Читать книгу Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow - Anton Pawlowitsch Tschechow - Страница 30

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Jonytsch

Inhaltsverzeichnis

Übersetzt von Alexander Eliasberg

I

Inhaltsverzeichnis

Wenn sich die Fremden in der Gouvernementsstadt S. über die Langweile und Eintönigkeit des Lebens beklagten, so rechtfertigten sich die Ortsbewohner, daß es in S. im Gegenteil sogar sehr schön sei, daß man hier eine Bibliothek, ein Theater und einen Klub hätte, daß manchmal Bälle veranstaltet werden und daß es schließlich auch intelligente, interessante, angenehme Familien gäbe, mit denen man verkehren könne. Und sie wiesen gewöhnlich auf die Familie Turkin hin, als auf die intelligenteste und talentierteste.

Diese Familie bewohnte ein eigenes Haus in der Hauptstraße neben dem Hause des Gouverneurs. Iwan Petrowitsch Turkin selbst, ein korpulenter, hübscher Herr mit schwarzem Backenbart, organisierte Liebhabervorstellungen mit wohltätigem Zweck, in denen er selbst die Rollen alter Generäle spielte und dabei sehr komisch hustete. Er kannte zahllose Witze, Wortspiele, Scherzfragen, komische Redensarten, liebte zu witzeln und geistreich zu tun und hatte immer einen solchen Gesichtsausdruck, daß man unmöglich erraten konnte, ob er Scherz oder Ernst mache. Seine Frau, Wjera Iossifowna, eine schmächtige Dame von angenehmem Aeußeren, mit einem Zwicker auf der Nase, schrieb Romane und Novellen und las sie gerne ihren Gästen vor. Die Tochter, Jekaterina Iwanowna, ein achtzehnjähriges junges Mädchen, spielte Klavier. Mit einem Worte, jedes Mitglied dieser Familie hatte irgendein Talent. Die Turkins übten große Gastfreundschaft und zeigten ihren Gästen ihre Talente mit Vergnügen und Herzenseinfalt. In ihrem großen, aus Stein erbauten Hause war es geräumig und im Sommer angenehm kühl, und die Hälfte der Fenster ging nach dem alten schattigen Garten hinaus, wo im Frühjahr die Nachtigallen sangen; wenn im Hause Besuch war, so klopften in der Küche die Messer, im Hofe roch es nach gerösteten Zwiebeln, und das verhieß jedesmal ein reichliches und schmackhaftes Abendessen.

Auch dem Doktor Dmitrij Ionytsch Starzew, der soeben den Posten eines Landarztes bekommen und sich in Djalisch, neun Werst von S. niedergelassen hatte, erklärte man, daß er als gebildeter Mann unbedingt die Familie Turkin kennen lernen müsse. Einmal im Winter machte ihn jemand auf der Straße mit Iwan Petrowitsch bekannt; sie wechselten einige Worte über das Wetter, über das Theater, über die Cholera, und gleich darauf kam auch die Einladung. An einem Feiertage im Frühjahr – es war Himmelfahrt – begab sich Starzew nach der Sprechstunde in die Stadt, um sich etwas zu zerstreuen und auch einige Einkäufe zu machen. Er ging zu Fuß (eigene Pferde hatte er damals noch nicht), und sang vor sich hin:

»Als ich noch keine Tränen trank aus dieses Daseins Kelch ...«

In der Stadt aß er zu Mittag, ging dann im Stadtgarten spazieren; plötzlich kam ihm die Einladung Iwan Petrowitschs in den Sinn, und er beschloß, die Turkins zu besuchen, um zu sehen, was das für Menschen seien.

»Ich grütze Sie!« empfing ihn Iwan Petrowitsch im Vorzimmer. »Ich bin glücklich, einen so angenehmen Gast bei uns zu sehen. Kommen Sie mit, ich will Sie meinem Ehegespenst vorstellen. Ich sage ihm Wjerotschka,« fuhr er fort, nachdem er den Doktor seiner Frau vorgestellt hatte: »ich sage ihm, daß er nicht das geringste römische Recht hat, immer in seinem Spital zu hocken, und seine freie Zeit der Gesellschaft widmen muß. Nicht wahr, Herzchen?«

»Setzen Sie sich, bitte,« sagte Wjera Iossifowna, ihm einen Platz an ihrer Seite zeigend. »Sie dürfen mir den Hof machen. Mein Mann ist zwar eifersüchtig wie ein Othello, aber wir wollen uns so benehmen, daß er nichts merkt.«

»Ach, du Küken ...« sagte Iwan Petrowitsch zärtlich und küßte sie auf die Stirn. »Sie kommen gerade recht,« wandte er sich wieder an den Gast: »mein Ehegespenst hat einen mordsgroßen Roman vollendet und wird ihn heute vorlesen.«

»Jeanchen,« wandte sich Wjera Iossifowna an ihren Mann, »dites que l'on nous donne du thé.«

Starzew lernte auch die Tochter Jekaterina Iwanowna kennen, die der Mutter sehr ähnlich sah und ebenso schmächtig wie diese war. Der Ausdruck ihres hübschen Gesichts war noch kindlich, und ihre Figur schlank und graziös; auch der jungfräuliche, schon erblühte, schöne Busen atmete Frühling, echten Frühling. Sie tranken Tee mit Marmelade, Honig, Konfekt und außerordentlich schmackhaftem Gebäck, das im Munde schmolz. Als der Abend anbrach, versammelten sich auch die anderen Gäste, und Iwan Petrowitsch sah einen jeden von ihnen mit seinen lachenden Augen an und sagte:

»Ich grütze Sie!«

Später saßen alle mit sehr ernsten Gesichtern im Salon, während Wjera Iossifowna ihren Roman vorlas. Er begann mit den Worten: »Der Frost nahm zu ...« Die Fenster standen weit offen, man hörte die Messer in der Küche klopfen und roch die gerösteten Zwiebeln ... In den weichen, tiefen Sesseln saß es sich so bequem, das Lampenlicht flackerte so freundlich im Dämmer des Salons; und wie man so an diesem Sommerabend saß, die Stimmen und das Lachen von der Straße her hörte und den Fliederduft, der vom Garten kam, einatmete, konnte man sich schwer vorstellen, wie der Frost zunahm und die untergehende Sonne mit ihren kalten Strahlen die schneeverwehte Steppe und den einsamen Wanderer beleuchtete; Wjera Iossifowna las von einer jungen hübschen Gräfin, wie sie in ihrem Dorfe Schulen, Krankenhäuser und Bibliotheken errichtete und wie sie sich in einen wandernten Künstler verliebte; sie las von Dingen, die im Leben niemals vorkommen, und doch war es so angenehm und gemütlich, ihr zuzuhören: allerlei schöne, beruhigende Gedanken kamen einem in den Sinn, und man hatte gar nicht Lust, aufzustehen.

»Nicht übelhaft ...« sagte leise Iwan Petrowitsch.

Und einer von den Gästen, der mit seinen Gedanken irgendwo sehr weit weg war, sagte kaum hörbar:

»Ja ... in der Tat ...«

So vergingen an die zwei Stunden. Im nahen Stadtgarten spielte ein Orchester und sang ein Bauernchor. Als Wjera Iossifowna ihr Manuskript zuklappte, herrschte an die fünf Minuten lang Schweigen, und alle lauschten dem Volksliede, das der Chor sang und das von Dingen erzählte, die es im Roman nicht gab, die aber im Leben wohl vorkommen.

»Lassen Sie Ihre Werke in den Zeitschriften erscheinen?« fragte Starzew Wjera Iossifowna.

»Nein,« antwortete sie, »ich lasse sie nirgends erscheinen. Wenn ich etwas fertig habe, so tue ich es in meinen Schrank. Wozu soll ich es auch drucken? Wir haben ja Mittel.«

Alle seufzten aus irgendeinem Grunde leise auf.

»Und jetzt spiel du etwas vor, Kätzchen,« wandte sich Iwan Petrowitsch an die Tochter.

Man hob den Deckel des Klaviers und schlug das Notenheft auf, das schon bereit lag. Jekaterina Iwanowna setzte sich hin und schlug mit beiden Händen in die Tasten; gleich darauf schlug sie noch einmal mit aller Kraft hin, und dann noch einmal, und noch einmal; ihre Schultern und Brust bebten, sie schlug hartnäckig immer auf die gleiche Stelle los, und man hatte den Eindruck, daß sie nicht eher aufhören wollte, als bis sie die Tasten tief ins Klavier hineingejagt haben würde. Der Salon füllte sich mit Donner; alles dröhnte: der Fußboden, die Decke, die Möbel ... Jekaterina Iwanowna spielte ein schwieriges Stück, das sehr lang und eintönig, aber gerade durch seine Schwierigkeiten interessant war. Starzew hörte zu und stellte sich vor, daß von einem hohen Berge Steine herabrollen, unaufhörlich herabrollen, und er hatte den Wunsch, daß sie nicht mehr herabrollen; aber Jekaterina Iwanowna, die vor Anspannung ganz rosig war, und so stark und energisch, dreinschlug, während ihr eine Locke auf die Stirne gefallen war, gefiel ihm sehr gut. Es war ihm so angenehm, so neu, nach dem Winter, den er in Djalisch unter den Bauern und Kranken verbracht hatte, hier im Salon zu sitzen, dieses junge, hübsche und wahrscheinlich keusche Wesen anzublicken und diesen lauten, ennuyanten, aber immerhin von Kultur zeugenden Tönen zu lauschen ....

»Kätzchen, du hast heute so gespielt, wie noch nie,« sagte Iwan Petrowitsch mit Tränen in den Augen, als die Tochter fertig war und sich von ihrem Platze erhob. »Nun kannst du ruhig sterben: besser spielst du deinen Lebtag nicht.«

Alle drängten sich um sie, beglückwünschten und bewunderten sie und behaupteten, daß sie schon lange keine solche Musik gehört hätten, sie aber hörte schweigend, leise lächelnd zu, und ihr ganzes Wesen drückte Triumph aus.

»Wunderbar! Herrlich!«

»Wunderschön!« sagte auch Starzew, sich von der allgemeinen Begeisterung hinreißen lassend. »Wo haben Sie Musik studiert?« fragte er Jekaterina Iwanowna: »Am Konservatorium?«

»Nein, aufs Konservatorium will ich erst kommen, vorläufig habe ich hier Stunden genommen, bei der Madame Zawlowska.«

»Haben Sie auch das hiesige Mädchengymnasium besucht?«

»Oh nein!« antwortete Wjera Iossifowna für ihre Tochter. »Wir haben stets Privatlehrer im Haus, Sie werden doch zugeben, daß im Gymnasium oder einem Institut schädliche Einflüsse möglich sind; ein junges Mädchen soll aber nur unter dem Einflusse ihrer Mutter stehen.«

»Und doch gehe ich aufs Konservatorium!« erklärte Jekaterina Iwanowna.

»Nein, Kätzchen liebt die Mama. Kätzchen wird Papa und Mama keinen Kummer machen wollen.«

»Nein, ich gehe doch hin! Ganz bestimmt!« sagte Jekaterina Iwanowna halb im Scherz und stampfte trotzig mit dem Füßchen.

Während des Abendessens zeigte auch Iwan Petrowitsch seine Künste. Nur mit den Augen allein lachend, erzählte er Witze, stellte Scherzfragen, die er sofort selbst beantwortete, und sprach die ganze Zeit seine eigentümliche Sprache, die er sich offenbar durch langjährige Uebungen im Witzemachen angeeignet hatte und die ihm wohl zur Gewohnheit geworden war: nicht übelhaft; leben Sie sowohl, als auch; ich grütze Sie; ich danke vergebens und dergleichen.

Das war aber noch nicht alles. Als die Gäste, satt und zufrieden, sich im Vorzimmer drängten und ihre Mäntel und Stöcke suchten, half ihnen dabei der Lakai Pawluscha, oder Pawa, wie man ihn nannte, ein vierzehnjähriger Junge mit kurzgeschorenem Kopf und Pausbacken.

»Nun, Pawa, produziere dich!« sagte ihm Iwan Petrowitsch.

Pawa stellte sich in Positur, hob einen Arm in die Höhe und sprach in tragischem Ton:

»Stirb, Unselige!«

Und alle lachten.

– Nicht uninteressant, – sagte sich Starzew, als er draußen war.

Er ging noch in ein Restaurant, trank ein Glas Bier und begab sich dann zu Fuß nach Djalisch. Im Gehen sang er ununterbrochen das Rubinsteinsche Lied:

»Die Stimme dein, so zärtlich und so freundlich...«

Als er die neun Werst gegangen war und sich später zu Bett legte, spürte er nicht die geringste Müdigkeit; im Gegenteil, er hatte den Eindruck, daß er mit dem größten Vergnügen noch weitere zwanzig Werst gehen könnte.

– Nicht übelhaft ... – fiel es ihm im Einschlafen ein, und er mußte lachen.

Die bekanntesten Novellen, Dramen und Erzählungen von Anton Pawlowitsch Tschechow

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