wusste Catharina, dass sich wieder einmal die liebenswerten Grübelfältchen auf Maries Stirn abzeichneten.
„Weißt du, Marie, es läuft im Leben nicht immer alles so, wie wir es uns wünschen. Schon gar nicht so, wie wir es planen. Aber wir können lernen, damit glücklich zu sein, wie die Dinge nun mal sind.“ Sie stellte den Wasserkocher zurück auf die Anrichte und schaltete ihn ein.
„Jetzt weiß ich aber trotzdem nicht, warum du keine Kinder hast.“
Marie schien zu zögern. Doch nach einer kurzen Pause sprudelte die nächste Frage dennoch aus ihr heraus: „Kannst du keine bekommen?“
„Das weiß ich nicht. Ich denke schon, dass ich welche hätte bekommen können, aber sicher weiß ich es nicht. Ich habe es gar nicht versucht.“
„Und warum nicht?“
„Weil es sich nicht ergeben hat.“
„Wie meinst du das?“
„In der Zeit, als ich gerne Kinder gehabt hätte und in einem Alter war, in dem man gut Kinder kriegen kann, war ich allein. Das Kind hätte also gar keinen Vater gehabt, und das wollte ich nicht. Außerdem wäre es mir seltsam vorgekommen, ein Kind von jemandem zu bekommen, den ich gar nicht liebe.“
„Aber das Kind hätte sehr wohl einen Vater gehabt. Jedes Kind hat doch einen Vater und eine Mutter“, Marie klang etwas entrüstet.
„Ja, da hast du recht, Marie. Aber ich meine, das Kind hätte keinen Vater gehabt, der da gewesen wäre, der Dinge gemacht hätte, die Väter eben tun, der das Kind auf seinen Schultern getragen und in die Luft geworfen hätte, der ihm einen Einkaufsladen zum Spielen gebaut hätte und mit ihm Drachen hätte fliegen lassen.“
„Aber das hättest doch alles du machen können“, gab Marie zurück.
„Das hätte ich vermutlich. Aber es kam mir damals eben seltsam vor, und so dachte ich: Das Leben wird mir schon zeigen, ob eigene Kinder für mich vorgesehen sind oder nicht.“
„Und bist du deswegen jetzt manchmal traurig, weil du keine Kinder hast?“
„Nein, Marie, traurig bin ich deshalb nicht. Jetzt erst recht nicht mehr.“
Sie tauchte für einen Augenblick in die Erinnerung ein.
„Es gab eine Zeit, da war ich deshalb immer mal wieder ein bisschen traurig. Oft dann, wenn Freunde oder Bekannte Kinder bekommen haben. Aber auch das hielt nie lange an, weil ich mir immer sagte, wir werden sehen. Und ich war – auch wenn ich gerne Kinder gehabt hätte – immer der Meinung, dass ich auch ohne Kinder glücklich sein könnte. Da hatte ich es besser als viele andere Frauen, aber auch Männer. Ich kenne viele Paare, die sich verzweifelt Kinder wünschen, aber keine bekommen können. Einige werden dabei so traurig, dass sie nicht einmal mehr Freude an einander haben, Und manche trennen sich dann sogar.“
„So wie Mama und Papa?“
„Ein bisschen, aber nicht ganz, da deine Eltern sich aus anderen Gründen getrennt haben. Sie hatten dich ja schon bekommen – zum Glück!!“
Catharina lächelte Marie an, und Marie strahlte bei diesen Worten zurück.
„Ja, zum Glück! Aber ich find’s trotzdem schade, dass du keine Kinder hast, dann könnte ich mit ihnen spielen.“
„Naja, wenn ich Kinder bekommen hätte, wären die jetzt allerdings wahrscheinlich schon ein ganzes Stück älter als du, eher so um die zwanzig.“
„Mit wem hättest du denn dann Kinder gemacht?“
„Wie gesagt, zu der Zeit, als ich mir am allermeisten Kinder gewünscht hätte, war ich allein. Aber eigentlich hätte ich gerne Kinder mit der Person gehabt, die ich am meisten auf der Welt geliebt habe.“
Catharina goss den Tee auf, bevor sie fortfuhr. „Bloß hätte auch das leider nicht funktioniert.“
„Und warum nicht?“
„Das, meine Süße, erzähle ich dir ein andermal. Oder....“, Catharina zwinkerte Marie verschwörerisch zu, „...du Superschlaue kommst irgendwann einmal selbst darauf.“
Marie schien darüber oder über irgend etwas anderes nachzudenken. Jedenfalls sagte sie mehrere Minuten lang gar nichts mehr.
Dann platzte es aus ihr heraus: „Meine Lehrerin sagt, wir sind auf der Welt, um Kinder zu bekommen.“
„Nun, einige Menschen denken wohl so.“
„Du nicht?“
„Nein, ich bin da anderer Ansicht.“
„Warum, glaubst denn du, sind wir auf der Welt?“
„Ich bin davon überzeugt, wir sind hier, um Licht und Liebe zu verbreiten.“
„Licht und Liebe?“
„Ja.“
„Mit Laternen?“
„Nein, nicht mit Laternen. Jedenfalls nicht mit solchen, mit denen wir am St. Martinstag durch die Straßen ziehen, auch wenn die ebenfalls sehr schön sind. Eher so eine Art inneres Leuchten.“
„Aber woher weiß man, ob jemand innen leuchtet, wenn es doch innen ist?“
„Weil es von innen nach außen durchscheint.“
„Also doch so ähnlich wie eine Laterne? Da scheint das Licht auch von innen nach außen durch.“
„Stimmt, so hatte ich das noch nicht gesehen, aber irgendwie hast du schon recht damit. Das ist ein schönes Bild... Und du, meine Süße, wirst sehr viel Licht in diese Welt tragen. Das merke ich schon jetzt.“
„Warum denkst du das?“
„Weil ich dein inneres Leuchten sehen kann. Bei dir sieht man es ganz deutlich schon in den Augen leuchten.“
„Bei dir auch“, gab Marie zurück und rutschte ein Stück näher. „Und wie kann man Liebe verbreiten?“
„Oh, da gibt es unzählige Möglichkeiten! Eine Möglichkeit ist tatsächlich, ein Kind in die Welt zu setzen“ Wobei leider nicht jedes Kind aus Liebe entsteht, fügte Catharina in Gedanken hinzu. Und nicht aus jeder Liebe ein Kind entstehen kann. Aus unserer nicht, auch wenn wir wahrscheinlich großartige Eltern abgegeben hätten.
„Und wie kann man noch Liebe verbreiten?“
„Da reichen schon Kleinigkeiten, Marie. Wenn wir zusammen hier sitzen und unseren Apfelkuchen backen und uns dabei so friedlich unterhalten, ist das eine Form von Liebe. Wenn deine Mama dir ab und zu abends noch eine Gutenachtgeschichte vorliest auch. Wenn du deiner Freundin Lou etwas von deinem Pausenbrot abgibst, auch.“
„Und wenn ich sie die Mathehausaufgaben abschreiben lasse auch?“
„Hmm. Ja, wahrscheinlich ist auch das eine Form von Liebe.“
„Was ist denn Liebe genau?“
„Das ist gar nicht so leicht zu sagen, weil Liebe so viel Formen annehmen kann. Aber ich würde sagen, alles, was das Gegenteil von Dunkelheit ist, ist irgendwie eine Form von Liebe.“
„Liebst du Jule?“
„Ja, auf eine gewisse Weise liebe ich Jule sehr.“ Jule schien zu verstehen, dass von ihr die Rede war, denn sie begann, behaglich eine Pfote nach der anderen zu strecken, stand dann auf, sprang von der Küchenbank, auf der sie zuvor zusammengerollt geschlafen hatte, und suchte die Nähe Catharinas, die noch immer an der Anrichte lehnte und darauf wartete, dass der Tee fertig gezogen hatte.
„Und wen liebst du noch?“
„Na für dich empfinde ich natürlich auch eine Form von Liebe.“
Marie wurde ein bisschen rot und sah auf den Boden.
„Das ist etwas sehr Schönes“, Catharina spürte Maries Verlegenheit und wollte sie beruhigen.
„Aber ich bin doch noch ein Kind.“
„Ja, und zwar ein ganz wundervolles Kind bist du, Marie! Und du wirst eine tolle Frau werden, voller Licht und Liebe.“
Marie schien diese Entwicklung des Gesprächs ein wenig unangenehm zu sein, denn sie begann, auf ihrem Platz hin und her zu rutschen.
„Und in der Nacht, gibt es dann gar keine Liebe?“
„Doch natürlich, weshalb sollte es nachts keine Liebe geben?“
„Aber du hast doch gesagt, Liebe ist das Gegenteil von Dunkelheit.“
„Ach so, ja, da hast du natürlich recht. Wobei ich nicht die Dunkelheit in der Nacht gemeint habe. Eher so eine Art andere Dunkelheit, wie ein dunkler Zauberer.“
„So wie Gargamel?“
„Wie wer bitte?“
„Gargamel, der Böse bei den Schlümpfen!“
„Ach der, den hatte ich vergessen. Aber: ja, wahrscheinlich. Ist der nicht auch so böse, weil er alleine ist und niemanden hat und die Schlümpfe beneidet, weil sie in einer so tollen, so liebevollen Gemeinschaft leben?“
Marie nickte bestätigend.
„Oder wie du-weißt-schon-wer?!“, Maries Stimme hatte einen ebenso beunruhigten wie verschwörerischen Tonfall angenommen.
„Wie wer?“
„Na Voldemort, der dunkle Lord aus Harry Potter!“, hörte Catharina ein leises Flüstern und sah, wie zwei empörte graue Augen zu ihren eigenen empor schauten.
„Ah ja, genau. Das ist sogar ein richtig guter Vergleich, meine Süße. Ist das in Harry Potter nicht auch so, dass Voldemort so dunkel ist, weil er keine Liebe empfinden kann?“
„Das weiß ich nicht, aber Harrys Mutter rettet ihn doch, und da heißt es, dass sie ihn durch ihre Liebe gerettet hat. Und er hat deswegen diese Narbe auf der Stirn.“
Catharina lächelte ihrer kleinen Freundin anerkennend zu. „Du hast wirklich ein tolles Beispiel gefunden, Fräulein Hübsch und Fein.“
Marie nickte erneut, strich sich allerdings gleich darauf etwas verlegen eine Haarsträhne aus der Stirn, wie sie es so oft tat, wenn Catharina sie lobte.
„Gibt es in Wirklichkeit denn auch dunkle Menschen?“
„Oh ja, leider sogar ziemlich viele.“
„Sind die auch so böse wie Gargamel?“
„Nun, ich glaube die wenigsten von ihnen wollen Schlümpfen an den Kragen. Aber erinnerst du dich Marie, dass wir dir schon ein paar Mal von Energien gesprochen haben?“
„Ja, na klar.“
„Und es gibt eben Energien, die positiver, also heller und liebevoller, sind, und dann gibt es Energien, die belastend, also dunkler oder weniger liebevoll, sind. Du hast doch sicherlich auch schon gespürt, dass du manchmal auf Menschen triffst, bei denen du das Gefühl hast, dass sie dir in irgendeiner Form nicht gut tun?“
„Hmm.“ Marie schien tief in Gedanken zu sein.
Nach einer Weile erkundigte sie sich: „Gibt’s das denn auch bei Kindern?“
„Ja, schon. Ich habe zwar den Eindruck, es kommt öfter vor, dass einem Erwachsene begegnen, deren Energien man als belastend erlebt, aber doch, es kommt auch hin und wieder vor, dass einem dies bei einem Kind widerfährt.“
„Und warum ist das so?“
„Das ist eine sehr gute, aber auch sehr schwierige Frage. Und ich weiß gar nicht, wie ich das erklären kann. Ich weiß nicht einmal, ob ich es überhaupt weiß.“
Catharina überlegte.
„Vielleicht könnte man es so erklären, dass es viele Menschen gibt, die eine große Sehnsucht nach Liebe in sich tragen. Aber weil sie das Gefühl haben, diese Sehnsucht wird nicht erfüllt, werden sie immer egoistischer, und sie beginnen, Liebe mit Eigennutz zu verwechseln. Neben den Energien gibt es auch noch etwas, was man das Ego nennt. Hast du davon auch schon mal gehört?“
„Ich glaub nicht.“ Marie schüttelte den hübschen Kopf.
„Nun, das Ego wohnt in jedem Menschen. Es ist ein Teil, ein wichtiger Teil, eines jeden Menschen. Da gibt es den Körper, den Geist, die Seele...“
„Und das Herz“, unterbrach eine Stimme Catharina.
„Ja, das Herz kann man wohl auch dazu zählen. Und eben das Ego. Das Problem ist, dass viele Menschen das Ego mit ihrem Herzen oder sogar mit ihrer Seele oder auch ihrem Geist verwechseln. Sie sind dann zum Beispiel der Meinung, wenn sie sich mit jemandem streiten, müssten sie unbedingt gewinnen.“
„Wenn ich mich mit Lou streite, möchte ich auch gewinnen.“
„Das verstehe ich, Marie. Es ist aber wichtig zu wissen, dass man nicht gewinnen muss. Manchmal, nein oft sogar, scheint es sogar überhaupt nur so, als könne man gewinnen. In den meisten Streits gibt es aber gar keine Gewinner, sondern nur Verlierer, weil meist beide Seiten ziemlich große Mengen belastender Energie abgeben und auch abbekommen.“
„Aber wenn ich nicht gewinne, fühle ich mich hinterher ganz klein. Dann denkt Lou ja, sie ist toller als ich.“
„Und genau das versuche ich dir gerade klarzumachen, nämlich dass es keinen Grund dafür gibt, dass du dich dann klein fühlst. Das ist dein Ego, das dann schreit. Aber du, liebe Marie, du bist viel mehr als nur dein Ego. Du bist auch mehr als dein Körper, dein Geist, dein Herz und dein Ego zusammen genommen, denn in dir wohnt eben, wie in jedem Menschen, eine Seele. Und diese Seele braucht in einem Streit kein Recht zu haben. Die Seele will auch gar nicht streiten. Die Seele ist das in jedem, was sich nach Frieden sehnt und was dafür verantwortlich ist, dass man von innen leuchtet.“
„Aber dann müsste doch jeder Mensch von innen leuchten. Denn du hast doch vorhin gesagt, jeder Mensch hat eine Seele.“
„Du hast wie immer sehr aufmerksam zugehört, das habe ich tatsächlich gesagt. Nur ist es eben so, dass manche Seelen sich sozusagen verlaufen. Sie verlieren das Licht aus den Augen und wählen stattdessen die Dunkelheit.“
„So wie Gargamel und Voldemort?“
„Ja, so ähnlich wie Gargamel und Voldemort.“
„Und warum tun sie das?“
„Noch eine sehr gute und sehr schwierige Frage. Darüber haben schon viele, viele Menschen nachgedacht, aber soweit ich weiß, hat bislang noch niemand eine überzeugende Antwort gefunden. Es gibt auch unterschiedliche Meinungen über Licht und Liebe und Dunkelheit. Viele Menschen sind davon überzeugt, dass im Grunde jeder Mensch sich nach Licht und Liebe sehnt.“
„Aber was ist mit den Bösewichtern und den Mördern in den Krimis und den Monstern?“
„Das ist eben eine der rätselhaften Fragen. Ich für meinen Teil denke, dass auch ihre Seelen sich im Grunde genommen nach Liebe sehnen und dass sie nur deshalb „Böses“ tun, weil sie selbst gar nicht mehr wissen, wonach sie eigentlich suchen. Dass ihre Seelen sich also, wie gesagt, in gewisser Weise verlaufen haben.“
„Aber deine Seele hat sich nicht verlaufen.“
„Nein, ich glaube nicht. Jedenfalls wünsche ich mir für sie, dass sie wieder auf dem Weg ins Licht ist.“
„Und kann man denn nichts dafür tun, dass die Bösen und ihre Seelen auch wieder ins Licht kommen?“
„Oh, ich glaube schon. Wir können auf jeden Fall immer und immer wieder darum bitten, dass auch ihre Seelen eingehüllt werden in eine Liebeshülle und zurück ins Licht finden.“
Marie schob ihre Hand in Catharinas, nickte und signalisierte damit, dass sie mit dem Vorschlag einverstanden war. „In Ordnung. Ich will nur hoffen, dass es auch funktioniert.“
Nach einer kurzen Pause, während der sie offenbar weiter nachgedacht hatte, fuhr sie fort: „Aber es wäre mir doch lieb, wenn wir noch einen sichereren Weg finden würden. Es ist ein bisschen unheimlich, dass es so etwas wie verlaufene Seelen gibt.“
Sie sah Catharina an und erklärte bestimmt: „Ich möchte jedenfalls keiner begegnen.“
Catharina drückte die Hand ihrer kleinen Freundin.
„Keine Sorge, meine Süße, ich bin überzeugt davon, dass deine eigene Seele so sehr im Licht ist und so hell strahlt, dass Dunkelheit bei dir keine Chance hat, und dir damit auch keine verlaufene Seele etwas antun könnte.“
Sie hoffte inständig, das würde Marie genügend beruhigen. Mit Erleichterung stellte sie fest, dass das Gesicht des Mädchens bei diesen Worten tatsächlich einen beruhigteren Ausdruck annahm.