Читать книгу Wir sind die Flut - Annette Mierswa - Страница 13

8

Оглавление

»Dad ist mal wieder in Berlin und macht Politik.«

Leons Eltern waren wirklich cool. Sie machten etwas Sinnvolles, sorgten für unsere Nahrung und waren supernett. Ich durfte jederzeit ein Pferd zum Ausreiten leihen, sogar wenn Leon nicht mitkam. Und abgesehen von den Traktoren und Erntemaschinen, die nun mal unerlässlich waren, fuhren sie ein Hybridauto und spendeten für Projekte in Entwicklungsländern viel Geld.

»Ich hoffe, er kämpft dort für unsere Zukunft. Die Landwirtschaft macht ja auch viel Dreck, womit wir gleich beim Thema wären.«

»In seine Geschäfte mische ich mich nicht ein. Du weißt ja, dass er schon Pickel kriegt, wenn ich zu den Demos gehe, weil er mich unbedingt auf einer der Unis sehen will, die sich mit der allerneuesten Landmaschinentechnik beschäftigen. Kennst ihn doch: Die Noten sollen stimmen. Vor allem Englisch und Informatik.« Er imitierte die tiefe Stimme seines Vaters: »Das braucht man heute auf deutschen Äckern.« Er lachte. »Ich sag nur Smart Farming.«

Wir waren mit Nonno und Ulysses unterwegs. Nonno war eine Haflinger-Stute und gehörte Leon seit seinem zwölften Geburtstag. Ich ritt immer auf Ulysses, einem Friesen-Wallach, der bei allen wild wurde außer bei mir. Poppy lief neben uns her. Plötzlich jagte sie bellend los und verschwand zwischen den Weizenhalmen. Meine Tante hatte die Mischlingshündin von ihrem Freund geschenkt bekommen, weil sie so süß war. Leider wohnte meine Tante im sechsten Stock und arbeitete acht bis zehn Stunden am Tag. Wenn sie nach Hause kam, war die Wohnung eingekotet und Poppy am Durchdrehen. Also hab ich sie bekommen. Und nun war sie der besterzogene Hund der Welt. Eigentlich.

»POPPY!«, rief ich und pfiff durch die Finger. Aber die Weizenhalme raschelten in immer größerer Entfernung. Und zwar genau auf einen Traktor zu, der die Felder der Klamms besprühte und eine nebelgraue Wolke in den Himmel trieb.

»Verdammt.« Leon zückte sein Handy. »Ich rufe Dad an.«

»Was soll der denn machen? Ich dachte, er ist in Berlin?«

»Ja schon, aber der Trecker fährt über GPS. Dad kann ihn über sein Tablet erreichen.«

»Das dauert zu lange.« Ich gab Ulysses die Sporen und galoppierte am Feld entlang. »POPPY!« Der Weizen bewegte sich nur noch an einer Stelle. Ich ritt so nah ich konnte heran, stieg ab und rannte ins Feld hinein, während der Traktor immer näher kam. »POOOOOPPY!« Endlich blieb das knatternde Ungetüm stehen. Ich erreichte die Stelle, an der es raschelte. Und da war Poppy, die aufgeregt um ein Rehkitz herumlief und es mit der Schnauze anstupste. »Poppy, was hast du denn da entdeckt.« Ich bückte mich zu dem Kitz hinunter, das sich an einem Bein leckte. Es schien verletzt zu sein. »Leon!« Ich winkte ihn heran. »Poppy ist hier.«

In der Zwischenzeit war der Fahrer aus dem Traktor gestiegen und kam auf uns zu. Es gab also doch einen. Und der sah gespenstisch aus. Er hatte einen Schutzanzug an, einen Mundschutz auf und gestikulierte wild mit den Armen.

Leon blieb mit Nonno neben Ulysses stehen und sah zu mir herüber. Er wirkte verzweifelter als ich. »Dann komm zurück. Schnell!«, schrie er.

»Poppy hat ein verletztes Rehkitz gefunden!«

Der Fahrer war inzwischen bei mir angekommen. »Mädchen, was machst du bloß?« Die Worte klangen ganz dumpf durch seinen Mundschutz. »Schnapp deine Töle und runter vom Feld.«

»Aber das Rehkitz …«

Der Mann beugte sich umständlich hinunter und nahm das verletzte Tier auf den Arm. Sein Schutzanzug raschelte. »Da kümmere ich mich drum … Los, jetzt macht euch endlich vom Acker!«

Ich legte Poppy die Leine an und zog sie vom Feld. Sie hörte nicht damit auf, den vermummten Kerl anzubellen, und zerrte an der Leine wie noch nie.

»Mann, ist der unfreundlich.« Ich wuschelte Poppy durchs Fell. »Du bist ja eine richtige Heldin, hast das kleine Rehchen gerettet.« Ich zog ein Leckerli aus der Tasche und gab es ihr. Leon sagte gar nichts, beobachtete uns nur, bis wir bei ihm ankamen. Er reichte mir stumm Ulysses’ Zügel.

»Was ist?«

»Das Feld wird gespritzt. Dann musst du ihn an der Leine lassen, weißt du doch.«

»Wie soll das denn gehen?«

»Du musst eben laufen.«

»Blödsinn. Sie haut nicht noch mal ab. Und das Rehkitz ist nun hoffentlich in guten Händen … Was wird eigentlich aus ihm? Bringt der Cyborg es zum Tierarzt?«

»Zu meiner Mutter. Die kennt sich aus.«

»Das ist gut.« Ich blickte Leon an. »Warum bist du denn so schrecklich ernst? Ist doch alles gut gegangen. Und Poppy ist jetzt eine Heldin.« Ich löste die Leine und stieg auf Ulysses.

»Hm.«

»Sag mal, der Traktor kann ferngesteuert werden?«

»Ja, läuft über Computer. Frag mich aber nicht, wie. Mein Vater ist der Profi. Immer auf dem neuesten Stand. Ab und zu weiht er mich mal in was ein, aber an die IT lässt er mich nicht ran. Wir haben auch Drohnen und Melkroboter und lauter so Sachen. Das ist Landwirtschaft 4.0. Noch nie von gehört?«

»Nee. Ist das was Gutes?«

Leon lachte. »Ja klar. Sonst würde Papa es nicht machen.«

Wir trabten einen Feldweg entlang. Auf der einen Seite standen Maisstauden, dicht an dicht in beachtlicher Größe und mit kräftigen Blättern. Auf der anderen Seite, wo es eine Anhöhe hinaufging, war ebenfalls ein Maisfeld, aber das sah dagegen richtig kümmerlich aus. Der Boden war ausgetrocknet und rissig, die Stauden standen weit auseinander, schienen eher mickrig und verdorrt, teilweise abgestorben. Ein trostloser Anblick.

»Was ist denn da los?«

»Hier verläuft die Grundstücksgrenze. Das Trauerspiel da geht auf das Konto von Krusos Familie. Sieht schlimm aus. Die wirtschaften alles zugrunde.« Leon warf einen Stein, der klackernd über den Boden kullerte. »Alles staubtrocken. Und der Mais ist auch noch von einem Schädling befallen. Dad ist in hellem Aufruhr, weil die Rusowskis nichts dagegen tun. Ich glaube, die lassen einfach alles verrotten. Und dann hüpfen die kleinen Biester bald auf unserem Mais herum.«

»Klingt nicht gut.«

»Allerdings. Dad versucht schon seit einer Weile, das Land zu kaufen, aber Rusowski gibt es nicht her. Dabei macht Dad einen Spitzenpreis. So viel wird Rusowski nie wieder dafür bekommen. Wer will schon so einen kaputten Boden?«

»Na, offensichtlich dein Vater.«

»Ach, ich glaube, der will den Rusowskis nur helfen. Und man kann ja immer noch was darauf bauen, eine Biogasanlage zum Beispiel.«

»Es könnte noch einen anderen Grund haben.«

»Ach ja? Welchen denn?«

»Ihr Land bleibt über Wasser. Eures geht unter.«

Leon ließ Nonno anhalten. »Ava. Nicht dein Ernst, oder? Hör doch mal mit diesem Quatsch auf.«

»Du willst es nur nicht glauben, weil es dir sonst Angst machen würde.«

»Argh. Hör auf. Das ist mir zu abstrus.«

Wir ritten eine Weile stumm weiter, vorbei an Rusowskis traurigen Feldern. Ich dachte an Kruso, der mir leidtat. Eigentlich wollte ich Leon von der geplanten Aktion mit dem Protestcamp erzählen. Aber er würde ohnehin nur mit den Augen rollen und mich für verrückt erklären. Also behielt ich es für mich.

»Könnte Rusowski den kaputten Boden nicht wieder anreichern?«

»Wäre wahrscheinlich möglich. Vielleicht könnte man mit speziellen Programmen ausrechnen lassen, was gemacht werden muss, und Drohnen fliegen lassen, die Schlupfwespenlarven verteilen. Die futtern die Schädlinge nämlich auf, wenn ich mich nicht irre.«

»Könntet ihr den Rusowskis die Drohnen nicht leihen, damit sie das selbst machen können?«

Leon stutzte. »Hm. Wahrscheinlich schon. Keine Ahnung.« Er schwieg eine Weile, bis wir den Waldrand erreichten und abstiegen, damit die Pferde an einem Bach trinken konnten.

Poppy drückte sich an meine Beine und wollte gestreichelt werden. Sie leckte sich wie irre über ihre Pfoten und sah mich immer wieder aus merkwürdig aufgerissenen Augen an. Irgendetwas stimmte nicht. In der Ferne fuhr ein Lkw vorbei, der riesige Traktor der Klamms tuckerte und im Wald krächzte ein Vogel. Leon blickte finster zum Laster hinüber.

»Dad wird wieder fluchen. Da kommt eine neue Ladung Holland-Gülle.«

»Wie?« Ich hatte mich zu Poppy gebückt, die nun über meine Hand leckte.

»Rusowski bekommt Gülle aus Holland, die dort nicht ausgebracht werden darf, weil sie das Grundwasser belastet. Die haben strengere Gesetze als wir. Deshalb zahlen sie Rusowski noch dafür, dass er die Gülle abnimmt. Und da er kaum Viehwirtschaft hat und nebenbei bemerkt auch kein Geld, bringt er den Mist auf seinen beschissenen Feldern aus, anstatt zum Beispiel Gülle von uns zu nehmen. Wir haben viel mehr, als wir brauchen. Aber die Holländer zahlen dafür.«

»Die Felder stinken also nach holländischer Gülle?«

»Ja, genau.«

Langsam begann mich das Thema zu interessieren. Ich wusste schon, dass weltweit knapp ein Drittel der Treibhausgasemissionen aus der Landwirtschaft kam, vor allem aufgrund des Fleischkonsums und der dafür nötigen Futtermittel. Jetzt verstand ich aber auch: Wenn viele Bauern ihre Felder so behandelten, wie die Rusowskis es taten, dann gingen die Böden kaputt, die Schädlinge nahmen zu und der ganze Dreck, der gespritzt wurde, gelangte massenhaft ins Grundwasser.

»Warum baut ihr eigentlich nicht bio an? Ist doch viel besser.«

»Ich glaube, Dads Großabnehmer will das nicht. Und er kann eben nur produzieren, was gefragt ist.«

»Kann er nicht einen anderen Abnehmer suchen?«

»So leicht ist das nicht. Die Nachfrage regelt den Anbau.«

»Wirklich?«

»Ich glaub schon. Und bei Bio hat man dann auch viel weniger Erträge pro Hektar.« Leon stieg in Nonnos Steigbügel und zog sich am Sattel hoch. »Du bist ja wie eine Journalistin auf der Suche nach einer Story.« Er grinste. »Vielleicht solltest du mal Dad interviewen. Der muss häufiger Fragen beantworten. Vor allem, weil er hier einer der Vorreiter im Smart Farming ist.«

»Gute Idee.« Ich sah zu Poppy, die merkwürdig unruhig um meine Beine herumschlich und mich immer wieder aus ihren großen Augen ansah. »Komm schon, meine Süße, gleich gibt es was zu trinken.« Ich gab ihr einen zärtlichen Klaps und schwang mich auf Ulysses.

Wir ritten um die Anhöhe herum, auf der Rusowskis Hof lag. Poppy lief zwar nebenher, aber sie wirkte schlapper als sonst und hechelte wie eine alte Hündin, deren Kräfte schwanden. Was war nur mit ihr los? Als wir die Straße kreuzten, ließ der holländische Laster gerade die dampfende braune Brühe ab. Einige Krähen flatterten aufgeregt darum herum. Ich sprang vom Pferd, zückte mein Handy und machte schnell ein Foto.

Da sah ich Kruso. Er stand abseits, hatte eine Forke in der Hand und blickte mich direkt an. Sofort war mir das Foto unangenehm und ich nickte entschuldigend in seine Richtung. Er nickte zurück.

»Weißt du, was?«, flüsterte Leon. »Ich glaub, Krusos älterer Bruder hat sich gerade bei meinem Dad beworben. Dabei übernehmen die Ältesten üblicherweise den Hof. Der scheint keinen Bock auf das Erbe zu haben. Ich kann’s verstehen. Die halten nicht mehr lange durch. So viel ist sicher.«

Ich schwieg. Musste Kruso jetzt den Hof und all die Probleme übernehmen? Mir war unwohl. Ich hatte das blöde Gefühl, nun etwas zu wissen, das ich gar nicht wissen sollte. Kruso kam mir noch verlorener vor als zuvor und ich hatte ein seltsames Mitleid, wie man es manchmal empfindet, wenn man Bilder von Kranken, Hungernden oder Verfolgten sieht und gleichzeitig froh ist, nicht selbst betroffen zu sein. Kruso war also nicht nur ein einsamer Träumer, er war auch noch ein richtiger Pechvogel, der wenig Chancen auf ein gutes Leben zu haben schien. Ein Leben, wie es mir vorschwebte, mit Studium und Doktortitel, Anerkennung und finanzieller Absicherung.

Wir sind die Flut

Подняться наверх