Читать книгу Marietje singt - Anny von Panhuys - Страница 10

VII.

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„Das ist ja ein weiblicher Caruso,“ rief Erich Hillenbach, „solches Naturwunder muss man doch wirklich genau betrachten.“

„Nun, habe ich übertrieben, vorhin?“ fragte Gertrud und lehnte sich leicht an seinen Stuhl.

„Im Gegenteil, Liebste. Ich äusserte ja deshalb eben: ein weiblicher Caruso. Du hast wirklich in ihr eine famose Entdeckung gemacht,“ setzte er hinzu.

Sie lohnte ihm das Kompliment mit einem Glutblick und fing an, Pläne zu schmieden, wie das mit Marietjes Unterricht gehalten werden sollte.

„Erst nimmt sich der Papa ihrer an,“ erklärte sie dem Baron, „dann Steffa Duschek, die ich nächstens herbitten werde, um ihr meine Entdeckung gleichfalls vorzuführen.“ —

Der Baron blieb zu Tisch, und Marietje, die neben dem alten Frenzau ihm gegenübersass, fühlte die kühlen Grauaugen des schlanken, grossen Mannes gleichsam fragend auf ihrem Gesicht ruhen.

Sie wagte nicht mehr aufzuschauen.

Und er belustigte sich innerlich an den kleinen Verstössen, die sich das weltfremde schöne Geschöpf beim Essen zuschulden kommen liess. Im allgemeinen aber benahm sie sich ganz leidlich, stellte er fest.

Nun, die verfeinerte Kultur, die um Gertrud herum war, würde sie bald genug glätten, und ihr den Schliff der Dame geben. Und er dachte, dass diese Jugend und Unberührtheit doch sicher in jede ihr gestellte Falle laufen würde. Schade um dieses schöne Naturkind.

Immer wieder musste er heimlich Marietje van Daalen anschauen, während er dabei mit der verliebten Gertrud Frenzau plauderte. —

Wenn sie gar so verliebt tat, erinnerte er sich immer, dass ihm die berühmte Sängerin ihr Herz eigentlich beinahe zu leicht geschenkt hatte. Aber schliesslich, sie war kein unerfahrenes, junges Mädchen mehr, und das Zieren und Wehren hätte der gereiften Künstlerin schlecht angestanden. Und ihn hatte es geschmeichelt, dass die reizvolle, reiche und vielumworbene Gertrud Frenzau gerade ihn wählte, ihn, den kleinen Gutsherrn, dem der Vater einen völlig heruntergewirtschafteten Grundbesitz hinterlassen hatte, auf dem er sich nur mit äusserster Kraftanstrengung zu halten vermochte.

Gertrud kannte seine Verhältnisse, er hatte ihr gegenüber nicht mit der Wahrheit hinter dem Berge gehalten, und sie hatten wie zwei vernünftige, klardenkende Menschen über alles gesprochen, und Gertrud freute sich schon darauf, dass der geliebte Mann mit dem von ihr erworbenen Gelde den alten Familienbesitz der Hillenbachs wieder hochbringen und vergrössern würde.

Gleich nach des Vaters Tode hatte Erich Hillenbach dem Offizierstande Lebewohl sagen müssen. Er war Gardekürassier gewesen. Die paar Familienmitglieder, die ihm noch lebten, kümmerten sich wenig um ihn. Man fürchtete wohl, er könne einmal mit Ansprüchen kommen. Die Verlobung mit Gertrud hatte man vollkommen unbeachtet gelassen.

Sein Gut lag nur eine halbe Bahnstunde von Berlin entfernt, und er hielt sich oft in der Hauptstadt auf, wo er sich ein Zimmer gemietet hatte, das immer zu seiner Verfügung stand.

Erich Hillenbach war ein Jahr jünger als Gertrud, sah aber bedeutend jünger aus. Sein rasiertes, scharfes Gesicht hatte etwas von einem grossen harmlosen Jungen. Und das war er auch in vielen Dingen. Sein grösster Fehler war seine Spielleidenschaft, doch in letzter Zeit hatte er sich allem ferngehalten, das ihn fürchten liess, den Karten zu begegnen. Gertrud hatte eine schwere drängende Spielschuld für ihn bezahlt, und er gab ihr dafür das Versprechen, sich niemals wieder verlocken zu lassen.

Anfangs hatte er das Geld von Gertrud nicht annehmen wollen, aber endlich, als sie ihn bat, doch das Gut nicht in Gefahr zu bringen, gab er nach.

„Wir heiraten ja bald, und was mir gehört, das ist doch auch dein,“ sagte sie und war glücklich, bei dem Gedanken, dass der geliebte Mann durch sein ihr gegebenes Versprechen fortan gegen den Spielteufel gefeit sei.

Gertruds Konzertreisen begannen Ende September. Da man sich erst in den letzten Tagen des Juli befand, hatte sie also Zeit, sich viel mit Marietje zu beschäftigen. Sie nahm das sehr ernst und sass immer dabei, wenn ihr Vater Marietje unterrichtete.

Anfänglich liess er Marietje wahllos ihre Lieder singen, begleitete sie und freute sich, wie das schöne Zusammenklingen ihren Eifer anspornte, ihre Freude an der eigenen Jubelstimme verstärkte.

Dann begannen systematische Übungen, um den Ton zu festigen und alle Schwankungen daraus zu entfernen. Marietje lernte dabei die ersten deutschen Worte.

„Das Mädel ist musikalisch durch und durch,“ äusserte sich der alte Musiker erfreut zu seiner Tochter, und die Stunden mit Marietje wurden ihm zu Erholungsstunden. Fast feierlich ernst nahm er sein Lehramt.

Eines Tages erschien dann Frau Steffa Duschek.

Sie war vor einem halben Jahrhundert eine berühmte Operndiva gewesen, hatte früh ihre Stimme verloren, aber ihr Unterricht wurde hoch bezahlt, weil sie eine sogenannte „glänzende Methode“ besass. Weit aus dem Auslande suchten die Schülerinnen Frau Duschek auf, um dieser kostbaren Unterrichtsmethode teilhaftig zu werden. Doch Steffa Duschek war sehr wählerisch.

Frau Duschek nannte sich nach ihrem ersten Gatten, einem Böhmen. Ihre Wiege hatte gleichfalls in Böhmen gestanden, aber Steffa Duschek lebte und unterrichtete bereits seit dreissig Jahren in Berlin.

Man behauptete, sie sei mehrmals verheiratet gewesen und eigentlich hiesse sie, nach ihrem letzten Manne, Ebenschütz. Ein dunkles Gerücht flüsterte, dass der Herr Ebenschütz den medizinischen Doktortitel getragen habe und irgendwo verschollen sei. Die Künstlerlaunen der Gattin hätten ihn nach kurzer Ehe zum Hause hinausgetrieben.

Frau Steffa Duschek sass zierlich und überschlank in einem Sessel, den Gertrud noch mit einem seidenen Rückenkissen gepolstert. Das schmale, von grauen Löckchen umrahmte, schneeweiss gepuderte Faltengesicht, darin der Mund rotgeschminkt, sah sie mit leicht zusammengekniffenen Augen auf Marietje, die in abwartender Haltung neben dem Flügel lehnte.

Steffa Duschek gab Gertrud ein Zeichen mit der kleinen runzeligen Adernhand. Das bedeutete Anfangen!

Gertrud wechselte ein paar Worte mit dem Vater und Marietje. Und Marietje van Daalen sang ein kleines holländisches Volkslied. Einfach in ruhigen, klaren Bogen spann sich die Begleitung des alten Musikers um die tönende Stimme wie ein alter stilvoller Rahmen um ein Pastellbild mit zarten verblichenen Farben. —

Steffa Duschek sass da, als lauschte sie in sich hinein, als lausche sie irgendeinem fernen verlorenen Klange, der durch das Lied in ihr erweckt ward. Sie sass wirklichkeitsentrückt, und ihre braunen Augen hatten einen Blick, der wie durch Schleier kam. Matt und versunken.

Mit kurzem Dreiklang umschmeichelte der alte Musiker den letzten Gesangston.

Steffa Duschek sprach nicht. Sie sass immer noch unverändert.

Gertrud, der der grosse Respekt vor der einstigen Lehrerin noch im Blute lag, wagte keine Frage nach Gefallen oder Nichtgefallen, und ein paar Minuten lang war alles still.

Marietje wusste, weshalb sie heute vor dieser alten Dame hatte singen müssen, und sie fühlte unbewusst, dass diese lange Pause einem Urteilsspruch voranging.

Plötzlich sprang Frau Steffa Duschek auf.

Impulsiv, überhastig, dass sie beinahe über das herabgefallene Rückenkissen stolperte, stürzte sie auf Marietje zu, sie mit einem Schwall von Worten überströmend, die an dem verdutzten Mädchen niederrannen wie unzählige Bächlein.

„Du bist eine Gottesbegnadete, eine Auserwählte,“ sie dachte nicht daran, Marietje mit „Sie“ anzureden, das lag ihr völlig fern in diesem Augenblicke glühendsten Begeisterungstaumels. Sie zog Marietjes Kopf kräftig zu sich hernieder und küsste sie theatralisch auf beide Wangen.

„Mädel, du hast eine Engelsstimme,“ rief sie und rieb ihr gepudertes Gesicht heftig an Marietjes blauer Bluse. Weisse Flecken blieben zurück, aber dafür war Steffa Duscheks Antlitz gelber, ursprünglicher geworden.

„Du, Mädel, ich hätte nicht gedacht, dass es noch einmal auf der weiten Herrgottswelt so eine Stimme geben könnte, wie ich sie besessen.“ Sie richtete sich auf und ein Leuchten machte ihre Augen wieder jung.

Sie wandte sich Gertrud zu und dem alten Frenzau.

„Solche Stimme habe ich besessen, solch eine seligmachende Glücksstimme, und ich zwang die Menschen damit wie mit einem Zaubermittel. Ich sang ihnen die Herzen froh und die Herzen wund, bannte sie mit der allmächtigen Gewalt meiner Stimme, dass sie fühlen und empfinden mussten, wie ich es wollte.“ — Die kleine Gestalt schien zu wachsen. „O, der Macht meiner Stimme entging keiner!“ Mit einem Male fiel die gebrechliche Figur der Meisterin wieder ganz in sich zusammen. „Doch zu früh, viel zu früh verlor ich meine Macht, meine Stimme starb.“

Ein Unterton von heimlichem, bitterem Weinen schwang sich durch die letzten Worte.

Eine müde alte Frau ging Steffa Duschek mit kleinen Schritten zu ihrem Platz zurück.

Frau Steffa Duschek blickte lange auf Marietje, die rot und erschrocken versuchte, ein Wort zu verstehen. Sie begriff nur, dass das Gebaren der alten Frau ein grosses Lob für sie bedeutete, und freute sich dessen.

Sicherer wurde das Boot für Heiko Barends. —

Marietje singt

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