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Wotan wartete wie immer hinter der Tür, als sie den Schlüssel im Schloß umgedreht und sie aufgeschoben hatte. Dalia kniete sich vor ihn hin und drückte ihr Gesicht in sein weißes Fell. Er versuchte, ihre Nasenspitze zu küssen, als er merkte, daß sie weinte. Irgendwie konnte sie damit heute nicht mehr aufhören.

»Wir werden weiterziehen müssen, Kleiner«, flüsterte sie und stand auf. Er sprang voraus in die Küche und stellte sich erwartungsvoll an den Freßnapf. Sie gab ihm den Rest aus der gestern abend geöffneten Dose, sah ihm eine Weile beim Fressen zu und schaltete die Kaffeemaschine ein. Während der Kaffee durchlief, ging sie zum Schreibtisch, der unter dem Fenster stand, gleich gegenüber der Schlafcouch.

Die Wohnung bestand aus einem Zimmer, einer Kochnische und einer Dusche mit Klo. Sie brauchte nicht mehr, sie sparte ihr Geld für anderes. Es war das Billigste, was auf dem Frankfurter Wohnungsmarkt in zentraler Lage zu haben war: eine Querstraße entfernt von der östlichen Zeil und der Konstablerwache, wo donnerstags und samstags Markt war. Es war die unmittelbare Nachbarschaft, die den Mietpreis niedrig hielt: die billigsten Puffs der Stadt, vor der Haustür besoffene Freier, zahnlose Zuhälter mit altersschwachen, aber ständig heiser bellenden Schäferhunden und Nutten, die ihre Obszönitäten brüllten, als ob sie am Marktschreierwettbewerb auf dem Hamburger Fischmarkt teilnehmen wollten. Wotan antwortete schon gar nicht mehr, wenn es in den Häusern neben und hinter ihrer Wohnung wieder mal lautstarke Auseinandersetzungen gab. Dalia bedauerte nur, daß sie sich die lautmalerischen Beleidigungen in tiefstem Frankfurterisch nicht richtig merken konnte. Es war gut, ein Repertoire für alle Fälle zu haben.

Während sie wartete, daß das Notebook hochfuhr, stellte sie sich mit dem Kaffeebecher ans Fenster. Lotti von nebenan stand mit ihren beiden schmutzigweißen Pudeln vor dem Wasserhäuschen und rauchte eine. Lotti hatte geschwollene Beine und blaue Krampfadern und konnte kaum laufen in ihren hochhackigen Pantoletten, die Dalia »Bettschuhe« nannte, aber sie trug auch heute, an diesem unfreundlichen Apriltag, den weißen Lederrock, der eher ein breiter Gürtel war und eine tief ausgeschnittene Bluse, die ihr verwittertes Dekolleté ausstellte.

Neben ihr stand Lollo und trank Underberg. Dalia hatte noch nie verstanden, warum Alkoholiker ihre Rationen aus kleinen packpapierverpackten Fläschchen zu sich nahmen, statt gleich die ganze Flasche Korn anzusetzen, wie sie es in Niedersachsen erlebt hatte, in Bramsche, wo man »Lüttje Lage« trank – Bier und Schnaps, möglichst gleichzeitig.

Ein Freier schlenderte an Lotti vorbei und sah sie abschätzend an. Dalia zählte die Sekunden. Sie wußte, was kommen würde. »Du alter Drecksack, du verdammter Kanake!« Lotti röhrte ihre Verwünschungen in bewährter Hochform heraus. Lollo machte einen Ausfallschritt, und die beiden Pudel kläfften. Dalia riß sich von dem Anblick los. Er war nicht wirklich schön.

Dann setzte sie sich an den Schreibtisch und vernichtete die Arbeit eines ganzen Monats.

Marcus Saitz war nicht so leicht zu durchschauen gewesen wie andere. Die meisten Angestellten dachten nicht an die Putzfrauen und -männer, wenn sie ihre Büros verließen. Sie glaubten wahrscheinlich, daß abends oder frühmorgens die Heinzelmännchen unterwegs waren, um all die Hamsterställchen, Stutenkoben, Großraumbüros und Konferenzräume wieder in Schuß zu bringen. Und deshalb waren fast alle leichtsinnig. Die meisten hatten irgendwo einen Zettel versteckt, auf dem sie die Sicherheitscodes und Zugangsnummern notiert hatten, die man so braucht, zum Beispiel fürs Bankkonto, den Ebay-Account oder das Pornoportal; viele ausgerechnet unter der PC-Tastatur. Und die wenigsten hatten ihren Computer paßwortgeschützt. Manchmal lief der PC noch morgens im Standbybetrieb, und man konnte mühelos feststellen, woran zuletzt gearbeitet worden war.

Marcus Saitz war vorsichtiger gewesen. Er hatte seinen PC abgesichert und schloß den Aktenschrank immer ab, wenn er das Büro verließ. Und meistens löschte er auch die Eintragungen auf seinem Diktiergerät, was Dalia jedes Mal, wenn sie sein Büro putzte, überprüft hatte. Nur einmal hatte er das vergessen. Nicht jeder hätte seinen Jargon verstanden. Aber Dalia war schon lange genug im Geschäft, ihr machte niemand mehr etwas vor. Noch hatte sie nicht alle Fakten zusammen gehabt, man brauchte schließlich mehr als eine abgesicherte Vermutung, um bei einem Kunden zu landen. Doch nun hatte sich die ganze Vorarbeit in Sachen Saitz erledigt – durch dessen Ableben.

Sie klickte sich in den Unterordner »Freizeit« und löschte die Akte MS. Danach leerte sie den elektronischen Papierkorb. Für den Fall des Falles reichte das nicht, sie wußte, daß das wirkliche Löschen von Daten noch ganz andere Maßnahmen erforderte. Aber wer würde sich schon für den Datenbestand auf dem Notebook einer Putzfrau interessieren?

Niemand.

Das weit größere Problem war die Suche nach einem neuen Kunden.

Dalia seufzte und streichelte Wotan, der neben ihr saß, über den weißen Kopf. Früher war sie weitergezogen, wenn sich ein Fall erledigt hatte – entweder zu ihrer Zufriedenheit oder auf andere Weise. Das war das Muster ihres Lebens geworden: Sie wechselte die Orte und Wohnungen mit schönster Regelmäßigkeit, sie hatte nicht viel, das sie mitnahm – außer dem nötigen Mobiliar, einer Tuschezeichnung an der Wand und einer japanischen Vase. Und Wotan.

Manchmal sehnte sie sich nach einem Haus auf dem Land, mit Auslauf für den Hund und einem Mann, der das Holz für den Kamin hackte. Aber im Grunde war es gut so, wie es war. Männer nahm man aus, statt sich auf sie einzulassen. Man wußte ja, wie das endete: auf den Knien, beim Verwischen der Spuren.

Also was tun? Etwa bleiben und es statt mit einem neuen Kunden mit dem unaufhaltsamen Aufstieg versuchen, den die Chefin von Pollux ihr verheißen hatte? »Unser Beruf ist was für Leute, die etwas bewegen wollen.« Johanna Maurer hatte Dalia vor drei Tagen zu sich bestellt. »Man muß Organisationstalent haben, sich für Menschen interessieren und flexibel sein.«

Sie hatte brav genickt.

»Ich habe Sie beobachtet, Dalia! Sie können mehr als wischen und moppen.«

Das war der erste Fehler. Sie hatte Johanna Maurer unterschätzt, hatte nicht aufgepaßt, hatte zu intelligent gewirkt. Und nun?

»Erst werden Sie mal Vorarbeiterin, und dann sehen wir weiter.«

Dalia erinnerte sich, irgend etwas von »zuviel Verantwortung« gestammelt zu haben, aber das kam nicht gut an. Die Maurer war niemand, der Widerspruch erwartete. Sie wollte eine Antwort, und das bald.

Sollte sie kündigen? Die Stadt verlassen und woanders wieder anfangen? Vom Ersparten leben und all den anderen kleinen regelmäßigen Einkünften?

Oder sollte sie seßhaft werden? Ein anständiges Leben führen? Ihr Geld auf normale Weise verdienen? War Saitz’ Tod ein Fingerzeig des Himmels?

Sauberer Abgang

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