Читать книгу Jedes Kind kann schlafen lernen - Annette Kast-Zahn - Страница 7

Wie lange schlafen Kinder?

Оглавление

Von Wenigschläfern und Murmeltieren

Wer kennt nicht die Berichte stolzer Mütter von ihrem »pflegeleichten Baby«, das von Geburt an zu den Mahlzeiten geweckt werden muss und mit wenigen Wochen durchschläft? Solche »geborenen guten Schläfer« gibt es wirklich. Sie lassen sich durch nichts aus der Ruhe bringen. Eltern von quicklebendigen, quirligen Kindern können solche Geschichten kaum glauben. Ihr Baby will anscheinend auf keinen Fall etwas verpassen. Von Schlafen hält es gar nichts.

Aber so gut es die Eltern der »Murmeltiere« auch haben: Die weniger verwöhnten müssen nicht verzweifeln. Auch ihr Kind kann lernen, abends zu einer vernünftigen Zeit einzuschlafen und bis zum nächsten Morgen in seinem Bettchen zu bleiben.

Kurze Wachzeiten sind normal. Jedes Kind kann lernen, damit umzugehen, ohne seine Eltern zu wecken.

Viele Kinder, die extrem kurze Schlafzeiten haben, zum Beispiel neun Stunden im Alter von sechs Monaten, können lernen, länger zu schlafen. Manche Ausnahmekinder kommen allerdings tatsächlich mit so wenigen Stunden aus. Diese kleinen »Wenig-Schlaf-Genies« können zumindest lernen, ihre paar Stunden nachts am Stück und gleichzeitig mit ihren Eltern zu schlafen.

Extrem selten ist eine angeborene neurologische Störung, die ein Kind am Schlaf hindert und es regelmäßig nachts stundenlang wach hält. Hier ist ein Schlaftraining, wie wir es empfehlen, kaum hilfreich. Sehr wahrscheinlich hat Ihr Kind jedoch keine solche Störung – sondern es ist gesund und in der Lage, schlafen zu lernen. So viel, wie es seinem Alter und Bedürfnis entspricht.

Sie erfahren nun, was wir über den kindlichen Schlaf wissen. Unsere Empfehlungen in den folgenden Kapiteln bauen logisch auf diesem Wissen auf.

Wie lang ist die Nacht?

Es gibt neue Daten darüber, wie lange Kinder schlafen: Es ist weniger, als die meisten Eltern denken. Die Umfrage erwähnte Eltern-Befragung der Amerikanischen Schlafgesellschaft kam zu folgendem Ergebnis:

In den ersten Lebenswochen schlafen Babys nachts nur sehr wenig. In der Grafik können Sie verfolgen, wie sich der Nachtschlaf entwickelt. Die feine Linie zeigt die genauen Werte, die von den Eltern angegeben wurden. Mit der dickeren Linie haben wir sie »begradigt«, denn die Schwankungen sind sehr gering. Wie Sie sehen, ändert sich während der meisten Zeit fast nichts.

In den ersten beiden Lebensmonaten beträgt die Schlafdauer nachts weniger als acht Stunden. Allmählich wird es mehr. Im Alter von sechs Monaten sind es im Durchschnitt knapp zehn Stunden. Dabei bleibt es, bis das Kind etwa sieben Jahre alt ist. Danach nimmt das Schlafbedürfnis langsam weiter ab. Die nächtliche Schlafzeit ändert sich vom Baby bis zum Schulkind also kaum.

Nach der amerikanischen Untersuchung schläft nur ein kleiner Teil der Kinder länger als elf Stunden. Bei früheren Untersuchungen wurden meist längere Schlafzeiten ermittelt – so schätzten die Eltern im Rahmen einer Langzeitstudie in Zürich den Nachtschlaf ihrer Kinder im Schnitt um eine Stunde länger ein. Die durchschnittliche nächtliche Schlafdauer liegt also wahrscheinlich zwischen zehn und elf Stunden. Abweichungen von einer Stunde nach oben oder unten sind völlig normal. Allerdings könnten viele Kinder besser und länger schlafen, wenn sie gute Einschlafgewohnheiten hätten. Darüber erfahren Sie später mehr.

Dass sich der Nachtschlaf vom Baby bis zum Schulkind wenig verändert, hat einen Vorteil: Geschwister können in den ersten Lebensjahren etwa gleichzeitig ins Bett gebracht werden. Die Unterschiede im Schlafbedürfnis werden durch den Mittagsschlaf ausgeglichen. Wenn jedoch das jüngere Kind besonders wenig Schlaf braucht, während das ältere ein »Murmeltier« ist, kann es sinnvoll sein, das ältere Kind vor dem jüngeren zu Bett zu bringen.


Hand aufs Herz!

Wie viel schläft Ihr Kind?

Zum Glück schlafen Babys und Kleinkinder nicht nur nachts, sondern auch tagsüber. Wie oft und wie lange, hängt von ihrem Alter, ihrem Schlafbedürfnis und ihren Gewohnheiten ab. Mit Hilfe dieses kleinen Fragebogens können Sie sich zunächst einmal bewusst machen, wie viel Ihr Kind tatsächlich schläft. Die Grafik bietet Ihnen dazu durchschnittliche Vergleichswerte.

Wie viel schläft Ihr Kind nachts?

Ο weniger als 8 Stunden

Ο 8 bis 9 Stunden

Ο 9 bis 10 Stunden

Ο 10 bis 11 Stunden

Ο mehr als 11 Stunden

Schläft Ihr Kind noch tagsüber?

Ο nein

Ο ja, einmal am Tag

Ο ja, zweimal am Tag

Ο ja, mindestens dreimal am Tag

Wie lange schläft Ihr Kind tagsüber?

Ο weniger als 1 Stunde

Ο 1 bis 2 Stunden

Ο 2 bis 3 Stunden

Ο mehr als 3 Stunden

Wie viel schläft Ihr Kind tagsüber und nachts zusammen?

...... Stunden

Sind Sie mit dem Schlafbedürfnis Ihres Kindes zufrieden?

Wie verteilt sich der Schlaf?

Ein Neugeborenes hat noch keine »innere Uhr« – es kennt noch nicht den Unterschied zwischen Tag und Nacht. Es schläft tagsüber und nachts etwa gleich viel. Seine durchschnittliche Schlafzeit liegt bei 16 Stunden. Die verteilt das Kind in kleinen und größeren »Häppchen« gleichmäßig auf Tag und Nacht. Allerdings gibt es in den ersten Lebenswochen oft große Abweichungen vom Durchschnittswert.

Wann ist Tag – wann ist Nacht?

Den Unterschied zwischen Tag und Nacht lernen Säuglinge im Laufe der ersten drei bis sechs Lebensmonate. Ihr Nachtschlaf wird immer länger. Anzahl und Dauer der Tagesschläfchen nehmen dagegen ab. Schon mit drei Monaten schlafen Kinder nachts deutlich mehr als tagsüber, viele kommen nun bereits mit drei Tagesschläfchen aus.

Wie viel Schlaf in welchem Alter?

Mit spätestens sechs Monaten ist es so weit: Eine etwa zehnstündige durchgehende Nachtruhe (ohne Mahlzeiten) ist normal – und für alle gesunden Kinder erlernbar. Was Ihr Kind zusätzlich an Schlaf braucht, holt es sich tagsüber. Vom sechsten Monat bis Anfang oder Mitte des zweiten Lebensjahres sind es noch zwei Tagesschläfchen: eins vormittags und eins nachmittags. Danach stellt sich Ihr Kind auf einen einzigen Mittagsschlaf um. Im Alter zwischen zwei und vier Jahren gewöhnen sich die meisten Kinder auch den Mittagsschlaf ab. Der Nachtschlaf wird ab dem siebten Lebensjahr immer kürzer, jedes Jahr ungefähr um eine Viertelstunde.

In der Abbildung sehen Sie, wie sich die Schlafdauer der Kinder entwickelt und wie sich der Schlaf je nach Alter auf den Tag und die Nacht verteilt. Wenn Sie die Schlafzeiten Ihres Kindes mit der Grafik vergleichen, bedenken Sie: Es sind die Werte der amerikanischen Schlafstudie, bei der besonders kurze Schlafzeiten ermittelt wurden. Die Kinder aus der Schweiz (siehe ) schliefen auch tagsüber deutlich länger. Ein bis zwei Stunden Abweichung von den hier angegebenen Werten sind normal. Besonders groß sind die Unterschiede bei den Tagesschläfchen.

Allerdings ist bei vielen Kindern »noch Luft drin«: Sie könnten wesentlich mehr schlafen, wenn sie bessere Schlafgewohnheiten hätten. Bei der ⇒Schlafstudie beschriebenen Studie hatte beinahe die Hälfte der befragten Eltern das Gefühl, ihr Baby bekomme zu wenig Schlaf!

Manchen Kindern merkt man ihre Müdigkeit genau an. Sie reiben sich die Augen und sind tagsüber quengelig. Sie wollen sich mit nichts beschäftigen. Andere scheinen am Tag ganz friedlich und gut gelaunt zu sein und können ausdauernd allein spielen. Die Eltern merken erst nach dem »Schlaftraining«, dass ihr Kind mit ein paar mehr Stunden Schlaf noch ausgeglichener und zufriedener ist.

Vielleicht stellen Sie aber auch fest, dass Ihr Kind viel länger schläft als die Durchschnittswerte in der Grafik angeben. In der Regel ist das kein Grund zur Sorge. Wahrscheinlich haben Sie es einfach mit einem ausgesprochenen Langschläfer zu tun.


Narkolepsie

Ein übergroßes und unwiderstehliches Schlafbedürfnis, das ein Kind mehrmals täglich anfallsartig überkommt, kann in seltenen Fällen auch Anzeichen einer ernsthaften Erkrankung sein. Diese Krankheit heißt Narkolepsie. Sie tritt aber frühestens im Grundschulalter auf und kommt so extrem selten vor, dass sie hier nicht näher erläutert werden muss. Wenn Ihnen die Schlafzeiten Ihres Kindes ganz unnormal lang vorkommen und es trotzdem tagsüber sehr schläfrig wirkt, sollten Sie vorsorglich Ihren Kinderarzt darauf ansprechen.

Mangel an Müdigkeit

Interessant könnte der Vergleich der Schlafzeiten Ihres Kindes mit den Werten in der Grafik besonders dann sein, wenn Sie feststellen: Mein Kind schläft zwar insgesamt genug, vielleicht sogar mehr als der Durchschnitt, will aber abends nicht ins Bett oder ist mitten in der Nacht plötzlich hellwach und will spielen. Ebenso wie ein Kind, das zu wenig schläft, kann dies natürlich die Eltern sehr belasten.

Türmchen bauen mitten in der Nacht

Genau so ein Fall war die zwölf Monate alte Mira: Jede zweite Nacht, irgendwann gegen ein Uhr, wurde Mira wach und war für die nächsten ein bis zwei Stunden topfit. Sie dachte gar nicht daran, wieder einzuschlafen, sondern wollte jede Menge »Action«.

Miras Mutter war um ein Uhr nachts verständlicherweise nicht gerade danach zumute, mit ihrer Tochter Türmchen zu bauen. Sie versuchte es mit dem Fläschchen, sie holte Mira zu sich ins Bett – alles war vergeblich. In ihrer Verzweiflung fand die Mutter schließlich keinen anderen Weg, als die kleine Mira in ihr Bettchen zurückzubringen. Mira schrie bis zu einer Stunde. Irgendwann schlief sie schreiend ein. So lief es jede zweite Nacht.

Unser Beratungsgespräch ergab, dass Miras Schlafzeit das Kernproblem war: An ihren »guten« Tagen, an denen sie nachts nicht aufwachte, schlief sie von sieben Uhr abends bis sieben Uhr morgens, dazu kam ein dreistündiger Mittagsschlaf; insgesamt kam sie also auf 15 Stunden. Das war zu viel! Genau deshalb war Mira nachts wach – aus Mangel an Müdigkeit. Die Lösung war denkbar einfach: Mira musste regelmäßig nach eineinhalb Stunden Mittagsschlaf geweckt werden. Sie schlief nach der zweiten Nacht durch. Die erleichterte Mutter war fassungslos. Sie hatte das Schlafbedürfnis ihres Kindes einfach überschätzt.

So etwas kommt gar nicht selten vor. Die meist scherzhaft geäußerte Vorstellung mancher Eltern, ihr Baby möge doch bitte von sechs Uhr abends bis neun Uhr morgens schlafen, muss deshalb eine Wunschvorstellung bleiben.

Die bittere Wahrheit lautet: Wer sein Kind abends um sechs ins Bett legt, muss damit rechnen, dass es morgens um vier ausgeschlafen ist!

Jeden Abend das gleiche Spiel ...

Die Geschichte vom zehnjährigen Udo zeigt, dass auch bei älteren Kindern Probleme durch zu frühes Zubettbringen entstehen können.

Udos Mutter schickte ihren Sohn täglich zwischen 19 und 19.30 Uhr ins Bett und knipste das Licht in seinem Zimmer aus. Jedoch wurde regelmäßig nichts aus dem ersehnten ruhigen Abend für die berufstätige allein erziehende Mutter. Seit Jahr und Tag kam Udo immer wieder aus seinem Zimmer ins Wohnzimmer, hatte Durst, Hunger, wollte diskutieren und schlief erst zwischen 21.30 und 22 Uhr abends ein.

Am Wochenende durfte Udo ohnehin so lange aufbleiben. Dann ging er friedlich ohne Theater ins Bett. Auch am Wochenende stand er um sieben Uhr morgens auf, genau wie während der Woche, wenn er zur Schule musste. Damit war klar: Udo bekam genug Schlaf, sonst hätte er ihn am Wochenende nachgeholt. Neuneinhalb Stunden entsprechen auch ungefähr dem Durchschnitt für sein Alter.

Trotzdem war der Mutter nicht zuzumuten, jeden Abend mit ihrem Sohn bis fast 22 Uhr das Wohnzimmer zu teilen. Wir einigten uns auf folgende Lösung: Bis 19.30 Uhr musste Udo sich für die Nacht fertiggemacht haben. Hielt er sich daran, kam die Mutter noch bis 20 Uhr zu ihm auf die Bettkante. Sie konnten reden oder spielen – ganz nach Udos Wünschen. Dann verließ die Mutter das Zimmer, und Udo durfte sich noch bis 21.30 Uhr in seinem Zimmer allein beschäftigen. Bedingung: Er musste seiner Mutter in dieser Zeit ihre wohlverdiente Ruhe lassen. Udo war mit diesem Vorschlag sofort einverstanden. Auch ihm erschien er als Verbesserung. Nun konnte er innerhalb weniger Minuten einschlafen, sobald das Licht ausgemacht wurde.

Jedes Kind kann schlafen lernen

Подняться наверх