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V. Die Kunstfreiheit und ihre Ausstrahlungswirkung auf die zivilrechtliche Betrachtung der Wort- und Bildberichterstattung

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Nach dem Mephisto-Urteil liegt das Wesentliche einer künstlerischen Betätigung in der freien schöpferischen Gestaltung, in der Eindrücke, Erfahrungen, Erlebnisse des Künstlers durch das Medium einer bestimmten Formensprache zu unmittelbarer Anschauung gebracht werden. Die Abgrenzungsversuche der Kunst von Nichtkunst dürfen nicht auf der Ebene einer qualitativen Bewertung erfolgen; eine Differenzierung zwischen „guter“ und „schlechter“ und deswegen dem Schutzbereich nicht unterfallender Kunst stellt eine unzulässige Inhaltskontrolle dar.[44] Für Karikaturen und Satire gilt, dass diese grds. Kunst sein können, aber nicht in jeder Karikatur und Satire zugleich Kunst liegt.[45] Diese liegt nicht schon bei jeder Übertreibung, Verzerrung und Verfremdung vor.[46]

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Anders als Art. 5 Abs. 1 GG ist die Kunstfreiheit schrankenlos gewährt. Nach dem Mephisto-Urteil des BVerfG[47] hat eine Konfliktlösung auf der Grundrechtsebene zu erfolgen. Die Grenzen der Kunstfreiheit könnten nur von der Verfassung selbst bestimmt werden,[48] z.B. durch die Grundrechte anderer Träger, etwa das Persönlichkeitsrecht, die Menschenwürde,[49] aber auch durch sonstige Rechtsgüter mit Verfassungsrang, z.B. Jugendschutz oder Eigentum. Infolgedessen bedarf es im Konfliktfall auf der Grundrechtsebene anzustellende Betrachtung einer Abwägung der widerstreitenden Grundrechtsinteressen.

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In der Praxis der Wort- und Bildberichterstattung liegt beim Persönlichkeitsrecht die entscheidende Frage, wann der Künstler befugt ist, einer individuellen Person zurechenbare Angaben zu benutzen, wenn die Darstellung geeignet ist, das Persönlichkeitsbild des Betroffenen zu beeinträchtigen. Im Mephisto-Urteil[50] bezeichnet es das BVerfG als wesentlich, ob und inwieweit das „Abbild“ gegenüber dem „Urbild“ in der künstlerischen Darstellung so verselbständigt erscheint, dass das individuelle, persönlich-intime zugunsten des allgemeinen, zeichenhafter „Figur“ objektiviert ist.[51] In einem solchen Falle müsse das Persönlichkeitsrecht des Dargestellten zurücktreten. Ergebe aber eine Betrachtung nach den Umständen des Einzelfalls, dass der Künstler ein „Portrait“ des Urbildes gezeichnet hat oder gar zeichnen wollte, komme es auf das Ausmaß der künstlerischen Verfremdung oder den Umfang und die Bedeutung der „Verfälschung“ für den Ruf des Betroffenen oder für sein Andenken an.[52]

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Diese grundlegende Auffassung des Mephisto-Urteils war schon damals sehr umstr.[53] und hat mittlerweile anhand praktischer Fälle auch gegenüber Filmwerken[54] oder Theaterstücken[55] zu großen Kontroversen geführt.

In seinem Beschl. v. 13.6.2007[56] in Sachen Esra hat das BVerfG nur eine schwere Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts als ausreichend angesehen, um die Freiheit der Kunst zurücktreten zu lassen.[57] Zur Feststellung der Schwere sei eine kunstspezifische Betrachtung zur Bestimmung des durch Roman im jeweiligen Handlungszusammenhang dem Leser nahe gelegten Wirklichkeitsbezugs erforderlich. Dabei sei ein literarisches Werk zunächst einmal als Fiktion anzusehen.[58] Diese Vermutung gelte auch dann, wenn hinter den Romanfiguren reale Personen als Urbilder erkennbar seien. Allerdings bestehe zwischen dem Maß, in dem der Autor eine von der Wirklichkeit abgelöste ästhetische Realität schafft, und der Intensität der Verletzung eine Wechselbeziehung. Je stärker die Übereinstimmung von Abbild und Urbild, desto schwerer wiegt die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts. Liegt eine solche schwere Persönlichkeitsrechtsverletzung vor und ist deshalb ein gerichtliches Verbreitungsverbot ergangen, kann der Verletzte nur ausnahmsweise zusätzlich eine Geldentschädigung beanspruchen.[59]

Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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