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ZWEITES KAPITEL
Heimkehr

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Inhaltsverzeichnis

Gegenüber dem Hotel Regina, in einem Hause, welches die Ecke der Max-Joseph-Straße und des Maximiliansplatzes bildet, war die oberste Etage seit einigen Tagen bewohnt. Geräumig und weitläufig, wenn auch von geringer Höhe, für einen mehrmonatigen Aufenthalt wie geschaffen, hatte sie der junge Leutnant Herbst, ganz aus eigenem Ermessen, für die Seinen gemietet. Denn in dieser Familie wußte der eine immer genau, was dem anderen genehm sein würde. Die Aussicht war genußreich und interessant: über die Anlage und die Häuser hinweg zu dem langen bronzierten, infolge verschiedener niedergerissener Bauten zur Zeit freigelegten Dach der Frauenkirche und ihren zwei Türmen. Freilich standen die Bäume jetzt kahl, grobe Planken deckten den Wittelsbacher Brunnen, dessen schöne Bewegtheit sich dem Auge auf viele Monate entzog. Die Luft trug nicht mehr sein sanftes Rauschen, nicht die klingenden Blitze über das Geäst. Keine Stadt entzaubert sich so ganz wie München, wenn der Winter sie belagert.

In einer milden Mondnacht zwar hatte der Umzug noch stattgefunden. Am Ende eines Tages, der sich so schmerzlich laut verklärte, ja gleichsam in der Luft vertonte, als wolle er nicht scheiden, weil er der letzte war. Er blaute noch, als der Orientexpreß über die Großhesseloher Brücke stob und Daphne Herbst, die auf ihrem Fensterplatz dem Vater gegenübersaß, die Scheibe schnell herabließ. Unten floß tief ergrünt die Isar. Von den Alpen fast bedrohlich nahe umzackt, lag die Stadt am Rande eines Horizontes, der sie in Glut und Schwefel badete. Herrliches Gewölk jagte wild aufgeregt dahin, im Lichte den Sturm ausrufend. Ein Bild des Abschieds, nicht des Willkomms, zuckte vorüber, vom Walde alsbald überholt. Den Morgen darauf war alles verlöscht, im Regen ertrunken. Und nun?

Daphne Herbst hatte unverweilt den Kampf mit den trüben Reflexen der Witterung aufgenommen. Die barsche Novemberdämmerung brach sich an dem Schein des zitronengelben Damastes, der schon die Wände umspannte, den köstlich gerahmten Stichen, dem Licht der Lampen, die hinter ihren pergamentnen Scheinen brannten. Der alte Herbst, überschlank für seine Jahre, lag auf dem Diwan. Er brauchte nur die Hand auszustrecken, um nach der vertrauten Zigarettendose, dem schwer inkrustierten Falzbein, der antiken Schale zu greifen. Teppiche waren gebreitet, banale Lehnstühle maskiert; die Kissen, die bunte Seide, das alte Silber am Teetische, drei kaum erschlossene rote Rosen und bräutliches Andiantum: ebenso viele Farben, die von Zuversicht und Wärme blühten oder sie vortäuschen sollten.

Constantin Herbst hielt den Kopf so tief gesenkt, daß man seine Züge nicht sah, nur das erbleichte Haar. Daphne, in einem Sessel vergraben, sah halb versonnen, halb umsichtig um sich her. Morgen sollte der Flügel kommen. Ihre eignen Koffer waren noch nicht ausgepackt.

»Ob wir uns hier wohl fühlen werden?« fragte ihr Vater.

Daphne wußte, was für verschlungene Gedankengänge, zum Zerspringen vielfältige Empfindungen besonders, diese paar Worte voraussetzten, ohne daß ihm in den Sinn gekommen wäre, sie zu äußern. Dazu fehlte das Organ. In diesem Punkte glich er einem Tier. Er war stumm wie ein Pferd. Daphnes Beklommenheit wuchs.

»Gehst du wirklich bei diesem Wetter noch aus?« fragte sie, denn er hatte sich erhoben.

»Natürlich«, sagte er, schritt rasch durch das Zimmer und betrat den Gang. Sie hörte ihn seinen Mantel verlangen und die Haustüre zufallen. Sie seufzte, jedoch sie folgte ihm nicht. Aber zum Fenster hinausgebeugt, konnte sie ihn im Scheine der Laternen ins Freie treten sehen, wo er alsbald gegen Wind und Regen anzukämpfen hatte. Über die Dächer hinweg — die jetzt nur mehr eine schwarze Masse waren — verfolgte sie im Geiste seinen Weg. Da kam zuerst der Lenbachplatz, die Pfandhausstraße, der Promenadenplatz, eine kleine Querstraße dann...

Daphne wandte sich wieder dem Raume zu, den sie so schön und behaglich gestaltet hatte. Es blieb noch viel zu ordnen. Sie wollte sich einen Augenblick der Ruhe auf dem Diwan gönnen, hob eine Zeitung auf, entfaltete sie.

Nicht lang, und sie entgleitet ihren Händen. In der Rast stellt sich das Gefühl der Erschöpfung ein.

Sie schläft.

Laßt sie uns betrachten.

Denn wie eine romanische Steinfigur vom Sockel gestürzt, in so geschlossener Pose liegt sie da. Es sind dieselben Umrisse. Die fast bange Zartheit der Gestalt, dasselbe Relief. Im Widerspruch steht nur diese heidnisch freie, wenn auch schmale Stirn, dies leichtsinnig goldene Haar, welches die Blässe des kleinen Gesichtes besonnt. Auch dies kleine Gesicht.

Wer ist das? Wo ist sie her? Bei was für Leuten befinden wir uns hier? — Es ist bald gesagt.

Daphne Herbst

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