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1. Marnas Experiment

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Eine innere Unruhe ließ Marna Updike wach liegen. Sie konnte nicht mit Bestimmtheit sagen, warum das so war. Sie atmete kräftiger und regelmäßiger und versuchte, alle lästigen Überlegungen zu ignorieren. Es gelang ihr einigermaßen, dennoch wälzte sie sich weiterhin unruhig im Bett. Sie schwitzte, und schließlich erhob sie sich, ging hinüber in die Nasszelle und duschte. Als dann ein warmer Luftstrom ihren Körper trocknete, war die Erschöpfung des letzten langen Tages wieder da. Sie wankte zurück zum Bett und ließ sich hineinfallen, als habe sie Blei in den Gliedern. Endlich schlafen, das war ihr einziger Wunsch.

Zehn Minuten später wälzte sie sich immer noch von einer Seite auf die andere, von wirren Gedanken geplagt. Marna warf einen Blick auf die Zeitanzeige. Die Ziffern bewegten sich schleppend, jede Minute kroch träge dahin. Ihre Muskeln verkrampften sich. Sie war mittlerweile überzeugt, dass es ihre überreizten Nerven waren, die sie marterten. Weil sie sich zu viel zumutete.

Zwei Stunden vor der programmierten Weckzeit schlief Marna Updike endlich ein, doch ihre Unruhe wollte nicht weichen. Sie träumte. Von dicken Tropfen, die aus dem Himmel fielen und durch die Zimmerdecke diffundierten. Wie an unsichtbaren Fäden sanken sie abwärts, bis sie den Fußboden erreichten und dort in bunten Lichtkaskaden zerplatzten.

Der Traum wiederholte sich, er wurde eindringlicher, geradezu bedrohlich.

Endlich schrillte das Signal der Weckautomatik.

Marna saß übergangslos senkrecht im Bett, das melodische Klingeln war für sie ein schmerzendes Inferno. Sie stieß einen hastigen Ruf aus, und die Automatik verstummte.

Marna sank aufs Kissen zurück. Sie rang nach Luft. Ihr Blick huschte durch den Raum und blieb an der Kleiderstange hängen, die langsam näher schwebte und neben dem Bett verharrte.

»Die Kombination des Tages!«, verkündete die Robotstimme. »Willst du sie anziehen, oder hast du es dir anders überlegt?«

»Keine Änderung.« Marna seufzte.

Erneut stemmte sie sich in die Höhe, rutschte mit den Beinen über die Bettkante und stand schwankend auf. Sie fuhr sich mit beiden Händen übers Gesicht und stellte fest, dass sie schon wieder schwitzte. Oder immer noch?

Wieder suchte sie die Nasszelle auf und ließ einen mittleren Regenschauer herabprasseln. Sie fühlte sich wie gerädert, und daran konnte auch die prickelnd kühle Nässe nichts ändern. Marna verwickelte die Automatik in ein Zwiegespräch, das jedoch schnell versackte. Der Automat blieb stur und versuchte ihr sogar einzureden, dass die kalte Dusche gefährlich für sie sei.

»Andere Dinge sind gefährlicher«, murrte sie, schaltete um auf Warmluft und verließ eine halbe Minute später die Zelle.

Andere Dinge ... schwang es in ihren Gedanken nach.

Marna Updike, Entsorgungstechnikerin auf Kontor Fornax, fragte sich, warum sie den Paratau plötzlich so vorsichtig umschrieb. Fühlte sie sich vollends wie ein Dieb in der Nacht? Sie lachte hell und lauschte dem Klang der eigenen Stimme. Paratau war wertvoller als Howalgonium. Die Kosmische Hanse hatte das Handelsmonopol, und die Konkurrenz, die Kartanin, schien ebenso unvermittelt wieder verschwunden zu sein, wie sie in Fornax erschienen war. Zuletzt hatten sich die feliden Fremden in der Milchstraße aufgehalten, doch gab es von nirgendwo neue Meldungen über sie.

Marna kleidete sich an und orderte das übliche Frühstück. Das Tablett mit allen Cerealien schwebte aus der Wandklappe. »Guten Appetit!«, wünschte eine sanfte Stimme. Marna reagierte nicht darauf. Sie fragte sich, warum sie erst seit Kurzem spürte, wie langweilig es war, allein zu frühstücken. Das Leben in der Kleingalaxis Fornax, genau genommen an Bord der ENTSORGER-17, unterschied sich sehr von dem Umfeld der Kommune, der Marna auf dem Saturnmond Titan angehört hatte. Sie hatte geglaubt, die stets gleiche Hektik in der Station gegen eine gehörige Portion Abenteuer des Neuen, Unbekannten eintauschen zu können – gefunden hatte sie jedoch Langeweile.

Aber vielleicht stand Abwechslung bevor. Sie, Marna Updike, hatte ein Experiment vorgeschlagen. Die Genehmigung der Kontorchefin Leila Terra war am späten Abend, kurz vor Mitternacht, endlich eingetroffen.

Marna griff nach dem mit Krabben gefüllten Ferrol-Teighörnchen. Das war einer der Leckerbissen, den die Hanse-Karawane aus der Milchstraße mitgebracht hatte. 50 Karracken und 20 Hanse-Koggen von Olymp standen seit einigen Tagen im Orbit über Kontor Fornax. Als Hanse-Spezialistin wusste Marna, dass alle schweren Waffensysteme der einstigen Orbiterschiffe demontiert worden waren. Handelsflotten brauchten im Bereich des Galaktikums keine besondere Bewaffnung. Mittlerweile behaupteten jedoch Gerüchte, dass die Hanse-Karawane durchaus wehrhaft armiert worden sei. Wenn das stimmte ...

»He!«, vernahm sie Nigel Calders Stimme. Sein halb vom Frühstücksgeschirr verdecktes bärtiges Gesicht blickte ihr aus der Tischplatte entgegen. Marna schob hastig das Tablett zur Seite, um den Kommandanten besser sehen zu können.

»'n Morgen, Marna.« Die Holoprojektion ließ die Fältchen in Calders Augenwinkeln deutlich erkennen. »Hast du die Zeit vergessen? Wir warten seit zehn Minuten auf dich.«

Die Entsorgungstechnikerin wandte den Kopf und musterte die Leuchtanzeige. Bis zu ihrem Dienstbeginn fehlten noch 20 Minuten.

»Deine Uhr scheint vorzugehen, Nigel«, sagte sie matt.

Über das Gesicht des Kommandanten huschte ein verständnisvolles Lächeln. »Und du scheinst erfolgreich verdrängt zu haben, dass du eine halbe Stunde früher an deinem Platz sein wolltest«, bemerkte er. »Stimmt's oder habe ich recht?«

Die Projektion verblasste, und Marna Updike sprang auf und fuhr sich mit einer Hand über den Nacken. Die Spitzen ihrer dunkelbraunen Locken waren nach wie vor nass. Die Trockenluft in der Hygienezelle hatte nicht ausgereicht.

Marna ließ das Frühstück stehen, griff nach ihren Unterlagen und stürmte aus dem Apartment. Sie wandte sich zum nächsten Antigrav, der sie zur Transmitterstation brachte. Der Transmitter war sendebereit.

»Du kannst das Transportfeld benutzen«, eröffnete die Automatik. »Dein Ziel ist mir bekannt, Marna.«

»Was ist mit der Tauregion?«, fragte sie sicherheitshalber.

»Wir sind ausreichend weit entfernt. Keine Störungen!«

Der Paratau, fand Marna, war eine überaus exotische Erscheinung. Im Grunde genommen handelte es sich um die Verdauungsabfälle der Nocturnen in ihrer ersten Lebensphase. In kleinen Tropfen sammelten sich die Ausscheidungen entlang der Flugrouten dieser bizarren Wesen, und die Nocturnen selbst konnten mit dem wertvollen Psichogon nichts anfangen. Perry Rhodan hatte ein Abkommen mit dem ältesten Nocturnenstock, dem Weisen von Fornax, getroffen. Diese Vereinbarung berechtigte die Kosmische Hanse zur Entsorgung und Verwertung der Tauregionen. Doch dann waren die bis dahin unbekannten Kartanin erschienen und hatten ihre Ansprüche auf den Paratau geltend gemacht.

Marna trat in den Transmitterkreis, wurde entmaterialisiert und im Sekundenbruchteil an ihr Ziel versetzt. Sie trat aus dem Halbkreis des Empfangstransmitters und nickte Nigel Calder und den wartenden Hanse-Spezialisten zu. Sie registrierte die erwartungsvollen Gesichter.

Eines davon gehörte ihm. In seinen Augen standen eine einzige stumme Frage und die Aufforderung an sie, diese Frage endlich zu beantworten.

Marnas Wangenmuskeln zuckten, sie senkte den Blick und wandte sich wieder Calder zu. »Gehen wir!«, sagte sie entschieden. »Was meint eigentlich Hammed Ashley?«

»An der Apparatur hat sich nichts geändert«, antwortete der Kommandant. »Die Werte sind konstant, die Paratronabschirmung zeigt keine Unregelmäßigkeiten.«

»Dann ist es gut!«

Marna kehrte zum Transmitter zurück. Wie alle Einrichtungen des Tenders wurde die Automatik von der zentralen Steuerpositronik gelenkt. Der grellweiße Bogen flammte auf und versetzte die sieben Männer und drei Frauen in den hinteren Bereich des Schiffes nahe der Plattform. Hier befanden sich die Reparatureinheiten. Die Lagerräume für den Paratau lagen weit entfernt, deshalb hatte Marna ihr Experiment hier aufgebaut.

Vom Transmitter aus waren die Projektoren nicht zu sehen. Marna eilte einen schmalen Steg entlang bis zur Brüstung. Sie beugte sich ein wenig nach vorn und winkte hinab. Ashley hatte sie gehört und gab den Gruß zurück.

Gefolgt vom Kommandanten und den Hanse-Spezialisten eilte die Entsorgungstechnikerin die Treppe hinab, die statt eines Antigravs eingebaut war.

»Schiff an Kommandant!«, meldete sich die Positronik. »Unweit der von uns ausgewählten Tauregion existiert eine weitere Region von enormem Ausmaß. Ersten Messungen zufolge ist das energetische Gleichgewicht erheblich gestört. Es steht zu befürchten, dass sich diese Tauregion in absehbarer Zeit entlädt!«

Nigel Calder blieb auf der Treppe stehen. Zu große Paratau-Konzentrationen lösten spontane Entladungen psionischer Energie aus, Psi-Stürme, deren Auswirkungen lichtjahreweit zu spüren waren. Calders Entscheidung war deshalb folgerichtig und zwingend: »Kursänderung! Linearmanöver innerhalb der tolerablen Grenzen. Wir entsorgen zunächst die gefährdete Region!«

Mit einem befehlenden Räuspern wandte sich der Kommandant an Marna, die mittlerweile ein kleines Steuerpult erreicht hatte. »Warte mit dem Experiment, bis wir das Linearmanöver hinter uns haben!«, verlangte er. »Das Risiko ...«

Misstrauischer Respekt schwang in dem unvollendeten Satz mit. Marna Updike nickte wortlos. Sie musterte das Innere des grünlich leuchtenden Paratronschirms, der einen Großteil der Halle einnahm. Eingebettet in ein kugelförmiges Antigravfeld lagen dort zehn Tropfen Paratau. Marna wusste nicht, wie viele davon sie tatsächlich benötigen würde. Sie sah allerdings keine Gefahr in dem Versuch.

Wenige Minuten später meldete die Positronik, dass sich das Schiff der gefährdeten Tauregion näherte. Die Suche nach einem geeigneten Flugkorridor war angelaufen.

Nigel Calder schüttelte leicht den Kopf. »Die ganze Konstellation behagt mir nicht«, sagte er, mehr zu sich selbst als für die anderen bestimmt.

Marna Updike wandte sich zu ihm um. »Jeder von uns weiß, wie sich die Psi-Phänomene auswirken. Wir werden mit Dingen oder mit Wesen konfrontiert, die aller scheinbaren Realität zum Trotz gar nicht anwesend sind. Wer das weiß, kann entsprechend darauf reagieren. Wovor schreckst du zurück?«

»Keine Ahnung. Ich weiß es selbst nicht.«

Marna Updike schürzte die Lippen. Sie nahm ihre nächsten Schaltungen vor. In dem Paratronfeld entstand eine Strukturlücke. Nacheinander traten sie selbst und vier der Hanse-Spezialisten hindurch.

Marna zeigte auf die kleinen Gravoprojektoren, die zu einem Kreis angeordnet neben dem Paratau am Boden standen.

»Den ersten Tropfen!«, sagte sie. »Trevor!«

Einer der Männer bückte sich, griff nach dem ersten der tragbaren Projektoren, aktivierte das Gerät und richtete es auf das permanente Antigravfeld. Zielsicher erfasste er mit dem Zugstrahl den etwa einen Kubikzentimeter großen Tropfen und holte ihn aus dem Schutzfeld heraus. Der Paratau glitzerte und reflektierte den grünen Schimmer des Paratronschirms. Ein leichtes Rauschen klang plötzlich in den Ohren aller innerhalb des Schutzschirms. Sie kannten dieses Phänomen, es war eine Auswirkung des Psichogons.

Der Tropfen driftete auf Marna zu und verharrte eine Armlänge vor ihr in der Schwebe.

»Gut so. Dyke, und nun den nächsten. Almyra, du kannst den dritten ebenfalls schon erfassen.«

Nach dem sechsten Tropfen ließ die Entsorgungstechnikerin stoppen. »Nigel!«, rief sie übermäßig laut, als befürchtete sie, der Paratronschirm könnte die Verständigung behindern. »Du wirst gleich aller Zweifel enthoben, und die ENTSORGER-17 dürfte berühmt werden. Adams wird begeistert sein, was wir herausfinden.«

»Abwarten«, meinte der Kommandant kritisch. »Bislang ist nichts geschehen.«

»Aber gleich!«, versprach Marna.

Die wertvollste Eigenschaft des Parataus war, dass er vorhandene Psi-Fähigkeiten verstärkte oder gar erst ermöglichte. Ein einziger Tropfen genügte, um aus einem normalen Terraner für rund eine Stunde einen leidlich guten Telepathen, Telekineten oder anders Befähigten zu machen. Während dieser Zeit schmolz der gläsern anmutende Tropfen dahin, bis die in ihm gespeicherte psionische Energie aufgezehrt war. Deflagration nannte man diesen Vorgang.

Marna griff nach einem der Tropfen, die im Halbkreis vor ihr schwebten. Er fühlte sich warm an und sah auf ihrer Handfläche aus wie ein geschliffener Kristall von unwahrscheinlicher Reinheit.

Marna schloss die Augen und konzentrierte sich. Sie wollte die Gedanken der Hanse-Spezialisten erfassen und konzentrierte ihr mentales Verlangen auf den Paratau-Tropfen. Schnell trat ein, was sie schon in mehreren Versuchen erlebt hatte. Sie erkannte in einem plötzlichen Durcheinander, was alle in ihrer Nähe dachten. Ihre Begleiter hatten sich freiwillig bereit erklärt, sich in ihre Gedanken blicken zu lassen.

Verschwommen kristallisierte sich ein Bild aus dem heraus, was Marna esperte. Sie sah eine Kugel, die sich aufblähte und schließlich explodierte. Die Kugel schimmerte intensiv rot, und mit ihr wurde ein Name deutlich: Outside. Marna wusste nicht, wer von den Spezialisten an jene Tage dachte, als die Sonne Outside zur Nova geworden war. Sie erkannte nur das Bild und etwas, was sie als Begleitgedanken empfand.

Die Wahrnehmung verblasste langsam, und der Tropfen in Marnas Hand schien leicht abzukühlen. Sie berührten einen zweiten Tropfen mit den Fingerspitzen der linken Hand, griff vorsichtig zu und legte den zweiten Paratau-Tropfen zu dem anderen auf ihrer rechten Handfläche.

Zunächst war kein Unterschied zu spüren, auch nicht, als sie einen dritten Tropfen platzierte. Marna schaute kurz zu den Hanse-Spezialisten. Ihren Mienen war anzusehen, dass sie bewusst an Unverfängliches dachten.

Marna konzentrierte sich wieder. Immer mehr und wuchtigere Gedanken stürmten auf sie ein und überlagerten einander. Sie machte sich nicht die Mühe, Einzelheiten erkennen zu wollen. Die Entsorgungstechnikerin wusste mit einem Mal, dass ihr Experiment ein voller Erfolg sein würde. Die einzige Frage, die sie nun noch beschäftigte, war, wie lange sie dem Ansturm der telepathischen Wahrnehmungen standhalten konnte.

»Jemand denkt daran, dass sich kriminelle Kräfte des Parataus bedienen und die halbe Galaxis versklaven könnten«, flüsterte sie. »Es ist ein Mann, der das annimmt. Er ist unsicher, wie er sich verhalten soll.«

Marna nahm einen vierten Tropfen dazu und lauschte in sich hinein. Sie war kurz davor, den Versuch auszuweiten. Falls es ihr gelang, zugleich Telekinese zu entwickeln, dann bedeutete dies den endgültigen Durchbruch für ihren Versuch. Nach einigen Sekunden entschloss sie sich jedoch, damit zu warten. Sie war ohnehin fasziniert von ihrem sich schnell ausweitenden Horizont, denn sie erfasste bereits die Gedanken aller in der Halle, also auch außerhalb des Paratronschirms. Augenblicke später wusste sie, was die Menschen in den angrenzenden Abteilungen dachten. Und damit nicht genug, ihr telepathischer Horizont weitete sich binnen weniger Minuten über das gesamte Schiff aus. Dabei war bislang undenkbar gewesen, dass ein nicht psionisch begabter Mensch eine derartige Leistung vollbrachte.

Etwas wühlte in ihr, aber Marna achtete nicht darauf. Sie schwelgte in ihrem Erfolg und übersah dabei die Veränderung, die rings um das Schiff vorging.

Eine Schmerzwelle tobte durch ihr Gehirn. Gleichzeitig heulte der Alarm. Jemand rief ihr zu, das Experiment abzubrechen, doch sie verstand die Aufforderung kaum, weil sie ihre jähe Qual hinausschrie.

Die Tauregion hatte den kritischen Punkt überschritten und entlud ihre Energie in spontanen Eruptionen.

Perry Rhodan 157: Stalker gegen Stalker  (Silberband)

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