Читать книгу Wir sind die Flut - Annette Mierswa - Страница 11
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ОглавлениеSchultage waren Avocadotage. Ich hatte immer eine dabei, natürlich bio. Maya sagte sogar Avacado dazu, weil ich sie so sehr liebte. Seit ich vegan aß, war ich Avocadierin, denn da war vieles drin, was ich an gesunden Fetten und Vitaminen brauchte. Ben, der Depp, nannte mich immer Biotönnchen de luxe, dabei war ich nun wirklich kein Tönnchen. Und das Bio zeigte doch, dass ich etwas bewusster mit der Umwelt und meinem Körper umging als so manch anderer. Ben schob auch immer demonstrativ seine Bifi vor meiner Nase aus der Verpackung und machte dabei Geräusche wie kurz vor einem Orgasmus. Das war echt völlig daneben. Unsere Väter hatten zusammen studiert und waren beide erfolgreiche Anwälte. Aber Bens Vater hatte oft echte Kriminelle als Klienten: Großkonzerne, Autobauer, Steuerbetrüger und Banken. Papa war zwar auch kein Engel, aber VW hätte er niemals vertreten, auch Bayer-Monsanto nicht und diese Cum-Ex-Verbrecher. Auf Instagram hatte ich mal gepostet, dass die Bahn haufenweise Glyphosat auf die Gleise sprüht, um sie von Unkraut frei zu halten. Da kommentierte Ben, sein Vater hätte gerade durchgeboxt, dass das Gift noch länger zulässig bleiben würde und daher zum Glück weiterhin jeder siebte Zug pünktlich ankomme. Mit Zwinkersmiley. Echt ein Riesenarsch. Was mich jetzt auf die Barrikaden brachte, war diese blödsinnige Themenverteilung für die Referate zu unserer Klimawoche, für die ich mich bei Frau Liebscher enorm eingesetzt hatte. Ben und sein Eisbär auf der Scholle. O Mann. So ein wichtiges Thema bei diesem Vollidioten. Dem fiel wahrscheinlich die Titanic dazu ein oder Langnese. Echt verschenkt! Und Leon hatte das Pendant zu Bens Karte: An den Polen wird die Eisfläche kleiner, weil sie schmilzt, während einige Südseeinseln langsam untergehen, weil das Wasser steigt. Dazu hatte ich gleich tausend Ideen, vor allem jetzt, wo sogar meine Heimat betroffen sein würde. Aber zu einem Weizenfeld?
Die Schulstunden plätscherten so vor sich hin, während ich darüber nachdachte, was man tun könnte, um unseren Untergang aufzuhalten, und dabei immer mehr resignierte. Ein anderer Text auf dem Demoschild? Ein Aufruf über Instagram? Pfff. Ich hatte gerade mal 47 Follower, die meisten waren aus meiner Klasse. Mal sehen, was das Planungstreffen am Nachmittag bringen würde.
»Nicht vergessen: Morgen ist Demo!«, rief ich in den Raum, als es zur Pause läutete – was mit einem kollektiven Aufstöhnen kommentiert wurde.
»Das bringt doch eh nix.« Saskia klopfte auf ihre Karte, die auf dem Tisch lag. Die rauchenden Schlote eines Kohlekraftwerks waren darauf abgebildet. »Es ist kaum etwas passiert seit Beginn der Demos.«
»Genau«, sagte Sally, »hier ein Entschlüsschen, da ein Kompromisschen. Vergiss es! Und wir sind auch nicht Greta. Der hört man immerhin zu.«
»Dabei hast du so schöne Greta-Zöpfe«, höhnte Ben in Fistelstimme und legte sich imaginäre Zöpfe über die Schultern. Besat lachte und schlug mit ihm ein.
»Du Lauch.« Sally boxte ihm auf den Rücken.
»Wir sind doch alle ein bisschen Greta, wenn wir da hingehen«, warf ich ein. »Die hat sich einfach jeden Freitag mit ihrem Schild vors Parlament gesetzt und demonstriert. Fertig. Und irgendwann ging es durch die Medien und es kamen immer mehr von uns dazu. Der Rest ist Geschichte.«
»Und was hat’s gebracht?« Saskia blickte auf ihr Handy, während sie sprach.
»Na, immerhin reden alle übers Klima und die Wissenschaftler werden mehr beachtet. Wenn nicht gerade ein Virus wütet und alles lahmlegt.«
»Von wem beachtet? Trump? Bolsonaro? Die Brasilianer wollen sogar noch mehr Regenwald abholzen, vor allem für Soja und Rindfleisch. Damit wir auch weiterhin dreimal am Tag Fleischlappen in uns reinschaufeln können. Und hier bei uns traut sich ohnehin keiner was Großes. Es könnte ja Wählerstimmen kosten und der AfD in die Hände spielen.« Saskia nahm ihre Tasche und machte Jonas ein Zeichen, der an der Tür stand und wartete.
»Und deshalb schauen wir lieber tatenlos zu, bis uns das Wasser bis zum Hals steht, oder was?« Ich sah Hilfe suchend zu Leon, der nur zaghaft nickte. »Wollt ihr einfach aufgeben?«
Saskia zog die Schultern hoch. Ben, Besat und Lela verließen murmelnd den Raum. Sally blickte schweigend auf ihr Handy. Leon suchte etwas in seinen Hosentaschen und Maya legte mir eine Hand auf den Rücken.
»Du solltest mal wieder mit zum Tanzen kommen. Das bringt dich auf andere Gedanken.«
Ich blickte sie an. »Maya, nee jetzt. Du auch?«
»Ich hab ehrlich gesagt keinen Bock mehr, immer am Wochenende den Stoff nachzuholen und dafür jedes Mal Tanzen sausen zu lassen.« Sie sah mich traurig an und packte ihre Sachen ein.
Hinter ihr, an die Wand gelehnt, stand Kruso und blickte aus dem Fenster.
»Und du?«
Er drehte sich langsam zu mir um und schien zu rätseln, ob ich tatsächlich ihn meinte. »Ich kann nicht, werde auf dem Hof gebraucht.«
»Ach ja, ich vergaß«, sagte ich grimmig, »der geht ja auch nicht unter, stimmt’s?« Kruso sah mich mit großen runden Augen an.
Ich gab es auf und wandte mich Leon zu. »Aber wir treffen uns doch morgen, oder?«
»Klar. Ich erzähl dir was über die Landwirtschaft und du …« Er schwenkte seine Karte vor meinen Augen.
»Abgemacht. Aber nach der Demo.« Er rollte mit den Augen. »Du kommst doch mit, oder?«
»Zu deinem persönlichen Schutz.«
»Sehr witzig.«
»Aber Schwimmflügel ziehe ich nicht an.« Er wedelte mit angewinkelten Armen wie ein flatterndes Entchen. »Vielleicht lieber einen Rettungsring, in den wir beide reinpassen.« Er legte seine Arme um mich wie einen Ring, ließ sie aber gleich wieder auseinanderschnellen und wich einen Schritt zurück. In seinen Wahrsagekugeln peitschte die See, genau wie in meinem Herzen. »Wie wär’s nachher mit einem Eis?«
»Oh ja, was Kühles kann ich gut gebrauchen.« Ich blickte auf die Uhr an seinem Handgelenk. »Ach nein, nach der Schule ist gleich unser Planungstreffen. Komm doch einfach mit.«
»Zu den Froschmännern? Nee, lass mal. Bei den Demos dein Bodyguard zu sein, reicht mir völlig.«
»Es geht ja nicht um mich, sondern um unsere Zukunft.«
»Oh«, er grinste, »die sieht bei mir rosig aus.«
»Ach ja?« Ich hielt ihm meine Ackerkarte vor die Nase. »Nicht eher weizig als rosig?«
Er nahm einen roten Kugelschreiber aus seiner Tasche und zeichnete eine kleine Rose in das Kornfeld. »Nein, rosig.«