Читать книгу Perry Rhodan 150: Stalker (Silberband) - Arndt Ellmer - Страница 13
8. Irmina Kotschistowa
ОглавлениеDie Elysischen Ringe von Erendyra:
Sternenwanderer, lass dich vom Sternbild der Jungfrau leiten, das nach einstigem Glauben Astraia ist, die Göttin der Gerechtigkeit, die zu Beginn des eisernen Zeitalters die Erde verließ und unter die Sterne ging. Als die alten Griechen anfingen, ihre Götter und deren Kinder an den Sternenhimmel zu versetzen, da könnten sie bei der Benennung des Sternbilds der Jungfrau durchaus an ESTARTU gedacht haben.
Galaktiker, den die Sterne rufen, lass dich beim Flug in den Virgo-Haufen von der Vielzahl der Galaxien nicht verwirren, orientiere dich an NGC 4649, der Nummer 60 im Messier-Katalog. Dies ist Erendyra, eine der zwölf Galaxien, die dem Schoß der Superintelligenz ESTARTU entsprungen sind. Erendyra ist mit einem größten Durchmesser von 48.000 Lichtjahren eine der kleineren Galaxien, zugleich die massivste, in der die Sonnen dicht gedrängt stehen.
Hier findest du das erste Wunder von ESTARTU, die Elysischen Ringe. Sie sind Monumente des Heldentums, Zeugnisse von Größe und Kraft jener, die im Dienst ESTARTUS stehen und ihrer Schirmherrin zu Ruhm und Ansehen verholfen haben.
Du findest die Elysischen Ringe in unbedeutenden Sonnensystemen, deren Bewohner längst ihre größte Zeit hinter sich haben, aber sie umgeben auch Welten, deren Zivilisationen immer höher streben. Es gibt Planeten mit nur einem Ring, andere besitzen mehrere, manche sogar in großer Zahl.
Und es gibt Sonnen, die nicht von Planeten, sondern nur von Elysischen Ringen umlaufen werden. Außerdem Systeme mit vielen Planeten und ebenso vielen Planetoidenringen, und die Planeten haben Monde und sind zudem mit Elysischen Ringen geschmückt. Welch grandioses Schauspiel, einmalig in diesem an Wundern reichen Universum.
Geh hin, sternsüchtiger Galaktiker, und schaue selbst dieses erste Wunder von ESTARTU!
»Ich kann alles aus mir machen, was du dir erhoffst«, hatte die Virenwolke zu Irmina Kotschistowa gesagt. Ganz so war es dann doch nicht.
Irmina stellte keine besonderen Ansprüche. Sie wollte nur eine medizinische Forschungsstation auf dem aktuellen Stand der terranischen Technik.
»Selbstverständlich ist dir nur mit einem mobilen Labor gedient, Irmina«, behauptete die Wolke. »Vor allem brauchst du ein Laborschiff mit schnellem Antrieb.«
»Das wäre ideal«, bestätigte die Mutantin und stellte überrascht fest, dass die Viren diesen Wunsch erst in ihr geweckt hatten.
Irmina wählte die Form eines Spitzkegels. Die Masse der Virenwolke reichte für ein solches Schiff mit einer Kreisfläche von 30 Metern Durchmesser und derselben Höhe. Das Kreiselschiff, wie sie es bezeichnete, hatte einen Gravo-Antrieb für Unterlicht, und es flog mit der Spitze nach unten. Für den Fernflug war es mit Enerpsi-Antrieb ausgerüstet.
»Ich nutze für Überlicht die psionischen Linien, die das Universum wie ein Netzwerk durchziehen«, erklärte das Schiff. »Die Psionautik erlaubt theoretisch jede Geschwindigkeit bis hin zur Absoluten Bewegung.«
»So eilig habe ich es nicht«, meinte Irmina lachend. »Mir kommt es weit mehr auf das technische Inventar an.«
Die Metabio-Gruppiererin dachte über die sich bietenden Möglichkeiten nach. Das Universum stand ihr offen. Sie konnte in Bereiche vordringen, die nie eines Menschen Auge gesehen hatte, konnte exotische Lebensformen erforschen und nach den Ursprüngen des Lebens suchen. Trotzdem wollte sie in erster Linie im Dienst der Kranken und Leidenden unterwegs sein, und dabei dachte sie nicht nur an Humanoide und Galaktiker.
Die Viren hatten auf dem obersten Deck bereits ein komplettes Labor aus sich erschaffen, das eigentlich keine Wünsche offen ließ – von einem einzigen abgesehen. Irmina hatte den Gedanken kaum zu Ende gebracht, da reagierte das Virenschiff schon darauf.
»Ich werde dir ein kleines Versuchslabor einrichten, das speziell auf deine Fähigkeiten abgestimmt ist«, sagte es mit der wohlklingenden Stimme der Kosmokratin Vishna. »Diese Geräte wirst aber nur du allein bedienen können. Ich mache dich darauf aufmerksam, weil du vielleicht eine Begleitperson auf deine Forschungsreise in die Unendlichkeit mitnehmen möchtest.«
Irmina war klug genug zu erkennen, dass das Schiff sie weiterhin in manchen Belangen beeinflussen wollte. Sie hatte nicht die Absicht, einen Begleiter mitzunehmen.
»Ich möchte das Meta-Forming-Versuchslabor haben«, entschied sie, und das Virenschiff richtete es auf dem Mitteldeck ein. In der nach unten gerichteten Spitze entstanden zugleich die Freizeiträume und die Unterkunft. Irmina ärgerte sich ein wenig, dass ohne ihr Einverständnis zwei zusätzliche Kabinen gebildet wurden, doch ihr Ärger verflog rasch.
Eine Kommandozentrale gab es nicht, die nötigen Funktionen waren in den Aufenthaltsraum integriert. Irmina benötigte auch keine Steuereinheit. Das gesprochene Wort oder nur ein intensiver Gedanke genügten als Kommando.
»Hast du einen Namen für mich?«, fragte das Schiff.
Irmina nannte es spontan ÄSKULAP, nach dem Gott der Heilkunst. Sie wollte einen Probeflug unternehmen, da meldete das Virenschiff: »Ein Anruf für dich von Galbraith Deighton.«
»Was will er?«
»Beabsichtigst du, den Anruf zu ignorieren, weil er dir nicht genehm ist? Ich könnte Deighton abweisen.«
»Ich will hören, was er zu sagen hat«, entschied Irmina; es war nicht ihre Art, sich verleugnen zu lassen.
Vor ihr, mitten im Raum, entstand ein lebensgroßes Holo Deightons. Die Illusion war perfekt.
»Wo hast du die ganze Zeit über gesteckt, Irmina?«, erkundigte sich der Sicherheitschef mit leisem Vorwurf. »Du kannst nicht einfach das Amt einer Hanse-Sprecherin ruhen lassen und dich aus dem Staub machen.«
»Ich kann«, versicherte sie lächelnd. »Das war zwar nicht meine Absicht, ich war nur neugierig und wollte mir eine der Virenwolken von innen ansehen, doch inzwischen steht meine Entscheidung fest. Ich habe eine Aufgabe gefunden, die mich weit mehr ausfüllt als meine bisherige Tätigkeit. Falls du den Kontakt zu mir gesucht hast, weil du mich umstimmen willst, dann war deine Mühe vergebens.«
»Ich möchte dich nur um einen letzten Gefallen bitten«, sagte Deighton. »Könntest du Stalker unter die Lupe nehmen?«
»Du meinst, als Metabio-Gruppiererin?«
»Genau das. Vielleicht hast du ja Erfolg.«
»Es war von Anfang an klar, dass Telepathen Stalker nicht aushorchen können«, entgegnete Irmina. »Da liegt es auf der Hand, dass ich ebenfalls wenig ausrichten kann.«
»Wir dürfen keine Möglichkeit außer Acht lassen. Dir könnte es gelingen, Details über seine biologische Beschaffenheit herauszufinden. Ich wäre über jede noch so unwichtig scheinende Information dankbar. Obwohl Stalker sich kooperativ gibt, wissen wir so gut wie nichts über ihn. Du musst uns helfen, Irmina!«
»Na gut. Nur setze deine Hoffnungen nicht zu hoch an.«
Die ÄSKULAP schwebte über den nördlichen Ausläufern des Himalajas. Sie war zwar nicht besonders groß, Irmina wollte aber dennoch kein unnötiges Aufsehen erregen.
»Was hältst du von der Kegelspitze als Beiboot?«, fragte das Virenschiff. »Bislang ist ein solcher Umbau möglich, und ein Beiboot brauchst du später ohnehin. Es wäre zudem nützlich, einen Transmitter zu installieren.«
Irmina stimmte beidem zu, wählte dann allerdings das Beiboot für den Flug nach Terrania, weil sie sich mit dem Gravo-Antrieb vertraut machen wollte. Außerdem konnte sie mit dem Miniaturkegel mühelos auf einem der Dachparkplätze des HQ Hanse landen.
Stalker hätte durchaus ein Androide sein können. Es sprach nichts dagegen, zumindest ließ sich das Gegenteil nicht beweisen.
Er weigerte sich, eine eingehende Untersuchung zu erlauben, und begründete das mit seinem Kodex. Allerdings verriet er nicht mehr über diesen Kodex. »Wer mir aufs Maul sieht, wer meine Mimik und meine Gesten beachtet, der kann mir in die Seele blicken«, sagte er stattdessen.
Stalkers Verhalten schien durch und durch ritualisiert, und wer ihn für einen Androiden halten wollte, der hätte auch sagen können, programmiert. Obwohl er wissen musste, dass er in seiner Unterkunft überwacht wurde, gab er das durch nichts zu erkennen. Wenn er mit seinem Animateur Skorsh allein war, dann verhielten beide sich, als wähnten sie sich unbeobachtet.
Als Homer G. Adams ihn bei einem seiner vielen Besuche darauf ansprach, antwortete Stalker unschuldsvoll: »Ich fürchtete, euch zu verletzen. Natürlich ist es mir nicht entgangen, dass Skorsh und ich beobachtet werden – das ist das Recht jedes Gastgebers, von dem ich ebenfalls Gebrauch machen würde. Ihr wollt herausfinden, mit wem ihr es zu tun habt. Da ihr ein Geheimnis daraus gemacht habt, konnte ich das Thema nicht zur Sprache bringen. Ich bin froh, dass du das Tabu gebrochen hast, Gershwin.«
»Du könntest uns dabei helfen, alles über dich in Erfahrung zu bringen, Stalker«, sagte Adams daraufhin.
»Wenn es nicht gegen meinen Kodex verstößt, gerne. Worum geht es, Gershwin, mein Freund? Mit mir kann jeder über alles reden.«
»Hättest du etwas dagegen, dich mit Telepathen zu unterhalten, Stalker?«
»Keineswegs.« Sotho Tal Ker lächelte erfreut. »Ich wollte Gucky und Fellmer Lloyd ohnehin kennenlernen.«
Wieder gab er mit keiner Silbe zu erkennen, ob er wusste, dass die beiden Telepathen schon eine ganze Weile in seiner Nähe waren, und sich alle Mühe gaben, seine Gedanken auszuspionieren. Nur Skorsh, der Stalker rittlings im Nacken saß, machte eine abfällige Bemerkung.
»Sogar in ESTARTU gibt es Gedankenschnüffler«, keifte der Kleine. »Was soll ich dazu sagen? Man gewöhnt sich an sie.«
Gucky und Lloyd hörten in der nahen Überwachungszentrale mit. »Wieder nichts«, seufzte der Mausbiber. »Es ist, als würden die beiden überhaupt nicht denken. Ich verspreche mir von einer Gegenüberstellung kein besseres Ergebnis.«
»Was Skorsh sagte, war ein Wink mit dem Zaunpfahl«, kommentierte Fellmer Lloyd. »Wir könnten uns die Mühe sparen, aber tun wir Galbraith den Gefallen.«
Gucky griff nach Lloyds Hand und teleportierte in Stalkers Unterkunft.
Skorsh stieß einen schrillen Schrei aus, als die beiden Mutanten unvermittelt materialisierten, suchte Deckung hinter Stalkers Tornister und spähte dann zornig über dessen Schulter auf die beiden. »Das war ein übler Trick«, keifte er. »Es kann nicht einmal auf Terra zum guten Ton gehören, Gäste zu erschrecken.«
Stalker brachte Skorsh mit einem Klaps zum Schweigen und strahlte seine Besucher an.
»Willkommen in meinem bescheidenen Reich«, begrüßte er sie mit ausgebreiteten Armen. »Aus den Dateien von TSUNAMI-114 konnte ich einiges über euch herauslesen. Es ist eine Ehre für mich, dass ihr mir so viel Aufmerksamkeit schenkt.«
Stalker hatte darauf bestanden, seine Unterkunft mit terranischen Möbeln einzurichten, obwohl sie nicht seinen Bedürfnissen entsprachen. Besonders deutlich wurde das bei den Sitzgelegenheiten, die für seine überlangen Unterschenkel zu niedrig waren. Er konnte in den Sesseln keineswegs entspannt sitzen, sondern musste die Beine entweder ausstrecken oder eine kauernde Haltung einnehmen.
»Das ist kein reiner Höflichkeitsbesuch«, sagte Lloyd. Er hatte von Anfang an eine Abwehrhaltung gegen Stalker eingenommen, doch im Lauf ihres Gesprächs baute er sein Misstrauen ab. Was Stalker sagte, klang ehrlich und überzeugend, nie war ein spöttischer oder gar verschwörerischer Unterton herauszuhören. Selbst als er sein Bedauern darüber ausdrückte, dass Telepathen seine Gedanken nicht lesen konnten, klang das für Fellmer Lloyd aufrichtig.
Nicht für Gucky. Der Ilt ärgerte sich über sein Versagen.
»Du solltest deine Mentalsperre aufheben, wenn du nichts vor uns zu verbergen hast, Stalker«, verlangte der Mausbiber.
»Was sind das für Manieren, du pelzverpackter Nagezahn?«, schrillte Skorsh. »Verstehst du überhaupt, wen du vor dir hast? Du sprichst mit dem Gesandten von ESTARTU. Der Sotho Tal Ker ist die rechte Hand der Superintelligenz!«
»Halt den Schnabel, Skorsh!«, wies Stalker den Animateur zurecht. An Gucky gewandt, fuhr er fort: »Ich bringe durchaus Verständnis auf für deine angeborene Neugier. Wozu haben Telepathen ihre Fähigkeit, wenn sie davon nicht Gebrauch machen dürfen? Trotzdem kann ich dich nicht unterstützen. Selbst wenn ich dir meine Gedanken offenbaren wollte, ich bin einfach nicht in der Lage, ›laut‹ zu denken. Tut mir leid, das hat ESTARTU so bestimmt, es ist ein bedingter Reflex und Bestandteil meines Kodex. Man könnte sagen, dass ich mentalstabilisiert bin, aber das wäre eine unzulängliche Bezeichnung. Meine Immunität gegen psionische Beeinflussung ist eher als eigenständige Psi-Fähigkeit zu bezeichnen. Gershwin nannte diese Fähigkeit sehr treffend Psi-Reflexion.«
»Das ist mir bekannt«, sagte Gucky. »Gerade wegen dieser Fähigkeit fragen wir uns, warum wir an dir keinerlei psionische Ausstrahlung erkennen. Das kann nur bedeuten, dass du dich abschirmst.«
Stalkers dreieckige Augen schlossen sich kurz. Danach waren die gelben Augäpfel leicht getrübt. »Das hast du richtig erkannt, mein Freund«, sagte er bedauernd. »Doch das tu ich nicht, weil ich womöglich etwas zu verbergen hätte, es ist vielmehr eine reine Schutzfunktion. Ich schütze damit nicht mich, sondern andere, auch dich, vor meinen Psi-Reflexen. Gershwin hat schon angedeutet, was dann passieren könnte. Diese Erfahrung möchte ich allen terranischen Mutanten ersparen.«
»Schade«, seufzte Gucky und fügte, an Fellmer Lloyd gewandt, hinzu: »Meinst du nicht auch, dass wir das auf uns nehmen würden, um diese Ungereimtheit zu klären? Ich wäre beruhigter, wenigstens den Zipfel eines ehrlichen Gedankens zu espern, statt auf viele schöne Worte bauen zu müssen.«
»Gib ihm seine Lektion!«, mischte sich Skorsh ein. »Er schreit förmlich danach. Also zeig's ihm!«
»Ich habe mich dagegen entschieden, dabei bleibt es«, sagte Stalker bestimmt. Als Skorsh sich über seine Gehörlöcher beugte und zu flüstern anfing, hielt Stalker ihm den Mund zu. Skorsh ruderte hilflos mit den dünnen Armen, schlug mit dem Knorpelschwanz um sich und versuchte vergeblich, sich aus dem Griff zu befreien.
Stalker fuhr seelenruhig fort: »Euer Besuch ist mir jederzeit willkommen. Verlangt nur nicht aus purer Neugierde, dass ich mit Kräften spiele, die besser ungenutzt bleiben würden. Damit meine ich, dass man sich mancher Fähigkeiten nur im Notfall bedienen sollte – und dass ein solcher Notfall hoffentlich nie eintritt.«
Irmina Kotschistowa bereitete der Auftrag, Stalker ohne dessen Wissen zu untersuchen, ein gewisses Unbehagen. Sie sicherte sich stets das Einverständnis ihrer Probanden, aber diesmal war es ein Sonderfall.
Fellmer Lloyd und Gucky verstrickten Stalker in ein Gespräch über die Mächtigkeitsballung ESTARTU, um ihn abzulenken. Die Metabio-Gruppiererin hatte dennoch das Gefühl, von Skorsh beobachtet zu werden, während der Animateur unruhig an Stalker herumturnte. Irmina entschied sich spontan, zuerst Skorsh einer meta-biologischen Untersuchung zu unterziehen. Nicht zuletzt auch deshalb, weil Lloyd der Meinung war, dass Skorsh eine Art Medium sei.
Stalker redete bereitwillig über die zwölf Galaxien der Mächtigkeitsballung ESTARTU. Das war sein Element; er redete ohne Punkt und Komma. Die beiden Telepathen mussten ihm des Öfteren ins Wort fallen, um zu diesem oder jenem Einzelheiten zu erfragen.
ESTARTU gehörte zum Virgo-Cluster, der aus über 2000 Galaxien bestand. Dieser Sektor war den Terranern nicht ganz unbekannt, denn zum Virgo-Haufen gehörte M 87, jene Sterneninsel mit dem charakteristischen Jetstrahl, der auf die Konstrukteure des Zentrums zurückzuführen war. Und Virgo vorgelagert war Gruelfin, die Heimat der Cappins.
Die zwölf Galaxien von ESTARTU lagen im Durchschnitt 40 Millionen Lichtjahre von der Milchstraße entfernt. Sie beanspruchten einen Raumkubus, der rund 2,5 Millionen Lichtjahre lang und 630.000 Lichtjahre hoch war, bei einer Tiefe von 1,35 Millionen Lichtjahren.
Die größte Galaxis dieser Mächtigkeitsballung war NGC 4579; Stalker nannte sie Syllagar. Die größte Masse wies NGC 4649 auf: Erendyra. Im Zentrum der Ballung stand die Doppelgalaxis NGC 4567/4568, von den Terranern als die »Siamesischen Zwillinge« bezeichnet. Stalker hatte für sie die Namen Absantha-Gom und Absantha-Shad.
Während Irmina Stalkers Schwärmereien über die vielfältigen Wunder dieser zwölf Galaxien lauschte, konzentrierte sie sich auf Skorsh. Es störte sie nicht, dass der Gnom keine Sekunde lang still hielt. Sobald sie sich auf ein Objekt fixiert hatte und in dessen Mikrokosmos eindrang, war Bewegung unerheblich. Mit Skorsh hatte sie nicht viel vor. Sie wollte nur zwei oder drei verschieden spezialisierte Zellkolonien testen und minimale Umgruppierungen vornehmen, um eine Reaktion zu erhalten. Skorsh würde diese psionischen Eingriffe nicht wahrnehmen.
Irmina konzentrierte sich erst auf Zellen eines Organs im mittleren Körperbereich, die denen der menschlichen Leber entsprachen. Das war Routine. Mit ihrer Mutantenfähigkeit drang sie zielsicher in einen Zellkern ein, erfasste einen ganzen Zellstamm, ging gleich darauf ins Detail und löste eine Reizung aus, die zur Zellteilung führen sollte.
Bei Skorsh passierte nichts.
Das war keineswegs bedenklich. Es zeigte nur, dass es sich um eine nicht-menschliche Zelle handelte. Das war alles.
Irmina konzentrierte sich auf die Armmuskeln, stellte eine ähnliche Untersuchung an und gruppierte einen kleineren Zellverband um. Sie löste eine spontane Wucherung aus, um mehr über den organischen Aufbau der Zellen zu erfahren. Skorsh hätte auch davon nichts merken dürfen ... aber der Animateur zuckte plötzlich mit den Gliedern. Irmina ließ augenblicklich von ihm ab.
»... nur wer einmal die Elysischen Ringe von Erendyra mit eigenen Augen geschaut hat, nur wer durch die Heraldischen Tore von Siom Som gegangen ist, das Zentrum dieser Galaxis zu Fuß durchwandern durfte, wer das unbeschreibliche Glück hatte ...«
»Halt ein, Stalker!«, kreischte Skorsh, am ganzen Körper bebend. »Was soll der Unsinn? Willst du, dass ESTARTU von Touristenströmen dieser Galaktiker überschwemmt wird?«
Stalker lachte wie über einen guten Scherz. »ESTARTU bietet viel Raum für Besucher«, erläuterte er zu seinen Zuhörern. »Wir haben unzählige namenlose und unberührte Planeten, die wahre Paradiese sind ... Skorshs Horrorvision von aufdringlichen Touristen, die sich beim Betrachten der Wunder von ESTARTU gegenseitig auf die Zehen treten, ist nicht ernst zu nehmen. Als mein Widerpart kann er nicht anders. Er ist mein lebender Kontra-Computer. Keines der ESTARTU-Völker hat eine vergleichbare faszinierende Erfindung wie den Kontra-Computer hervorgebracht. Und dennoch haben unsere Zivilisationen vieles anzubieten, das für die Galaktiker von Interesse wäre. Da sind ...«
Irmina zog sich wieder in den Mikrokosmos von Skorshs Metabolismus zurück. Sein Muskelkrampf war schnell abgeklungen. Womöglich war dieser Reflex gar nicht durch ihren Eingriff ausgelöst worden, sondern durch Stalkers Bericht.
Sie konzentrierte sich auf Skorshs Gehirn und wollte nun schnell zu einem Ergebnis kommen. Während sie wie aus weiter Ferne Stalkers Schilderung der Wunder von ESTARTU vernahm, stieß sie mit ihrem Geist in das Gehirn seines Animateurs vor.
Sie drang tiefer und tiefer vor ... ohne ans Ziel zu gelangen. Vor ihr war Leere. Wie weit sie auch tastete, die Gehirnzellen blieben für sie unerreichbar fern. Es war, als kreise sie wie ein Satellit um das Objekt ihres Interesses, ohne in dessen Schwerkraftfeld eindringen zu können.
Irmina fühlte Augenblicke später Panik, weil sie erkannte, dass etwas sie gefangen hielt. Es war eine Kraft ähnlich der ihren, jedoch in einem anderen Frequenzbereich angesiedelt. Diese Kraft kam nicht von Skorsh, nicht von dessen Gehirn, das ihr mit einem Mal riesig erschien, es handelte sich um einen Psi-Strahl aus der Tiefe des Mikrouniversums.
Irmina konzentrierte sich darauf und wanderte diesen psionischen Strang entlang, bis sie auf ein anderes ähnlich geformtes Objekt traf. Sie drang in jenes Gehirn ein – und auf einmal gab es keine Sperre mehr, sie konnte einzelne Zellen mit spielerischer Leichtigkeit erfassen, Zellkolonien umgruppieren und zur Wucherung veranlassen ...
Jäh durchzuckte sie ein rasender Schmerz. Irmina erkannte, dass es ihr eigenes Gehirn war, in dem sie beinahe eine Kettenreaktion von Zellexplosionen verursacht hätte. Mit einem gellenden Aufschrei zog sie sich aus dem Mikrokosmos zurück – und fand sich in einer Welt der Dunkelheit wieder.
Um sie waren aufgeregte Stimmen. Etliche Personen redeten durcheinander. Irmina konnte das Stimmengewirr kaum auseinanderhalten, das zum Summen eines Insektenschwarms anschwoll und schnell zum Kreischen wurde.
»Sie wollte mich töten!«, zeterte Skorsh. »Sie hätte mich umgebracht.«
»Red keinen Unsinn!«, wies Stalker seinen Animateur zurecht. Einfühlsam fügte er hinzu: »Es tut mir leid, Irmina, das wollte ich nicht. Als mir auffiel, dass du mit Skorsh etwas anstelltest, da handelte ich wie im Affekt.«
»Bist du wieder in Ordnung, Irmina?«, fragte Fellmer Lloyd.
»Wir müssen umgehend zur BASIS!«, drängte Gucky. »Der Warner scheint wiederauferstanden zu sein. Wir nehmen dich mit.«
»Nein.« Irmina schüttelte vehement den Kopf. »Ich gehe an Bord der ÄSKULAP.«
Von ihrem Virenschiff würde sie jede benötigte Hilfe bekommen, das wusste sie. Ohnehin ging es ihr schon besser. Allmählich kehrte auch ihr Sehvermögen zurück, und die Dunkelheit wich. Der Schmerz in ihrem Kopf klang ab.
Stalker stand wie ein Häufchen Elend da. Skorsh hielt sich an seinem Becken fest und blickte Irmina zwischen Stalkers Beinen hindurch feindselig an. Sein v-förmiges Gesicht wirkte mehr denn je wie eine Teufelsfratze.
»Willst du nicht doch zur BASIS mitkommen?«, erkundigte sich Gucky besorgt. Als Irmina das ablehnte, fügte er hinzu: »Diese schmerzvolle Lektion hätte eigentlich mir gebührt, nicht wahr, Stalker?«
»Es war keine böse Absicht«, beteuerte der Gesandte von ESTARTU. »Ich muss einfach lernen, mich zu beherrschen.«
»Wir haben schon verstanden.« Gucky griff nach Fellmer Lloyds Hand und teleportierte gemeinsam mit ihm.
Erst da erkannte Irmina, dass zwei Medoroboter in Begleitung bewaffneter Sicherheitsleute in Stalkers Unterkunft eingedrungen waren.
»Ich soll dich zu Galbraith Deighton bringen«, sagte der Wachkommandant zu ihr.
»Ich setze mich später mit ihm in Verbindung«, widersprach Irmina. »Nicht jetzt.« Sie wollte zurück auf ihr Virenschiff, nichts anderes.