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Richtung Süden

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Piep-piep-piep – noch während sich die Türen der U-Bahn schlossen, sah Nina Lohse die beiden Männer in blauen Anoraks, die am anderen Ende des Waggons zugestiegen waren. Fahrkartenkontrolleure? Oder nur Sicherheitspersonal? Ihr Herz legte einen Galoppsprung ein und rutschte dann in die Hose.

Der Zug war ziemlich voll. Nina saß ganz vorne links am Fenster, gerade schob sich noch eine dicke Dame mit bestickter Mütze, einer Unzahl von prallen Einkaufstüten und einem rattenartigen Hündchen im Schlepptau neben sie; gegenüber saßen ein Junge mit Ohrstöpseln und wippendem Turnschuhfuß und ein Anzugherr mit Aktentasche. Nina vergaß die blauen Männer. Sie machte sich dünn und rückte noch weiter in ihre Ecke. Diese Frau war wirklich raumgreifend. Jetzt lehnte sie auch noch ihre Schulter gegen Ninas und lächelte breit.

Nina schaute weg, schaute aus dem Fenster in die Dunkelheit, schaute in sich hinein, wurde noch dünner und war schließlich nur noch ein Strich, dem niemand etwas anhaben konnte.

„Die Fahrkarten bitte!“ Jetzt war Nina kein Strich mehr, sondern eine Verbrecherin.

Nein, Verbrecherin war ein zu hartes Wort. Diese Karten waren unverschämt teuer. Zwei Stationen wollte sie nur fahren, um an den Landungsbrücken ihr Fahrrad abzuholen, und das hätte 1,30 Euro gekostet. Eigentlich fuhr sie ja gar nicht Bahn, sondern Rad. Außerdem hatte sie zwar vorhin noch Geld am Automaten geholt, aber der gab keine kleinen Scheine aus, und Fünfziger nahm der Fahrkartenautomat nicht. Nahm sie mal an. Sie war also sozusagen ein Opfer widriger Umstände. Das würde sie den Kontrolleuren erklären. Sie fuhr sonst nie schwarz. Naja, sie fuhr sonst eigentlich nie U-Bahn. Aber wenn, dann nicht schwarz – schon allein wegen der Nerven.

Früher, als Studentin in Köln, war sie manchmal schwarz gefahren, denn da gehörte Schwarzfahren sozusagen zum guten Ton. Sie hatte ihre Zehnerkarte mit Fixogum präpariert, diesem Architektenkleber, den man samt Zeitstempel wieder abrubbeln konnte. Schrecklich ungemütlich war es gewesen, mit so einer Karte unterwegs zu sein. Was, wenn sie erwischt worden wäre? Das gab als Betrug bestimmt viel höhere Strafen als fürs Schwarzfahren, schließlich brauchte es auch mehr kriminelle Energie. Statt so eine manipulierte Fahrkarte vorzuzeigen, würde sie lieber behaupten, sie hätte gar keine. Dann war es doch besser, tatsächlich keine zu haben. So wie jetzt. Nina atmete tief durch. Allerdings gab es hier in Hamburg ohnehin keine Mehrfahrtentickets.

Die Männer in den blauen Jacken kamen unerbittlich näher.

Sie könnte sich unsichtbar machen oder ganz klein, so klein, dass sie leicht in der Jackentasche ihrer ausladenden Nachbarin verschwände. Die brauchte ohnehin so viel mehr Platz, dass es nur angemessen wäre, Nina umsonst zu befördern, wenn diese doppeltdicke Frau auch nur den regulären Preis zu zahlen hatte. Mitsamt ihrer Hundsratte.

Die U-Bahn war aus ihrem Tunnel aufgetaucht und hielt aufs Wasser zu, um dann in einem weiten Bogen den Hafen entlang zu fahren. Sie könnte einfach geradeaus weitersausen, noch höher steigen und den schienengebundenen Kontrolleuren in ihren hässlichen Anoraks vor der Nase weg ins Blaue verschwinden. Nina jedenfalls fühlte sich leicht genug für so eine Reise. In Richtung Süden, das war nie falsch. Palmen und Sonne kamen ihr in den Sinn. Eine Untergrundbahn, die nicht unterirdisch fuhr, hatte ohnehin den Beruf verfehlt und konnte dann doch auch gleich ganz was anderes machen.

Der Gedanke gefiel Nina. Sie warf einen Blick neben sich. Wenn all die Rundungen nun Ballons wären? Die Dame nähme das kleine rote Hämmerchen, schlüge mit einem freundlich gelächelten „Entschuldigen Sie“ die Fensterscheibe neben Nina ein und schwebte rund und leuchtend mit all ihren Tüten hinaus, den Zug hinter sich herziehend, durch die Nacht in den sonnigen Süden.

Nina lächelte. Die Frau neben ihr kramte in ihrer Handtasche und machte keinerlei Anstalten, die Scheibe einzuschlagen. Der ältere der beiden Kontrolleure wandte sich jetzt ihrer Sitzgruppe zu: „Ihre Fahrkarten bitte!“

Nina lächelte nicht mehr. „Ich habe keine Fahrkarte“, sagte sie leise; fast nur ein Wispern war ihre Stimme, geschluckt von der Wärme, die vom Hals zu den Wangen hinaufstieg.

Der Kontrolleur beugte sich zu ihr vor, da legte sich eine rundliche Hand auf Ninas Knie, und sie hörte eine volle, dunkle Stimme sagen: „Die junge Dame ist mit mir unterwegs – auf die Gruppentageskarte. Hier, bitte.“

Der Zug fuhr in die Station Baumwall ein, die Männer in den blauen Anoraks stiegen aus. Die dicke Dame zwinkerte Nina noch zu und hüpfte dann erstaunlich flink mit Sack und Pack ebenfalls aus dem Zug.

„Danke“, sagte Nina leise. Der Turnschuhjunge grinste und wippte mit dem Fuß.

Richtung Süden

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