Читать книгу Der Lebensretter - Anny von Panhuys - Страница 8

5.

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Am nächsten Vormittag konnte Liselotte schon wieder wie immer am Frühstückstisch sitzen, und ausser einer belanglosen polizeilichen Nachfrage im Hause hatten Franz Wolfram und seine Tochter keinerlei Scherereien. Die Zeitungen, die Herr Wolfram schon vor dem Frühstück durchgesehen hatte, brachten wohl Notizen über den Vorfall, aber der Name Wolfram war nirgends genannt worden, und so war es allen am angenehmsten. Liselotte meinte nachdenklich:

„Wer mag wohl mein Lebensretter sein? Ich erinnere mich an nichts weiter, als an ein paar dunkle Augen und dunkles Haar. Doch du wirst ihn ausfindig machen, Vati, nicht wahr? Ich muss ihm doch danken.“

„Ja, das musst du selbstverständlich“, gab Wolfram zu. „Ich werde ihn durch eine Detektei suchen lassen. Ehe ich heute in die Fabrik fahre, setze ich mich mit einem mir bekannten Institut dieser Art in Verbindung.“ –

Liselotte wagte nicht, in den nächsten Tagen auszugehen. Obwohl man in den Zeitungen ihren Namen nicht genannt hatte, fürchtete sie doch, es könnte etwas davon durchgesickert sein, dass sie es gewesen sei, die den Kopf verloren und vor dem Geistesgestörten über das Geländer der Spreebrücke geklettert war.

Ria Mönkeberg ärgerte sich darüber, wenn sie sah, wie ihr Bruder die verwöhnte Tochter jetzt mit Gaben förmlich überschüttete und ihr für das Kostümfest, für das sie sich Perlen gewünscht hatte, auch noch wertvolle Ohrgehänge aus Perlen der gleichen Art schenkte.

Liselotte aber atmete auf. Keine ihrer Freundinnen hatte eine Ahnung davon, wie teuer sie diese Perlen hatte erkaufen müssen, und alle bewunderten auf dem Kostümfest die rosigschimmernden Meereswunder. Sie bewunderten auch die köstlichen Ohrgehänge und wünschten sich heimlich, ihre Väter hätten auch ein wenig von den Eigenschaften, die Liselottes Vater besass ... Gretel von Grunows Eltern, die das Kostümfest gaben, waren zwar auch sehr reiche Leute, aber sie verwöhnten ihr Kind nicht so. Sie hatten allerdings drei Töchter.

Liselotte wurde allgemein gefeiert, weil sie wirklich wunderschön aussah in dem Kostüm einer Dame aus der Biedermeierzeit. So zart und fein steckte sie in dem weitfaltigen Kleid aus heller geblümter Seide, und die Schute umrahmte das rosige Gesicht verführerisch. Über dunkle Samtschleifen am viereckigen Halsausschnitt des Kleides legte sich die vielbewunderte, schwer errungene Perlenkette, und der Herzog Douglas Burnham, der mit Frau von Grunow verwandt war und auf einer Reise bei ihr Besuchsaufenthalt genommen hatte, war von der blonden Biedermeierdame ganz begeistert. Er tanzte mit ihr, soviel er nur irgend konnte, und fragte Liselotte, ob er sich morgen vormittag nach ihrem Befinden erkundigen dürfe. Liselotte nickte zustimmend. Natürlich dürfe er das, ihre Tante würde sich freuen, der Vater aber sei vormittags leider nie zu Hause. Seine Fabrik liesse er keinen Tag im Stich, wenn es nicht ganz dringend nötig war.

Der Herzog Burnham lächelte. Die Wolfram-Werke kannte man auch in England, viel gediegener Reichtum stand hinter dem Namen, grösserer Reichtum, als die Burnhams je besessen, trotz ihrer vornehmen Abstammung, des Riesenschlosses im Norden Englands und des Stadtpalastes in London am St.-James-Park. Die Burnhams hatten immer von ihrem Gelds gelebt, vom alten ererbten Reichtum, und der war allmählich sehr zusammengeschmolzen. Franz Wolfram aber war ein moderner Geschäftsmann und arbeitete ebenso unverdrossen, wie sein Vater, der Gründer der Wolfram-Werke, gearbeitet hatte. Das hatte ihm seine Verwandte, Frau von Grunow, erzählt, und er fand, Liselotte Wolfram sei jung und schön und reich genug für einen etwas blasierten und geldknappen englischen Herzog. Er konnte vollständig Deutsch, sie lispelte ein niedliches Englisch, es gab also keinerlei Verständigungsschwierigkeiten.

Liselotte wurde von Gretel von Grunow gelegentlich beiseite gezogen. Gretel war grossknochig und eckig, hatte vorstehende Zähne und allzu blassblaue Augen. Sie raunte der Freundin zu:

„Hast du’s bemerkt, Liselotte, mein Vetter ist verliebt in dich, und ich glaube, wenn du willst, könntest du seine Frau werden. Herzogin von Burnham, du, das klingt nach bedeutender Vornehmheit. Es ist einer der ersten Namen Englands. Vor zwei Jahren starb der Vater von Douglas, da wurde er Herzog.“

Liselotte lächelte.

„Dein Vetter gefällt mir ganz gut, aber weisst du, als meinen Mann kann ich ihn mir nicht recht vorstellen.“ Sie blickte ein bisschen verträumt in die Weite. „Mein künftiger Gatte müsste eine grosse Figur und dunkle Augen haben und, verzeih, Gretel, aber ich finde, so hellblond dürfte er nicht sein.“

Die Freundin schüttelte den Kopf.

„Ach, die Helden, von denen man geheiratet werden möchte, die stellen sich nur sehr selten ein, und so ein waschechter englischer Herzog ist wohl nicht zu verachten. Vielleicht denkst du auch bald so.“

Gretel von Grunow schien recht zu haben, denn als der Herzog am nächsten Vormittag zur Besuchszeit im Hause Wolfram erschien, überlegte Liselotte doch, ob es nicht hübsch wäre, wenn sie sich Herzogin von Burnham nennen dürfte. Sie spielte schon mit dem Gedanken wie ein Kind mit einem neuen Spielzeug.

Ria Mönkeberg war sehr höflich zu dem Besucher, aber in ihrer Höflichkeit lag so viel Kälte, dass der Herzog merkte, die Tante war nicht so leicht zu erobern wie anscheinend die Nichte. Den Vater musste er auf jeden Fall trotzdem kennenlernen. Das süsse Mädel entsprach zu sehr seinen Wünschen und ihr Reichtum noch mehr ...

Als der Herzog gegangen war, fasste Ria Mönkeberg ihr Urteil über ihn in die Worte zusammen:

„Der Mensch ist mir sehr unsympathisch. Er sieht aus wie aus wabbeligem Griessbrei zusammengebacken, in dem man verblasste Vergissmeinnichtaugen gepiekt hat.“

Liselotte verteidigte ihn und meinte, er wäre sehr vornehm. Sie liebäugelte immer lebhafter mit dem Titel einer Herzogin.

Um halb zwei, wie täglich, kam Franz Wolfram aus der Fabrik. Er machte ein sehr zufriedenes Gesicht und berichtete gleich nach der Suppe:

„Dein Retter ist bereits gefunden, Liselotte, die Detektei hat rasch gearbeitet. Er heisst Doktor Walter Eisenmann und ist merkwürdigerweise auch Chemiker wie ich. Er ist arbeitslos und soll zur Zeit nicht mal ein eigenes Dach über dem Kopf haben, sondern manchmal sogar Gast der Asyle sein. Jedenfalls ein armer Teufel, von dem es doppelt anerkennenswert ist, dass er die gefährliche Rettung riskiert hat für dich, Liselotte, ohne mit einer Belohnung zu rechnen. Denn, wenn er das auch nur im entferntesten getan hätte, wäre er nicht heimlich weggelaufen. Durch einen Freund von ihm wird ihm nun mit Hilfe der Detektei ein Brief von mir zugestellt. Ich habe ihn für morgen vormittag hierhergebeten und bleibe deshalb morgen ausnahmsweise zu Hause.“

Ria Mönkeberg sagte eifrig:

„Ich bin sehr begierig, diesen braven Menschen kennenzulernen! Es gehört wirklich ungewöhnliche Charakterstärke dazu, als Arbeitsloser in seiner Notlage nach solcher Heldentat still wieder ins armselige Dunkel zurückzutreten.“

„Ich will mich aber auch so herzlich bei ihm bedanken, dass er es nicht bereuen soll, was er getan hat“, versicherte Liselotte mit Nachdruck. „Und dass er Chemiker ist, passt ja ganz besonders gut, Vati. Da kannst du ihn sicher in deinem Betrieb irgendwo unterbringen. Hoffentlich kommt er auch! Ich habe keine Ruhe, ehe ich mich nicht richtig bei ihm bedankt habe.“

„Da hast du auch allen Grund dazu“, konnte sich Ria Mönkeberg nicht versagen zu bemerken.

Ihr Bruder warf ihr einen verweisenden Blick zu, Liselotte aber lächelte:

„Du hast ganz recht, Tantchen, ich habe wirklich Grund dazu. Dank seiner Hilfe blieb ich am Leben, und da ich die in deinen Augen jetzt doppelt überflüssige Perlenkette nun doch bekommen habe, möchte ich meinem Lebensretter mit allen Mitteln aus seiner Notlage helfen. Vati wird in der Beziehung tun, was er nur irgend kann, davon bin ich überzeugt. Ich bin sehr, sehr gespannt, ihn kennenzulernen.“

Aber als es soweit war, wartete man vergebens auf Walter Eisenmann. Er kam nicht. Also schrieb ihm Herr Wolfram zum zweiten Male.

Und dieser Brief wurde ihm wieder durch Vermittlung der Detektei zugestellt, da er seinen Aufenthalt fast ständig wechseln musste. Es waren selbst arme Teufel, bei denen er sich herumdrückte.

Der Architekt Wetter, der zur Zeit einen Schreiberposten bekleidete, weil er keine passende Stellung fand, brachte ihm den Brief mit in das kleine Stübchen, in das er den langjährigen Freund für kurze Zeit aufgenommen hatte. Hoch oben im Norden Berlins, im vierten Stock eines Hinterhauses.

Walter Eisenmann betrachtete den Brief nur geringschätzig.

„Wieder von dem reichen Wolfram! Der gute Mann kann sich seine Dankesrede anscheinend nicht verkneifen.“ Er lachte spöttisch und zog die dunklen, fast etwas düster wirkenden Brauen dicht zusammen. „Sechsmal, nein öfter schon, habe ich draussen in seiner Fabrik um ein Pöstchen gebettelt. Wenn’s nicht anders gegangen wäre, hätte ich Etiketten auf Flaschen und Dosen geklebt, aber ich wurde überhaupt nicht vorgelassen, und jetzt reisst sich der hochmächtige Herr förmlich ein Bein nach mir aus.“ Seine schwarzen Augen, die über einer scharf und klassisch geformten Nase standen, blitzten zornig. „Was habe ich davon, dass mir Herr Wolfram die Pfote drückt und Lobhudeleien sagt, weil ich ihm sein Töchterchen gerettet habe in einem Anfall von Nächstenliebe, dem ich bei ähnlicher Gelegenheit natürlich auch wieder erliegen würde? Ich habe ein sogenanntes gutes Werk getan aus Selbstverständlichkeit, aus Pflichtgefühl, damit ist die Sache doch erledigt. Was soll ich mich dafür feiern lassen? Und falls man mir vielleicht, weil ich ein abgerissenes armes Luder bin, ein paar Scheine in die nicht mehr vorhandene Brieftasche stopfen will, muss ich auch verzichten. Für so was nimmt man einfach kein Geld. Na also, was soll ich dann bei dem Mann?“

Erich Wetter, der blonde, trotz aller Schwierigkeiten meist vergnügte Freund, nickte:

„Stimmt ja so ziemlich alles, oller Schwede, aber lesen solltest du den Brief trotzdem, und mit zuviel Vorurteil solltest du an Franz Wolframs Person auch nicht rangehen. Dass er eine Riesenfabrik hat und reich ist, darfst du nicht als Laster von ihm betrachten. Er soll sein Leben lang rasend fleissig gewesen sein, habe ich gehört, und Geld ist doch keine ansteckende Krankheit; was übrigens wundervoll wäre, denn dann drückte ich mich von morgens bis abends an reiche Leute heran und liesse mich anstecken. Doch ich will nicht abschweifen, vor allem rate ich dir, den Brief zu lesen.“

Walter Eisenmann setzte sich mit einem Seufzer auf einen der zwei wackeligen Stühle, die das Stübchen enthielt, und riss den Brief auf.

Er überflog ihn nur flüchtig, reichte ihn dann dem Freunde, der halblaut vorlas:

„Verehrter Herr Doktor!

Vergebens habe ich neulich auf Ihren Besuch gewartet. Ich würde natürlich gern zu Ihnen kommen, wie es sich das für einen Vater, der Ihnen unsagbar viel zu danken hat, eigentlich gehört, aber meine Auskunft erklärte mir, Sie wären schwer anzutreffen. Deshalb bat ich Sie zu mir, sehr verehrter Herr Doktor Eisenmann. Nehmen Sie meiner Tochter, meiner Schwester und mir doch, bitte, nicht die Freude, Ihnen die Hand schütteln zu dürfen für das grosse Opfer, das Sie für einen hilfsbedürftigen Mitmenschen brachten. Sie wagten Ihr Leben für mein armes Kind, und Sie müssen dafür unseren warmen innigen Dank persönlich annehmen.

Halten Sie mich nicht für unhöflich, wenn ich bei der Gelegenheit gleich einfliessen lasse, dass ich weiss, dass Sie arbeitslos sind. In meinem Unternehmen ist zur Zeit durch Zufall eine angenehme gutbesoldete Stelle frei, und ich biete Sie Ihnen an, da Sie Chemiker sind. Sie dürften sich bald einarbeiten. Es wäre für mich eine ganz besondere Freude, den Lebensretter meiner Tochter zu meinen Mitarbeitern zählen zu dürfen.

Ich bitte Sie herzlich, mich morgen vormittag in meiner Stadtwohnung zu besuchen. Ich werde zu Hause sein und hoffe bestimmt auf Ihr Kommen.

Nehmen Sie den Ausdruck ganz besonderer Hochachtung entgegen von Ihrem ergebenen

Franz Wolfram.“

Erich Wetter hatte allmählich immer schneller gelesen. Nun der Brief zu Ende war, legte er ihn auf die bunte Linoleumdecke des kleinen Tisches und sagte nach tiefem Atemholen:

„Mensch, das nenne ich Dusel! Ja, was willst du nun eigentlich noch mehr? Du brauchst dir also nicht bloss Händedrücke und Dankesworte zu holen, du brauchst nicht zu fürchten, dass man dich mit ein paar Geldscheinen beschenken will, du sollst eine Stellung haben, eine richtige gediegene Stellung, wie sie sich für deinen Beruf gehört. Also gibt es keine Bedenken mehr, Männeken, mit übertriebener Empfindlichkeit. Tausende von Arbeitslosen gingen zu Wolfram, wenn ihnen dort auch nur eine leidliche Stellung winkte. Also, lieber Freund, mach keine Flausen und bereite dich gleich für morgen vor. Vor allem bügele deine Kluft ordentlich auf! Meine Wirtin pumpt dir ein Bügeleisen und hilft dir, wenn’s nötig sein sollte. Sie ist ja auch bloss ein armer Schlucker und weiss, wie solchen Leuten zumute ist.“

Dr. Walter Eisenmann erhob sich langsam; er überragte den nicht kleinen Freund noch um reichlich Kopfeslänge. Er war sehr schlank, und sein Gesicht trug deutlich die Spuren arger Entbehrung. Aber seine scharfen Züge, die dunklen, klugen Augen, das weichfallende glänzende Schwarzhaar machten ihn zu einem interessanten Menschen.

Eisenmann ging ein paarmal durch das Zimmerchen, wobei er ein wenig verdrossen hinwarf: „Ich wäre ein Narr, wenn ich die Gelegenheit nicht nützen würde, wieder Arbeit zu finden. Auf diese Weise darf ich den Dank natürlich annehmen.“ Er reckte sich. „Du glaubst ja gar nicht, wie sehr ich mich nach Arbeit sehne, wie ich ihr förmlich entgegenfiebere. Da habe ich früher, als ich noch in fester Stellung sass, manche faule Ausreden gebraucht, um einem Arbeitstag aus dem Wege zu gehen, und jetzt würde ich jeder sich bietenden Arbeitsstunde nachlaufen.“ Er lächelte, und sein Gesicht verlor dadurch alle Herbheit. „Eine glänzende Idee ist das von dem dankbaren Vater! Na, wenn ich erst mal wieder im Betrieb bin, werde ich zeigen, dass ich was kann, damit man mich auch behält.“

Er begann Pläne zu schmieden, bis ihn sein Freund schliesslich unterbrach. „Plätte zunächst lieber deine Hosen, Walter, die Dinger schlagen ganz unverschämte runde Sorgenfalten. Da muss Straffheit rein und vorn so ein harter gediegener Bügelstrich. So was imponiert immer noch.“

Sie lachten beide vergnügt, ihre achtundzwanzig Jahre hatten trotz langer Sorgentage und so mancher Enttäuschung und Bitternis noch nicht die Fröhlichkeit verlernt.

Der Lebensretter

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