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NUR DEN LAUTEN GEHÖRT DIE WELT?

Manchmal kann man wirklich diesen Eindruck gewinnen. Aber was ist mit den Menschen, die nicht gleich vorpreschen, die nicht im Mittelpunkt stehen – was gehört ihnen? Eine ganze Menge! Doch die will erobert sein. Denn unsere Gesellschaft vermittelt ein Bild, in dem Menschen, die nicht gesellig sind oder auch einmal die Führung übernehmen, als schwach gelten. Tatsächlich werden jene, die laut und schnell sprechen, als intelligenter und interessanter wahrgenommen. Sie wirken auf andere sympathischer. Selbst bei der Suche nach einem Partner haben die Schlagfertigen die Nase vorn.

GROSSE WIRKUNG – AUS DEM HINTERGRUND

Natürlich werden Menschen, die sich Gehör verschaffen, immer stärker wahrgenommen. Dies bedeutet jedoch nicht, dass weniger laute Menschen nicht gehört werden oder gar schlechtere Ideen hätten. Im Gegenteil! Oft haben sie nur noch nicht die Berufung gefunden, mit der sie auf ihre eigene Weise auffallen können.

Man muss nicht zwingend eine forsche Art haben, um gehört zu werden. Viele große Denker haben es uns vorgemacht. Albert Einstein, Marcel Proust, selbst Bill Gates oder Steven Spielberg sind (oder waren) eher introvertierte Menschen, die sich gern im Hintergrund halten und dort die Fäden ziehen, statt im Mittelpunkt zu stehen. Dennoch bestehen bis heute Vorurteile und das Ideal scheint der extrovertierte Mensch zu sein. Er fällt auf, er setzt sich durch, er macht, was er will. Dabei vergessen allerdings viele, dass die Stärken von ruhigen und leisen Menschen wirklich wichtig für unsere Gesellschaft sind.

Intros in der Öffentlichkeit

Viele der erfolgreichsten, mächtigsten, begabtesten Menschen sind leise Persönlichkeiten: Bill Gates (Microsoft), Larry Page (Google), Mark Zuckerberg (Facebook), Woody Allen, Alfred Hitchcock, Clint Eastwood, Michael Jackson, Charles Darwin, Loriot, Angela Merkel, Barack Obama, Steven Spielberg, Claudia Schiffer, Michael Schumacher, Steffi Graf, Günther Jauch, Michael Bully Herbig, Avril Lavigne, Herbert Grönemeyer, Sting, Freddy Mercury, Joanne K. Rowling, J. R. R. Tolkien, Jonny Depp, Stephen King, Prinz Charles, Abraham Lincoln, Marie Curie, Albert Einstein und noch viele, viele mehr. Introvertiert zu sein ist also absolut kein Grund, sich zu verstecken. Im Gegenteil: Es fordert dazu heraus, die besonderen Gaben in sich zu entdecken und mit der Welt zu teilen.

WIE ZWEI WELTEN

Treffen introvertierte und extrovertierte Charaktere aufeinander, ergeben sich nicht wenige Reibungspunkte. Dabei können beide Seiten voneinander profitieren. Extrovertierte haben häufig ein großes Präsentationstalent. Sie preschen allerdings manchmal so schnell vor, dass ihre Worte wenig überlegt sind – und genau dies ist die Stärke von introvertierten Menschen. Obwohl sie in der Öffentlichkeit nicht so stark wahrgenommen werden, nehmen sie hingegen die Öffentlichkeit sehr wohl detailliert wahr. Sie sammeln Informationen, verarbeiten sie in aller Stille und erst dann ergreifen sie das Wort. Allerdings mangelt es ihnen häufig an den Fähigkeiten, ihre Gedanken überzeugend zu präsentieren, wobei sie wiederum von den Extrovertierten profitieren können. Beide zusammen ergeben ein ideales Gespann, weshalb gerade große Unternehmen zunehmend sensibler auf die Charaktere ihrer Mitarbeiter achten. Gute Teams bestehen sowohl aus leisen als auch aus lauten Menschen, die effizient arbeiten können, sobald der Teamleiter auf die einzelnen Stärken eingeht und sie für sein Team zu nutzen weiß.

GLEICH UND GLEICH GESELLT SICH GERN

Dieses alte Sprichwort gilt auch beim Charakter. Laute Menschen fühlen sich vorwiegend zu lauten Menschen hingezogen, während Introvertierte sich lieber zu den ruhigeren Typen gesellen. Viele meiner Klienten bestätigen das und wissen auch, dass sie in den ersten Lebensjahren oder gar Jahrzehnten mit sich haderten: »Ich muss endlich auch Spaß an lauten Feiern oder albernem Herumkrakeelen zeigen!« Sie bekamen oft vorgeworfen, dass sie verklemmt oder Spaßverderber seien. Aber es war einfach nicht ihre Art, sich laut und auffallend zu präsentieren. Ihren Spaß hatten sie auf andere Weise. Erst wenn man seine Persönlichkeit verstanden und akzeptiert hat, kann man sich voll entfalten. Und dann hat man auch nichts mehr gegen »die Lauten«. Jeder lebt sein Naturell.

DIE STILLE ALS GROSSE STÄRKE

Die gedankliche Leistungsfähigkeit der eher leisen Menschen ist tendenziell sehr hoch. Ihre Freude am eigenständigen Lernen und ihre großartig ausgeprägte Fähigkeit zuzuhören verschafft Introvertierten einen Vorteil. Gerade Betriebe, in denen von den Angestellten Eigeninitiative erwartet wird, profitieren von Introvertierten. Viele stark extrovertierte Kollegen können sogar negativ für das Arbeitsklima sein. Leise Menschen erledigen ihre Arbeit gern sehr fokussiert. Extrovertierte hingegen stellen viel zu oft sich selbst in den Mittelpunkt, statt sich der Arbeit zu widmen. Daher hat es sich bewährt, immer gut gemischte Teams zu bilden.

Die Gründung von Apple ist nur eines der Beispiele, die den Erfolg der gekonnten Mischung zeigen. Steve Wozniak war ein hervorragender Ingenieur und schuf den ersten Heimcomputer. Doch erst als er sich mit Steve Jobs zusammentat, der ein talentierter Präsentator und begnadeter Verkäufer war, schaffe es der Heimcomputer aus der Garage in die Läden und von dort wiederum in Millionen von Haushalten. Jobs war so präsent, dass oft vergessen wurde, welche Menschen außer ihm hinter der Marke stehen. Wozniak hingegen war nur selten in der Öffentlichkeit zu sehen, wobei auch er das Talent hat, sich zu überwinden, und ein »öffentlicher« Schauspieler sein kann. Dennoch zieht er sich weitgehend zurück, wie es im Übrigen auch viele richtig gute Schauspieler tun. Götz George oder Bruno Ganz zum Beispiel führen eher ein zurückgezogenes Leben. Doch gerade das gibt ihnen die Möglichkeit, ihren Rollen so viel Tiefe und Überzeugungskraft zu verleihen. Auf dem roten Teppich sind sie nur selten zu sehen und oftmals merkt man es introvertierten Menschen wie ihnen an, dass sie sich in dem Rummel auch nicht besonders wohlfühlen.

Neurologische Unterschiede

Tatsächlich zeigt sich der Unterschied zwischen introvertierten und extrovertierten Menschen nicht nur in der Art, wie sie sich verhalten, sie sind auch neurologisch messbar. Das Gehirn introvertierter Probanden wies in Untersuchungen eine tendenziell höhere elektrische Aktivität auf, wobei es nicht relevant war, ob sie sich bei der Arbeit oder in einem Ruhezustand befanden. Das Gehirn von leisen Menschen ist also selbst in einem entspannten Zustand neuronal aktiver, was ein Grund dafür sein könnte, warum sie oft ihren Rückzug brauchen. Ihre Gehirnaktivität ist bereits so hoch, dass schnell die Schwelle zur Überreizung überschritten wird. Diese Unterschiede im Gehirn sind von Anfang an da, in Tests reagierten bereits rund 20 Prozent von 500 Säuglingen auf extreme Reize wie Düfte oder Lärm besonders empfindlich. Dies wird vermutlich beibehalten – es sind Introvertierte. Im Gegensatz dazu reagierten 40 Prozent der Säuglinge extrem gelassen auf diese äußeren Einflüsse, woraus sich schließen lässt, dass sie auch in späteren Jahren aus einer lauteren Umgebung ihre Kraft ziehen. Die 20 Prozent Intros benötigen dagegen viel Ruhe.

Auf die leise Weise

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