Читать книгу Richtung Süden - AnSo Fröhlich - Страница 7
Wie man sich trifft
Оглавление„Entschuldigung … Oh, hallo, Herr Dr. … Ja, wirklich eine sehr beeindruckende Ausstellung …“ Marie schlängelte sich zwischen einer majestätischen alten Dame in schwarzem Samt und einer Gruppe fachsimpelnder Herren mit Hornbrillen in Richtung Wintergarten. Dem Wortführer lächelte sie einen Gruß zu, winkte der Frau im grüngrauen Kostüm, die von einer Schar Journalisten umgeben war, durch den Raum zu und sah sich suchend nach Loreen um.
In den letzten Jahren hatte Marie die Vernissagen im Kunstverein meist gemieden. Zu viel Rummel, zu viele bekannte Gesichter. Den Pianisten zupfte eine junge Blondine gerade noch am Ärmel, bevor er Marie in ein Gespräch verwickeln konnte. Offenbar waren die meisten schon im Aufbruch.
Endlich entdeckte sie die Freundin – allein allerdings. „Hallo Loreen! Gar nicht so leicht, dich hier zu finden. Toll siehst du aus! Wo ist denn nun dein Prinz, der dich so strahlen lässt?“
„Ah, Marie, hast du es doch noch geschafft. Ich war schon ganz enttäuscht, dass du ihn vielleicht nicht triffst, obwohl er diesmal drei Tage hier ist.“ Küsschen links, Küsschen rechts, dabei redete Loreen schon weiter: „Er ist einfach arg eingespannt, der Süße. Gerade war er ja zwei Wochen verreist, deshalb hat er jetzt eigentlich noch mehr Arbeit. Aber er wollte mich natürlich sofort sehen. Und ich hab auch drauf gedrängt. Na, den nächsten Urlaub machen wir zusammen, das war einfach blöd, dass dieser schon fest gebucht war, als wir uns neulich auf der Tagung kennengelernt haben.“
Marie nickte, aber Loreen war nicht zu bremsen. „Er ist wirklich ein Schatz, weißt du. Ich glaube, diesmal habe ich den richtigen gefunden. So aufmerksam und ehrlich! Ich wette, er wird dir auch gefallen … Aber jetzt hole ich dir erst mal ein Glas Wein.“
Ein auffallend gut aussehender Mann im hellgrauen Anzug trat neben Loreen. „Oh, da ist ja der Holde“, flötete sie strahlend, während Marie das Lächeln gefror. Das durfte doch wohl nicht wahr sein. „Darf ich vorstellen? Hansi, das ist meine Freundin Marie Murell, Marie, das ist Hansjö-„ – „Herr Röder!“ platzte Marie heraus.
Gerade mal eine Woche war es her, dass sie im Nieselregen vor der Telefonzelle gewartet hatte, der einzigen Telefonzelle, die es auf dem Gelände der gerade im Umbau befindlichen Geburtsklinik in Bremerhaven gab. Ein bisschen genervt war sie gewesen, schließlich wollte sie nur schnell bei Loreen daheim in Hannover anrufen und Bescheid sagen, dass sie noch ein paar Tage bleiben müsse und Loreen bitte die Blumen gießen und die Post reinholen solle. Und dann war die Zelle besetzt, sie hatte den Typ noch wählen sehen, jetzt hörte sie ihn reden – und traute ihren Ohren kaum: „Ja, es ist wirklich herrlich hier, jeden Tag Sonne … Wer will denn heute noch braun werden … Heute früh sind wir mit dem Boot zu einem Korallenriff rausgefahren …“
Was war das denn? Marie musste lachen und fing sofort an, sich verschiedene Geschichten auszumalen. Der Mann hatte jedenfalls Phantasie. Grinsend ging sie auf und ab, bis er auflegte und sie ihn herauskommen sah. Es war Herr Röder, der Mann von Julia Röder, die mit Maries Schwägerin das Zimmer in der Geburtsklinik teilte. Eine ganz süße Frau, die heute früh endlich ihr schon überfälliges Töchterchen bekommen hatte. – Und er ein ausgesprochen attraktiver Mann. In einer anderen Umgebung hätte sie mit ihm definitiv anderes angefangen als ein Gespräch über Wehen.
Ganz sicher hatte Röder sie vor der Telefonzelle auch gesehen. Aber er hatte sich weggeduckt und war eilig in Richtung Parkplatz verschwunden. Getroffen hatte Marie ihn danach nicht mehr, seine Frau war entlassen worden.
„Ihr kennt euch?“, fragte Loreen mit einer Mischung aus Begeisterung und Misstrauen.
„Oh … Ja!“ Jetzt galt es schnell zu improvisieren. „Das heißt, kennen wäre wohl etwas übertrieben. Ich glaube, wir haben uns mal bei einer Einladung getroffen, als ich meinen Bruder besucht habe.“ Marie hatte ihre Fassung wieder gewonnen und schenkte Herrn Röder, der aussah wie vom Blitz getroffen, ein warmes Lächeln. „Sie kommen doch aus Bremerhaven? – Ja, Loreen, es wäre wirklich sehr süß von dir, wenn du mir auch einen Wein besorgen könntest“, fuhr sie im selben Atemzug fort. „Dann können wir uns gemütlich unterhalten. Schaut mal, da wird sogar ein Tisch frei.“
Loreen schien einen Moment zu zögern, aber Marie ergänzte charmant: „Wie nett, Sie heute hier zu sehen“, schob Herrn Röder sanft zu einem Stuhl und fügte, als Loreen verschwand, etwas leiser hinzu: „Ich glaube allerdings, Sie sollten sich etwas zusammenreißen, wenn das gut gehen soll …“
Er ließ sich auf den Stuhl sinken, atmete tief aus und straffte die Schultern. Mit Befriedigung registrierte sie das anerkennende Blitzen in seinen Augen. Sie setzte sich ihm gegenüber. Er legte den Kopf schräg und fragte, nun auch fast im Plauderton: „Wo haben Sie nur so gut lügen gelernt – noch dazu einer Freundin gegenüber?“
Marie schlug die Beine übereinander. „Ach, wissen Sie, Loreen kennt mich gar nicht anders. Ich war jahrelang die Geliebte ihres Mannes.“ Sie lächelte. „Aber erzählen Sie es ihr lieber nicht. Schließlich ist er tot, und es würde ihr sicher sehr die Erinnerung verderben. – Oh, da kommt sie. Danke schön, meine Liebe.“
Sie hob ihr Glas: „Auf euer Glück!“