Читать книгу Träumerin - Antje Marschinke - Страница 4
Hexenmagie
ОглавлениеTmarus sperrte Dai-Dai in ein großes Zimmer und begann sie zu studieren, als wäre sie ein interessantes Tier. Nach und nach erfuhr das Mädchen, dass er davon überzeugt war, dass sie magische Kräfte besitzen musste, diese aber irgendwie versteckt waren.
„Rote Haare sind immer ein Zeichen von Magie“, belehrte er sie. „Deine Vorfahrin Daily war eine große Hexe, und alle ihre rothaarigen Vorfahren ebenfalls, egal ob Mann oder Frau. Daily ist nur leider in der falschen Zeit geboren worden. Sie hatte keinen passenden Partner, der ihre Fähigkeiten nutzen und ausbauen konnte.“
Seine Augen glänzten, als er daran dachte, was er mit Daily alles hätte anfangen können. Stattdessen saß vor ihm ein verschüchtertes rothaariges Kind, dessen Magie so versteckt war, dass es zum Haare ausraufen war.
Tage- und wochenlang unterzog er Dai-Dai allen möglichen Tests. Diese waren häufig genug alles andere als angenehm und manches Mal auch schmerzhaft. Tmarus war kein geduldiger Mensch und ließ seinen Zorn nur allzu oft an Dai-Dai aus. Aus dem lebhaften Mädchen wurde ein ängstliches und blasses Geschöpf, das sich kaum traute irgendetwas zu tun oder zu sagen, immer in Erwartung von Schlägen und harten Worten.
Eines Tages rief Tmarus Dai-Dai zu sich und befahl ihr sich in einen Beschwörungskreis zu setzen. Ängstlich hockte Dai-Dai sich nieder.
Tmarus ging mit großen Schritten vor ihr auf und ab.
„Nun gut, ich muss zugeben, dass ich mit meinem Wissen am Ende bin. Dein Dorfschamane scheint recht zu behalten. Aber ganz überzeugt bin ich noch nicht. Du hast zwar eine mindere Begabung für Magie, aber vielleicht fehlt dir einfach noch der richtige Anstoß. Selbst ein talentloses Wesen ist unter der richtigen Anleitung imstande, kleine Magie zu bewirken. – Sieh her!“
Er schnippte mit den Fingern und eine kleine Flamme erschien über seiner Hand.
„Das ist einer der geringsten Zauber und ich möchte, dass du ihn lernst. Schließe deine Augen und stell dir diese Flamme vor.“
Dai-Dai gehorchte und kniff die Augen zusammen. Sie musste es einfach schaffen. Vielleicht wurde der Magier dann freundlicher zu ihr. Entschlossen folgte sie seiner Anleitung, aber all ihre Mühe war umsonst. Nicht der kleinste Funke wollte ihren Fingern entspringen.
Wutentbrannt schüttelte Tmarus das Mädchen.
„Du sollst dich anstrengen, du kleines Miststück.“
Dai-Dai weinte lautlos und voller Entsetzen über seine Wut. Mit eisenhartem Griff umklammerte der Magier ihre Schulter.
„Ein letztes Mal“, fauchte er. „Sieh her!“
Doch als er wieder mit den Fingern schnippte, loderte eine Stichflamme hoch unter die Decke und schwärzte sie. Tmarus sackte vor Verblüffung der Kiefer nach unten.
„Bei allen Göttern, was war das?“
Sein Blick fiel auf das erstarrte Mädchen, das völlig verstört zur Decke empor sah. Langsam ließ er sie los und trat einen Schritt zurück. Als er wieder schnippte, entstand die gewohnte kleine Flamme. Tmarus stieß langsam den Atem aus. Dann griff er entschlossen nach Dai-Dai.
Kaum hatte er sie berührt, da loderte die Flamme wieder empor.
Tmarus fing an zu lachen.
„Ein Medium! Du bist ein Medium!“
Das war mehr als er erwartet hatte. Viel mehr!
Tmarus war ein Meister seines Faches, insbesondere was Beschwörungen anging, und viele seiner Kollegen sprachen ihm sogar zu, dass er der Beste in diesem Bereich war. Das hieß allerdings nicht, dass sie auch gut hießen was er tat.
Es war ein unausgesprochenes, aber offenes Geheimnis, dass Tmarus sich auch mit finsteren Kräften beschäftigte, die besser in Ruhe gelassen werden sollten. Bisher hatte er sich auch wohlweislich zurückgehalten, erforderte der Umgang mit schwarzer Magie doch sehr viel Kraft und Vorsicht. Aber jetzt ...
Mit glänzenden Augen betrachtete er das dürre Geschöpf zu seinen Füßen.
Ein Medium bedeutete, dass er seine Kräfte in ihr bündeln und um ein Vielfaches steigern konnte. Er hatte viel über Medien gelesen, aber die Hoffnung auf ihre Existenz schnell aufgegeben.
Nicht, dass es solche Menschen nicht gab, doch es waren nur wenige und ihre Kräfte waren normalerweise nicht sehr stark. Viele wussten zudem nicht einmal von ihrem eigenen Talent.
Doch dieses rothaarige Mädchen war kein gewöhnliches Medium, da war sich Tmarus sicher. Wenn schon eine normale Berührung genügte, um eine lodernde Flamme zu erzeugen, was mochte er dann zustande bringen, wenn er sich auf sie konzentrierte?
Dai-Dai verstand nicht gleich, was er mit dem Begriff Medium meinte, aber sie sollte es schnell genug erfahren. Jetzt wo Tmarus wusste, was sie war, wusste er auch, was er an ihr ausprobieren konnte.
Sehr schnell fand er heraus, dass ein körperlicher Kontakt zu Dai-Dai nicht zwingend war. Es reichte, wenn er eine geistige Verbindung zu ihr aufnahm, um ihre Kräfte zu nutzen. Da Dai-Dai nicht wusste, wie man eine solche Verbindung verhindern konnte, hatte sie ihm nichts entgegenzusetzen.
Zunächst war sie erleichtert, dass Tmarus etwas in ihr gefunden hatte, denn es verbesserte seine Laune erheblich. Doch was er mit ihr tat, das versetzte sie in Angst und Schrecken.
Dai-Dai, die bisher lediglich die kleinen Zaubereien des Dorfschamanen kennen gelernt hatte, wurde jetzt mit einer Magie konfrontiert, die ihre Vorstellungskraft bei weitem überstieg.
Erst erprobte der Magier nur kleine Beschwörungen. Nach und nach steigerte er jedoch seine Magie, und Dai-Dai bekam Wesen zu sehen, die ihr noch in ihre Träume folgten und tiefe Angst einjagten.
Immer hockte sie in einem Schutzkreis und fühlte sich wie eine unbeteiligte Zuschauerin eines Alptraums. Sie spürte nichts von seiner Magie, aber sie begriff, dass sie ihm dabei half, diese finsteren Geschöpfe zu beschwören, und das gefiel ihr überhaupt nicht.
Ihre Hoffnung auf eine freundlichere Behandlung löste sich ebenfalls schnell im Nichts auf.
Eher das Gegenteil trat ein. Tmarus änderte sein Verhalten nicht, aber Palio wurde für Dai-Dai nun ebenso unerträglich wie sein Meister.
Der Meisterschüler hatte mit wachsendem Neid Tmarus Bemühungen an dem Mädchen verfolgt und immer gehofft, dass er diese Göre wieder auf die Straße werfen würde. Dass der Magier dann tatsächlich auf ein magisches Talent gestoßen war, war für Palio mehr als ein unangenehmer Schlag. Der Meistermagier wendete nun seine gesamte Aufmerksamkeit diesem Mädchen zu, und Palio ließ seinen Zorn darüber so oft er konnte an Dai-Dai aus.