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1.6 Mehrdeutige Darstellungen

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Lange Zeit galt der Grundsatz der „verletzerfreundlichen Auslegung“ als fester Bestandteil des deutschen Presserechts. In seinem Klinik-Monopoly-Urteil hatte der BGH befunden: „Sind mehrere sich nicht gegenseitig ausschließende Deutungen des Inhalts an Äußerungen möglich, so ist der rechtlichen Beurteilung diejenige zugrunde zu legen, die dem in Anspruch genommenen günstiger ist und den Betroffenen weniger beeinträchtigt.“[86]

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Eine grds. Wendung erfolgte durch den Stolpe-Beschluss des BVerfG v 25.10.2005.[87] Für den Fall, dass von einem mehrdeutigen Inhalt auszugehen sei, unterschied das BVerfG zwischen Sanktionen wegen in der Vergangenheit erfolgter Meinungsäußerungen und wegen Sanktionen, die zukünftige Äußerungen betreffen. Bei einer Sanktion wegen in der Vergangenheit erfolgter Meinungsäußerungen verstoße ein Strafurteil oder ein die Verurteilung zum Schadensersatz, zum Widerruf oder zur Berichtigung aussprechendes zivilrechtliches Urteil gegen Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG, weil negative Auswirkungen auf die generelle Ausübung des Grundrechts zu befürchten seien.[88] Ein gleicher Schutzbedarf bestehe indessen nicht bei gerichtlichen Entscheidungen über die Unterlassung zukünftiger Äußerungen. Hier sei im Rahmen der rechtlichen Zuordnung von Meinungsfreiheit und Persönlichkeitsschutz zu berücksichtigen, dass der Äußernde die Möglichkeit habe, sich in der Zukunft eindeutig auszudrücken und damit zugleich klarzustellen, welche Äußerungsinhalte der rechtlichen Prüfung zugrunde zu legen ist. Eine auf Unterlassung zielende Verurteilung könne der Äußernde vermeiden, wenn er eine ernsthafte und inhaltlich ausweichende Erklärung abgebe, die mehrdeutige Äußerung nicht oder nur mit geeigneten Klarstellungen zu wiederholen.[89]

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Mag diese Rspr. auch pragmatisch und praktisch verfehlt sein,[90] so wird die Praxis doch mit ihr leben müssen. Allerdings hat ein obiter dictum in der Entscheidung des BVerfG zu Gegendarstellungsverlangen gegen mehrdeutige Erstmitteilungen die Möglichkeit der Klarstellung zur Vermeidung einer Unterlassungsverpflichtung noch einmal zugleich betont und ein Stück weit präzisiert.[91] Die Instanzgerichte haben dies bislang nur spärlich aufgegriffen. Unklar sind zudem noch viele Fragen dazu, wie etwa eine solche Klarstellung zu erfolgen hat.[92] Fraglich bleibt, ob die Grundsätze auch außerhalb mehrerer Tatsachenbehauptungen gelten. Für die Abgrenzung zwischen Meinungsäußerung und Tatsachenbehauptung hat das BVerfG dies bereits bejaht.[93] Allerdings könnte auch hier zu differenzieren sein. Maßgeblich für die Anwendung der Stolpe-Rechtsprechung sei, dass die Äußerung als eine geschlossene, aus sich heraus aussagekräftige, allerdings mehrdeutige Tatsachenbehauptung wahrgenommen werde; resultierten konkrete Interpretationsmöglichkeiten erst aus dem Zusammenspiel mehrerer Äußerungen, die für sich betrachtet zulässige Meinungsäußerungen bzw. wahre Tatsachenbehauptungen darstellten, finde die Stolpe-Rechtsprechung keine Anwendung;[94] dies scheint vom BVerfG[95] aber wieder in Frage gestellt zu werden, wenn es heißt, dass das Gericht bei mehrdeutigen Äußerungen die zur Verurteilung führende Bedeutung nicht zugrunde legen darf, ohne vorher die anderen möglichen Deutungen ausgeschlossen zu haben. Diese Textpassage ergibt aus Sicht des Verfassers nur dann Sinn, wenn eine ebenfalls denkbare Interpretation der Äußerung als Meinungsäußerung trotz der Stolpe-Rechtsprechung dann vom Gericht hätte zugrunde gelegt werden können. Höchstrichterlich ungeklärt ist die Anwendung der Stolpe-Rechtsprechung nach wie vor für verdeckte Tatsachenbehauptungen[96].

Praxishandbuch Medien-, IT- und Urheberrecht

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