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Der historische Hintergrund

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Als Nero im Oktober 54 n. Chr. Kaiser wurde, erbte er eine Regierungsform, die rund achtzig Jahre zuvor durch seinen berühmten Ahnherrn Augustus etabliert worden war. Der damals noch als Octavian bekannte Augustus hatte im September 31 v. Chr. die vereinten Armeen seines Rivalen Antonius und dessen Bundesgenossin und Geliebter Kleopatra von Ägypten in der großen Schlacht bei Actium in Nordgriechenland vernichtend geschlagen. Octavians anschließendes Verhalten bedeutete das Ende eines republikanischen Herrschaftssystems, das seit der Vertreibung des letzten römischen Königs bestanden hatte, die man traditionell auf das Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr. datierte. Gut vier Jahre nach Actium übergab Octavian alle Gebiete, die er inzwischen kontrollierte, nominell dem Senat. Zum Dank für diese großzügige Geste verlieh dieser ihm den Titel „Augustus“ und übertrug ihm die Verantwortung für eine riesige „Provinz“, einen Zuständigkeitsbereich in den noch nicht von Römern besiedelten Grenzregionen. Die Gouverneure dieser Gebiete (Statthalter, legati Augusti) und die Kommandeure der dort stationierten Legionen („Legionslegaten“, legati legionis – derartige Fachbegriffe werden im Glossar am Ende des Buches erklärt) – wurden direkt von Augustus ernannt, womit er de facto der Oberbefehlshaber aller römischen Heere wurde. Die verbleibenden „öffentlichen“ Provinzen wurden von Prokonsuln verwaltet, die im Senat durch das Los bestimmt wurden.

Trotz der republikanischen Fassade und des Anscheins, Augustus sei nur der „führende Bürger“ (princeps), verriet seine Entschlossenheit, dass nur seine eigenen Nachkommen ihm nachfolgen dürften, den letztendlichen Betrug, hinter dem faktisch eine Monarchie stand. Weiter kompliziert wurden die Dinge dadurch, dass er und seine letzte Ehefrau, die vielbewunderte Livia, keinen lebenden Nachwuchs bekamen. Die späteren Herrscher der ersten Kaiserdynastie Roms stammten über Augustus von den Juliern ab, und zwar über Julia, seine Tochter von einer früheren Gemahlin, und dazu von den Claudiern, zu denen Livia zählte (ihr Vater war ein gebürtiger Claudier, ebenso ihr erster Mann vor Augustus); daher kennt man sie üblicherweise als julisch-claudische Dynastie. Zum Nachfolger bestimmte Augustus schließlich den Claudier Tiberius, der Livias Sohn aus erster Ehe und Julias Mann war. Zwar war Tiberius anscheinend ein hervorragender Feldherr, aber dazu verurteilt, ein unsympathischer, undiplomatischer Kaiser zu sein, als er 14 n. Chr. auf Augustus folgte. Wie dieser hatte er in seinen späten Jahren keinen offensichtlichen Nachfolger in Bereitschaft. Tiberius starb im Jahr 37 und wurde durch seinen (Adoptiv-)Enkel Gaius „Caligula“ ersetzt, das seltene Beispiel eines Kaisers, dessen Ruf als Schurke sogar mit dem von Nero mithalten kann. Im Jahr 41 n. Chr. wurde Caligula von Offizieren seiner Leibgarde ermordet und durch seinen Onkel Claudius ersetzt, den viele – einschließlich seiner eigenen Mutter – für schwachsinnig hielten, der sich tatsächlich jedoch als überaus fähiger Kaiser erwies. Während der Herrschaft des Claudius geriet der junge Nero zum ersten Mal ins Licht der römischen Öffentlichkeit.

Geboren wurde Nero am 15. Dezember 37 n. Chr. in Antium (dem heutigen Anzio). Sein Vater Gnaeus, ein Mann mit einem anscheinend eher beschränkten Charakter, der nur wenig im Leben erreichte, starb, als Nero noch ein Kleinkind war. Seine Mutter Agrippina die Jüngere, eine Urenkelin des Augustus, scheint die starke Person in der Familie gewesen zu sein und erwies sich als gnadenlos ehrgeizig, wo es um die Interessen ihres Sohnes ging. Im Jahr 49 heiratete sie Claudius und hatte ihn schon nach einem Jahr dazu gebracht, ihren Sohn zu adoptieren. Außerdem stimmte Claudius 53 n. Chr. der Heirat Neros mit seiner Tochter Octavia zu. Im Jahr 54 n. Chr. starb Claudius. Angeblich wurde sein Tod durch einen Giftpilz beschleunigt, den ihm Agrippina ins Abendessen mischte. Hastig wurde Nero ins Lager der Prätorianergarde geschafft und dort begeistert als Kaiser willkommen geheißen. Ein gefügiger Senat tat das Seine, indem er den 16-Jährigen mit den Vollmachten eines Kaisers überhäufte. Das spätere Bild vom feisten Tyrannen Nero ist der allgemeinen Phantasie so tief eingebrannt, dass man sich heute wohl nur mühsam vorstellen kann, dass die Römer den Herrschaftsantritt dieses hübschen und sympathischen jungen Mannes mit überschwänglicher Begeisterung als den Morgen eines neuen Goldenen Zeitalters begrüßten. Der glühende Eifer der Zeitgenossen war mit Händen zu greifen und spiegelt sich etwa in der verzückten Reaktion des bukolischen Dichters Calpurnius Siculus: „Ein goldenes Zeitalter wird wiedergeboren in einer Ära heiteren Friedens.“1 Dieser Optimismus mag seltsam naiv wirken, die Reaktion selbst jedoch scheint aufrichtig und weit verbreitet gewesen zu sein. Und was für unser Thema besonders wichtig ist: Noch 64 n. Ch., am Vorabend des Brandes, der Rom verwüstete, scheint diese Begeisterung kaum nachgelassen zu haben.

Die aufgeregte öffentliche Reaktion auf Neros Herrschaftsantritt wurde natürlich durch die Mächte hinter dem Thron sorgsam gesteuert. Neros allererste Rede vor dem Senat schrieb ihm sein alter Lehrer, der Philosoph Seneca, und sie war ein Muster an Taktgefühl und Respekt. Vor den Ohren der entzückten, wenn auch irregeführten Senatoren verkündete Nero, er werde sich ein Beispiel an Augustus nehmen und – was vielleicht das Wichtigste war – sicherstellen, dass die Senatoren ihre altehrwürdigen Privilegien behielten, was natürlich gut ankommen musste. All das erzeugte, so sah es Tacitus, die selige Illusion, dass die alte freie Republik noch bei bester Gesundheit war. Alles in allem ein hervorragender Start. Ganz ohne dunkle Schatten war die Frühphase dieser Herrschaft zwar nicht – etwa in Gestalt des verdächtigen Todes von Claudius’ leiblichem Sohn Britannicus. Doch erst in Neros fünftem Jahr, 59 n. Chr., finden wir den ersten offenen und unstrittigen Beweis, dass er, wenn nötig, mit atemberaubender Skrupellosigkeit vorgehen konnte. Aus Gründen, die heute schwer auszumachen sind – vielleicht eine Mischung aus Politik und Psychologie –, beschloss er, seine eigene Mutter Agrippina zu beseitigen. Die Mittel, die er dazu angeblich einsetzte, waren faszinierend, und uns ist der Bericht über einen ausgefeilten – und völlig unglaubwürdigen – Plan überliefert, an einem Schiff, zu dessen Passagieren Agrippina zählte, Sabotage zu verüben, sodass es auf offener See sinken musste. Doch Agrippina gelang es, an Land zu schwimmen. Daraufhin schickte Nero Mörder in ihre Strandvilla, die die Sache zu Ende brachten.

Nicht einmal der dürftig bemäntelte Muttermord scheint Neros breite Anziehungskraft ernsthaft geschmälert zu haben. Die Nachbarstädte gingen sogar so weit, den Mord zu feiern, Dankopfer darzubringen und Glückwunschdelegationen zu entsenden. Bei Neros Rückkehr nach dem Vorfall reagierte das einfache Volk mit beinahe rauschhaften Beifallskundgebungen. In nicht geringem Maß verdankte Nero seine starke Position seinem feinen Gespür dafür, was die Öffentlichkeit glücklich machte. Nach dem Mord an Agrippina schuf er mit atemberaubender Abgebrühtheit Spiele zu ihren Ehren, bei denen unter anderem ein angesehener, aber anonymer Ritter auf einem Elefanten über ein Hochseil ritt. Eine der Vorstellungen war besonders ominös, obwohl niemand im Publikum sich hätte vorstellen können, wie prophetisch sie war. „Der Brand“, ein Werk des hochgeschätzten Komödiendichters Lucius Afranius, wurde offenbar mit derart plastischem Realismus inszeniert, dass die Schauspieler Möbel aus einem echten brennenden Haus retten mussten … die sie anschließend behalten durften.2

Vielleicht noch mehr als vor ihm schon Caligula war Nero in erster Linie ein „Volkskaiser“. Eine Seite seines Verhaltens, welche die späteren erzählenden Quellen besonders abstieß, war sein dringender Wunsch, als Sänger auf der Bühne, als Schauspieler im Theater oder als Wagenlenker bei Rennen aufzutreten. Doch anscheinend schadeten diese Aktivitäten seiner damaligen Beliebtheit bei den Massen nicht. Es ist sogar möglich, dass die Massen sie gut fanden. In einem Panegyrikus auf Kaiser Trajan merkte Plinius der Jüngere im Jahr 100 n. Chr. an, dass zu Trajans Zeit das Volk sich von Berufsschauspielern als etwas Vulgärem abwandte, während es zu anderen Zeiten die Auftritte des Schauspielerkaisers Nero ernsthaft genoss.3 In den Oberschichten sah man solches Verhalten vielleicht mit etwas gemischten Gefühlen. Obwohl ihnen in den Jahren vor dem Brand der Gedanke mehr oder weniger unangenehm gewesen sein mag, dass ihr Kaiser auf der Bühne stand, waren sie absolut bereit, solche Auftritte hinzunehmen, solange ihr eigenes Leben materiell wie politisch blühte und gedieh. Zynismus als Lebenseinstellung war im kaiserzeitlichen Rom nicht gerade Mangelware.

Sollte es in den frühen 60ern noch nachwirkende Spannungen wegen der Auswirkungen von Agrippinas Ermordung gegeben haben, dann scheinen sie weiterhin auf Hof- und Familienkreise beschränkt gewesen zu sein. Im Jahr 62 n. Chr. ließ sich Nero von der beliebten Octavia scheiden, damit er seine zweite Frau Poppaea Sabina heiraten konnte. Laut Tacitus führte diese Behandlung Octavias zu Unruhe im Volk, aber es sagt einiges, wenn Tacitus ausdrücklich betont, dass sich die Proteste nicht gegen Nero richteten. Stattdessen hatten sie Poppaea im Visier. Tatsächlich überboten sich die Massen in Lobreden auf den Kaiser. Wir sind so sehr daran gewöhnt, von Nero dem durchgedrehten Tyrannen, dem Mörder seiner Familie, dem Christenverfolger zu hören, einem alles in allem rundum abscheulichen Individuum, dass wir uns leicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass Nero vor dem Brand noch immer der ausgesprochene Liebling Roms war. In der ersten Hälfte des Jahres 64 muss seine persönliche Position unerschütterlich gewirkt haben.

Anscheinend war der Brand der Katalysator für den tiefen Riss, der sich zwischen Nero und verschiedenen Angehörigen der Elite Roms auftat und dem schließlich Nero selbst zum Opfer fallen sollte. Als im März 68 der Statthalter von Gallien, Gaius Julius Vindex, rebellierte, hätte Nero diese Krise eigentlich überstehen müssen, und fünf Jahre vorher wäre ihm das mit ziemlicher Sicherheit auch gelungen (der aufständische Vindex wurde sogar besiegt und starb zwei Monate später). Doch Nero zeigte sich unentschlossen, und die fehlende Unterstützung aus der Senatselite ermutigte den hoch angesehenen Militärkommandeur Servius Sulpicius Galba, der damals in Spanien diente, zur Revolte. Nero wirkte von den Ereignissen überwältigt und unfähig, wirksam auf sie zu reagieren, da er zwischen Panik und Tatenlosigkeit schwankte. Die Unruhen griffen auf Nordafrika über, und in Rom ließ ihn die Prätorianergarde im Stich, womit sein Schicksal besiegelt war. Nero wurde vom Senat zum Staatsfeind (hostis) erklärt und floh in eine Privatvilla, wo er sich im Juni 68 das Leben nahm.

Neros melodramatischer Tod war der Auftakt zu mehr als einem Jahr des politischen Chaos, als rivalisierende Feldherren um die Besetzung der Lücke wetteiferten, die er hinterlassen hatte: Nacheinander fungierten Galba, Otho und Vitellius als Kaiser, aber bei jedem war die Herrschaftszeit spektakulär kurz. Endlich beruhigte sich die Lage, als der Senat Vespasian – der faktisch schon die Kontrolle innehatte, während sein Vorgänger Vitellius noch am Leben war – im Dezember 69 offiziell als Princeps anerkannte. Die Dynastie, die Vespasian begründete, die Flavier (Vespasian 69–79 sowie seine Söhne Titus 79–81 und Domitian 81–96), scheint Neros Verteufelung zu einer der Hauptstützen ihrer Propaganda gemacht zu haben, die zweifellos die frühesten Eindrücke des Großen Brandes und von Neros Verantwortung dafür mit prägte.

Rom brennt!

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