Читать книгу Wir sind die Flut - Annette Mierswa - Страница 14

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Poppy kotzte. Genau vor meine Füße. Dann legte sie sich auf den Boden und winselte.

»Was hast du denn?« Ich streichelte ihr durchs Fell.

»Vielleicht solltest du mit ihm zum Tierarzt gehen.«

»Vielleicht hat sie etwas Verdorbenes gefressen.«

Leons Handy brüllte wie ein Löwe. Sein Klingelton.

»Dad? Sorry … Hi. Hm? … Neben mir … Ja …« Er blickte zu Poppy. »Ja …« Er wandte sich ab und sprach ein bisschen leiser. »Nein, konnte ich nicht. Ging zu schnell … O Mann.« Er sah mich entschuldigend an und lief ein paar Schritte den Feldweg entlang. »Und jetzt?«

»Hallo.« Ich schreckte hoch. Kruso stand vor mir, die Forke auf den Boden gerammt wie eine Lanze. »Das Gift.« Er blickte zu Poppy.

»Welches Gift?« Er zeigte zu Klamms Acker hinüber, auf dem schon wieder gesprüht wurde. Und da verstand ich. »Du meinst … Poppy?« Er nickte. »O mein Gott!« Poppy legte sich über meine Füße und winselte.

»Komm. Meine Mutter kennt sich aus.« Er warf die Forke auf den Boden, hob Poppy vorsichtig hoch und ging voraus. Ich lief hinter ihm her wie hypnotisiert. Poppy, Poppy, Poppy, war alles, was ich denken konnte. Sie hatte plötzlich Schaum vor dem Mund und hing schlapp in Krusos Armen.

Mit dem Stiefel stieß er eine schwere, mit Eisen beschlagene Tür auf. Ich folgte ihm und versuchte dabei, meine Panik im Zaum zu halten. Wir kamen in eine Küche, die aussah wie aus dem letzten Jahrhundert. Fast alles war aus rustikalem Eichenholz und um jeden Gegenstand waren Deckchen drapiert, bunt bestickt mit Bauernweisheiten. Eines hing über der Eckbank und fiel mir sofort ins Auge: Wenn du im Herzen Frieden hast, wird dir die Hütte zum Palast.

Am Tisch saß eine schmale, hübsche Frau, die so gar nicht meinen Vorstellungen von einer armen Bauersfrau entsprach, vor einem Stapel Briefe. Sie war modischer angezogen als Kruso und hatte zu engen Jeans schmale Gummistiefel mit Blümchenmuster an. Dazu ein tailliertes Shirt, durch das sich der BH abzeichnete, und ein pinkes Tuch um den Kopf gewickelt, unter dem ein paar Löckchen herausguckten. Sie wirkte wie ein Fremdkörper in dieser urigen Küche.

»Oh, Besuch«, sagte sie freudig und kam auf mich zu. Dann sah sie Poppy. »Und gleich zu zweit.« Sie blickte in Krusos ernstes Gesicht und begriff sofort. »Klamm?«

»Ja. Der Hund hat …«

»Ich hol die Kohletabletten … und Atropin.« Sie eilte aus dem Raum.

»Woher weiß sie …?« Ich nahm Poppy aus Krusos Armen, setzte mich auf einen Stuhl und legte sie auf meinem Schoß ab. Dieses Fellknäuel war ein Teil von mir, gehörte zu meinem Leben wie Leon. Meine Hände zitterten.

»Ist nicht das erste Mal«, sagte Kruso knapp. »Sie kennt sich damit inzwischen genauso gut aus wie eine Ärztin.«

»So.« Frau Rusowski holte eine Blechdose aus einer Tasche, legte sie auf dem Tisch ab und wühlte darin herum. »Hier.« Sie drückte zwei Kohletabletten aus einer Packung, schmierte etwas Leberwurst auf einen Finger, klebte die Tabletten hinein und schob Poppy den Finger in den Mund. Die sah mich an, als wolle sie sich eine Erlaubnis holen, und leckte den Finger dann willig ab. »Bestens.« Frau Rusowski wühlte wieder in der Dose und zog schließlich eine Ampulle und eine Spritze heraus. Ich legte sofort meine Arme schützend über Poppy.

»Soll sie leben oder sterben?« Frau Rusowski sah mich an, die Spritze in der Hand.

»Leben«, presste ich hervor. »Natürlich leben.«

»Eben.« Und zack, hatte sie Poppy die Spritze in ihr weiches Hinterteil gesteckt. Poppy zuckte kaum merklich, während ich immer hysterischer wurde.

»O mein Gott, Poppy!« Ich drückte sie an mich und zitterte wie verrückt. Die Tür flog auf. Ute. Leons Mutter.

»Avi, meine Süße.« Sie stürzte auf mich zu und umarmte mich. »Ich hab es gerade gehört.« Dann sah sie Frau Rusowski, die noch die Spritze in der Hand hatte. »Ah, Sybill, zum Glück hast du alles da.« Sie klopfte auf ihre Tasche und lachte übertrieben. »Ich hab vorsichtshalber auch alles dabei.«

»Ist schon erledigt.« Die Frauen umarmten sich wie alte Freundinnen. Ich nahm es verblüfft zur Kenntnis.

»Ich …« Ute blickte Sybill traurig an.

»Ich weiß«, sagte diese. »Du musst nichts sagen.« Sie zeigte auf eine bestickte Decke, die an der Wand hing: Ein fröhlich Gesicht ist das beste Gericht.

Ute lächelte traurig. »Ach, Sybill.«

Sybill lächelte zurück. Ich kapierte nichts. Was ging hier eigentlich vor? Kruso stand neben mir und legte eine Hand auf meine Schulter. Meinen fragenden Blick beantwortete er mit einem Lächeln. Waren die alle irre?

Leon kam herein. Endlich jemand, auf den ich mich verlassen konnte. Er blickte unsicher umher, bis er Poppy gefunden hatte. »Und? Wie geht’s ihm?«

»Ich glaube, ihr geht’s besser.« Poppy atmete regelmäßig und schien zu schlafen. Leon lächelte. Seine hellen Augen funkelten wie Sterne in dieser düsteren Küche. Und dann erloschen die Funken plötzlich, als sein Blick auf Krusos Hand fiel, die immer noch wie selbstverständlich auf meiner Schulter lag. Er sah mich fragend an.

»Zum Glück hat Kruso gleich geholfen«, sagte ich entschuldigend. Dabei gab es doch nichts zu entschuldigen. Es schien aber so, als wäre in diesem Moment ein Schatten über Leon gefallen, ein merkwürdig eisiger Schatten, der ihn in etwas unheimlich Fremdes tauchte.

»Wir bringen die beiden wohl besser nach Hause.« Ute strich mir über die freie Schulter. »Danke, dass du sofort zur Stelle warst.« Sie lächelte Kruso an, der endlich seine Hand herunternahm, als hätte er nur auf eine Ablösung gewartet.

»Nicht zum Tierarzt?« Ich strich Poppys Fell aus ihrem Gesicht. Sie hatte die Augen nur halb geöffnet, atmete aber ruhig und regelmäßig.

»Nein, nein«, sagte Ute, »ich geb dir noch was zur Weiterbehandlung. Sybill hat schon alles Nötige eingeleitet. Kann ich kurz euer Auto nehmen?«

»Sicher.« Die beiden waren so vertraut miteinander, dass ich überhaupt nicht verstand, warum Leon so über Rusowskis Hof lästerte und in der Schule kein Wort mit Kruso sprach.

Wir gingen alle nach draußen. Leon half den Frauen, das Auto auszuräumen, während Kruso für Poppy Decken in ein Körbchen legte. Da fiel mein Blick durch das Scheunentor auf den Rumpf eines Bootes und ich erinnerte mich plötzlich daran, dass ich ja einen Auftrag zu erfüllen hatte. Der Zeitpunkt war denkbar ungünstig, aber wann, wenn nicht jetzt? Am nächsten Tag sollte ich der Gruppe schon Bericht erstatten.

»Die Arche?«

»Ja.«

»Ich bin jetzt in der Gruppe, die diese Aktion in der Schule organisiert hat.« Er schwieg. »Wir haben eine coole Idee, etwas, das wirklich aufrütteln könnte.« Eine Krähe flog über uns hinweg und kreischte. Kruso blickte ihr nach. »Also, wir wollen auswandern, symbolisch, und ein Zeltdorf errichten, an einer Stelle, die später eine Insel werden wird …« Nun blickte Kruso mich endlich an. »Hier.«

»Ja«, sagte er und lächelte.

»Ja?«

»Gute Idee.« Er nahm den Korb und stellte ihn auf die Rückbank des Autos.

»Alles einsteigen.« Ute hielt mir die Tür auf.

»Wann?« Kruso lief um den Wagen herum auf mich zu. »Wegen der Vorbereitung.«

»Was für eine Vorbereitung?« Leon blickte uns abwechselnd an.

»Erklär ich dir später.« Ich tauchte im Wagen ab und legte Poppy ins Körbchen. »Sonntag in einer Woche.«

»Sonntag«, wiederholte Kruso. »Abgemacht.«

Und dann fuhren wir los.

»Warum willst du dich denn mit dem treffen? Wenn’s um dein Referat geht, kannst du auch mich fragen.« Leon war richtig aufgebracht und fauchte wie ein Löwe.

»Mit dem?«, mischte sich Ute ein. »Der heißt Karl oder eben Kruso, okay?« Sie klang auch gereizt. Leon warf sich genervt in die Lehne.

»Darum geht es gar nicht«, wand ich mich heraus. »Das Referat ist ja schon am Montag.«

»Worum dann?«

Ich beugte mich über Poppy. »Ist ja gut, meine Süße.« Ich musste Zeit schinden. Vor Ute wollte ich auf keinen Fall darüber reden. Sie würde sofort meine Eltern informieren. Und die wären ganz und gar nicht begeistert von der Aktion und würden mir bestimmt verbieten, zwei Wochen die Schule zu schwänzen. Leon drehte sich zu mir um. Getrübter Horizont in seinem Blick. Ich zog verschwörerisch die Augenbrauen hoch. Er nickte. Zum Glück kannte er mich so gut und verstand sofort, worum es ging.

Erst als ich wieder zu Hause in meinem Zimmer war, allein mit Poppy, die noch immer zusammengerollt in Krusos Körbchen lag, kam eine Nachricht von Leon: Und?

Ich rief ihn gleich an. »Die Aktivisten aus unserer Schule wollen auf Krusos Acker ein Zeltdorf errichten, für zwei Wochen, um auf den steigenden Meeresspiegel aufmerksam zu machen. Bei zwei Grad Temperaturanstieg wäre das Plateau eine Insel.«

Leon lachte. »Nicht euer Ernst, oder?« Ich schwieg. Leons Lachen verebbte. »Und du vermittelst?«

»Ja«, sagte ich bestimmt. »Aber ich mache auch mit.«

»Was? Das erlaubt die Schule niemals.«

Natürlich würde sie es nicht erlauben, aber ich hatte keine Wahl. Sollte ich lieber Psycho-Pillen schlucken, um nicht zu verzweifeln? Das Protestcamp war meine Therapie und ein kleiner Beitrag zur Rettung der Welt. So sah es aus. Und es bestand auch immerhin die Hoffnung, dass wir etwas bewirken würden.

»Nein«, sagte Leon, als er verstand, dass ich es ernst meinte. Und es klang so enttäuscht, als hätte ich gerade unsere Freundschaft aufgekündigt.

»Doch. Und ich hoffe, du machst auch mit.« Ich wusste schon, dass er Nein sagen würde, aber ich wollte ihm wenigstens zeigen, dass ich ihn dabeihaben wollte.

Leon lachte. Aber diesmal klang es kühl und fremd. »Jetzt hab ich extra dieses blöde Referatsthema genommen, damit du dich da nicht weiter reinsteigerst, und was machst du?« Er wurde immer ärgerlicher. »Willst bei dem Assi zelten. Ich glaub es nicht.«

»Kruso ist alles andere als ein Assi. Wenn du so über ihn sprichst, bist du der Assi!«

Leon war weg, hatte einfach das Gespräch beendet. Ich starrte fassungslos in seine wasserblauen Augen, die mich von meinem Display aus anstrahlten. Verdammt. Ich dachte an das Deckchen in Krusos Küche: Wenn du im Herzen Frieden hast, wird dir die Hütte zum Palast. Meine Hütte dagegen war nun auch noch einsturzgefährdet.

Wir sind die Flut

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