Читать книгу Träumerin - Antje Marschinke - Страница 8
Angriff
ОглавлениеDie Fahrt nach Thlandian begann in aller Heimlichkeit bei Nacht und Nebel.
Meister Sorbus hatte alle Reisenden mit einem Illusionszauber belegt. So sahen die wenigen Augen an denen sie vorbeizogen nur zwei müde Bauern mit einem Karren, der von einem schwerfälligen Ochsen gezogen wurde.
Sie verließen die Stadt nach Süden und zogen dann in einem weiten Bogen in Richtung Westen.
Hinten im Wagen lagen Dai-Dai und Bunias, unter einer Decke verborgen. Dai-Dai konzentrierte sich so gut es ging darauf, ihren Geist abzuschirmen, so wie es Typho und Sorbus sie gelehrt hatten. Sorbus und Naphur, einer seiner Lehrlinge, hockten auf dem Kutschbock, und während Sorbus das Pferd lenkte, das in Wirklichkeit den Wagen zog, und gleichzeitig den Illusionszauber aufrecht hielt, mühte Naphur sich nach Kräften Dai-Dais Geist zusätzlich abzuschirmen. Er war begeistert gewesen, als das Los ihn getroffen hatte. Zum einen hatte er noch nie eine solch große Reise gemacht, zum andern war die Hauptstadt Thlandian ein Anziehungspunkt für alle magisch interessierten und begabten Leute, und Naphur gehörte nun mal auch dazu. Zudem war er ehrlich besorgt um Bunias. Der Meisterlehrling hatte ihn immer anständig behandelt und sehr viel Geduld aufgebracht.
Naphur war mit zwölf Jahren von Meister Sorbus aufgenommen worden, also relativ spät für einen Magierlehrling. Seit zwei Jahren mühte er sich nun, den Meister nicht zu enttäuschen, und Bunias hatte ihn dabei tatkräftig unterstützt. Naphur hoffte von ganzem Herzen, dass der Meisterlehrling wieder genesen würde.
Es gelang der Reisegruppe tatsächlich, unerkannt auf die große Weststraße zu gelangen, die sie nach Thlandian, der Hauptstadt der nördlichen Festländer bringen würde. Dann erst ließ Meister Sorbus die Illusion fallen. Er hoffte darauf, dass niemand auf eine so kleine Reisegruppe aufmerksam würde. Wohlweislich hatte er darauf geachtete, sämtliche Hinweise auf sein Magiertum zu verbergen. Anstelle der blauen Magierrobe trug er einen einfachen braunen Mantel. Auch der junge Naphur hatte sich von seiner Lehrlingsbrosche trennen müssen. So deutete nichts mehr darauf hin, dass ein Magier und seine Lehrlinge nach Westen zogen.
Meister Typho machte sich an die Arbeit, sobald die Reisenden das Haus verlassen hatten. Konzentriert überprüfte er die Bannkreise, die das Haus schützten, und wob noch zwei neue hinzu, die Sorbus wohl nicht bekannt gewesen waren. Dann rief er die Lehrlinge zu sich und erklärte ihnen ihre Aufgaben.
Die Lehrlinge waren in gedrückter Stimmung, aber Typho’s Fröhlichkeit heiterte sie schnell auf. Mit Eifer folgten sie seinen Anweisungen.
In den folgenden Tagen verließen die Lehrlinge nur selten das Haus, meistens um einzukaufen. Sie gingen niemals alleine und entweder war Hyas unter ihnen – oder Bunias. In Wirklichkeit war es immer Hyas, aber mit Hilfe der anderen Lehrlinge gelang es ihm, eine vortreffliche Illusion von Bunias auf sich zu legen.
Selbst Typho, der ihm dabei nur wenig helfen konnte, Illusionen waren ihm kaum geläufig, war beeindruckt von der Überzeugungskraft des Illusionszaubers. Sie konnten nur hoffen, dass Tmarus diese Tarnung nicht durchschaute, und Sorbus so genügend Vorsprung bekam.
Tmarus hielt nur wenige Tage still. Dann stand er plötzlich vor der Tür und verlangte Eintritt. Phaxas versuchte ihn hinzuhalten.
„Meister Sorbus steckt gerade in wichtigen Studien und will nicht gestört werden.“
„Das kann ich mir denken“, lächelte Tmarus sarkastisch. „Aber sage ihm, dass ich ihm ein Angebot machen möchte. Eines, das er nicht bereuen wird. – Ich warte so lange.“
Phaxas zwinkerte misstrauisch. „Gut, ich werde es ihm sagen.“
Er schloss die Klappe und benachrichtigte Typho von Tmarus Ersuchen. Der Magier grinste.
„Nun, dann wollen wir mal sehen, wie lange er sich hinhalten lässt. – Geh zu ihm und sage ihm, dass ich jetzt keine Zeit für ihn habe. Er soll morgen wiederkommen.“
Tmarus Augen blitzten zornig auf, als Phaxas Typho's Worte wiederholte, aber er beherrschte sich.
Dreimal ließ er sich abwimmeln, dann platzte ihm der Kragen.
„Na warte, Sorbus“, knirschte er. „Ich lasse nicht mit mir spielen, das solltest du eigentlich wissen.“
Es war tiefste Nacht, als Sorbus‘ Haus von heftigen Schlägen erschüttert wurde. Alle schreckten aus dem Schlaf. Dumpf hallte das Krachen von der Eingangstür durch die dunklen Räume.
Typho fluchte und sprang aus dem Bett. Unten traf er auf die anderen Hausbewohner, die ängstlich auf die Haustür starrten. Er winkte Hyas zu sich. „Hilf mir, den Schutzzauber an der Tür zu verstärken.“
Konzentriert arbeiteten sie an dem Zauber. Zu spät fiel Typho ein, dass das ganze auch nur ein Ablenkungsmanöver sein konnte.
Ein Entsetzensschrei aus der Küche bestätigte seinen Verdacht.
„Kümmere dich um den Hintereingang“, rief er Hyas zu und eilte zur Küche. Bevor er sie erreichte, drangen zwei finster aussehende, russverschmierte Gestalten mit blitzenden Schwertern auf ihn ein.
Bei allen Göttern, dachte Typho. Sie sind durch den Kamin gekommen.
Er riss die Arme hoch und konzentrierte sich. Eine Kommode hob sich in die Luft und krachte gegen die Eindringlinge, so dass diese fluchend zurücktaumelten. Andere Möbelstücke folgten, bis sie sich wild im Gang stapelten und den Kämpfern kaum ein Durchkommen ermöglichten. Typho wandte sich um und eilte zum Hintereingang. Seine schlimmsten Befürchtungen wurden bestätigt. Hyas alleine hatte den Nebeneingang nicht halten können. Die Tür war zerborsten und auf dem jungen Meisterschüler hockte eine widerliche Kreatur, die nur aus Armen und Klauen zu bestehen schien. In der Tür stand Tmarus und grinste Typho entgegen.
„Was meinst du Sorbus, ob ich deinen Schüler leben lassen soll? Oder soll ihn mein treuer Diener zerfleischen?“
Typho trat aus dem dunklen Schatten.
„Ich bin nicht Sorbus, elender Tmarus“, sagte er ruhig. Jeglicher Humor war von ihm gefallen.
Tmarus sah ihn verblüfft an. „Typho! Typho der Fröhliche! Bei allen Göttern, was tust du hier?“
Typho lächelte, ausnahmsweise völlig humorlos.
„Ich statte meinem Freund nur einen Besuch ab.“
„Wo ist Sorbus?“
„Oh, der ist im Moment verhindert.“
„Spiel nicht mit mir, Typho“, knirschte Tmarus. „Wo ist Sorbus? Und wo ist das Mädchen?“
„Ich fürchte, auch die kleine Dai-Dai hat keine Zeit für dich.“
Tmarus stieß einen wilden Fluch aus und sah auf den jungen Meisterschüler, der hilflos am Boden lag und vergeblich versuchte, sich aus dem Griff der Kreatur zu lösen. Eine Krallenhand drückte ihm die Kehle zu, so dass er keinen Ton ausstoßen konnte und die anderen Gliedmaßen hielten ihn so umschlungen, dass er sich kaum rühren konnte.
„Ich frage dich nur noch einmal, Typho. Wenn du nicht antwortest, stirbt der Junge“, drohte Tmarus. Typho seufzte.
„Du hast dich kein bisschen verändert Tmarus. Immer noch skrupellos und ohne Moral. Aber ich fürchte, ich kann dir nicht helfen. Sorbus und das Mädchen sind nicht hier. Du kommst zu spät, und ich kann eigentlich nicht behaupten, dass mir das leid tut. Um deiner Frage zuvor zukommen, ich weiß nicht wohin er gezogen ist.“
Ein Geräusch ließ ihn herumfahren, aber es war zu spät. Ehe er reagieren konnte, bohrte sich das Schwert des Söldners in seinen Bauch. Mit einem Ächzen brach Typho in die Knie. Der Söldner zog das Schwert mit einem bösen Grinsen heraus und hob es erneut.
„Warte“, befahl Tmarus. Er ging an Hyas vorbei zu Typho.
Lächelnd beugte er sich zu dem Magier hinunter.
„Das war eigentlich schon zu einfach Typho, nicht wahr? Es war zwar nicht unbedingt ein ehrenwerter Kampf unter Magiern, aber dafür sehr wirkungsvoll. Ich mache dir einen Vorschlag. Du verrätst mir, wo Sorbus und Dai-Dai sich versteckt halten und dafür lasse ich Sorbus Lehrlinge am Leben. Nun?“
„Warum sollte ich deinem Wort glauben schenken“, stöhnte Typho und hielt von Schmerzen gepeinigt die Hände an seine Wunde. Blut sickerte unaufhaltsam durch seine Finger. Verzweifelt überlegte er, was er noch tun konnte, aber die Schmerzen raubten ihm sämtliche Konzentration.
„Dir bleibt gar nichts anderes übrig“, grinste Tmarus und deutete auf Hyas. „Er wird als erster dran glauben. Und dann werde ich mir nach und nach die anderen vornehmen. Du darfst sogar dabei zusehen. Ich bin mir sicher, dass die Jungen mir viel zu erzählen haben.“
Typho schloss die Augen. Ihm war nur zu klar, dass er der Willkür von Tmarus ausgeliefert war.
„Also gut. Sie sind nach Thlandian aufgebrochen.“
„Wann?“
„Vor wenigen Tagen.“
Tmarus gab ihm einen Tritt. Mit einem lauten Schrei rollte der verletzte Magier zur Seite.
„Wann genau?“
„Vor ungefähr zehn Tagen“, röchelte Typho. Tmarus fluchte leise. Das war ein großer Vorsprung, aber vielleicht war er noch aufzuholen.
„Vielen Dank, Typho. Du wirst einsehen, dass ich dich nicht am Leben lassen kann. Du könntest schließlich auf die Idee kommen, Sorbus zu warnen. Und das wäre doch höchst ärgerlich.“
Er gab dem Söldner einen Wink.
Hyas sah entsetzt zu, wie der Mann das Schwert wieder anhob und Typho mit einem kräftigen Hieb den Kopf vom Leib schlug. Verzweifelt kämpfte er wieder gegen den Dämon an. Tmarus wandte ihm wieder seine Aufmerksamkeit zu und beobachtete belustigt seine Bemühungen.
„Gib dir keine Mühe, mein Junge“, lächelte er schließlich. „Wenn ein Tolk einmal zugefasst hat, dann lässt er nicht mehr los. Aber vielleicht könnte ich ihn dazu überreden, wenn du kooperativ bist.“
Hyas sah ihn hasserfüllt an. „Ihr seid ein Mörder, ein Ungeheuer!“
Tmarus grinste böse. „Das ist ja geradezu ein Kompliment, vielen Dank. – Aber wahrscheinlich hast du recht. Sorbus‘ Meisterschüler besitzen einen guten Ruf, und ich sollte wirklich kein Risiko eingehen.“
Er nickte dem Dämon zu. „Hab deinen Spaß mit ihm, mein treuer Diener. Das soll dir Lohn genug sein.“
Das begeisterte Kreischen des Dämons vermischte sich mit Hyas Schreien.
Tmarus wendete sich von dem schaurigen Spektakel ab und durchstreifte das Haus auf der Suche nach Überlebenden. Unterwegs begegnete ihm Palio, der ebenso russverschmiert war wie die beiden Söldner. Er und der zweite Söldner hatten die vier jüngsten Lehrlinge zusammengetrieben. Die vier standen bleich und ängstlich aneinander gedrängt zwischen ihnen. Der kleine Ero weinte vor Entsetzen. Er hatte mit ansehen müssen, wie der älteste Lehrling und der alte Phaxas gnadenlos niedergemetzelt worden waren.
Tmarus hatte kein großes Interesse an den Kindern. Sie konnten ihm nicht gefährlich werden. Aber sie waren vielleicht eine wertvolle Informationsquelle. Er packte Ero und sein Geist bohrte sich rücksichtslos in den des Jungen. Der Kleine hatte seiner Kraft nichts entgegenzusetzen. Das Entsetzen hatte ihn völlig offen und schutzlos gemacht. Tmarus fand schnell was er suchte und lachte zufrieden auf. Bunias war also schachmatt und Sorbus, der alte Narr, nur noch mit Dai-Dai und einem ungefährlichen Lehrling unterwegs. Besser konnte es kaum sein.
Der Magier stieß Ero von sich. Der Junge stürzte zu Boden und rollte sich wimmernd zusammen.
Tmarus wandte den Schülern den Rücken zu und schickte sich an den Raum zu verlassen.
„Meister, was ist mit denen hier?“ wagte Palio zu fragen.
Tmarus blickte geringschätzig zurück. „Was du willst. Aber beeil dich, wir haben keine Zeit für lange Spielereien.“
Palio zögerte und sah auf die zitternden Lehrlinge. Er mochte sie nicht, schon allein deshalb, weil sie zu Sorbus gehörten. Doch die Brutalität seines Meisters hatte selbst ihn erschreckt.
„Lasst sie laufen“, knurrte er den Söldnern zu. „Sie sind ungefährlich.“
Die Söldner zuckten nur die Schultern und folgten dem Meisterschüler nach draußen.
Palio vermied es, einen Blick auf die blutigen Überreste von Hyas zu werfen.
Zum ersten Mal in seinem Leben fragte er sich, ob es wirklich eine gute Entscheidung gewesen war bei Tmarus in die Lehre zu gehen. Doch nun war es zu spät, und er konnte nur hoffen, dass der Meistermagier nie das Interesse an ihm verlor – oder ihn gar loswerden wollte, wie den unglücklichen Hyas.
Tmarus verlor keine Zeit. So schnell es ging, packte er seine Sachen zusammen und scheuchte Palio und seine Söldner auf die Pferde. Zehn Tage Vorsprung waren viel, aber Sorbus reiste mit einem Karren und war mit Bunias belastet. Und die Reise nach Thlandian war lang.
Tmarus war sich sicher, dass er Sorbus noch vor Thlandian abfangen konnte, aber er musste sich beeilen.