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6.

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Gegen elf Uhr vormittags klingelte es an der Villa Wolfram im Tiergartenviertel. Ein grosser Herr ohne Hut fragte nach Herrn Wolfram, sagte, er würde von ihm erwartet und reichte dem Diener eine Karte, auf der stand: Dr. Walter Eisenmann, Chemiker. Berlin, Kantstrasse 48.

Kantstrasse 48 war leicht mit Bleistift ausgestrichen.

Der Diener kam rasch zurück und sagte höflich: „Herr Wolfram lässt bitten!“

Er nahm dem Besucher den für die herbstliche Jahreszeit zu dünnen Mantel ab und geleitete ihn eine kurze Treppe hinauf bis vor die Tür eines Zimmers, hinter der auf des Dieners Anklopfen eine tiefe Männerstimme mit lautem Herein antwortete. Der Diener öffnete, liess den Besucher an sich vorbei und schloss dann lautlos die Tür.

Franz Wolfram stand in der Mitte seines privaten Arbeitszimmers und machte nun ein paar Schritte auf den Eintretenden zu.

„Wie freue ich mich, Sie bei mir begrüssen zu dürfen, verehrter, lieber Herr Doktor! Es dünkte mich fast eine Unmöglichkeit, dass wir einander nicht kennenlernen sollten. Ich hätte aber auch noch nicht so rasch nachgegeben.“ Er nahm die Hände Walter Eisenmanns. „Vor allem heissen Dank für Ihr Liebeswerk. Liselotte, die Sie gerettet haben, ist mein einziges Kind, und mein ganzes Herz hängt an ihr. Wenn sie mir genommen worden wäre, hätte ich das Leben auch nicht mehr ertragen. Der Himmel fügte es, dass er Sie in jenen gefährlichen Augenblicken dort vorbeiführte, wo meine Tochter mit dem Tode rang.“

Walter Eisenmann fühlte die Aufrichtigkeit und Wärme in den Worten des Industriellen, der ihm die Hand immer fester drückte. Es war etwas Erschütterndes in dem Dank dieses Mannes, fand er. Er hatte sich Franz Wolfram ganz anders vorgestellt und einen Geschäftsmann im amerikanischen Stil erwartet, nüchterner und sachlicher, trotz der warmen Briefe. Er empfand jetzt besondere Herzensfreude, diesem Vater das einzige Kind gerettet zu haben.

„Ich tat nur meine Pflicht, Herr Wolfram“, sagte Eisenmann. „Verzeihung, oder muss ich Herr Generaldirektor sagen?“

Franz Wolfram wehrte ab.

„Bewahre, die Wolfram-Werke sind keine Aktiengesellschaft, und ich mache mir nichts aus Titeln. Aber bitte, lieber Herr Doktor, nehmen Sie Platz, und dann reden wir gleich von der Stellung, die ich Ihnen angeboten habe. Ich hoffe, Sie werden sie annehmen. Ich wäre ja so glücklich, wenn Sie auf diese Weise in meine Nähe kämen und wir uns besser kennenlernen würden. Offen heraus: Sie gefallen mir, und wenn ich Ihnen auch gefalle und Ihnen vierhundert Mark monatlich zunächst genügen, ist der freie Platz der Ihre. Sie waren vor zwei Jahren bei Junker und Co. und sind wegen Arbeitsmangel mit vorzüglichem Zeugnis entlassen worden. Sie sehen, ich bin gut unterrichtet über Sie, und Sie werden bei mir ähnliche Arbeit zu tun haben wie bei Junker und Co.“

Walter Eisenmann machte vor Freude vom Stuhl aus eine ganz täppische Verbeugung, murmelte beengt vor Glück:

„Ich nehme die gebotene Stellung herzlich gern an und danke Ihnen sehr, Herr Wolfram.“

„Der Dank wird immer nur Ihnen gebühren, lieber Herr Doktor. Über alles Nähere sprechen wir am Montag, zu welchem Zeitpunkt Sie eintreten können. Für etwaige Ausgaben werde ich mir erlauben, Ihnen morgen einen kleinen Vorschuss zu überweisen, und zwar auch auf demselben Wege wie die Briefe.“

Wolfram liess Walter Eisenmann jetzt nicht zu Worte kommen, er wollte nicht, dass der den Vorschuss etwa ablehnte, wozu der Doktor grosse Lust zu verspüren schien. Man sah ja auf den ersten Blick, dass er allerlei zum Anziehen brauchte, er sah ziemlich schäbig aus, trotz frisch in die Beinkleider hineingepresster Bügelfalten.

„Jetzt möchte ich Sie aber zu meiner Tochter und meiner Schwester bringen“, sagte der Industrielle lebhaft. „Beide freuen sich schon, Sie kennenzulernen. Das heisst, meine Tochter kennt Sie zwar schon, aber schliesslich kann man das wohl kaum ein Kennen nennen.“

Dem jungen Mann war es herzlich unangenehm, in seinem mühsam zurechtgebürsteten und gebügelten Anzug vor so vornehme Damen treten zu müssen, aber er sah ein, dass er den Vorschlag Wolframs nicht zurückweisen konnte.

Er erhob sich mit einer Verbeugung.

Sie gingen nebeneinander eine breite Treppe hinauf, wobei Walter Eisenmann die Eleganz des Hauses etwas bedrückend empfand.

Nach flüchtigem Anklopfen öffnete Wolfram eine Tür vor ihm und liess ihn eintreten. Eine grosse Dame, deren Ähnlichkeit mit Franz Wolfram unverkennbar war, erhob sich aus einem bequemen Armstuhl und kam ihnen entgegen. Welch ein frisches angenehmes Gesicht hat diese Frau, dachte Walter Eisenmann. Seine beiden Hände wurden ergriffen, und eine warme Stimme sagte:

„Ich bin Ria Mönkeberg, die Tante des Mädchens, dem Sie in allerschwerster Not halfen. Haben Sie innigen Dank dafür, Herr Doktor. Ich hoffe, wir werden gute Freunde werden. Dies Haus steht Ihnen fortan offen wie dem allerbesten unserer Freunde.“

Eisenmann verneigte sich und küsste der Dame die Hand.

„Ich danke Ihnen sehr, gnädige Frau.“

Sie nickte ihm gütig zu und gab seine Hände frei.

“Jetzt soll Liselotte kommen. Ich bitte um Verzeihung, ich habe eine kleine Besorgung in der Küche, aber ich werde meine Nichte sofort hierherschicken.“

Wolfram rief ihr nach:

„Besorge ein gutes Frühstück, Ria! Herr Doktor Eisenmann wird uns die Freude machen, eine Kleinigkeit mit uns zu essen.“

Ein leichtes Behagen hüllte den jungen Chemiker ein. Wie lange hatte er schon an keinem gut gedeckten Tisch mehr gesessen. Er empfand geniesserische Vorfreude, und zugleich war es ihm peinlich, weil er sich auf das Frühstück freute wie so ein richtiger armer Schlucker. Aber schliesslich war er der ja auch noch. Doch von Montag an arbeitete er wieder, gehörte zu den Glücklichen, die arbeiten durften.

Nachdem sich Ria Mönkeberg mit den Worten entfernt hatte: „Ich lasse sofort im kleinen Esszimmer decken“, sagte Franz Wolfram:

„Jetzt soll Ihnen Liselotte selbst danken, und damit sie es recht ungeniert von Herzen tun kann, wie sie möchte, werde ich Sie beide ein Weilchen allein lassen. Sie hat mich besonders darum gebeten.“

Walter Eisenmann wehrte ab:

„Aber ich bitte Sie, Herr Wolfram, durch die Stellung, die Sie mir geben, bin ich ja überreich belohnt. Ihre Tochter ist mir wirklich keinen Dank mehr schuldig.“

„Meine Tochter und ich sind Ihnen lebenslänglichen Dank schuldig,“ erwiderte der Industrielle ernst. Da trat Liselotte ein.

Sie trug ein mattlila Seidenkleid mit schmalen weissen Seidenbesätzen am herzförmigen Ausschnitt und den Ärmeln. Sie hatte sich rasch noch besonders schön angezogen, als sie vorhin vom Diener gehört, beim Vater wäre ein Herr Dr. Eisenmann. Und sie hatte die Perlenkette umgelegt, obwohl das eigentlich kein Schmuck für den Vormittag war. Aber die schimmernden Perlen schmeichelten so sehr, und Liselotte wollte recht vorteilhaft vor ihrem Lebensretter dastehen.

Walter Eisenmann starrte sie fast betroffen an. Er begriff nicht, dass dieses wunderschöne Meissner Porzellanfigürchen mit dem Goldhaar und den bestrickendsten Braunaugen der Welt das triefende verzweifelte Etwas sein sollte, das er gerettet hatte.

Ihr Vater erklärte:

„Der Herr Doktor ist auf meine dringende Bitte nun doch gekommen, er wird mit uns zusammen frühstücken, und ich gehe, bis das Gong ruft, noch in mein Arbeitszimmer.“ Er lächelte: „Ich würde mich freuen, wenn Retter und Gerettete ein wenig Freundschaft schliessen würden.“

Wolfram nickte den beiden freundlich zu und entfernte sich.

Der Lebensretter

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