Читать книгу Träumerin - Antje Marschinke - Страница 5
Eine Magierschule
ОглавлениеEs war ein trüber Tag und bedrückende Schwüle senkte sich auf die Straßen von Yrth.
Bunias und Hyas schlenderten entspannt, aber aufmerksam über den Markt. Ihre himmelblauen Roben zeigten jedem, dass sie Meisterschüler eines Magiers waren, und entsprechend achtungsvoll machten die Marktbesucher ihnen Platz. Heute hatten die beiden ihren freien Tag. Das hieß einen Tag ohne Lehrlinge, Unterricht und ihren griesgrämigen Meister, und sie waren fest entschlossen das Beste daraus zu machen. Noch waren sie sich nicht einig, welche Schenke sie aufsuchen sollten, und diskutierten ausgiebig, wo sie das billigste Bier erhalten würden.
Als eine kleine Gestalt sich aus der Menge quetschte und gegen sie stieß, ahnten sie nicht, was das für Turbulenzen zur Folge haben würde.
Bunias hielt die kleine Gestalt automatisch fest und betrachtete sie. Er sah in ein angstvolles Gesicht in dem grüne Augen saßen und das von einer roten Lockenpracht umhüllt wurde. Doch noch mehr als die roten Haare fielen ihm die geschwollenen Augen und ein großer dunkler Fleck im Gesicht auf, sichere Zeichen einer heftigen Tracht Prügel.
„Hehe, nun mal langsam“, brummte er. Das Mädchen versuchte panisch sich aus seinem Griff zu befreien und warf dabei immer wieder einen Blick in die Richtung aus der es gekommen war. Die beiden Meisterschüler erfuhren auch schnell warum. Aus der Menge schälten sich bald darauf drei Gestalten. Verblüfft erkannten die Meisterschüler Palio, den Schüler von Tmarus und dessen Söldner.
Palio wirkte zornig und aufgeregt. Kurz vor Bunias blieb er stehen.
„Gib sie her“, fuhr er den Meisterschüler an. Der sah unentschlossen von dem Mädchen zu ihm. Die Kleine hatte inzwischen ihren Widerstand aufgegeben und klammerte sich jetzt zitternd an ihn.
„Warum“, fragte er. „Gehört sie dir?“
„Nein, sie gehört Tmarus“, fauchte Palio und warf einen hasserfüllten Blick auf das Mädchen. Bunias legte beruhigend die Hand auf den Kopf der Kleinen und beäugte die Söldner, die hinter Palio standen und seinen Blick gleichmütig erwiderten.
Bunias wusste, dass dieser Schein trog. Tmarus Söldner waren für ihre Brutalität stadtbekannt. Als er dann auch noch Palios Hass sah, war er sich gar nicht so sicher, ob er das Mädchen diesen Kerlen wirklich ausliefern sollte.
„Und was ist, wenn ich sie nicht herausgebe?“ fragte er ruhig. Sein Freund Hyas hielt unwillkürlich die Luft an. Ihm waren ähnliche Gedanken durch den Kopf geschossen, aber er hegte einen gesunden Respekt gegenüber Söldnern – und Meistermagiern.
Tmarus war mit Sicherheit ein unangenehmer Gegner. Bis jetzt hatte er sich ihrem Meister Sorbus gegenüber zwar immer korrekt verhalten, aber alle wussten, dass die beiden Magier lediglich in einer Art Waffenstillstand verharrten.
Palio starrte Bunias ungläubig an.
„Das wagst du nicht“, zischte er. „Dieses Miststück gehört Tmarus. Willst du dich etwa mit ihm anlegen?“
Das Mädchen sah zu Bunias hoch. Der Anblick ihrer panischen Augen zerriss ihm fast das Herz.
„Stimmt das“, frage er. „Gehörst du Tmarus? Hat er dich gekauft?“
Das Mädchen schüttelte heftig den Kopf. Bunias sah wieder zu Palio.
„Sie scheint anderer Meinung zu sein.“
Palio biss wütend die Zähne zusammen.
„Na gut“, fauchte er. „Wie du willst. Aber du wirst es bereuen.“
Verblüfft sahen die beiden Meisterschüler ihm und den Söldnern hinterher.
„Bei allen Göttern“, staunte Hyas. „Er hat noch nicht einmal richtig versucht sie uns wegzunehmen. Dabei hatte er diese verdammten Söldner hinter sich.“
„Vielleicht haben wir einen zu guten Ruf“, grinste Bunias. Hyas schüttelte den Kopf.
„Das glaubst du doch selbst nicht. Palio soll ein sehr guter Schüler sein. Und diese finsteren Kerle hätten uns durchaus in den Boden stampfen können. Warum also haben die es nicht versucht? Sie waren doch hinter der Kleinen her.“
Bunias löste den Klammergriff des Mädchens und hockte sich vor ihr nieder.
„Wie heißt du“, fragte er.
„Dai-Dai“, flüsterte das Mädchen.
„Und was will Tmarus von dir?“
Das Mädchen zögerte und sah ängstlich von einem zum andern.
„Ihr seid auch – Magier?“
Bunias lächelte. „Nun, noch nicht ganz. Wir sind erst Schüler, aber unser Meister Sorbus ist ein Meistermagier.“
Furcht verdunkelte den Blick des Mädchens. Bunias strich ihr sanft über den Kopf.
„Keine Sorge. Meister Sorbus ist zwar ein alter Griesgram, aber eigentlich ist er ein freundlicher alter Mann.“
Er verzog das Gesicht. „Ich fürchte nur, dass er ziemlich wütend sein wird, wenn er von dieser Geschichte hört. Bis jetzt hat Tmarus stillgehalten. Aber wenn er wirklich hinter dir her ist, ... Du willst mir wohl nicht sagen weshalb, hm?“
Dai-Dai schüttelte ängstlich den Kopf.
Hyas zupfte Bunias am Ärmel. „Bunias, ich glaube es ist besser, wenn wir von hier verschwinden.“ Bunias nickte und erhob sich.
„Komm Kleines. Wir gehen jetzt besser zu Meister Sorbus.“
Dai-Dai ließ sich widerstandslos von ihm fortführen. Zwar hegte sie immer noch Misstrauen gegenüber allen, die Magie betrieben, aber zumindest schienen dieser Bunias und sein Freund viel netter zu sein als Palio. Außerdem hatte sie keine Ahnung, wo sie sonst hätte Schutz finden können.
Die Meisterschüler führten Dai-Dai durch die engen Straßen in eines der vornehmeren Viertel. Vor einem großen Haus hielten sie. Es stand frei zwischen den Nachbarhäusern und war schlicht gehalten mit seinen weißgekalkten Mauern. Nur die große eiserne Eingangstür war reich verziert mit seltsamen Symbolen.
Auf ihr Klopfen öffnete sich eine kleine Luke in der Mitte der Tür und ein alter Mann sah hinaus.
„Was wollt ihr denn schon hier“, brummelte er. „Ihr habt doch Ausgang.“
„Lass uns rein, Phaxas“, drängte Bunias.
„Jaja, schon gut.“
Die Tür öffnete sich, und Bunias schob Dai-Dai unverzüglich in den dunklen Flur.
Dai-Dai versuchte angestrengt in dem Zwielicht das Gesicht des alten Phaxas zu sehen, aber alles was sie erkannte waren eine Menge Falten aus denen zwei hellwache Augen herausschauten. Phaxas sah verblüfft auf sie hinab.
„Was ist das?“ krächzte er.
„Das ist Dai-Dai“, erklärte Bunias. „Sie ist in Schwierigkeiten, und wir müssen sie zu Meister Sorbus bringen.“
Phaxas betrachtete skeptisch die dürre kleine Gestalt. In seinen Augen glitzerte Mitleid.
„Auf eure Verantwortung“, knurrte er schließlich und ließ sie vorbei.
Dai-Dai wurde eine Treppe hochgeschoben und durch einen langen Korridor bis vor eine Tür geführt. Dort sahen sich die beiden Meisterschüler unschlüssig an. Jetzt stand ihnen der unangenehmste Teil bevor.
Bunias atmete tief durch und klopfte. Ein ärgerliches Brummen ertönte. Hyas biss sich auf die Lippen. Ohje, sie schienen den Meister wirklich zu stören. Doch jetzt war es zu spät um einen Rückzieher zu machen.
Bunias schien zu dem gleichen Schluss gelangt zu sein und öffnete behutsam die Tür. Die drei traten ein.
Auf einem großen runden Tisch saß ein älterer Mann mit gekreuzten Beinen und musterte die Eintretenden mit bösem Blick. Sein Gesicht war faltiger als das von Tmarus und er wirkte insgesamt älter. Das kam wohl auch durch den grauen, gepflegten Bart, der ihm bis zur Brust reichte. Auch die knollige Nase machte ihn nicht unbedingt jünger, doch seine Augen funkelten hell und wachsam. Schließlich ruhte sein Blick auf Dai-Dai, die sich wieder ängstlich an Bunias klammerte und nicht wagte aufzusehen.
„Was soll das“, knurrte der Magier. „Warum schleppt ihr dieses zerrupfte Etwas hierher?“
Bunias räusperte sich.
„Nun, Meister, das ist ... hm etwas kompliziert. Die Kleine hier heißt Dai-Dai und ... hm ... Meister Tmarus ist hinter ihr her.“
In kurzen Worten berichtete er von ihrem Zusammentreffen mit Palio. Zum Schluss meinte er: „Meister ... was, … ich meine wie ... ach Mist. Wir konnten ihm die Kleine doch nicht ausliefern. Sie sieht aus, als hätte er mit einem Dreschflegel auf sie eingeschlagen.“
Meister Sorbus runzelte die Stirn und fixierte das Mädchen mit durchdringendem Blick.
„Und du bist dir sicher, dass du ihm nicht gehörst?“
„Ich ... ich weiß nicht“, stotterte Dai-Dai. „Er hat mich einfach mitgenommen. Mutter wollte das nicht, aber ... er war so böse.“
„Und was will er von dir?“
„Ich weiß nicht“, piepste Dai-Dai wieder und hoffte, dass man ihr diese Lüge nicht ansehen konnte. Dieser Magier wirkte nicht so freundlich wie seine Schüler, und wer wusste schon, was er mit ihr anstellen würde.
Meister Sorbus rieb sich nachdenklich den grauen Bart. Das schlechte Gewissen stand der Kleinen buchstäblich im Gesicht geschrieben, und er fragte sich, was sie ihm verheimlichte. Ob es mit den roten Haaren zusammenhing? Er wusste von den Gerüchten um diese Haarfarbe, aber er hatte sich nie intensiv damit beschäftigt. Was zum Dämon wollte Tmarus von ihr? Sorbus kannte den Magier gut genug um zu wissen, dass dieser sich nicht mit Nichtigkeiten aufhielt. Dazu war er zu ehrgeizig und machtbesessen. Ein Faktum, das Sorbus schon immer Sorgen gemacht hatte. Aber dieses Mädchen wirkte harmlos, allenfalls verängstigt, und das konnte man sicherlich auf die Schläge zurückführen, die es erhalten hatte.
Bevor Sorbus eine Entscheidung fällen konnte, stürzte Phaxas ins Zimmer.
„Meister“, keuchte er. „Tmarus steht vor der Tür und verlangt Euch zu sprechen.“
„Tmarus persönlich?“ Meister Sorbus war sichtlich überrascht. „Das ist ja allerhand!“
Nachdenklich blickte er auf Dai-Dai, die alle Farbe aus ihrem Gesicht verloren hatte und sich panisch nach einem Versteck umsah.
Meister Sorbus winkte seine Meisterschüler heran.
„Ihr bleibt mit dem Mädchen hier und schirmt ihren Geist ab. Ich werde mit Tmarus reden.“
Langsam stieg Sorbus hinter Phaxas die Treppe hinunter. Er war neugierig, was Tmarus von sich geben würde – und wie groß sein Interesse an dem Mädchen war.
In dem kleinen Empfangsraum wartete er darauf, dass Phaxas den Magier Tmarus herein führte.
Tmarus trat energischen Schrittes in den Raum und blieb in gebührender Entfernung vor seinem Kollegen stehen. Sorbus wirkte neben ihm wie ein schwacher alter Mann, aber der Eindruck täuschte. Beide wussten voneinander, dass sie sich ebenbürtig waren, und sie waren auf der Hut.
„Was führt dich zu mir, Tmarus“, fragte Sorbus ohne Umschweife. „Es muss etwas Wichtiges sein, dass du freiwillig mein Haus betrittst.“
Tmarus lächelte schief. „Nun werter Kollege, tatsächlich handelt es sich nur um eine Lappalie. Ein Mädchen aus meiner Dienerschaft ist mir entlaufen und deine Schüler haben sie mit sich genommen. Ich weiß nicht, was das dumme Ding für Schauermärchen erzählt hat, aber sie hatte schon immer eine lebhafte Phantasie. Da sie mir gehört, hast du sicher nichts dagegen, wenn ich sie wieder mit mir nehme.“
„Warum ist sie denn fortgelaufen“, fragte Sorbus harmlos. Tmarus winkte ab.
„Sie hat etwas angestellt und dafür Prügel bezogen. Sie ist noch jung und hat noch keinen Sinn für gerechte Strafen.“
„Hm, mir hat sie erzählt, dass du sie gegen den Willen ihrer Mutter mit dir genommen hast. – Ich kann mir nicht helfen, aber das hört sich eher nach Kindesentführung als nach rechtmäßigem Eigentum an.“
Tmarus hielt seinen Zorn nur mühsam unter Kontrolle.
„Sie gehört mir“, beharrte er. „Wenn sie etwas anderes behauptet, dann lügt sie.“
„Nun, selbst wenn das stimmen würde, warum sollte ich sie dir ausliefern? Du bist bekannt dafür, dass du deine Dienerschaft nicht gerade anständig behandelst und das hat noch nie mein Wohlgefallen gefunden. Doch vielleicht sollte ich die Kleine einer Geistesbefragung unterziehen, um die Wahrheit herauszubekommen.“
Das Zucken in Tmarus‘ Gesicht entging ihm nicht. Zu seinem Erstaunen wirkte es eher erschreckt als wütend. Doch wovor fürchtete sich Tmarus? Doch nicht vor ihm?
In Sorbus verdichtete sich immer mehr das Gefühl, dass es besser war Dai-Dai nicht auszuliefern, und das nicht nur aus Mitleid. Er rieb sich den Bart und ließ Tmarus nicht aus den Augen, als er sagte: „Vielleicht ist es sogar angebracht, den großen Magierrat einzuschalten, der ohnehin bald tagt, und ...“
„Ich glaube kaum, dass der große Rat sich für dieses kleine Miststück interessiert“, unterbrach ihn Tmarus. Nun war ihm der Zorn deutlich anzusehen.
„Für das Mädchen vielleicht nicht“, meinte Sorbus nachdenklich, „aber vielleicht für die Behandlung, die du ihr zukommen lässt. Zumindest die Weisen Frauen werden sich sehr dafür interessieren.“
Tmarus wurde um eine Schattierung bleicher. Er begriff, dass es ein Fehler gewesen war, hier persönlich aufzutauchen. Er hätte niemals zeigen dürfen, wie wichtig ihm Dai-Dai war. Wenn er wenigstens ihren Geist hätte aufspüren können, aber obwohl er intensiv danach spürte, konnte er sie nicht fassen. Nur männliche Präsenzen nahm er wahr, und diese waren zum Teil sehr stark und nicht so leicht zu beeinflussen. Sorbus‘ Schüler genossen einen guten Ruf und waren mit Sicherheit in der Lage, Dai-Dai’s Geist abzuschirmen. Somit konnte er nicht auf ihre medialen Kräfte zurückgreifen, und ein Kräftemessen mit Sorbus war ihm ohne diese Hilfe zu riskant.
Wütend über seine Niederlage drehte er sich um und stapfte wortlos aus dem Haus. Er würde Dai-Dai wiederbekommen, das schwor er sich. Jedes Mittel würde ihm dazu recht sein.
Als die Tür hinter ihm ins Schloss gefallen war, atmete Sorbus erleichtert auf.
Die erste Gefahr war abgewendet. Die magischen Bannkreise um diese Magierschule würden jegliche Art magischer Angriffe seitens Tmarus abwehren, da war er sich sicher. Jetzt stellte sich nur die Frage, was an Dai-Dai so wichtig war, dass Tmarus sich persönlich um sie bemühte.