Читать книгу Marietje singt - Anny von Panhuys - Страница 5
II.
ОглавлениеEine scharfe Brise strich von der See her.
Gertrud Frenzau stieg die wenigen Stufen des kleinen Gasthofs hinunter. Ihr grauer, offener Seidenmantel flatterte im Winde lustig hoch. Die Sängerin wandte sich lachend nach dem ihr bedächtig folgenden Herrn zurück.
„Der Wind ist heute ein ordentliches Rauhbein,“ rief sie, „und nicht ein bisschen galant gegen eine berühmte Frau, Papa.“
„Hast du deinen Schal umgetan, Trudeken?“
Der alte Herr machte ein ganz entsetztes Gesicht, als er bemerkte, dass Trudeken ihren Schal nicht umgetan.
„Du bist ein ganz leichtsinniges Ding,“ schalt er gutmütig ernst, „bei solchem Winde so hinauszulaufen.“
Er kehrte um und kam sogleich mit einem mattblauen Schal zurück, den er der Tochter um den Hals wandt. Er setzte dazu eine Miene auf wie ein Minister, der irgendeine wichtige Staatsaktion unterzeichnet.
Gertrud Frenzau liess sich mit leisem Lächeln diese väterliche Bevormundung gefallen; sie wusste ja, wie besorgt der Vater um ihre schöne Stimme war. Hatte er sich’s doch dereinst nicht träumen lassen, der kleine Kapellmeister, der sich im Osten Berlins jahrelang recht und schlecht durchgeschlagen, dass aus seinem Trudeken eine gefeierte Sängerin werden würde, die den Namen Frenzau mit Lorbeer umkränzen sollte.
„Wir wollen jetzt gleich zu der Frau van Daalen gehen, was, Papa?“ meinte Gertrud und schob ihren Arm unter den des Vaters.
Der Alte nickte. „Gotteken, wenn du dir’s nu mal partuh in den Kopf gesetzt hast, das Fischermädchen mit heimzunehmen, ich will dir das Vergnügen nicht verderben.“
Langsam wanderten die beiden den holperigen Weg entlang, der zu dem dunkelgeteerten Holzhause der Witwe führte.
„Weisst du, Papa, den ersten Unterricht gibst du ihr,“ schlug Gertrud vor.
Der alte Kapellmeister, der es nie über das Dirigentenpult eines Vorstadttheaters und einiger Arbeitervereine hinausgebracht, schmunzelte: „Meinst du, Trudeken? Ob das aber mit der holländischen Seejungfer, von deren Sprache ich kein Wort verstehe, gerade ein Genuss sein wird — —“
Gertrud lachte.
„Dann spiele ich Dolmetscher, das denke ich mir riesig amüsant. Es ist ja auch nur für den Anfang. Weisst du, Papa, nur für ein paar Wochen oder Monate, dann bringe ich die holländische Seejungfrau, wie du sie nennst, zu Frau Stessa Duschek, der ich mein Können verdanke.“
„Trudeken, das war nicht hübsch von dir, was du eben sagtest,“ klang es vorwurfsvoll.
Gertrud Frenzau drückte sanft den Arm des alten Herrn.
„Du hast recht, Papa, den Grundstein zu meinem Können verdanke ich dir.“
Der Alte machte wieder ein zufriedenes Gesicht.
„Wenn du’s nur einsiehst, Trudeken.“
Und von einem Gedanken erfasst, meinte er: „Ist’s aber nicht vielleicht ein Unrecht gegen das Mädchen, wenn wir es hier herausreissen aus seiner gewohnten Umgebung? Lass dir die Sache doch lieber noch einmal durch den Kopf gehen, Trudeken.“
„Was ist dabei zu überlegen, Papa, wenn die Geschichte aus dem einen oder anderen Grunde nicht klappt, nun gut, dann expedieren wir das grosse, blonde Fischermeisje wieder nach der Zuidersee zurück. Ich habe mir’s nun mal vorgenommen, der Welt in Marietje van Daalen eine Sängerin zu schenken. Ich will der Welt gewissermassen einen Ersatz für mich geben, denn du weisst, lieber Papa, Erich will durchaus nicht mehr mit dem Heiraten warten, und dann muss ich doch den Konzertsaal verlassen.“
„Trudeken, nimm mir’s nicht übel, aber wenn ich mich nun auch allmählich an den Gedanken gewöhnt habe, dass du als Baronin Hillenbach nicht mehr öffentlich auftrittst, verstehen kann ich das, offen gestanden, trotzdem nicht.“
Gertrud Frenzau zuckte die Achseln, und ihre vollen Lippen schürzten sich: „Erich wünscht doch nicht, dass seine Frau für Geld singt.“
„Aber das Geld, das sich seine Frau ersungen, das darf sie mit in die Ehe bringen.“
Der Ton des Alten war jetzt entschieden etwas streitsüchtig.
„Ach, lass doch, Papa,“ wehrte die Sängerin ab und ihre schwarzen Augen schlossen sich halb, „über diesen Punkt werden wir beide uns doch niemals einigen.“
Der alte Kapellmeister unterdrückte einen kleinen Seufzer und zog es vor zu schweigen.
Aber seine Gedanken vermochte er nicht so rasch von dem eben gehabten Gespräche loszureissen.
Zweiunddreissig Jahre war Gertrud geworden, ohne sich mit dem Gedanken an Verlobung und Heirat zu beschäftigen, und Korb über Korb hatte sie ausgeteilt, bis jetzt vor drei Monaten der Baron dahermarschiert kam und eins, zwei, drei, die Festung im Sturm nahm. Jetzt, wo Gertrud auf der Höhe ihres Ruhmes stand, wo man überall glücklich war, ihren Namen auf das Programm setzen zu dürfen, da wollte sie diesen Namen hergeben, um ihn mit dem einer Baronin Hillenbach zu vertauschen. Aber als Baronin Hillenbach sollte sie nicht mehr singen, der eingebildete Herr gestattete das nicht. Und dabei war der alte Kapellmeister fest überzeugt, Erich Hillenbach wusste genau, dass hinter Gertrud Frenzaus Namen fast ein ersungenes rundes Milliönchen hing. Ob seine Liebe ebenso gross wäre ohne dieses Milliönchen?
Der Alte bezweifelte es.
Nur eine Wintersaison hindurch wollte Gertrud noch singen, im Frühling sollte bereits die Hochzeit stattfinden. Wie lange hätte Gertrud mit ihrer prachtvollen, kräftigen Stimme noch Triumphe feiern können, wie lange noch!
Es war ja nicht allein des Geldverdienens wegen, o nein, aber Gertrud hing mit ganzer Seele an ihrem Künstlerberuf, das wusste Max Frenzau, und der überelegante Baron bot ihr als Ersatz dafür, dass sie den geliebten Beruf aufgab, nichts als seine Person. Ein trauriger Tausch, ging es dem einstigen Kapellmeister durch den Kopf, und die Furche über seiner Nasenwurzel vertiefte sich. Wie oft schon hatte er im Laufe der letzten Monate den Baron verwünscht.
Auch Gertrud Frenzaus Gedanken beschäftigten sich, während sie neben dem still gewordenen Vater herging, mit Erich Hillenbach — aber in völlig anderer Weise.
In zärtlicher Sehnsucht zog ihr Denken zu dem schlanken Manne, nach dem ihr Herz und ihre Sinne verlangten. Wie ruhig und kühl, ja berechnend war sie durch ihr Leben geschritten, ehe er ihr entgegentrat und sie mit seinem stolzen, unterjochenden Herrenlächeln unfrei machte. Aber eine glückselige Unfreie machte sein zwingendes Lächeln aus ihr.
Dass er ihrem Vater unsympathisch war, der rassige, vornehme Herrenmensch, schmerzte sie; aber um des Vaters willen den Geliebten aufzugeben, dazu hätte sie sich nicht entschliessen können.
Sie liebte ihn ja mit jeder Fiber ihres Seins, den schlanken Erich von Hillenbach. — —
Hinter einem niedrigen Haselgebüsch tauchte eine weisst Mütze auf, unter der zwei dicke rotgoldene Lockenspiralen wie goldene Quellchen hervorsprangen, ein blauer Rock bauschte sich im Winde.
„Ah, sieh da, Marietje!“
Gertrud Frenzau liess den Arm des Vaters los und streckte dem ihr befangen gegenüberstehenden Mädchen die schöne, gepflegte Hand entgegen.
„Guten Tag, Mevrouw.“
Marietje zeigte sich heute schüchterner als gestern in Gegenwart der Mutter. Ihre Finger strichen verlegen über den buntblumigen Brustlatz.
„Nun, Marietje, haben Sie es sich überlegt? Werden Sie mit uns nach Berlin kommen?“
Marietje hob die Wimpern, und ihre grossen blauen Augen sahen Gertrud Frenzau an.
„Ja, Mevrouw, die Mutter meint, weil wir arm sind, wäre es gut, wenn ich mit Ihnen ginge. Wenn ich dann ein paar tausend Gulden beisammen hätte, solle ich wiederkommen. Und die Mutter meint auch, es wäre gut, wenn der Herr Lehrer einmal mit den Herrschaften über alles spräche und sich genau aufschriebe, wo Mevrouw und Mynheer wohnten, damit man mir Mitteilung machen könne, wenn etwas Wichtiges vorfalle.“
Und während sie das sagte, dachte sie nur an Heiko Barends, an das neue Boot, das er brauchen konnte, und an die festen, neuen Netze, über die er sich selber freuen würde, wenn sie ihn nach der Hochzeit damit überraschte. —
Schon am Donnerstag wollten Vater und Tochter Marken verlassen; sie hatten ja bereits ihren Reisplan durcheinandergebracht, weil sie länger, als anfänglich beabsichtigt, auf der Insel geblieben waren.
Während der letzten Jahre pflegte Gertrud jeden Sommer einige Wochen in Scheveningen zuzubringen. Diesen Aufenthalt hatte die Sängerin auch immer benutzt, um holländischen Unterricht zu nehmen und sich durch fleissigen Gebrauch des Erlernten in der Sprache zu üben. Sie wusste, wie vorteilhaft es für eine Künstlerin, die überall herumkommt, war, sprachkundig zu sein.
Auf der Rückfahrt von Scheveningen nach Berlin hatte sie mit ihrem Vater den Abstecher nach Marken eingeschoben.
Eine helle Mädchenstimme war hier an ihr Ohr geschlagen, eine helle Mädchenstimme hatte sie beide zurückgehalten. Nun würde die helle Mädchenstimme mit ihnen Marken verlassen, weil Gertrud Frenzau, die berühmte Sängerin, wollte, dass die grosse Welt da draussen jenseits der goldbraunen Wasser sich an der herrlichen Mädchenstimme freuen sollte.
Die kleine Insel in der Zuidersee aber würde trauern und keine Lippe würde jetzt mehr flüstern:
„Still, Marietje singt!“