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Zu Besuch beiOsama bin Laden

RAWALPINDI

Anne | Ein Stadtbild kann sich schnell ändern. Nämlich dann, wenn geordneter Verkehr hektischem Gewusel weicht und Abgase dem Geruch von Frittierfett, Urin und scharfen Gewürzen. Wir sind in Rawalpindi, der kleinen chaotischen Schwester vom öden Islamabad mit seinen Schachbrettstraßen. 20 Kilometer und ganze Welten liegen zwischen den beiden.

Es ist 10 Uhr abends, und die Dunkelheit wird auf dem Busbahnhof nur von alten Autolichtern und den vergilbten Scheinwerfern der rostigen Busse erhellt. Es wird gehupt, gedrängelt und gegafft.

Während sich die angestauten Abgase unter dem Bahnhofswellblechdach wie ein Film auf meine Haut legen, spüre ich das erste Mal ein Gefühl, das ich in den letzten zwei Tagen ausgeblendet hatte: Unsicherheit.

Sich unsicher zu fühlen ist der erste Schritt ins eigene Verderben. Es öffnet die Pforten für all das, was sicherlich sowieso schon in den Ecken auf einen gewartet hat. Für die Diebe, die Betrüger und die Dummschwätzer. Gerade aber habe ich mein ganz eigenes Sicherheitsschloss für etliche Männer geöffnet, die unter ihren dicken Filzdecken ihre rußschwarzen Augen auf mich richten. Diesmal sehe ich kein Glänzen in ihren Augen, kein Grinsen im Gesicht. Ich sehe ernste, bestimmte Blicke, wie ich sie das letzte Mal vom Vater Pakistans, Muhammad Ali Jinnah, von den übergroßen Plakaten am Flughafen kassiert habe.

Wir wollen an den Fuß des Nanga Parbat nach Fairy Meadows, der Märchenwiese. Hier sei der schönste Ort, um den Achttausender zu beobachten, ohne in Atemnot zu kommen. Und doch sei man nah genug dran, um die Begeisterung aller Bergsteiger zu verstehen. Das sagt zumindest Tripadvisor, wo die Wiese vier von fünf Sternen von sieben anderen Reisenden bekommen hat. Ich bin zuversichtlich, auch weil wir beschlossen haben, den Trip in den Norden zu dritt zu machen. Flo ist mit dabei. War ja klar. Kaum ein Schweizer würde einen Trip in die Berge ablehnen, oder?

In einer halben Stunde fährt vom Bahnhof in Rawalpindi unser Bus in den Norden des Landes. Unser Ziel ist die 18 Stunden entfernte Stadt Gilgit im Sonderterritorium Gilgit-Baltistan. Eine Stadt der Superlative. Sie liegt an der höchsten Fernstraße der Welt, dem Karakorum Highway, der gleichzeitig die wichtigste Handelsroute zwischen Pakistan und China darstellt. Sie ist das Tor zu zwei der höchsten Berge der Welt, dem K2 und dem Nanga Parbat. Und sie liegt zwischen den größten Brandherden der Region: der teilautonomen Region Asad Kaschmir, Afghanistan, dem indischen Bundesstaat Jammu und Kaschmir und damit direkt an der Line of Control.

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Von Reisen entlang der »Line of Control« (LoC) wird angesichts der aktuellen Spannungen in Kaschmir dringend abgeraten. Es ist derzeit nicht absehbar, wie sich die militärische Lage an der LoC entwickelt und wie sich diese auf die Sicherheit der Umgebung auswirkt.

(Auswärtiges Amt, Oktober 2018)

In abgebröckelten Buchstaben steht über dem kleinen Kabuff am äußeren Rand des Bahnhofs der Name des Unternehmens, bei dem wir die Tickets gekauft haben: Daewoo. Auf Koreanisch heißt das ›Großes Weltall‹. Das Büro ist allerdings auf dreimal drei Meter beschränkt und alles andere als ein Ort funkelnder Sterne.

»Ich brauche eure Pässe und zehn Passkopien von jedem«, erklärt ein Mann, dessen Augen durch die dicke Glasscheibe hindurch strahlen. Immerhin einer nimmt das mit dem Weltall ernst.

Passkopien und Pakistan gehören zusammen wie Minarette und Moscheen. Es ist ein bürokratischer Spießrutenlauf, der nur durch die immerwährende Existenz schwarzweiß bedruckter Zettel gemildert werden kann. Wir sind vorbereitet und schieben unsere glänzenden Klarsichtfolien 4795, transparent, genarbt, durch den kleinen Schlitz zwischen Glasscheibe und gesplittertem Holztresen. Damit sind wir All In und unsere Passkopien all gone.

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Pakistan-Lektion #9: Wer längere Strecken auf dem Landweg zurücklegt, der sollte circa 40 Passkopien parat haben. Für jeden Checkpoint eine.

Unser Bus ist ein blauer Daewoo BS 105 aus dem Jahr 1986. Sein Alter sieht man ihm an. Beulen, Kratzer und rostige Löcher beflecken das Äußere des Busses wie eine ganz normale Musterung. Auf der Windschutzscheibe klebt ein Schild mit arabischen Schriftzeichen (vielleicht das Ziel?), darüber hängt eine islamische Gebetskette. Der Bus ist jetzt, kurz vor der Abfahrt, schon komplett voll, wir sind die letzten, die die Plätze einnehmen. Ganz vorne sitzt eine junge Frau mit ihrem Säugling, den sie liebevoll in ein paar Tücher gewickelt hat. Dahinter nur Männer, von jung bis alt, von grau bis schwarz, von westlich gekleidet bis traditionell.

Mit dem ersten Schaukeln und Rütteln des Busses kehrt Ruhe ein. Es sind die koordinierten Bewegungen eines Busses, die mich immer und überall ganz natürlich in den Schlaf wiegen. Hinter der dicken, gemusterten Gardine, die vor meinem Fenster wackelt, kann ich die letzten Ausläufer von Rawalpindi erkennen, bis wir auf den Highway Richtung Norden abbiegen und die komplette Landschaft in tiefstem Schwarz versinkt.

Im Bus bleibt es still. Einzig das Flüstern der beiden Männer hinter uns stört die Ruhe. Die beiden sind mir vorhin beim Einsteigen schon aufgefallen. Sie tragen strahlend weiße Turbane, die perfekt zu ihren krausen, langen grauen Bärten passen. Für die Busfahrt haben sie sich in ihre schönsten Kleider geworfen. In Senfgelb und Petrolblau stechen sie zwischen den anderen Passagieren heraus. Sie tragen den traditionellen Shalwar Kamiz, die pakistanische Nationaltracht, die von 80 Prozent der Pakistaner getragen wird. Sie besteht immer aus einem Shalwar, einer weiten Hose, und einem Kamiz, einem langen Hemd. Die Gesichter der Männer sind von den vielen tiefen Falten gezeichnet, die sie in den letzten Jahren gesammelt haben wie Briefmarken. Ihr monotones Gemurmel passt zum Einheitsschwarz, das am Fenster vorbeizieht, und legt sich wie die kuschlige Sofadecke um meinen Körper.


(Quellen: BBC, Bild, El Pais, n-tv, Spiegel, taz, Welt, Zeit)

Clemens | Abbottabad steht auf dem beleuchteten Ortsschild am Straßenrand. Weiß auf grünem Grund, erst in arabischen Buchstaben, dann in lateinischen. Es ist die Stadt, in der der meistgesuchte Terrorist der Welt am 2. Mai 2011 in einer Nacht-und-Nebel-Aktion von US-amerikanischen Navy Seals umgebracht wurde. Das Versteck von Osama bin Laden, Gründer und Anführer der Terrorgruppe al-Qaida und Strippenzieher der Terroranschläge vom 11. September 2001.

Lange Bärte, Turbane, Tuniken und Pumphosen: ein Bild, das in der westlichen Welt oft voreilig in die Kategorie Terror gesteckt wird. Dazu ein grimmiger Gesichtsausdruck, die Waffe im Anschlag? Schublade auf, Klischee rein.

Viel ist mir nicht in Erinnerung geblieben, und doch reicht es aus, um mir auch jetzt, acht Jahre nach dem Tod von bin Laden, ein fieses Stechen in der Magenkuhle zu geben.

Während wir durch eine Marktstraße tuckern, rauscht vor meinem inneren Auge die mediale Typisierung der Gefahr von damals vorbei wie ein kurzer Einspieler auf n-tv. Ich sehe die zusammenstürzenden Twin Towers des World Trade Centers und Menschen, die von den gigantischen Staubwolken in den Straßenschluchten Manhattans verschlungen werden. Ich sehe, wie sich American-Airlines-Flug 77 in die Seite des Pentagons bohrt und die Videobotschaften der Terroristen, wie sie mit ernster Miene auf dem Boden sitzen und Ansagen an die Weltgemeinschaft machen. Das alles ist fast 20 Jahre her. In Abbottabad aber fühlen sich die Bilder unerwartet präsent an, als wäre es erst letzte Woche passiert.

Fast zwei Jahrzehnte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist das islamistische Terrornetzwerk al-Qaida, das sie verübte, nur noch ein Schatten seiner selbst. Während die Philosophie bin Ladens, die einst seine Anhänger inspirierte, viel von ihrer Attraktivität eingebüßt hat, bleibt die Geschichte dahinter in Stein gemeißelt.

Bin Laden und sein Stellvertreter Aiman az-Zawahiri bauten unter dem Schutz der afghanischen Taliban und der pakistanischen Regierung in den 1990er Jahren al-Qaidas Kerninfrastruktur in Afghanistan und Pakistan auf. Der De-facto-Staat im ›Islamischen Emirat Afghanistan‹, der von den Taliban im Oktober 1997 ausgerufen wurde, überlebte den von den USA seit 2001 geführten Afghanistankrieg, indem er seine Führung nach Pakistan verlegte. Hier blieben die Taliban weithin unbehelligt, denn die USA verlegten ihren Fokus auf ein anderes Land: den Irak, wo sie 2003 den als ›Operation Iraqi Freedom‹ bezeichneten Krieg mit gezielten Bombardements begannen.

Die Al-Qaida-Führung aber machte weiter. Von Pakistan aus wurden gezielte Angriffe durchgeführt: der Bombenanschlag von Madrid im Jahr 2004, eine Welle von Angriffen auf Ziele in Saudi-Arabien von 2003 bis 2006 und der Bürgerkrieg im Irak.

Um der weltweiten Welle der Gewalt ein Ende zu setzen, machte sich die sogenannte AfPak-Strategie von Präsident Barack Obama 2009 eine Niederlage der Al-Qaida-Führung in Pakistan zur obersten Priorität. Es folgte ein Drohnenkrieg, und 2011 kappte man die Spitze des Eisbergs. Zehn Jahre hatte die Jagd nach dem Al-Qaida-Führer gedauert, im Mai 2011 war sie beendet. Das US-Spezialkommando der Navy Seals meldete den Tod Osama bin Ladens. Es galt, Rache zu nehmen für 9/11. Auf ein juristisches Tribunal wollte Amerikas politische Führung offenbar verzichten. Der Terrorpate sollte keinerlei öffentliche Bühne mehr finden, sein Leichnam schlicht verschwinden. Damit galt das Kapitel al-Qaida für die Weltöffentlichkeit als beendet.

Falsch gedacht. Bin Ladens Nachfolger Aiman az-Zawahiri plante im September 2014 sein Opus Magnum: die Entführung der Fregatte Zulfiqar der pakistanischen Marine, mit der ein Schiff der US-Marine im Indischen Ozean versenkt und ein Krieg zwischen den USA und Pakistan ausgelöst werden sollte. Anschlagspläne, die im letzten Moment vereitelt werden konnten.

Zawahiri ist noch immer am Leben und gibt weiterhin Erklärungen aus seinem Versteck in Pakistan ab. Bin Ladens Sohn Hamza wurde 2019 mit Unterstützung der Trump-Administration auf mysteriöse Weise getötet. Das Erbe von al-Qaida gilt noch immer nicht als besiegt: der sogenannte Islamische Staat.

Abbottabad aber, die stinknormale pakistanische Stadt, ist weiterhin gezeichnet von den Machenschaften eines Mannes mit Turban.

Kurze Zeit später passieren wir den Ortsausgang. Diesmal ist die schnörkelige arabisch-persische Schrift auf dem Ortsschild mit einer geraden weißen Linie durchgestrichen. Meinem Magen geht es schlagartig besser.

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