Читать книгу Sauberer Abgang - Anne Chaplet - Страница 12

5

Оглавление

»Liebe Frau Kollegin, das mag ja ein Skandal sein, aber ist es auch justitiabel?«

Der Abteilungsleiter, Oberstaatsanwalt Zacharias, nahm sich schon zum zweiten Mal von Manfred Wenzels Geburtstagskuchen und guckte belustigt. Karen Stark war versucht, ihm den Rücken zuzudrehen. Sie wußte, daß er sie für eine verkappte Sozialarbeiterin mit übersteigertem Gerechtigkeitsempfinden hielt.

Sie lächelte ihn scheinheilig an und schenkte sich Kaffee nach.

»Und 700 Euro ist ganz schön viel Geld, wenn man aus Litauen kommt!« Hermano Ortiz-Soto de Ortega, genannt H2O, fuchtelte mit der Olive, die er auf einen Zahnstocher gespießt hatte, und klang oberlehrerhaft, wie immer.

»Ist das ein Argument für die Wiedereinführung der Sklaverei?« Karen merkte, wie sie langsam sauer wurde. »Die Frauen werden aus Litauen nach Deutschland gelockt, müssen 15 Stunden am Tag schaffen und kriegen dafür nach Abzug der Miete gerade mal 500 Euro!«

»Könnte es nicht sein, daß diesen Frauen harte Arbeit in Deutschland immer noch lieber ist als Armut und Arbeitslosigkeit zu Hause?« Eva Daun lächelte.

Du falsche Schlange, dachte Karen. »Die Frauen werden nicht nur ausgebeutet, sie machen sich auch noch strafbar! Oder wofür halten wir einen Verstoß gegen das Arbeitsrecht heutzutage?« Sie funkelte die Daun an. »Für ein Kavaliersdelikt?«

»Müßt ihr euch ausgerechnet auf meiner Geburtstagsfeier streiten?« fragte Manfred Wenzel und drohte mit der Sektflasche, die er gerade vernehmlich geöffnet hatte.

»Okay, okay«, sagte Zacharias und hob beschwichtigend die Hände. »Wenn die Kollegin Stark nichts Besseres zu tun hat, dann soll sie sich eben um die ethische und moralische Sauberkeit im deutschen Putzgewerbe kümmern, sofern sie dabei nicht vergißt, daß wir nicht über die Moral, sondern über die Einhaltung von Recht und Gesetz zu wachen haben!« Der Abteilungsleiter lächelte, sichtlich stolz auf seine geschmeidige Formulierungskunst.

»Es gibt eben Leute, die auf höherem Niveau arbeiten als unsereins.« Manfred Wenzel lächelte Karen verschwörerisch zu und reichte ihr ein Sektglas, am Kollegen Czernowitz vorbei, der wieder mal mit sich selbst beschäftigt zu sein schien. Wahrscheinlich hatte er Krach mit seiner Frau.

Karen leerte das Glas in einem Zug und hielt es Manfred Wenzel gleich wieder hin, der ihr nachschenkte, nicht ohne ihren Durst mit hochgezogenen Augenbrauen zu kommentieren. Normalerweise konnte sie den Rest des Tages vergessen, wenn sie so früh schon Alkohol trank. Aber heute war eine anästhetische Maßnahme erlaubt. Sie mußte zum Zentrum für Rechtsmedizin in Sachsenhausen und bei einer Sektion anwesend sein. Und leider gehörte sie zu den Leuten, denen wochenalte Wasserleichen etwas ausmachen. Wenigstens war es nicht Gunter, der die Sektion leitete, sondern seine Kollegin, die nervenstarke Aglaia. Die Ärztin pflegte immer dann einen ihrer trockenen Sprüche von sich zu geben, wenn sie merkte, daß die anwesenden Nichtmediziner aus den Puschen zu kippen drohten, weil der Geruch sie zu überwältigen begann oder das Geräusch, mit dem die Innereien in die Schale klatschten. Oder der Anblick des Gehirns, wenn die Säge die Schädeldecke aufgefräst hatte.

Nach der Sektion der Wasserleiche war ihr der Appetit gründlich vergangen. Die Frau hieß Caroline Sender und war 64 Jahre alt, als sie im Main ertrank. Bei der Thoraxöffnung quollen Aglaia die Lungen der Frau entgegen. Ein widerwärtiger Anblick. Ebenso widerwärtig die Hautablösung an den Händen – die Frau hatte schon mindestens sechs Tage im Wasser getrieben. Ein Fremdverschulden war zwar nicht auszuschließen, aber auch nicht feststellbar. Karen konnte sich plötzlich vielerlei Gründe vorstellen, warum man mit 64 freiwillig in den Tod ging, wenn man allein lebte. Ohne Liebe.

Der Verlust der Liebe kam ihr plötzlich ungeheuerlich vor.

Zurück im Büro, erledigte sie die Fälle, die mehr oder weniger Routineangelegenheiten waren – ein betrunkener junger Mann, der eine Polizistin als Schlampe beschimpft hatte, ein Lehrling, der sich beim Klauen erwischen ließ, ein Marokkaner und ein Türke wegen Verstößen gegen das Ausländerrecht. Die Wirklichkeit, die ihr da aus den Akten entgegenlachte, hob ihre Stimmung nicht. Als Thomas Czernowitz kurz vor Feierabend in der Tür stand, war sie fast erleichtert über die Ablenkung.

Sie kannte Czerno seit der Studienzeit – damals nannte er sich noch Che, daran durfte man ihn heute nicht mehr erinnern. Er ließ sich in den Sessel gegenüber ihrem Schreibtisch fallen und streckte die Füße von sich.

»Und wie?« fragte er.

Karen lehnte sich zurück und schnippte ein rotes Blütenblatt vom Schreibtisch. Noch leuchtete der Frühlingsstrauß rot und gelb, aber der Verfall hatte schon eingesetzt.

»Geht so«, antwortete sie. »Und selbst?« Ja, jetzt roch sie es. Die Tulpen verabschiedeten sich. Sie mochte den Geruch verwelkender Blumen nicht.

Czerno strich sich die etwas zu langen grauen Kringel auf seinem Haupt mit einer koketten Geste hinters Ohr, als ob er noch immer der blonde Engel von früher wäre. »Marcus Saitz. Der Fall ist doch auf deinem Schreibtisch gelandet, oder?«

Was sonst? Die meisten Staatsanwälte sind Alphabetabhängige, d.h. sie bearbeiten alle allgemeinen Strafsachen je nach dem Anfangsbuchstaben, unter dem sie erfaßt wurden. Nach der Geschäftsordnung war sie für alles zuständig, was unter R (ohne Ra) und Sa-Sal fiel. Sie warf die heruntergefallenen Tulpenblätter in den Papierkorb.

»Fragt sich, ob es ein Fall ist oder bloß eine Akte. Ich fürchte, unser herzensguter Notarzt Siggi Leitner wollte uns wieder mal ärgern. Denn nichts deutet auf Fremdverschulden hin. Der Mann ist umgefallen. Plötzlicher Herztod.« Das nannte man früher Managerkrankheit.

»Bist du sicher?«

»Sicher kann man erst nach der Obduktion sein. Aber das zieht sich noch.«

Bei den Gerichtsmedizinern gab es immer Engpässe, zumal, wenn Gunter unterwegs war. Und dann kamen die dringlichsten Fälle zuerst – die, bei denen zumindest ein Anfangsverdacht vorlag. Und den sah sie hier nicht.

Karen gähnte. »Czerno, ich wollte eigentlich Feierabend machen. Und, ehrlich gesagt, ich bin wirklich nicht auf jeden Fall scharf, auch wenn ihr mich alle für eine Streberin haltet.«

»Er war mein Freund.« Czerno verzog das Gesicht. »Ich wollte nur wissen – ob da alles mit rechten Dingen zugegangen ist.«

»Und an was dachtest du?« Karen hatte plötzlich Mitleid. Der Kollege sah wirklich erbärmlich aus.

»Na ja – man fällt in dem Alter ja nicht einfach tot um, oder?«

Karen sah Thomas Czernowitz scharf an. Marcus Saitz war gerade 48, als er starb. Thomas war ihres Wissens ein paar Monate älter. Und Männer schienen in diesem Alter nicht nur von einer jähen Vorliebe für jüngere Frauen heimgesucht zu werden, sondern auch von einer panischen Angst vor Krankheit und Tod, weshalb man besonders zartfühlend mit ihnen umgehen mußte. Mit den Armen.

»Machst du dir Sorgen?« Sie versuchte ein aufmunterndes Lächeln.

Aber Thomas schüttelte den Kopf wie ein störrischer Esel. »Ich versteh’s nur nicht. Und was hat die Spurensicherung ...«

»Thomas! Es gab keinen Anlaß für eine Spurensicherung! Außerdem hatte die Putzfrau bereits gründlich geputzt – rund um die Leiche herum.«

Die Putzfrau. Verdammt. Etwas war ihr doch aufgefallen, was die Putzfrau betraf. Karen suchte in den Stapeln auf ihrem Schreibtisch nach der Sache Saitz.

»Und – in der Bank? Hat man da irgend etwas ...?«

Karen blätterte, bis sie das Vernehmungsprotokoll fand. Hier stand es: Im Bankhaus Löwe putzte die Pollux Facility Management GmbH. Sie hatte den Namen auf ihrer Liste, aber bislang keinen Anhaltspunkt dafür gefunden, daß man hier ebenfalls Lohnsklaven hielt. Und die Putzfrau, die den Toten gefunden hatte, hatte keinen litauischen oder ukrainischen Namen, auch wenn er etwas seltsam war und ihr bekannt vorkam. Dalia Sonnenschein.

Sie blickte auf. Thomas sah noch immer aus wie ein verschreckter Gnom.

»Was ist los?«

»Ach nichts, Karen. Ich mache mir nur Sorgen.«

»Deine Frau?«

Er lächelte schwach. »Das auch. Aber vor allem – du weißt doch: Wenn ein Freund stirbt ...« Er zuckte die Schultern, erhob sich, winkte ihr zu und ging.

Karen wiegte sich auf dem Schreibtischsessel vor und zurück und blickte zum Fenster hinaus. Ihre wäre gar nicht aufgefallen, daß es draußen sonnig geworden war, wenn sich nicht die Sonnensegel vor die Fenster gesenkt hätten, so, als ob die Frankfurter Justiz nur im Zwielicht gedeihen könne.

Sauberer Abgang

Подняться наверх