Читать книгу Der Lebensretter - Anny von Panhuys - Страница 6
3.
ОглавлениеFranz Wolfram war sofort auf den Anruf seiner Schwester nach Hause gekommen. Er fand Ria im Wohnzimmer erregt auf und ab gehend.
„Nun, was ist mit Liselotte? Ist wirklich Grund vorhanden, dass du mir Angst machtest ihretwegen?“ fragte er hastig.
Die Schwester antwortete mit zuckenden Lippen:
„Was weiss ich, ob wirklich Grund vorhanden ist. Ich weiss nur, dass ich vor Angst schon halb verrückt geworden bin. Liselotte war nicht in der Gymnastikstunde, die sie doch so gern hat und sonst nie schwänzt, und als sie wegging, sagte sie zu mir Lebewohl, und ich soll dich grüssen und dich trösten!“
Er erschrak furchtbar.
„Liselotte wird doch nicht etwa darandenken, irgendeine Torheit zu begehen, weil sie sich davor fürchtete, die Freundinnen könnten sie verspotten, nachdem sie zu ihnen so bestimmt von der Perlenkette gesprochen und ...“ Wolfram unterbrach sich. „Aber das Hin- und Herreden hat gar keinen Zweck. Wir müssen etwas tun.“
Ein ungeduldiges Klopfen unterbrach das Gespräch, und auf das ärgerliche „Herein“ des verängstigten Vaters trat der Diener ein, stotterte aufgeregt:
„Eine Krankenschwester bringt das gnädige Fräulein. Sie ist – sie ist – ins Wasser gefallen, glaube ich, sie ist ganz nass!“
Schon eilten die Geschwister aus dem Zimmer. Draussen auf dem Flur kam ihnen eine Krankenpflegerin mit grauem Haar entgegen, an ihrem Arm hing Liselotte. Das Wasser rann noch immer an ihr herab und hinterliess, wo sie ging, eine feuchte Spur. Das Haar klebte ihr am Kopfe, der Mantel der Schwester aber lag fest um ihre Schultern. So ging sie schwankend; dicht vor dem Vater aber war ihre Kraft zu Ende, sie brach in die Knie.
Franz Wolfram zog Liselotte in seine Arme.
„Schnell ins Bett mit dem armen Ding, schnell, schnell, und der Arzt soll sofort kommen.“
Er eilte voran, Liselotte wie ein Kind in ihr Zimmer tragend. Die Pflegeschwester folgte wie selbstverständlich, während Ria Mönkeberg nach dem Arzt telephonierte. Die Schwester brachte Liselotte zu Bett, ihre geübten Hände taten alles leicht und richtig. Verstört stand Franz Wolfram am Fenster und blickte starr hinaus. Er kam sich schuldig vor, und bald darauf trat Ria Mönkeberg ins Zimmer, die ebenfalls von einem tiefen Schuldgefühl niedergedrückt wurde. Liselotte lag mit geschlossenen Augen, sie mochte nicht reden, sie fühlte sich jämmerlich elend, und doch war ein ganz grosses Glücksgefühl dabei: Sie war ja am Leben geblieben. Ach, sie ekelte sich so sehr vor dem schmutzigen Wasser, in das sie hinuntergemusst hatte.
Die Schwester erzählte Franz Wolfram und Ria Mönkeberg, die erregt lauschten, was geschehen war, und dass der Retter, ein einfacher Mann ohne Hut, nachdem er seine tapfere Tat vollbracht hatte, heimlich davongeschlichen sei.
Franz Wolfram atmete tief auf. Gottlob, sein Kind hatte sich also nicht selbst das Leben nehmen wollen, wie er schon gefürchtet hatte. Dem Himmel sei Dank, dachte er erschüttert, Liselotte hat also nicht diese furchtbare Sünde auf sich geladen. Er setzte sich an das Bett der Tochter, sagte abgerissen:
„Wenn du ertrunken wärst ... Mädel, hätte ich dir in den Tod folgen müssen ... vor Herzeleid.“
Liselotte flüsterte erschauernd:
„Es war entsetzlich, was ich durchgemacht habe. Denk nur, ich wollte euch davonlaufen, euch nie wiedersehen, und deshalb geschah wohl das Grässliche. Es war meine Strafe, ich sollte erkennen, wie töricht und kindisch ich gewesen bin. Aber ich schämte mich so sehr vor meinen Freundinnen und dem Juwelier, und ich dachte, weil du so hart und fremd zu mir warst, du hättest mich nicht mehr lieb.“
Tante Ria brachte warme Milch, hielt Liselotte das Glas an die Lippen, und die Schwester sagte freundlich zuredend:
„Trinken Sie nur, Kind, damit Sie sich auch innerlich erwärmen. Hier im Bett werden die Lebensgeister bald wieder frisch und munter werden. Die Dampfheizung meint es auch gut, und ich glaube kaum, dass sich Folgen einstellen können. Für alle Fälle ist ja der Arzt bereits gerufen worden, wenn ich nicht irre?“
„Natürlich, Schwester, er muss sofort kommen“, versicherte Ria.
„Dann ist ja gut für die junge Dame gesorgt.“ Die Schwester blickte sich in dem sehr luxuriösen Schlafzimmer um und sagte dabei leise:
„Der Retter verdient alles Lob. Der Mann sah nämlich nicht aus, als wenn er ein warmes Zimmer besässe. Niemand ausser ihm dachte daran, der Unglücklichen nachzuspringen, und ich bin fest überzeugt, sie wäre ohne ihn ertrunken.“
Liselottes Gesicht färbte sich mit dem zarten Rosa, das meist darüber lag wie ein sanfter Hauch. Sie bat hastig:
„Vati, du kannst vielleicht etwas für ihn tun, ich bin ihm doch so unendlich viel Dank schuldig.“
Franz Wolfram wandte sich an die Pflegerin: „Hat sich der Polizeibeamte seinen Namen notiert? Ich möchte den Retter meiner Tochter gern sprechen.“
Die Schwester schüttelte den Kopf.
„Der Fremde hat sich unauffällig davongemacht, ganz still und heimlich. Vielleicht hat ihn aber ein Polizist unterwegs festgehalten, denn sicher ist er in seinem nassen Zeug doch aufgefallen.“
Es klopfte. Dr. Weise, der Hausarzt, trat ein. Er war ein sehr vornehmer älterer Herr mit kleinem grauem Bärtchen. Er grüsste und erklärte sofort:
„Ich bin schon ein wenig orientiert, die Dienerschaft ist ja ganz aus dem Häuschen.“ Er trat an das Bett, fühlte Liselottes Puls, behorchte das Herz, richtete sich nach einer Weile auf. „Gottlob, es besteht kaum Gefahr. Das warme Bett, gutes Essen und dazu frohe Stimmung der Umgebung werden unsere liebe Patientin schnell wieder gesund und lebenslustig machen. Für alle Fälle aber muss das kleine Fräulein ein paar Tabletten schlucken, um einer Erkältung vorzubeugen. Na, hier ist die junge Dame ja in allerbester Pflege.“
Der Arzt tätschelte Liselottes Hand. Er kannte das Mädchen schon seit dessen Kindheit, da er im Hause Wolfram bereits lange Jahre Hausarzt war.
Auf seine Frage erklärte die Krankenschwester kurz, was geschehen und schloss: „Ich brachte Fräulein Wolfram nach Hause.“ Nach einem Weilchen setzte sie hinzu: „Nun will ich aber gehen, ich hatte vormittag dienstfrei und muss noch einiges besorgen.“
Liselotte drückte ihr matt, aber herzlich die Hand. „Vielen Dank, Schwester.“
Draussen wollte Ria Mönkeberg der Pflegerin eine Belohnung geben, doch diese wehrte ab.
„Das, was ich getan habe, ist Menschenpflicht, gnädige Frau, denken Sie aber an den Retter. Der Mann machte den Eindruck, als hätte er einmal bessere Tage gekannt. Seine Kleidung verriet noch einen Schein von Eleganz, war aber sehr mitgenommen, sein Gesicht sah vornehm, aber verhungert aus. Er ist wohl auch arbeitslos. Sie könnten ihm seine gute Tat bestimmt durch ein wenig Hilfe lohnen.“