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Persönliche Erfahrungen und Umfrage-Daten

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Auch ich war überzeugt, eine liebevolle und engagierte Mutter zu sein. Meine ersten beiden Kinder waren anstrengend. Das bedeutete: Insgesamt fünf Jahre lang fast jede Nacht mehrmals aufstehen. Als das endlich ausgestanden war, meldete sich das dritte Kind an. Ich dachte: »Bei einer so erfahrenen Mutter wie mir kann ja nun nichts mehr schiefgehen. Diesmal wird sicher alles gut klappen.« Tatsächlich liefen die ersten Lebenswochen recht harmonisch ab. Doch je älter die kleine Andrea wurde, desto öfter wollte sie nachts an die Brust. Sie schlief deshalb irgendwann nicht mehr in ihrem Kinderbett, sondern der Einfachheit halber im Ehebett. Mein Mann war frustriert ins Dachzimmer gezogen, damit zumindest er einigermaßen schlafen konnte.

Ungefähr siebenmal wurde Andrea im Alter von sieben Monaten nachts gestillt, ab vier Uhr morgens schlief sie kaum noch richtig. Alle 15 bis 30 Minuten schreckte sie hoch und wollte wieder nuckeln. Auch tagsüber dachte sie nicht daran, in ihrem Bettchen zu schlafen.

Nur unterwegs im Auto und im Kinderwagen genehmigte sie sich ab und zu ein halbes Stündchen Schlaf, allerdings zu ganz unterschiedlichen Zeiten. Es kamen insgesamt nicht mehr als neun Stunden Schlaf zusammen. Für mich natürlich noch viel weniger – und immer nur 30 Minuten bis höchstens zwei Stunden am Stück. Da nützte alle Erfahrung als Mutter und alles Fachwissen als Psychologin nichts. Und die zahlreichen Elternratgeber? Fehlanzeige. Bestenfalls war darin zu lesen, dass sich die Eltern bei der nächtlichen Betreuung abwechseln sollten. Oder es stand darin, dass die meisten Kinder mit drei Monaten durchschlafen. Und wenn nicht, warum nicht? Und was tun? Kein Wort darüber, kaum ein hilfreicher Ratschlag.

Es blieb mir also nichts anderes übrig, als mich am Rande der Erschöpfung über den Tag zu retten. Die beiden älteren Kinder – mein sechsjähriger Sohn Christoph und meine vierjährige Tochter Katharina – hätten eigentlich in dieser Zeit besondere Zuwendung gebraucht. Christoph war gerade eingeschult worden und Katharina war soeben in den Kindergarten gekommen. Beide kamen in dieser aufregenden Umstellungsphase zu kurz.

Auch meine Ehe kam zu kurz. Für alle war es eine schwierige Zeit. Es schien ein besonders ungerechtes Schicksal zu sein, als Mutter schon wieder mit einem Baby gestraft zu sein, das offenbar ein »schlechter Schläfer« war, trotz aller liebevollen Zuwendung.

Besuch beim Kinderarzt – mit überraschenden Erkenntnissen

Eher beiläufig erzählte ich meinem Kinderarzt Dr. Hartmut Morgenroth, dem Mitautor dieses Buches, bei der U5 (der Vorsorgeuntersuchung für Kinder im Alter von sieben Monaten) von meinen Sorgen – eigentlich ohne Hoffnung auf wirkungsvolle Ratschläge. Denn bei den Schlafproblemen mit den ersten beiden Kindern hatte er mir nur sein freundliches, aber hilfloses Mitgefühl gezeigt.

Diesmal war es anders. Seine verblüffende Reaktion war die Frage »Wollen Sie etwas daran ändern?«. Es folgte ein längeres Gespräch. Dr. Morgenroth erzählte mir von seiner Fortbildungs-Reise durch die USA, von seinem Besuch in einer renommierten Kinderklinik in Boston, wo er Professor Ferber kennen gelernt hatte. Dieser Professor leitet dort ein Kinderschlafzentrum. Schon Mitte der achtziger Jahre hatte er eine Methode entwickelt, wie Eltern ihren Babys und Kleinkindern innerhalb kurzer Zeit das Einschlafen und Durchschlafen beibringen können. Professor Ferbers Buch über die von ihm entwickelte Methode (siehe ⇒) und einige weitere Veröffentlichungen zum Thema in englischer Sprache hatte Dr. Morgenroth von dort mitgebracht und präsentierte sie nun mir, der staunenden, erschöpften Mutter.

Mir fiel es beim Lesen wie Schuppen von den Augen. Schnell begriff ich, warum meine Kinder so schlecht geschlafen hatten und was ich in Zukunft anders machen konnte. Alles erschien mir so klar und einleuchtend, dass nur die Frage blieb: »Warum bin ich nicht längst selbst darauf gekommen?«

Kleiner Aufwand, große Wirkung

Meine kleine Tochter Andrea wurde meine erste »Patientin«. Sie lernte innerhalb von zwei Wochen, tagsüber zwei eineinhalbstündige Tagesschläfchen zu festen Zeiten zu halten und nachts von 20 bis 7 Uhr ohne Unterbrechung in ihrem Bettchen durchzuschlafen. Insgesamt waren das mindestens drei Stunden Schlaf mehr als vorher! Die ganze Familie atmete auf. Ich als Mutter empfand die veränderte Situation als sprunghaften Anstieg meiner Lebensqualität. Mit wenig Aufwand war eine so positive Veränderung erreicht worden! Da gab es nur eine mögliche Konsequenz: Diese hilfreiche Methode, zusammen mit dem nötigen Wissen über den kindlichen Schlaf, sollte möglichst vielen Müttern und Vätern bekannt gemacht werden. Wenn Sie nun schon ganz neugierig geworden sind: Hier ⇒ wird die Methode genau beschrieben.

Der Beginn einer erfolgreichen Zusammenarbeit

Für Dr. Morgenroth und mich begann nun eine sehr fruchtbare Zusammenarbeit. In den kommenden Jahren führten sowohl der Kinderarzt als auch ich selbst viele hundert Gespräche mit betroffenen Müttern und Vätern. Der Erfolg war überwältigend. Schlafprobleme konnten meist nach einem einmaligen Gespräch innerhalb weniger Tage gelöst werden.

Mittlerweile beraten wir fast nur noch Familien mit ganz besonders schwerwiegenden Schlafproblemen persönlich – die »normalen« Schlafprobleme bekommen die Eltern mit Hilfe dieses Buches meist selbst in den Griff.

Schlaflose Kinder – gestresste Eltern

Durchschlafen ist normal – wenn man keine kleinen Kinder hat. Für junge Eltern ist das dagegen gar nicht selbstverständlich. Jeder weiß, dass kleine Säuglinge nachts manchmal weinen. Aber wann hört das auf? Einmal pro Nacht durch ihr Kind geweckt zu werden nehmen Eltern in der Regel noch in Kauf. Daran kann man sich gewöhnen. Problematischer wird es dagegen, wenn ein Kind mehrmals pro Nacht seine Eltern weckt. Einige Wochen lang kann man das einigermaßen durchhalten. Aber auf Dauer sinkt die Lebensqualität, Erschöpfung macht sich breit. Erst recht stellt sich die Frage: »Hört das bald auf – ganz von selbst?« Ungestörter Schlaf ist wertvoll und wichtig für die ganze Familie. Das Thema ist ein Dauerbrenner für junge Eltern.

Die Umfrage-Ergebnisse

Wie viele Kinder schlafen eigentlich in den verschiedenen Altersgruppen durch? Wie viele wachen im Laufe der Nacht einmal auf, und wie viele werden nachts zweimal oder noch öfter wach? Die amerikanische Schlafgesellschaft hat 2004 eine große Studie durchgefuhrt und eine repräsentative Stichprobe von Eltern mit Kindern zwischen null und drei Jahren zum Schlafverhalten befragt. Es kam heraus, dass nur ein Drittel der Kinder im ersten Lebensjahr durchschläft. Man konnte allerdings nicht erkennen, wie sich der Schlaf während des ersten Lebensjahres entwickelt, da alle Babys sozusagen „in einen Topf geworfen" wurden. Das ist schade, denn die Unterschiede zwischen einem Neugehorenen und einem Einjährigen sind gerade bei den Schlafgewohnheiten erheblich, kamen aber auf diese Weise in der Untersuchung nicht zum Vorschein. Im Jahre 2014 wurde das Ergebnis einer großen Umfrage in NRW veröffentlicht: Im Auftrag der Stiftung „Kind und Jugend“ wurden in mehreren Kinderarztpraxen 2600 Eltern bei allen Vorsorgeuntersuchungen von der U3 (für vier bis sechs Wochen alte Babys) bis zur U9 (für fünf Jahre alte Kinder) nach dem Schlafverhalten ihres Nachwuchses gefragt. Dadurch ergaben sich für das besonders interessante erste Lebensjahr insgesamt vier Altersgruppen. Da so viele Eltern befragt wurden, ist jede Gruppe immer noch so groß, dass man sie statistisch gut vergleichen kann. Die Ergebnisse dieser Studie haben wir auf der folgenden Doppelseite anschaulich für Sie dargestellt.

Ergebnisse der Umfrage

Hier nun die Ergebnisse der in den Kinderarztpraxen durchgeführten Elternbefragung zum Schlafverhalten der Kinder im Alter von vier Wochen bis vier Jahren.

Die erste Abbildung auf der rechten Seite zeigt, wie viele Kinder in jeder Altersgruppe nachts durchschliefen: In allen Altersgruppen waren dies weniger als die Hälfte der Kinder. Bei den vier bis sechs Wochen alten Babys war es nur eine kleine Minderheit von 2%. Mit zunehmendem Alter schliefen nach und nach immer mehr Kinder durch, aber selbst im Alter von vier Jahren waren es nur 46%.

Für die Eltern bedeuten das: Während der ersten Lebensjahre ihrer Kinder ist eine ungestörte Nachtruhe nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme. Mindestens einmal pro Nacht wird die Mehrheit der Kinder wachm und die Eltern werden ebenfalls geweckt.

In der zweiten Abbildung wird wiedergegeben, wie viele Kinder in der jeweiligen Altersgruppe nachts mindestens zweimal ihre Eltern weckten: Bei den vier bis sechs Wochen alten Babys war es die große Mehrheit. Von den drei bis vier Monate alten Babys wurde ein Drittel mehrmals pro Nacht wach, von den sechs bis sieben Monate alten sogar fast die Hälfte. Erst im Alter von zwei Jahren gab es einen deutlichen Rückgang. Im Alter von vier Jahren kam es nur noch bei 10% der Kinder vor, dass sie nachts mehrmals aufwachten und ihre Eltern dadurch geweckt wurden.

Hier kam die auf erwähnte amerikanische Studie zu einem ähnlichen Ergebnis: Im ersten Lebensjahr wurden laut dieser Befragung knapp die Hälfte der Kinder mehrmals pro Nacht wach, bei den Kleinkindern bis zu drei Jahren waren es dagegen nur noch neun Prozent.

Warten hilft nicht

Die Ergebnisse unserer Untersuchung spiegeln auch wider, was wir bereits bei unseren Beratungsgesprächen immer wieder erfahren haben: Schlafprobleme lösen sich vor dem dritten Lebensjahr selten von selbst. Wenn ein Baby mit einem halben Jahr noch nicht durchschläft, wird es seine Eltern wahrscheinlich auch noch ein Jahr später nachts »auf Trab« halten.

Was man an dieser Statistik dagegen nicht ablesen kann: Viele Kinder haben schon einmal wochen- oder monatelang wunderbar geschlafen, stellen dann aber, zum Beispiel nach einer Krankheit oder nach einem Urlaub, ihr Verhalten um – und mit der ungestörten Nachtruhe ist es wieder vorbei.


Hand aufs Herz!

Fühlen Sie sich gestresst?

Wenn ein Kind Probleme beim Ein- und Durchschlafen hat, belastet das vor allem die Eltern. Hier können Sie einschätzen, wie das Schlafverhalten Ihres Kindes und Ihr »Stress-Grad« zusammenhängen.

1. Stufen Sie sich selbst auf dem Stress-Thermometer ein: Welchen Stress-Wert erreichen Sie im Moment?

2. Wie oft wird Ihr Kind nachts durchschnittlich wach und weckt Sie dadurch auf?

3. Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dem Schlafverhalten Ihres Kindes und Ihrem Stress-Wert?


Das »Stress-Thermometer«

Wenn von einer »kindlichen Schlafstörung« gesprochen wird, ist meist gemeint: Ein Kind braucht lange, um einzuschlafen, wacht nachts mehrmals auf – oder beides. Tagsüber ist es unausgeglichen, weil es insgesamt zu wenig schläft. Beeinträchtigt werden aber auch die Eltern, denn ihr Schlaf wird ebenfalls unterbrochen. Oft können sie nicht sofort wieder einschlafen und sehr oft den fehlenden Schlaf nicht nachholen.

Bei bereits erwähnten Umfragen wurden alle Eltern – meist waren es die Mütter, die mit ihren Kindern in die Praxis kamen – zusätzlich gefragt, wie gestresst sie sich fühlten. Dafür wurde ihnen ein ähnliches »Stress-Thermometer« wie im nebenstehenden Kasten vorgelegt.

Natürlich fühlen sich viele Eltern durch unruhige Nächte gestresst. Besonders die Mütter und Väter, die nachts mehr als zweimal aufstehen müssen, empfinden häufiger starken bis extrem starken Stress und Erschöpfung. Das gilt auch umgekehrt: Wenig gestresste Eltern haben Kinder, die seltener aufwachen. Stark gestresste Eltern haben Kinder, die häufiger aufwachen. Dieser Effekt zeigte sich in allen Altersgruppen zwischen vier Wochen und vier Jahren.

Immerhin 454% der befragten Eltern empfinden nur wenig oder gar keinen Stress. Viele Eltern genießen insbesondere die Zeit um den vierten Lebensmonat herum. Wass kann es auch Schöneres geben als ein Baby, das den Kontakt zu seiner Umwelt schon voll aufgenommen hat, das lächelt, lacht, lauscht - und das alles friedlich auf dem Rücken liegend! Und es schläft noch bis zu 15 Stunden am Tag. Selbst wenn es mit dem Schlaf noch nicht ganz so gut klappt - diesen wunderbaren kleinen Geschöpfen können die meisten Eltern alles verzeihen. Hingabe und sogar Aufopferung für das eigene Kind kann etwas Schönes und Beglückendes sein. Nach unserer Erfahrung sind die allermeisten Mütter und auch viele Väter hingebungsvoll und bereit sich aufzuopfern. Aber irgendwann muss auch das eigene Leben wieder zu seinem Recht kommen. Das tut nicht nur der Mutter gut, sondern auch dem Kind und den übrigen Familienmitgliedern.

Jedes Kind kann schlafen lernen

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