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VIERTES KAPITEL
Familie Herbst

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Inhaltsverzeichnis

Da indes Helga einem Hausstand widerstrebte, beschränkte sich dieses Daheim auf einige Zimmer, deren Zahl sich in der Folge verdoppelte, in einem Hotel der Place Vendôme. Dort gründeten die beiden eine originelle Familie. Sie behielten ihre entgegengesetzten, aber keineswegs sich ergänzenden Eigenschaften bei, und es war und blieb eine spaßige Ehe. Constantin war kein gebildeter Mann. Die Umgebung, in welcher er aufwuchs, stellte sich nur dem Auge als erlesen dar. Wohin man blickte, hingen reizende Lüster von der Decke, reinstes bayrisches Rokoko grüßte von allen Wänden. Denn im vorigen Säkulum hatte es einen sehr kultivierten Währingen gegeben. Ihm dankte man auch die schönen Aubussons, die gußeisernen Stiegen, Rampen und Gitter. Die Kapelle auf Fünfeck war berühmt. Nur zur Anlage einer Bibliothek brachte er es nicht mehr. Er zog sich am Ende seines Lebens auf das Wasserschlößchen Herbst zurück, das aus einer viel früheren Epoche stammte, hegte dort seine paar Inkunabeln, die genügten ihm. So kam es, daß Währingens weder auf dem Lande noch in ihrem Stadthaus einen nennenswerten Bücherschrank ihr eigen nannten. Bei Gelegenheit einer Hochzeit sollten einmal die Klassiker gestiftet werden, aber die Brautleute besannen sich dann anders und einigten sich auf einen englischen Teetisch mit Seitenfächern zum auf- und niederklappen. Teuer, aber ein Traum. Im übrigen hatte man ja die Leihbibliothek; sie bot die entsprechende Kost. Und da nichts beharrt, da immer alles steigt oder sinkt und vorwärts oder rückwärts strebt, hemmte nichts die geistige Verbauerung der Familie, wenn auch noch so fesch kutschiert und geritten wurde und stets die letzten Schnittmuster sowie die »Queen« und »The Lady’s Pictorial« für die Damen einliefen. Man entbehrte nichts.

Wie war Constantin zu seiner kontemplativen, seiner musischen Ader gekommen? Nicht nur die Leidenschaft, auch ein uneingestandener Selbsterhaltungstrieb hatte ihn hinweg von den Wiener Komtessen und ihrem so abgeleierten Gesichtskreis in die Arme Helgas getrieben. Bei ihr war eine so andere Art von Feinheit zu Hause. Sie trug den Kopf hoch, und daß sie keine Dilettantin war, fesselte ihn seltsamerweise am meisten. Ihre Beteuerung, sie würde weniger denn je von ihrer Geige lassen, stellte sich nicht als trügerisch heraus, und sie ihrerseits glaubte eines intellektuellen Gatten sehr wohl entraten, ohne ihn sich behaupten zu können. »Er ist unterhaltender, er ist witziger als ich«, dachte sie dann wohl; »er ist charmanter.« In Wahrheit glich sein Inneres einer photographischen Platte. Die Rolle lief ad infinitum, entwickelt wurde sie nie. Er traf nicht selten den Nagel auf den Kopf, aber mehr als Randbemerkungen stellte er nicht. Zur ersehnten Aussprache gelangte Helga zeitlebens nicht mit ihm. Ja, in barer Ermanglung einer solchen Möglichkeit gab es zwischen ihnen viel Streit. Nur erwies er sich, wollte einer von beiden ihn ernst nehmen, jedesmal als ein Sturm im Glas Wasser; eine Vexation; nichts darüber hinaus. Constantin entwickelte sich zu einem leidenschaftlichen Touristen und behielt seine Junggesellenallüren bei, seine Handtasche mußte immer bereit sein. Den Angehörigen, mit Ausnahme Vetter Ariberts, seinem Erben bei Lebzeiten, blieb er zwar entfremdet, aber an das schöne Inventar auf Tuntenzell, Herbst und Fünfeck dachte er viel. Für schöne Gegenstände schärfte sich rückblickend sein Auge, er fuhr fort, sie zu suchen, da er die eigenen vermißte. Eben dies bewirkte, daß in der Folge ein Sammler aus ihm wurde, ein Kenner, der in Fachkreisen viel beachtet und befragt wurde. Seine einzige, aber intensive Lektüre waren Kataloge und Tagesblätter. Immer blieben die Interessen der beiden getrennt. Wie er nie ein belletristisches Buch, so nahm Helga nie eine Zeitung zur Hand. Constantin verfolgte alle politischen Ereignisse mit heftiger Anteilnahme, dennoch war er der größere Träumer, Helga, die um nichts ihren der Kammermusik geweihten Abend geopfert hätte, war nebenbei gesellig, eine Modesalonnärrin, wie Constantin sie nannte, gab Einladungen, von welchen er sich im letzten Augenblicke zu drücken liebte, hielt einen Jour, bei dem er sich zwar niemals zeigte, dessen Datum er aber des öfteren vergaß. Kam er aus Versehen heim, so öffnete er leise die Tür und lauschte verstohlen den Gesprächen, ja er streckte wohl den Kopf herein, um zu sehen, wer da war. Einmal wurde er dabei ertappt, und den Besuchern jenes Tages blieb Helgas helles Gelächter unvergeßlich. Wie klar und einfach bei aller Schattiertheit die Wesenslinien dieser schwärmerischen jungen Frau im Grunde waren, blieb grade ihren Pariser Freunden nicht lange ein Geheimnis. Auch den Billettchen, die sie an ihre Verehrer zu meistern liebte, gingen diese nicht lange auf den Leim. Schneller noch, als sie wünschte, wurde sie von ihnen durchschaut. So beruhte in einer Parität des Wertes und in der Würde der Lebenshaltung die einzige, wenn auch entscheidende Gemeinsamkeit des ungereimten Paares. Allein, wer sich an den Kopf griff und sich fragte, wie es denn möglich war, daß es sich gefunden hatte, hörte auf, sich zu wundern, wenn er die Kinder erblickte. Fabelwesen gleich, flatterten sie in ihren lichten Kleidern daher. Daphne kam zuerst, die Musik saß ihr im Blute, jedoch das Wunder war Constanze. Erst hatte Helga Kalender, Bücher, zuletzt den Gotha durchstöbert, kein Name war ihr romantisch noch hoch gegriffen genug. Constantin lachte sie aus, und sie erkannte bald, wie wenig es ihrer einzigartigen Tochter hinzutat, daß sie Daphne hieß. Eine zweite wurde kurzerhand nach ihrem Vater Constanze genannt und ein Sohn Franzl, ohne viel Federlesens. Sie waren im Alter einander so nahe, große Spottvögel von unbändiger Lachlust. Tierische Eigenschaften wie Eifersucht oder Gier kamen bei ihnen nicht auf. Als die kinderlose Philiberte sie eines Tages im Bois einherziehen sah — auch ihr Bruder war jetzt entwaffnet —, erklärte sie hingerissen, die Patin des vierten Geschwisters sein zu wollen.

»Wir sind uns genug«, wehrte Constanze ab, denn immer führte Constanze das Wort.

»Wir sind uns genug«, hatten darauf hin die beiden anderen gerufen.

Dennoch stand Philiberte einige Jahre später bei einer dritten Tochter Gevatter. Als sie sprechen lernte, hatte sie Mühe mit dem Namen Philiberte und nannte sich Flick. So blieb es bei Flick. Sie war zu klein, um den Anschluß bei den Größeren zu finden, diese hingen immer enger zusammen. Daphne widerfuhr das Mißgeschick, daß sie die Treppe hinunterstürzte. Zwar schlug sie nur das Schienbein auf, dennoch gestaltete sich ihre Heilung sehr schwierig. Dunkle, knopfähnliche Wunden bildeten sich an Stelle von Narben, und ein zweijähriges Krankenlager stellte sich als unerklärliche Folge eines scheinbar so geringen Unfalls heraus. Da sie nicht mehr musizieren konnte, lernte sie zeichnen. Sie klagte nie, wünschte sich aber ein breites, niederes, muschelförmiges Bett, eine Ampel am Kopfende und eine meergrüne Seidendecke. Dieses Muschelbett, nach einem Entwurf der Wiener Werkstätten gezimmert, wurde der Mittelpunkt der Familie. Nichts schied in Daphnes Gegenwart die Eltern; sie selbst war die Ergänzung der ungleich gearteten Gatten. Constantin saß stundenlang an ihrem Lager und rauchte eine Zigarette nach der anderen, Helga kam und ging. Alles Leben verzog sich aus den anderen Räumen nach diesem Zimmer. Jedoch das Wunder war Constanze mit den funkelnden Pupillen, großen Herzkirschen gleich. Um sie zog sich der Kreis, auf daß sie der Familie ihre Vorstellungen gebe. Eine Mütze, ein Damenhut, ein Schlips genügten, um jene Bekannte, diesen Musiker, Diplomaten oder Lieferanten, den Portier des Hotels nachzuahmen. Wer das trillernde Gelächter der Kinder vernahm, brauchte den Anlaß nicht zu wissen, sie nicht zu sehen, um mitzulachen. Unzärtlich und undemonstrativ, kam doch nichts ihrer Eintracht gleich. Unnachahmlich die Bewegung, mit der Constanze zudringlichen Besuchern, welche die Kinder zu küssen unternahmen, abwinkte. Auch die Eltern hatten sich zu fügen. Constantin war in Constanze vollkommen vernarrt. Jeden Ulk trieb sie mit ihm. Sie versteckte und sperrte seine Reisetasche ab, wenn sie zu oft in Gebrauch kam, und sie merkte, daß es ihre Mutter verdroß. Suchte er sie, verlangte ärgerlich nach ihr, wollte keiner Auskunft geben, war es Constanze, einen seiner Hüte seitwärts aufgestülpt, die, blitzenden Auges, den Arm in ihre süße, flügelleichte Seite gestemmt, ihm herausfordernd entgegentrat. Constantin, der nicht lachen wollte, sank in einen Stuhl. Wer hätte ihr widerstanden?

»Constanze ihrem Constantin«, hieß die Widmung, die sie mit einem großen Pinsel Daphnes auf einen Karton entwarf, den sie ihm für seine Stiche schenkte. Auch Weihnachten ging nach ihrem Kopfe vor. Nicht um die Kinder, um die Eltern drehte es sich. Die Kinder schmückten den Baum. Die Eltern waren es, die warten mußten, bis sie gerufen wurden, um mit phantastisch schönen Dingen, wie Kinder sie sonst nicht geben, beschert zu werden. Der Begriff Geld war für sie gleichbedeutend mit Geschenkegeben; sie fanden das interessanter, als sie zu empfangen. Selten, daß sie etwas wünschten, wie Daphne, als sie dem langen Krankenlager entgegensah, ihr niedriges Muschelbett und ihren Farbenkasten. An Stelle des Respektes für ihre Eltern hatten die Kinder die Distanz gesetzt. Es war genau dasselbe in reizenderer Form. Mit jedem Jahr schloß sich dieser Kinder wegen die Familie enger zusammen, genügte sich mehr und mehr, empfand Außenstehende, Freunde wie Bekannte, als überflüssig, wenn nicht lästig. Nur von Flick hieß es immer, sie sei noch zu klein. Ihr Dasein zog seine eigenen Kreise. Daphne hatte sich von ihrem rosa und grünen Najadenbett, das längs des Fensters aufgestellt war, unzählige Male an ihrem Modell, der Place Vendôme und ihrer Säule, versucht, geduldig, intensiv, mit steigender Freude. Nicht allzu gerne duldete man Besuche, die lange bei ihr verweilten. Öfter als nicht kündete Constanze das Eintreffen des Arztes, damit sie gingen und man Daphne wieder für sich hatte. Sie erholte sich. Wie eine blasse Rose, ein wenig steil, nicht durch Willkür, durch ihre Kostbarkeit abseits gestellt. So kam ein Jahr, das in seiner Kurzweil ein wenig unerhascht vorüberflog. Lind wie Schnee war es vergangen. Constantin war lange nicht fort gewesen. Im Winter war er stets seßhafter. Er hatte kein Verhältnis zur Natur im Winter. Dann war ihm der Ausblick auf den Dôme des Invalides, das Spiel der Wolken über dessen Kuppel »Landschaft genug«. Erst das Grün, die flutenden Schatten des Frühlings lockten ihn unwiderstehlich ins Weite. Sie war noch fern, die schöne Jahreszeit, dafür blühte der Frühling in Gestalt der Kinder im Haus. Ihr Regiment hatte sich noch gefestigt. Es setzte die Gegensätze der Eltern außer Kraft. Man achtete der Monate nicht. Der harte Januar hatte sich als ein Wintermärchen abgespielt, einer Nachtmusik gleich war dies instrumentierte Familienleben.

Nur eins war außer acht gelassen worden. Aber fürwahr: wer hätte in der schlagfertigen, geistsprühenden Constanze den geringen Widerstand vermutet? Februar neigte sich dem Ende. Es nahten die Iden des März. Flick brachte eine Kinderkrankheit heim. Sie wurde isoliert. Zu spät. Mit vierzehn Jahren war die vergötterte Constanze dahin. Sie blühte noch am Morgen, erblaßte um die Mittagsstunde, kämpfte hart in den späten Abend hinein. Es fehlte so wenig. Vielleicht wenn sie den Morgen noch gesehen hätte... Allein es interessierte sich der Teufel für dieses Haus. Durch welche Ritzen war der Bejaher der Zerstörung, der Verneiner von Zusammenklängen eingedrungen? Triumphierend zog er durch die Räume, schlug Türen unhörbar zu.

Auf weißem Atlas gebettet wurde die stille Constanze in den Sarg gelegt. Er verschwand unter Blumen. Sie umschlangen ihn ganz. Nicht minder ein Sarg. Nichts mehr über sie. Helga sprach den Namen des verlorenen Kindes nicht mehr aus. Dort, wo sich ihr Bild, einem Brandmal gleich, den Herzen einpreßte, wurde sie nicht mehr genannt. Aber Helgas Kopfhaltung war eine andere geworden. Stirn und Schläfen waren anders umweht. Es war eine Luft der Schmerzen, in die sie ragten. Daphnes Augen entging dies nicht. »Constanze ist tot!« war der Ruf, der eines Nachts aus dem Zimmer des Vaters drang. Helga stürzte zu ihm. Doch er schlief. Aber oft und oft wurde fortan dies Echo seines Bewußtseins im Schlafe laut.

Der Winter, der Constanze mitgenommen, war den Strom hinabgeflossen. Der Frühling rauschte ins Land, er umschmeichelte die Stelle, ekstatisch lockte er Blumen aus dem frischen Erdhügel, der sich über das spottlustige Mädchen mit dem silbernen Gelächter schichtete. Es waren sechs Wochen, sechs bleierne Wochen für die Familie Herbst vorübergegangen, als Helga eines Nachts, wie von einem inneren Sturmwind getrieben, an Daphnes Lager hintrat, die, auch sie von einem Traume aufgeschreckt, eine Sekunde zuvor ihre Ampel entfacht hatte. Mild, begütigend ergoß sich ihr Licht. Aber Daphne sah Entsetzen in den Augen ihrer Mutter.

»Was hast du?« fragte sie atemlos.

»Wir kümmern uns zu wenig um Flick.«

»Um Flick?« flüsterte Daphne. »Cilly (es war die Kinderfrau, sie hatte die Geschwister der Reihe nach aufgezogen) lebt nur noch für sie. Verlassen wir Paris«, setzte sie atemlos hinzu. »Diese Zimmer sind verhext. Wir müssen Franzls wegen ohnedies bald ziehen. Warum nicht gleich?«

»Nein. Noch nicht. Was tut’s?« erwiderte Helga. Sie schwiegen. Daphne schauderte zurück vor dem Gedanken, der immer wieder in ihr aufstieg; aber war es nicht natürlich, daß man Flick, die noch so klein war, nicht in demselben Maße betrauert hätte? Franz hatte es heftiger, schonungsloser formuliert. Es war ihre Krankheit gewesen. Sie hatte sie ins Haus gebracht. Sein Jammer um Constanze entschuldigte ihn. Daphne sah Furcht in den Augen ihrer Mutter. Zu Füßen des Bettes, zurückgelehnt, fröstelte sie. Daphne hüllte sie in die meergrüne Decke ein.

»Schon ein Vogel, hörst du?« sagte sie. »Gottlob, diese Nacht ist vorüber.«

Sonderbar, wie schnell sich in der Nähe dieser Tochter Helgas Grauen legte. Von diesem Tage ab datierte ihr heroischer Entschluß, sich gegen ihre Trauer zu stemmen. Sie nahm ihre Geige wieder auf, widmete sich den Ihren, zog besonders Flick heran.

Daphne Herbst

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