Читать книгу Marietje singt - Anny von Panhuys - Страница 7
IV.
ОглавлениеVon Haus zu Haus verbreitete es sich wie ein Lauffeuer: Marietje geht weit fort, um mit ihrem Singen viel Geld zu verdienen! Und die meisten Leute von Marken wollten die Neuigkeit nicht glauben, weil sie die Neuigkeit nicht zu begreifen vermochten.
Sonntag nachmittag mit dem Havenstoomboot fährt Marietje fort, hiess es, und ganz Marken wanderte hinunter an den Strand, wo das Havenstoomboot lag, das Fremde von Amsterdam gebracht hatte, die die Insel besichtigen wollten und auf deren Rückkehr es wartete.
Und dann kam sie in Begleitung ihrer Mutter, und neben ihr ging eine vornehme, stolze Dame und ein alter Herr. Da wagte sich keiner mehr an sie heran, und sie standen alle unbeweglich. Die Männer mit der Pfeife im Mundwinkel, die Hände in den Taschen ihrer bauschigen Hosen vergraben und die Frauen steif und unfrei.
Marietje umarmte die Mutter und wandte sich dann, den Steg zu betreten, der zum Boote führte.
Im selben Augenblicke drängte sich Heiko Barends vor und Gertrud Frenzau, die hinter Marietje schritt, beiseite schiebend, ergriff er rasch des Mädchens Hand.
„Vergiss es nicht, Marietje! Wenn du mich einmal nötig haben solltest, dann rufe mich, ich hole dich heim, wo du auch bist!“
Noch ein schneller Blick, dann trat der junge Fischer zurück.
Gertrud Frenzaus Lippen zuckten spöttisch, aber der alte Kapellmeister meinte halblaut: „Er scheint sie sehr zu lieben.“
Die Sängerin lachte: „In ein paar Monaten macht sie sich lustig über ihn.“
Eben erschienen die Fremden, die das Schiff gebracht und die ihren Rundgang um die Insel beendet hatten, wieder unter der Führung des Stewards. Sie stiegen ein. Der schmale Steg, der den Dampfer mit dem Lande verband, ward von kräftigen Schifferhänden zurückgezogen, und mit langsamer Schwenkung begann das Boot hinauszufahren in die Zuidersee.
Marietje, in ihrer kleidsamen bunten Tracht, lehnte neben dem Gitter am hinteren Teil des Schiffes und blickte mit grossen Augen auf die Heimat, die sie verliess. Eine Angst befiel sie plötzlich und sie begriff nicht mehr, dass sie sich dazu hatte verstehen können, von der Heimat fortzugehen.
Ein paar Hände winkten und Marietje zog ein weisses Tüchlein hervor. Lustig wie ein kleines weisses Fähnlein wehte es hin und her.
„Ein Lied zum Abschied, Marietje!“ rief eine Stimme, und Marietje fing den Zuruf auf. Sie vergass völlig die vielen Fremden auf dem Dampfer, sie sah nur alle die lieben Bekannten, die so oft ihrem Gesange gelauscht.
Ohne zu zögern, begann sie das Lied, das sie als Kind vom Vater gelernt hatte, und hinüber zum Ufer zog es:
„Die See geht hoch, mein Schifflein schwankt,
Ich fahr’ voll Mut hinaus — — —“
Die Schiffspassagiere horchten beim ersten Ton dieser goldklaren Stimme auf, wechselten erstaunte Blicke, doch niemand sprach ein Wort.
Drüben am Ufer flüsterte es: „Still, Marietje singt!“
Und Marietje sang, und sie wusste es wohl selbst kaum, dass dabei Träne auf Träne langsam über ihre Wangen rann.
Gertrud Frenzau legte mit zärtlicher Bewegung ihren Arm um die Weinende. Sie fand, solche Stellung kleidete sie gut, und dann hatte sie auch vorhin beim Einsteigen zufällig aufgefangen, wie ein Herr zu seiner Begleiterin sagte: „Du, die interessante Dame da ist die berühmte Frenzau.“
Mit tränenverdunkeltem Blick schaute Marietje noch einmal zurück auf die mehr und mehr verschwindende Insel.
Nur noch ein paar Dächer der Holzhäuser waren zu sehen und drüben rechts im Vordergrunde Schiff an Schiff. Sonntäglich-feierlich streckten sie ihre Masten gegen den Himmel, ruhten im Hafen aus nach den schweren Arbeitstagen draussen auf der See.
Und in schneller, sicherer Fahrt glitt der Dampfer über das goldene Netzwerk, das die Sonne über dem Wasser spann, und da hinten, fern am Horizont, tauchte die Insel Marken unter wie ein dunkler Nebelstreif.