Читать книгу Träumerin - Antje Marschinke - Страница 7
Reisevorbereitungen
ОглавлениеSorbus hockte sich auf den Tisch und hieß ihr, sich auf den Boden zu setzen.
Lange Zeit schwieg er, und Dai-Dai wartete unruhig auf seine Worte. Sie war sich sicher, dass er sie schwer bestrafen würde.
Schließlich räusperte der Magier sich.
„Hast du eine Vorstellung von dem, was gerade passiert ist?“
Dai-Dai kaute auf ihrer Unterlippe herum. Sie hatte immer noch Angst vor diesem Magier, aber das Entsetzen über Bunias Unglück war ebenso groß. Sie hatte diesen Meisterschüler doch gerne gehabt.
„Ich ... ich weiß nicht genau ...“ piepste sie schließlich. „Es ist ... weil Ero mich angefasst hat.“
„Weil er dich angefasst hat?“ Sorbus runzelte die Stirn. „Wie hat Tmarus das erklärt?“
„Er sagt, ich sei ein ... ein Medium.“
Meister Sorbus starrte das rotgelockte Geschöpf an, das da vor ihm auf dem Boden kauerte.
Ein Medium?! Mit einem Mal wurde ihm alles klar.
„Erzähl mir genau, wie du gelebt hast, wie Tmarus dich gefunden und was er mit dir getan hat“, forderte er sie auf.
Dai-Dai zuckte bei dem barschen Klang seiner Stimme zusammen und sackte noch mehr in sich zusammen. Erst wurde Sorbus ärgerlich, aber dann sah er, was da vor ihm saß: Ein siebenjähriges, verängstigtes Mädchen, das zum Spielball von Mächten geworden war, die es nicht verstand – und zu Recht fürchtete.
Er seufzte und bemühte sich, seiner Stimme einen beruhigenden Klang zu geben.
„Kind, ich weiß, dass dies alles hier verwirrend und beängstigend für dich ist, und ich glaube, Tmarus hat ein ganzes Stück dazu beigetragen, dass Magier dir Angst machen. Aber wenn du wirklich ein Medium bist, und dafür spricht momentan alles, dann ist das für dich und alle anderen nicht ungefährlich. Ich werde mich bemühen, dass diese Gefahr so klein wie möglich gehalten wird, aber dazu brauche ich deine Hilfe, - und dein Vertrauen.“
„Ich wollte es doch nicht“, flüsterte Dai-Dai. „Er ist so nett gewesen, und dann ging alles so schnell.“
„Ich glaube dir“, nickte Meister Sorbus. „Das mit Bunias ist schlimm, aber mit etwas Glück kann ihm geholfen werden. Meine Sorge ist nur, dass Tmarus diese Situation ausnutzen wird, und das muss verhindert werden. Deshalb musst du mir alles erzählen. Ich muss Tmarus Beweggründe kennen lernen, - obwohl ich bereits ahne, wo diese liegen.“
Dai-Dai begriff, dass sie Meister Sorbus vertrauen musste. Immerhin schienen die beiden Magier keine Freunde zu sein, und dieser Sorbus war auf jeden Fall freundlicher als Tmarus. Leise erzählte sie ihre Geschichte. Aber als sie die Gräuel beschreiben wollte, die Tmarus heraufbeschworen hatte, versagte ihr die Stimme. Sorbus stand auf und ergriff ihre kleine Hand.
„Habe keine Furcht, kleine Dai-Dai. Ich werde mir mit deiner Erlaubnis ansehen, was du nicht erzählen kannst.“
Und als Dai-Dai zaghaft nickte, tauchte er in ihren Geist, mühelos wie noch nie in seinem Leben. Alptraumhafte Bilder wirbelten ihm entgegen, Kreaturen, die selbst er noch nie zu Gesicht bekommen hatte. Schaudernd ließ er Dai-Dais Hand los und trat zurück.
Was er gesehen hatte, gefiel ihm ganz und gar nicht.
„Tmarus ist wirklich verrückt“, murmelte er. „Und Verrückte mit seinen Fähigkeiten sind gefährlich.“
Er versank wieder ins Grübeln. Dai-Dai wagte nicht, ihn in seiner Konzentration zu stören.
Als Sorbus schließlich wieder sprach, schreckte sie unwillkürlich zusammen.
„Du bist wirklich ein nicht unerhebliches Problem.“
Zu Dai-Dais Erleichterung klang er nicht böse.
„Einerseits bedarf Bunias dringend der Hilfe Weiser Frauen und die Reise ist lang und nicht ungefährlich. Andererseits stehst du im Zentrum von Tmarus‘ Interesse, und ich glaube, er wird alles daran setzen dich wieder in seine Gewalt zu bekommen. Und das darf ich nicht zulassen. Bleibst du hier, so wird Tmarus dich bekommen. Hyas allein kann ihm nichts entgegensetzen. Bleibe ich hier, so wird Bunias mit Sicherheit sterben. Nehme ich dich aber mit nach Thlandian, so werden wir alle die Zielscheibe von Tmarus sein, und er wird es einfacher haben, deine Kräfte für sich zu nutzen und gegen uns zu richten. Ich kann deinen Geist nicht die ganze Reise über abschirmen. – Du siehst, es ist nicht einfach, die richtige Entscheidung zu treffen.“
Er grübelte weiter vor sich hin.
Nach einiger Zeit meinte er: „Es hilft nichts. Die Reise nach Thlandian muss sein. Und da ich glaube, dass der Rat über dich entscheiden muss, ist es unumgänglich, dass du auch mitziehen musst. Doch vielleicht können wir die Gefahr, die von Tmarus ausgeht, etwas mindern. Dabei wirst du mir helfen müssen.“
Er lächelte Dai-Dai an. „Ich muss zugeben, dass der Gedanke mit einem Medium zu arbeiten, wirklich sehr reizvoll ist. In gewissem Sinne kann ich Tmarus verstehen.“
Als er die aufsteigende Angst in Dai-Dais Augen sah, winkte er sie zu sich heran und hob sie zu sich auf den Tisch. Dai-Dai hockte vor dem alten Magier, die kleinen Hände in den seinen, und wusste nicht was stärker in ihr war: Furcht oder Neugier.
„Ein Medium zu sein ist grundsätzlich keine schlechte Sache“, begann Meister Sorbus und versuchte eine Sprache zu finden, die das Mädchen verstehen konnte. „In dir steckt eine Kraft, die Magie anziehen, bündeln und verstärken kann. Wenn du willst, kannst du dich mit einem Brennglas vergleichen. Du weißt doch, was das ist?“
Dai-Dai nickte heftig. Der alte Dorfschamane hatte ein kleines Brennglas besessen und für alles Mögliche genutzt.
„Gut, so wie ein Brennglas die Sonnenstrahlen verstärkt, so verstärkst du die Magie. Ich hatte leider noch nicht das Vergnügen mit einem Medium zu arbeiten. Solche Menschen sind auf Ruan rar gesät. Es soll aber eine saubere und einfache Sache sein – wenn das Medium mitspielt. Normalerweise sollte es nämlich so sein, dass ein Medium freiwillig mit einem Magier zusammenarbeitet.“
„Aber ich wollte das doch nie“, stieß Dai-Dai hervor. Meister Sorbus nickte und setzte ein beruhigendes Lächeln auf.
„Ich weiß Dai-Dai, und das gereicht Tmarus wahrlich nicht zur Ehre. Aber er hatte auch einfaches Spiel. Bis jetzt hat dir niemand beigebracht, wie du deinen Geist vor ungewolltem Zugriff schützen kannst. Sicher bleibt immer das Risiko der Berührung, dem kann sich ein Medium nie ganz entziehen, aber ... hm ... die Kräfte, die dadurch genutzt werden können, sollten eigentlich gering sein.“
Er betrachtete nachdenklich die kleinen Kinderhände. „Das was gerade passiert ist, hätte demnach nie geschehen dürfen, da Ero keinen Zugriff auf deinen Geist hatte. Vielleicht spielte da ein Faktor mit, den ich noch nicht kenne.“ Oder in dir sitzt eine so große Kraft, dass mir Angst wird, fügte er in Gedanken hinzu. Laut sagte er: „Ich werde jetzt einen kleinen Test machen, um deine Kraft kennen zu lernen. Es wird nicht wehtun.“
Dai-Dai nickte verzagt, doch ihre Angst war mittlerweile nicht mehr so groß wie noch vor kurzem. Meister Sorbus Erklärungen hatten ihr nicht nur geholfen zu verstehen, sie hatten ihr auch gezeigt, dass dieser Magier ehrlich zu ihr war.
Meister Sorbus glitt wieder mühelos in ihren Geist und versuchte ihn zu erfassen. Doch das Zentrum ihrer Kraft blieb ihm verborgen. Nun, er hatte nicht ernsthaft damit gerechnet, es zu finden. Seines Wissens war das noch niemandem gelungen. Also startete er eine Reihe von kleinen Magieübungen. Das Ergebnis verschlug ihm den Atem. Dai-Dai, die das alles schon einmal erlebt hatte, sah ihn mit ihren grünen Augen ruhig und vertrauensvoll an. Meister Sorbus wusste nicht, was stärker in ihm wuchs: Sorge, Angst oder Begeisterung. Wenn er überlegte, was er mit diesem hilflosen und vertrauensvollen Geschöpf alles anstellen könnte, schwindelte ihm.
Schließlich überwog die Sorge. Tmarus durfte sie niemals wieder in die Finger bekommen. Das wäre eine Katastrophe.
„Gut, Dai-Dai“, räusperte er sich. „Ich werde jetzt Kontakt mit einigen Kollegen aufnehmen, und ich glaube, du kannst mir dabei helfen. Einverstanden?“
Dai-Dai nickte. Es war noch völlig ungewohnt für sie, um Erlaubnis gefragt zu werden, doch es gefiel ihr und nahm ihr ein wenig die Angst.
Meister Sorbus schloss wieder die Augen und schickte seinen Geist auf die Reise. Wie eine Sternschnuppe schoss er durch die Sphäre, mühelos und schnell wie noch nie.
Milax, Magier und Meister der Illusion, zuckte zusammen, als er die Berührung spürte.
„Sorbus“, murmelte er und ließ den Löffel in die Suppe zurückplumpsen.
Seine beiden Lehrlinge sahen verblüfft, wie sein Gesichtsausdruck von Überraschung zur Freude, und schließlich zur völligen Fassungslosigkeit wechselte. Dann verfiel er in einen konzentrierten Trancezustand.
Sorbus, was soll das? Wie hast du es geschafft, meine Bannkreise zu durchbrechen?
Warte noch Milax, ich suche nach Typho. Dann brauche ich nicht alles zu wiederholen.
Und dann stieß der Geist von Typho zu ihm. Er war genauso verwirrt wie Milax. Sorbus hielt offenbar mühelos zwei weit entfernte Geister zusammen, wo normalerweise schon eine solche Verbindung äußerst mühevoll und kräftezehrend war. Immerhin befand sich Meister Milax in Thlaspi, der Hauptstadt von Suada und Meister Typho in Chone, das lag in Dysdera. Ihre Verwirrung legte sich aber rasch, als Sorbus ihnen in wenigen Worten von Dai-Dai erzählte. Fasziniert lauschten sie seinen Gedanken.
Tmarus darf dieses Mädchen nicht bekommen, bestätigte Milax schließlich.
Sie gehört vor den Rat, pflichtete Typho ihm bei.
Aber die Reise ist weit, und Tmarus lässt mich mit Sicherheit nicht aus den Augen. -
Also müssen wir ihn ablenken, überlegte Typho. Wir müssen ihm weismachen, dass du und dieses Mädchen in Yrth verweilen, damit ihr genügend Vorsprung bekommt. -
Und du musst ihr zeigen, wie sie ihn abwehren kann, bestimmte Milax. Das war auch in Sorbus‘ Sinne.
Dies hatte ich sowieso vor. Es wäre kaum auszudenken, wenn ihr Geist völlig ungeschützt durchs Land reist. Das Risiko, dass Tmarus über sie plaudert, ist zwar sehr klein, aber nicht ganz auszuschließen. Wir müssen immer damit rechnen, dass irgendein magisch Begabter sie zu nutzen versucht. Doch wie sollen wir Tmarus täuschen? Ihr seid zu weit fort. -
Wir sind zwar weit entfernt, aber zumindest ich könnte diese Strecke überbrücken. Oder habt ihr vergessen, dass meine Spezialität bei den Bewegungszaubern liegt, erinnerte Typho.
Aber du sitzt in Chone und Transportzauber sind nicht ohne Risiko. Außerdem warst du noch nie in Yrth, geschweige denn in Sorbus Zimmer, zweifelte Milax.
Das könnte trotzdem gehen, überlegte Sorbus. Durch Dai-Dai habe ich bestimmt genügend Kraft, um deinen Geist auch während deines Zaubers zu halten. -
Na also. Typho wirkte zufrieden.
Und was bringt uns das? Zweifelte Milax noch immer.
Ich vertrete Sorbus und halte alle Zauber aufrecht. Sorbus‘ Lehrlinge werden sicherlich mitspielen.
Auf jeden Fall, stimmte Sorbus zu. Aber was passiert, wenn es Tmarus gelingt einzudringen? -
Ich würde sagen, das ist dann mein Problem. Typho rieb sich gedanklich die Hände. Ehrlich gesagt würde mich das sogar fast freuen. Mit dem guten Tmarus habe ich noch ein Hühnchen zu rupfen. Er hat mir damals in unserer Lehrzeit das Leben ganz schön schwer gemacht. -
Er ist ein gefährlicher Gegner, warnte Sorbus.
Ich weiß, keine Sorge Sorbus. Ich bin nicht so dumm ihn zu unterschätzen. -
Also dann machen wir es so. Typho kommt zu dir und hält die Tarnung aufrecht, fasste Milax zusammen. Ich würde sagen, ihr versucht als erstes, dem Medium die Geistesbeherrschung näher zubringen. Doch die Reise nach Thlandian darf nicht verzögert werden. -
Ich werde noch diese Nacht abreisen, bestimmte Sorbus. Bis dahin haben wir noch einige Stunden Zeit. -
Gut ich werde diese Zeit nutzen und mich mit dem Rat in Verbindung setzen. Warum hast du das eigentlich nicht gleich getan? -
Weil ihr die einzigen seid, denen ich wirklich vertraue. Im Rat kenne ich niemanden näher. Und ich weiß auch nicht wer Verbindungen zu Tmarus hat.
Einige Zeit herrschte Stille. Dann dachte Milax: Es ist schon seltsam. Wie lange haben wir nicht mehr voneinander gehört? Es müssen viele Jahre sein. Und trotzdem sind wir uns wie früher in allem einig. -
Du wirst sentimental, tadelte Typho ihn fröhlich. Aber du hast recht. Ich für meinen Teil finde es nicht seltsam, sondern erfreulich. Genug geplaudert. Sorbus, ich werde nur kurz meine Lehrlinge von meiner Abreise in Kenntnis setzen. Dann versuchen wir mal unsere Künste.
Es ging so einfach und schnell, dass Typho völlig verdutzt in das fremde Zimmer blinzelte. Dann gewahrte er Sorbus, der ihm erfreut die Hände entgegenstreckte. Die beiden Magier fielen sich in die Arme und betrachteten sich dann ausgiebig.
„Du bist alt geworden“, stellte Typho fest und grinste von einem Ohr zu anderen.
„Glaub bloß nicht, dass du noch aussiehst wie zwanzig“, brummte Meister Sorbus. Typho kicherte und wandte seine Aufmerksamkeit der kleinen Dai-Dai zu, die noch auf dem Tisch hockte und furchtsam zu ihm aufblickte. Es war schon erschreckend gewesen, wie Typho sich auf einmal vor dem Tisch materialisiert hatte. Aber als sie in das grinsende Gesicht sah, verflog ihre Angst rasch. Typho war vielleicht so alt wie Meister Sorbus, aber er wirkte viel jünger und agiler. Auch er besaß einen grauen Bart, doch der war kurz gestutzt und über der Oberlippe frech nach oben gezwirbelt. Die braunen Augen saßen über einer kecken Stupsnase und verrieten Schalk und Fröhlichkeit.
„Also das ist die Quelle unserer Probleme“, feixte der Magier. „Klein, rothaarig und niedlich. Kaum zu fassen.“
„Lass das Scherzen“, brummte Sorbus. „Wir haben noch viel zu tun. Milax und ich haben übrigens beschlossen, den Rat noch nicht zu benachrichtigen. Die Gefahr, dass die falschen Ohren von unserem Medium hören, ist zu groß. Milax wird ebenfalls nach Thlandian aufbrechen und mich dort erwarten. Möglicherweise kann ich vor dem Rat Unterstützung gebrauchen.“
„Das heißt, dass du die gesamte Reise allein sein wirst. Ich beneide dich nicht. Aber ihr habt recht. – Komm kleines Wunder, wir werden dir etwas Wichtiges beibringen müssen.“
Im Studierzimmer des Meister Tmarus herrschte ein ungewöhnliches Chaos. Bücher lagen wahllos verstreut im Raum, zerbrochene Töpfe und Tiegel bedeckten den Fußboden. Zeichen eines heftigen Wutausbruchs. Der Magier schritt erregt auf und ab. Es war ein unverzeihlicher Fehler gewesen, Sorbus aufzusuchen. Jetzt würde dieser alte Fuchs die Kleine mit Sicherheit überprüfen, und er konnte sich nicht darauf verlassen, dass dieses kleine Luder den Mund hielt. Außerdem war ihr Geist offen für jeden, und Sorbus würde schnell erfahren, was sich im Haus seines Kollegen zugetragen hatte.
Bei allen Göttern und Dämonen, er hätte sie einsperren sollen und ihr Bewusstsein kontrollieren müssen. Aber er hätte diesem hilflosen Ding niemals zugetraut, dass sie eine Flucht versuchen würde. Und dieser Idiot Palio hatte nicht einmal den Mumm mit zwei Söldnern im Rücken diesen beiden Meisterschülern die Stirn zu bieten.
Wenn Sorbus herausfand, was Dai-Dai war, dann würde er ihre Kräfte gegen ihn einsetzen können. Tmarus war sich darüber im Klaren, dass er dann schwerlich gegen den Meistermagier bestehen würde. Außerdem waren da noch diese verflixten Bannkreise um Sorbus‘ Haus, die jegliches Spionieren ausschlossen.
Er musste herausbekommen, was Sorbus im Schilde führte – und das verlangte Geduld.
Geduld und einen gut ausgearbeiteten Plan.