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4. Schicksalssplitter

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Argentina Galdo:

Mit dem Verschwinden der Virensäule aus Madrid war Argentina Galdos letzte Hoffnung geschwunden, ihren Geliebten je wiederzusehen. Gregor Manda war der Sturmreiter von Madrid gewesen. Argentina hatte ihn kennengelernt, als sie die Virensäule vor dem Palacio Real aufgesucht und statt mit dem Virenimperium mit dem Sturmreiter Kontakt bekommen hatte. Von da an waren Gregor und sie in seiner spärlich bemessenen Freizeit immer beisammen gewesen.

Dann war die Finsternis über die Erde hereingebrochen, und Argentina hatte weit weniger um das Chronofossil Terra gebangt als um ihren Geliebten. Leider war mit dem Großteil des Virenimperiums und der Finsternis auch Gregor verschwunden. Niemand konnte Argentina sagen, was aus ihm geworden war, er galt als vermisst.

Schließlich erhob sich die Virensäule, löste sich auf und schwebte als Wolke in den terranischen Orbit empor. Damit verschwand Argentinas letzte Hoffnung, Informationen über den Verbleib des Geliebten zu erhalten.

Sie würde Gregor nie wiedersehen. Argentina war wie benommen, nahm ihre Umgebung kaum noch richtig wahr und kümmerte sich vor allem nicht mehr darum, was die Galaxis bewegte. Die Endlose Armada, dieser gewaltige Heerzug aus Abermillionen von Raumschiffen, konnte ihr gestohlen bleiben. Sie war blind für die immer noch gigantischen Virenwolken, die Terra umgaben, und sie war taub für deren mentales Wispern.

Argentina Galdo durchstreifte verloren die ausgedehnte Parklandschaft Casa de Campo. Ihr fiel gar nicht auf, dass sie immer öfter Menschen begegnete. Da waren Einzelgänger wie sie, aber zunehmend häufiger auch Gruppen von Terranern und Angehörigen anderer Völker. Für Argentina waren alle irgendwie Luft, sie nahm keine Notiz von ihnen.

Erst als sie zu einem größeren See kam, wurde sie aus ihren Gedanken gerissen. Am Ufer hatten sich schon viele Leute eingefunden, und es wurden immer mehr. Sie widmeten sich eigentlich nicht dem See, sondern starrten in die Höhe.

Argentina folgten den Blicken und sah, dass eine ausgedehnte Virenwolke langsam herabsank. In diesem Moment, als sie von ihrem Schmerz abgelenkt wurde, vernahm sie das seltsame Wispern.

Mach dich frei!, flüsterte es in ihr. Sei ungebunden! Löse dich von allen Banden und wirf die Fesseln ab! Sei einfach nur du!

Argentina öffnete ihren Geist weiter und gab sich dem lautlosen Flüstern hin. Es half ihr über ihre Einsamkeit hinweg. Sie fühlte sich auf einmal nicht länger verloren, sondern irgendwie den vielen unbekannten Menschen zugehörig. Zum ersten Mal seit Langem gebrauchte sie wieder bewusst ihre Sinne. Sie sah und hörte.

Die Virenwolke senkte sich auf den See herab. Sie erschien wie feiner Nebel, vermittelte jedoch zugleich den Eindruck materieller Beschaffenheit. Nebelfinger griffen zum Ufer und bildeten stabile Brücken.

Die Menschen zögerten, diese Übergänge zu betreten – oder verstanden sie die Einladung nicht?

Argentina dachte an ihren Freund Gregor. Sie betrat als Erste einen der von Viren gebildeten Stege. Es war eine eigenartige Empfindung, über Nebelschwaden zu schreiten und dabei keinen realen Boden unter den Füßen zu haben. Dennoch gab das Virengebilde ausreichenden Halt; Argentina sank nicht ein, sondern schwebte; sie glitt wie ... nun, eben wie auf Wolken dahin.

Gleich darauf stand sie in der Wolke. Die Nebelschwaden lichteten sich und wichen zurück, bis sich ein Hohlraum von gut zehn Metern Durchmesser um sie gebildet hatte. Die so entstandene Hohlkugel verformte sich ein wenig, verlor ihre Rundung und wurde zu einem Würfel ohne Kanten. Die Viren stabilisierten sich zu Wänden.

Ein Gefühl, eine lautlose innere Stimme, sagte Argentina, dass dies kein Gefängnis war und dass sie diesen Ort jederzeit wieder verlassen konnte. Sie war nicht eingeschlossen. Die Wände, so stabil sie auch schienen, blieben weiterhin so durchlässig wie in ihrer vorherigen Zustandsform.

Argentina brauchte nur daran zu denken – und schon lösten sich die Wände wieder in neblige Schleier auf. Sie konnte mit der Virenmasse spielen, sie formen, festigen und von Neuem diffundieren lassen. Das war ihr klar, obwohl ihr das scheinbar niemand gesagt hatte. Argentina erkannte, dass sich ihr das Virenimperium telepathisch mitteilte und ihr unaufdringlich das benötigte Wissen zukommen ließ.

Sie formte klar umrissene Gedanken, und plötzlich bildete sich aus der nebligen Virenmasse eine Konsole mit einem Holoprojektor und einem körpergerechten Kontursessel davor. Argentina nahm in dem Sessel Platz.

Sie dachte sehr konzentriert an ihren Geliebten. Als Sturmreiter hatte Gregor eine starke Bindung an das gesamte Virenimperium gehabt, nicht nur an jene Bereiche, die vom Element der Finsternis zerstört worden waren. Die Erinnerung an den Sturmreiter Gregor Manda musste demnach in den Resten des Virenimperiums erhalten sein.

»Wie kann ich den Holoprojektor bedienen?«, erkundigte sich Argentina laut. Sie war gar nicht verwundert, dass die Antwort ebenfalls laut und mit sanfter, dunkler Frauenstimme kam.

»Du kannst mich durch Gedankenkraft steuern, Tina«, sagte das Virenimperium. »Du brauchst dir nur etwas zu wünschen, und ich werde versuchen, deinen Wünschen zu entsprechen.«

»So einfach ist das?«, fragte sie und verlangte, ohne eine Antwort abzuwarten: »Projiziere mir aus deiner Erinnerung die Bilder, die du von Sturmreiter Gregor Manda hast!«

»Willst du das tatsächlich, Tina?«, fragte das Virenimperium. »Hast du es dir gut überlegt? Glaubst du nicht, dass solche Bilder nur neue Wunden aufreißen würden?«

Argentina war irritiert; sie hatte angenommen, dass das Virenimperium ihrem Wunsch nachkommen würde, ohne über Sinn und Zweck zu diskutieren.

»Kannst du mir keine Bilder von Gregor Manda liefern?«, fragte sie angriffslustig.

»Ich könnte«, antwortete das Virenimperium. »Aber wenn ich es tue, wird dich die Versuchung überkommen, deine unbewussten Wünsche zu nennen. Und die werde ich unter keinen Umständen erfüllen. Ich bin dir voraus, Tina, und weiß schon, was als Nächstes kommen wird. Ich will dir nur eine Enttäuschung ersparen.«

Argentina schluchzte trocken; sie fühlte sich durchschaut und verraten. Das Virenimperium hatte recht. Sie verlangte das Holo ihres Geliebten mit einem Hintergedanken.

»Sind die Viren nicht mehr mächtig genug, um alles aus sich zu machen?«, fragte sie.

»Obwohl ich den größten Teil meiner Masse verloren habe, bestehe ich weiterhin aus omnipotenten Viren«, erklärte das Virenimperium. »Ich habe entschieden, mich all jenen zum Geschenk zu machen, die mich brauchen. Ich könnte alles aus mir entstehen lassen, doch mein Verantwortungsbewusstsein verbietet mir das. Gewisse Grenzen darf ich einfach nicht überschreiten.«

Argentina wurde zornig. Sie wusste, wozu das Virenimperium imstande war, schließlich hatte es vor nicht zu langer Zeit schon Ernst Ellert zu einem neuen Körper verholfen.

»Du musst mir Gregor zurückgeben!«, verlangte sie. »Du kannst ihn für mich erschaffen. So, wie du schon Ellert geholfen hast.«

»Das darf ich nicht«, entgegnete das Virenimperium sanft. »Ich weiß nicht, was aus Sturmreiter Manda geworden ist. Vielleicht lebt er noch und wurde vom Element der Finsternis lediglich an einen fernen Ort verschlagen ... Warum suchst du ihn nicht?«

Argentina Galdo blickte ungläubig ins Leere. »Ihn suchen? Wo? Vor allem: wie?«

»Die Milchstraße ist groß. Ich kann dir weder garantieren, dass du deinen Geliebten findest, noch dass er tatsächlich lebt. Aber ich kann dir helfen, deinen Schmerz zu überwinden. Es hilft niemandem, dir selbst am wenigsten, wenn du dich vor Selbstmitleid und Sehnsucht zerfleischst. Schau nach vorn! Vor dir liegt ein ganzes Leben – und ein Universum voller Wunder und Rätsel. Reiß die Brücken zur Vergangenheit nieder und lebe für die Zukunft.«

»Ich soll ...?« Argentina fröstelte. Nicht aus Angst vor dem Wagnis, in einen neuen Lebensabschnitt einzutreten, sondern wegen der unglaublichen Wucht dieser Überlegung. Bislang hatte sie nicht das geringste Verlangen verspürt, Terra zu verlassen. Mit einem Mal erschien ihr diese Idee vielversprechend und gar nicht als Flucht vor den Problemen, die sie bedrückten.

»Du wärst nicht allein, Tina«, redete ihr das Virenimperium zu. »Um dich – innerhalb dieser Virenwolke – sind viele Gleichgesinnte. Manche von ihnen haben mich ebenfalls unter falschen Voraussetzungen aufgesucht. Genau wie du konnten sie ihre Wünsche nicht richtig artikulieren. Eigentlich willst du gar keinen Ersatz für deinen Geliebten. Nichts könnte dir Gregor ersetzen, und ein Doppelgänger würde dich immer nur daran erinnern, dass du falsche Gefühle pflegst. Es wäre eine Flucht vor der Wirklichkeit, nichts als falscher Schein. Wenn du in dich gehst, wirst du erkennen, dass ich recht habe. Stell dich den Tatsachen, ich helfe dir dabei.«

Argentina ließ das Gesagte auf sich wirken. Sie schwieg lange, bis sie fragte: »Was hast du mir zu bieten, Virenimperium?«

»Das ganze Universum als Lebensraum für eine neue Existenz.«

»Das hört sich vielversprechend an«, sagte Argentina und war der Verlockung bereits erlegen.

Leos Kindergarten:

Es war ein phantastischer Anblick, als die Wolke sich am Rand der Bungalowsiedlung niederließ und den von der Finsternis verwüsteten Pflanzengürtel überdeckte. Leonard Frood und Anne Piaget beobachteten staunend, wie sich die gewaltige Wolke veränderte und Formen ausbildete.

Nach einer nicht genau zu bestimmenden Zeitspanne war die Virenwolke zu einem großen flachen Gebilde mit würfelförmigen Aufbauten geworden.

»Ich schätze, es sind an die achtzig Aufbauten«, flüsterte Anne Leonard zu, dem Gründer des Kinderdorfs.

»Sie sind eine verkleinerte Nachbildung unseres Kindergartens.« Leo lächelte, obwohl er nicht recht wusste, was das bedeuten sollte. Auf jeden Fall war er gerührt, dass das Virenimperium sich ihnen zur Verfügung stellte. »Das sieht fast aus wie eine Wiedergutmachung für die von der Finsternis angerichteten Zerstörungen.«

Anne blickte ihn fragend an. »Könnte Srimavo dahinterstecken?«, fragte sie.

»Vielleicht hat Sri nachgeholfen.« Leo antwortete, obwohl ihm keineswegs nach Reden zumute war. »Aber das allein kann es nicht sein. Ich vermute, dass an vielen anderen Orten Ähnliches vorgeht.«

»Was bezweckt das Virenimperium damit?«

Leo schwieg. Er hatte sich eben etwas überlegt und eine vage Vorstellung entwickelt, was dem Virenmodell seines Kindergartens zur Vervollkommnung fehlte. Und kaum gedacht, da sah er diesen Gedanken schon real werden. Aus der Plattform schoben sich transparente Wände vor die Aufbauten, wölbten sich und bildeten ein kuppelförmiges Dach. Auf den freien Flächen zwischen den Bungalows begannen Pflanzen zu sprießen.

»Xenoforming«, murmelte Anne. »Ich verstehe das nicht.«

»Ich habe eine Ahnung«, sagte Leo mit belegter Stimme. Er musste sich räuspern, um überhaupt noch ein Wort herauszubekommen. »Weck die Kinder! Sie sollen sehen, welches Wunder sich hier vollzieht.«

»Und du?«

»Geh schon!«, drängte er.

Anne Piaget lief zögernd in Richtung des Hauptgebäudes. Als sie sich auf halbem Weg umwandte, sah sie, dass Leo auf das Virengebilde zu ging, das wie ein leicht abgewandeltes Modell der Siedlung aussah. Die Nachbildung wirkte kompakter und in sich geschlossener. Anne fragte sich, ob die Zöglinge auf diesem engen Raum ausreichend Bewegungsfreiheit haben würden ... Es kam allerdings darauf an, wofür diese Nachbildung gedacht war.

Leo hatte inzwischen das Virengebilde erreicht. Er tastete über das kühle, glatte Material und suchte nach einem Zugang ins Innere. Tatsächlich öffnete sich nach wenigen Sekunden vor ihm ein Türschott.

»Tritt ein!«, sagte eine sanfte, tiefe Frauenstimme. »Hab keine Scheu, Leonard Frood. Ich habe dein Rufen gehört und bin ihm gefolgt.«

»Ich habe nicht gerufen«, entgegnete er, während er durch eine kurze Röhre in eine kahle, steril wirkende Kammer eintrat. Er war enttäuscht, obwohl er nicht zu sagen vermocht hätte, was er erwartet hatte.

»Es liegt an dir, die Inneneinrichtung zu gestalten«, sagte das Virenimperium.

Leonard Frood wurde schlagartig bewusst, dass die Virenwolke seine Gedanken gelesen hatte.

»Ich weiß nicht ...«, sagte er unsicher und räusperte sich. »Ich weiß nicht, welche Einrichtung zweckmäßig wäre.«

»Was hättest du am liebsten?«

Leos Gedanken überschlugen sich. Er stellte sich dieses Gebilde als neue Heimstätte für seine Zöglinge vor – und tat es zugleich als ungeeignet ab. Dies war kein Ersatz für seinen Kindergarten. Alles war nüchtern, kalt und ohne wohlige Atmosphäre.

»Warum scheust du dich, das auszusprechen, was du möchtest?«, ermunterte ihn das Virenimperium. »Ich gehöre dir, Anne und euren Zöglingen. Ihr könnt mich nach euren Wünschen gestalten. Nicht einmal die ungewöhnlichste Idee wäre zu phantastisch, um realisiert zu werden. Ich kann alles aus mir machen. Die Viren sind omnipotent und werden jede Form, Konsistenz und Eigenschaft annehmen. Sind sie jedoch spezialisiert, dann verlieren sie ihre Wandlungsfähigkeit. Was ihr aus mir macht, das wird von Bestand sein. Es gilt also gut zu überlegen, welche endgültige Form ihr mir geben wollt.«

Leos Gedanken wirbelten im Kreis. Erst allmählich wurde ihm bewusst, dass sie sich nur um einen Vorfall drehten. Es war die Erinnerung an jenen Augenblick, als Ernst Ellert die Virensäule auf dem Platz vor dem Hauptquartier der Kosmischen Hanse verließ, nachdem er sie viele Tage lang blockiert hatte.

Die Medien hatten jenes Schauspiel übertragen, und nun sah Leo wieder vor seinem geistigen Auge, wie sich eine Virenwolke auf Ellert herabsenkte. Aus der Virenwolke war ein Raumschiff in Form eines stilisierten Vogels geworden.

Dieser Anblick hatte Leo in seinen Bann geschlagen und ihn seither nicht wieder losgelassen.

ZUGVOGEL – so hatte Ernst Ellert sein Virenraumschiff genannt. Von da an hatte sich Leonard Frood ebenfalls einen solchen »Zugvogel« gewünscht.

»Warum zögerst du?«, ermunterte ihn das Virenimperium. »Glaubst du mir nicht, dass dieses Virenfragment euch gehört? Zweifelst du daran, dass es nach euren Wünschen geformt werden kann?«

»Du kannst wirklich alles aus dir machen, was wir wollen?«, vergewisserte sich Leo.

»So ist es.«

»Auch ein Raumschiff?«

»Sogar ein Raumschiff«, bestätigte das Virenimperium.

Anne kam mit etlichen Kindern. Als sie den kahlen Raum betraten, erweiterte sich dieser, um sie alle aufnehmen zu können.

»Wir haben unser eigenes Raumschiff, Freunde«, eröffnete Leo den Zöglingen. »Und wir dürfen es nach unseren Bedürfnissen gestalten und ausbauen. Leos Kindergarten ist nicht länger an die Schwerkraft Terras gebunden, sondern wird demnächst seinen Jungfernflug zu den Sternen antreten.«

Er zog Anne Piaget an sich. Zugleich stürmten die Zöglinge mit lautem Hallo los, um das Virenschiff zu erobern.

Patriarch Patermo:

Solman Patermo war ein Springer wie aus dem Bilderbuch: groß und korpulent, ein Hüne von über zwei Metern. Er war ein polterndes Raubein mit brandroter, zu Zöpfen geflochtener Mähne – durch und durch ein Patriarch. Auf der PAT-PRAMAR war sein Wort Gesetz, wer dagegen verstieß, hatte wenig zu lachen.

Mit dem Flug über 34.000 Lichtjahre bis ins Solsystem hatte Solman sich eindeutig übernommen. Nahe bei Terra waren sogar die Normaltriebwerke des vor sehr langer Zeit einmal stolzen Flaggschiffs der Sippe fast ausgebrannt; der Walzenraumer konnte kaum noch manövrieren. Kurz bevor das Element der Finsternis über Terra hergefallen war, hatte eine Raumstation die PAT-PRAMAR angefunkt und verlangt, auf größere Distanz zu gehen. Die alles verschlingende Finsternis hatte Solman davor bewahrt, die Manövrierunfähigkeit eingestehen zu müssen.

Nun meldete sich die Raumstation zum wiederholten Mal und gab Kursdaten vor. »Entweder ihr geht in die euch zugewiesene Kreisbahn, oder ...«

Solman hörte nicht mehr hin. Seine Aufmerksamkeit galt plötzlich den Resten des Virenimperiums, die den Heimatplaneten der Terraner wie feiner Nebel umhüllten. Es war für ihn, als käme von den Virenwolken eine lautlose Botschaft. Sie ließ ihn weit in die unbekannte Tiefe des Weltraums blicken, zu fernen Galaxien und darüber hinaus. Dorthin wollte er.

Der Kommandant der Raumstation aktivierte einen Traktorstrahl, der die PAT-PRAMAR einfing und stabilisierte. Zudem schickte er die Rechnung für diese Aktion: 5433 Galax. Zu allem Übel zog der Traktorstrahl das Schiff immer weiter weg von den wie Wattebäusche schwebenden Virenwolken.

»Wir wollen in die entgegengesetzte Richtung«, schimpfte der Springer-Patriarch. »Wir sind manövrierunfähig und können uns aus eigener Kraft nicht den Virenwolken nähern.«

»Eben darum seid ihr eine Gefahr«, lautete die lakonische Antwort. »Repariert eure Schrottwalze, das ist die einzige Möglichkeit ...«

Solman Patermo war ein gebrochener Mann, dem das Fernweh und die eigene Hilflosigkeit schlimmer zu schaffen machten, als er jemals zugegeben hätte. Eine Stimme in ihm schien dieses Fernweh noch zu schüren, indem sie ihm all die Wunder anpries, die in unbekannter Weltraumferne seiner Sippe harrten. Solman träumte mit offenen Augen davon, dass die Patermo-Sippe eine intergalaktische Handelsorganisation gründete ...

... aber die PAT-PRAMAR entfernte sich weiter von den Virenwolken, und schließlich trieb sie im freien Fall von Terra fort.

Dann geschah das Unerwartete. Eine Virenwolke kam näher und passte sich in geringem Abstand der Fahrt des Walzenraumers an.

»Das ist unsere Rettung!«, erkannte Solman; er war fast zu Tränen gerührt. »Wir räumen das Schiff und übersiedeln auf die Wolke. Nehmt unsere ganze Habe mit. Ampor, rechne aus, was die Verschrottung dieses Wracks kosten wird. Genau den Betrag lassen wir zurück. Die Kosten des Traktorstrahls ignorieren wir.«

Die meisten in seiner Nähe behaupteten, dass Solman den Verstand verloren habe, aber er blieb dabei, dass die Virenwolke für sie alle die Rettung sei. »Die Viren sagen es mir«, erklärte er. »Sie laden uns ein, an Bord zu kommen und über sie zu verfügen. Hört das denn keiner außer mir?«

Obwohl Solman Patermo keineswegs alle Familienmitglieder überzeugen konnte, wechselten viele mit ihm zur Virenwolke über.

Solman machte einen ersten Rundgang. Vorerst war das Innere der Wolke wenig beeindruckend. Die innere Stimme sagte ihm jedoch, dass alles sich nach Belieben formen ließ. Da er ein traditioneller Springer war, wünschte er sich eine 200 Meter lange Walze.

Die Virenmasse nahm dieses Aussehen an.

Solman Patermo zwirbelte nachdenklich seine Bartzöpfe, während er die Inspektion fortsetzte. Es gab unendlich viel zu berücksichtigen. Selbstverständlich musste die Möglichkeit geboten sein, Wohnzellen aufzustocken, sobald eine Familie Zuwachs bekam. Besonders wichtig war, dass der Patriarch nicht die Übersicht verlor und stets seine sorgende Hand über alle halten konnte. Auf der PAT-PRAMAR hatte es damit nicht zum Besten gestanden – nun musste alles anders werden.

Solman brauchte seine Ideen nur detailliert zu denken, schon veränderte sich die Virenwolke nach seinen Wünschen. Er staunte darüber gar nicht mal so sehr, sondern nahm es beinahe schon als selbstverständlich hin.

»Die Triebwerke müssen robuster sein als die meines alten Schiffes«, sagte er laut.

»Das Triebwerk ist wartungsfrei, du würdest sagen, selbstregenerierend«, entgegnete das Virenschiff.

»Klingt nicht schlecht. Und wie steht es mit der Geschwindigkeit? Ich möchte schneller im Rusumasystem sein als mir der Bart wächst.«

»Das kann ich garantieren.«

»Die Reichweite?«

»Praktisch unbegrenzt.«

»Ich komme damit jederzeit bis Magellan oder Andromeda und wieder zurück?«

»Nach Magellan, nach Andromeda, sogar sehr viel weiter«, antwortete das Virenschiff geduldig.

»Was ist das für ein Antrieb?«, erkundigte sich Solman, von einem aufkeimenden leichten Misstrauen getrieben.

»Du kannst ihn als Enerpsi-Antrieb bezeichnen. Er ermöglicht die Fortbewegung entlang des psionischen Netzes, das dieses Universum durchzieht. Die erreichbare Geschwindigkeit kommt der Absoluten Bewegung nahe.«

Solman nahm die Antwort gelassen hin.

»Bist du im Service inbegriffen?«, fragte er. »Du hast eine Stimme wie eine begehrenswerte Frau. Eine solche fehlt mir bislang zu meinem Glück.«

Das Virenschiff lachte. »Derartige Wünsche kann ich nicht erfüllen. Lebewesen will ich nicht erschaffen. Darüber hinaus kannst du alles haben. Bislang hast du dir noch kaum Gedanken über die technische Einrichtung gemacht.«

»Das überlasse ich meinem Schwager«, sagte Solman herablassend. »Aber ich möchte eine Kommandozentrale wie ein Thronsaal: Sitzbezüge aus echter terranischer Seide; aus Diamant geschliffene Kontrollleuchten; überall Verzierungen aus Howalgonium und anderen Hyperkristallen ...«

»Überlege dir, ob du vielleicht Dinge von praktischem Nutzen brauchst«, redete ihm das Virenschiff zu. »Reichtümer kannst du auf deinen Reisen zu fernen Welten erwerben. In Wahrheit verabscheust du synthetisches Glück, Solman, oder? Lebensfreude, echte Lebensfreude, kann niemand programmieren. Du kannst sie nur erreichen, indem du lebst.«

In Solmans Hinterkopf entstanden bereits andere Gedankenbilder. Sie priesen ihm die Reisen zu fernen Galaxien, die Erforschung fremder Welten und Kulturen und die damit verbundenen Abenteuer als wahre Erfüllung an. Er sah ein, dass er kurzfristig auf Abwege geraten war.

Solman dachte an die vielen Tausend Virenwolken, die noch im Orbit über Terra schwebten. Zweifellos hatten alle ähnliche Eigenschaften wie diese, die sich ihm angeboten hatte, und waren potenzielle Raumschiffe. Wenn er sich beeilte, konnte er die Wolken der Reihe nach aufsuchen und schon eine beachtliche Handelsflotte für sich aufbauen.

»Schade«, sagte das Virenschiff bedauernd und begann sich vor Solmans Augen aufzulösen. Alles, was er sich in mühevoller Gehirnakrobatik erarbeitet hatte, drohte wieder zu zerfließen.

Solman Patermos Träume von Macht und Herrlichkeit zerplatzten wie eine Seifenblase.

»Halt! Nein!«, rief er entsetzt. »So war es nicht gemeint. Ich habe schon verstanden. Ich gebe mich mit einem Raumschiff zufrieden, wenn es wenigstens nur fliegt.«

»Es freut mich, dass du Vernunft annimmst, Solman«, sagte das Virenschiff. »Wenn es so ist, stehe ich dir und deiner Sippe zur Verfügung.«

Perry Rhodan 150: Stalker (Silberband)

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