Читать книгу Achtung! Totes Gleis - Arno Alexander - Страница 10

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Die zwei Zimmer, die Wessley bewohnte, waren zwar nicht kostbar, doch gemütlich eingerichtet. Das erste, gleichzeitig Wohn- und Arbeitszimmer, wurde von einer großen Ständerlampe mit grünseidenem Schirm matt erleuchtet; den Fußboden bedeckte ein Teppich, der einmal nicht ganz billig gewesen sein mochte, jetzt aber verschiedentlich schadhafte Stellen aufwies. Ein breiter Schreibtisch und mehrere altmodische Sessel verliehen dem Raum etwas Behagliches, wozu auch die schweren, dichten Vorhänge beitrugen, die den Raum völlig lichtdicht abschließen mußten, falls man sie auch am Tage vorzog.

Diese Vorhänge waren das erste, was Alice hier im Zimmer auffiel.

„Darf ich das Fenster öffnen?“ fragte sie. „Beim Anblick solcher Vorhänge habe ich das Gefühl, als müßte ich ersticken.“ Und schon war sie am Fenster und zog an den Schnüren.

Mit einem Satz befand sich Wessley an ihrer Seite.

„Lassen Sie das!“ rief er barsch. „Meine Fenster gehen auf den Hudson River hinaus, und ich habe absichtlich so dichte Vorhänge anbringen lassen. Die Vorhänge werden abends und nachts nie geöffnet. Merken Sie sich das!“

Sie sah ihn erstaunt an, sagte aber kein Wort und zog die Vorhänge wieder zu.

Auf dem Teppich lag Treff, der Hund, und beobachtete mit klugen Augen das Tun dieser beiden Menschen. Er hatte sich auf Wessleys Zuruf bald beruhigt und sich mit dem Besuch des fremden Mädchens abgefunden. Nur, als Alice versuchte, ihn zu streicheln, hatte er ein warnendes Knurren hören lassen. Jetzt schlug er plötzlich wieder an, und gleich darauf klopfte es.

„Still, Treff!“ befahl Wessley. Dann rief er laut: „Herein! Sind Sie es, Mrs. Ellis?“

Es war wirklich Mrs. Ellis, Wessleys Wirtin. Sie trat ein, rundlich und klein, und blieb beim Anblick des Mädchens wie erstarrt an der Türschwelle stehen. „Sie ... Sie haben Damenbesuch?“ stotterte sie verwirrt. „Das ist ... ist ja eine Dame ...“

„Sie irren sich“, versetzte Wessley kalt. „Das ist ein Weihnachtsbaum. Und jetzt würde ich gern erfahren, was Sie zu so später Stunde hierher führt, Mrs. Ellis?“

Sie setzte ein paarmal vergeblich zum Sprechen an.

„Ich wollte fragen, ob Sie noch einen Tee wünschen“, murmelte sie endlich, und man sah ihr unschwer an, daß sie eigentlich etwas ganz anderes hatte sagen wollen.

„Ja, bitte“, erwiderte Wessley, schon freundlicher.

„Und, bitte, zwei Tassen. Und dann ... ja, auch etwas Gebäck.“

Wortlos entfernte sich Mrs. Ellis. Sie sah Wessley traurig an, und er wußte, daß sie ihn ehrlich bemitleidete, weil er den Tugendpfad verlassen hatte.

Alice lehnte an der Ecke des Schreibtisches, und in ihren Augen funkelte es belustigt. Wessley sah es mit Genugtuung, denn er wußte nichts mit Menschen anzufangen, die nicht zu lachen verstanden.

„Ist das nun Ihre Wohnungswirtin oder Ihre Angestellte?“ erkundigte sich Alice nach einer Weile lächelnd.

„Es ist die Hauswirtin“, sagte er wahrheitsgemäß.

„Ich habe von ihr aber diese zwei Räume abgemietet, und es geht sie gar nichts an, was hier geschieht.“

„Sind Sie der einzige Mieter in dieser Wohnung, Mr. Steinitz?“ fragte sie, nahm den Hut ab und ordnete vor ihrem Taschenspiegel das Haar.

Wessley hatte inzwischen aus einem Schreibtisch ein weißes Tischtuch hervorgeholt und deckte es über das kleine niedrige Tischchen in der Ecke unter der Stehlampe.

„Ich bin der einzige“, bestätigte er und betrachtete sein Werk mit prüfenden Blicken. „Ich bin nämlich sehr anspruchsvoll und würde mit einem zweiten Mieter wohl andauernd Streit haben.“

„Und wie vertragen Sie sich eigentlich mit Kapitän George Wessley?“ fragte sie beiläufig und blickte angelegentlich in ihren Taschenspiegel.

Wessley fuhr herum. Mit zwei, drei Riesenschritten war er an ihrer Seite und packte sie fest beim Arm. „Also doch eine Falle!“ sagte er böse und drohend.

„Ich dachte es mir schon, als Sie den Vorhang beiseite hoben, um vermutlich Ihren Freunden auf dem Hudson River ein Zeichen zu geben! Aber Sie sollen sich getäuscht haben. Ich rufe auf der Stelle die Kriminalpolizei an ...“

„Mr. Steinitz!“ rief sie flehend. „Was habe ich Ihnen denn getan? Warum sind Sie jetzt plötzlich so böse mit mir?“

„Sie spielen ausgezeichnet Komödie“, erklärte er finster. „So! Und jetzt weinen Sie schon wieder mal? Aber das wird mich diesmal nicht rühren. Sie wissen also, daß ich nicht Baron Steinitz, sondern Kapitän der Kriminalpolizei George Wessley bin ...“

„Kapitän der Kriminalpolizei!“ wiederholte sie erschrocken, und dieses Erschrecken war so echt, daß Wessley stutzte.

„Verstellen Sie sich nicht“, sagte er streng, doch etwas unsicher. „Das haben Sie ganz genau gewußt. Und jetzt werden Sie mir sofort sagen, was Ihre Zeichen bedeuteten! Los! Los! Beeilen Sie sich!“

Sie sah ihn lange und vorwurfsvoll an, dann griff sie nach ihrem Hut, setzte ihn schweigend auf und ging zur Tür.

„Hiergeblieben!“ befahl er böse. „Antworten Sie: Haben Sie gewußt, wer ich bin, oder nicht?“

„Nein“, sagte sie fest. „Und jetzt lassen Sie mich gehen, bitte. Wenn Sie bedauern, sich meiner angenommen zu haben, hätten Sie es mir nur zu sagen brauchen — ich wäre gleich gegangen. Wozu erst lange nach Gründen suchen ...“

„Ach! Das wird ja immer netter!“ platzte er heraus. „Jetzt werde ich — ich! — beschuldigt! Sagen Sie mir lieber, woher Sie auf den Namen Kapitän George Wessleys kamen, wenn Sie nicht vorher gewußt haben, daß ich es bin?“

„Dieser Name ist draußen an der Wohnungstür angebracht“, sagte sie leise.

Mit einem dumpfen Laut ließ sich Wessley in einen der Sessel fallen.

„Und daran habe ich nicht gedacht!“ rief er wütend. Dann aber brach er in ein schallendes Gelächter aus. „Sagen Sie, Miß Alice, haben Sie es für möglich gehalten, daß es unter den Kriminalbeamten solche Idioten gibt, wie Sie einen vor sich sehen? Bitte, verzeihen Sie alles, was ich gesagt habe! Nehmen Sie den Hut wieder ab! Machen Sie Ihr Haar wieder so schön wie vordem! Und ich verspreche Ihnen, Sie von nun an nicht mehr wie eine Verbrecherin zu behandeln, obwohl ... Na, das wird sich auch noch klären. Herein!“

Es hatte geklopft, und auf Wessleys Aufforderung trat Mrs. Ellis mit einer Platte ein. Sie ordnete Tassen und Teller auf dem Tischchen und tat das alles schweigend, wobei sie es sogar vermied, die Besucherin ihres Mieters anzusehen.

„Mrs Ellis“, sagte Wessley freundlich. „Haben Sie doch, bitte, die Güte, mein Namensschild gleich morgen früh von der Wohnungstür entfernen zu lassen.“

„Sie wollen ausziehen?“ fragte sie überrascht.

„Ich denke nicht daran. Aber ich habe meine Gründe, für eine Zeitlang Baron Steinitz aus Lichtenstein zu sein. Merken Sie sich diesen Namen recht gut, Mrs. Ellis: Baron Steinitz aus Lichtenstein.“

Sie schüttelte tadelnd den Kopf, sagte aber kein Wort zu dieser Neuigkeit. Leise seufzend ging sie hinaus und ließ die beiden wieder allein.

„Jetzt wollen wir Tee trinken, Miß Alice“, forderte Wessley seinen Gast auf. „Und vielleicht erzählen Sie mir dabei ein wenig von Ihrem Kummer, von Maising und davon, wie es kam, daß Sie heute plötzlich mutterseelenallein in der Riesenstadt New York herumirrten.“

Alice setzte sich gehorsam in einen der altmodischen Sessel, schenkte Wessley und sich Tee ein und rührte nachdenklich in ihrer Tasse herum. Da sie immer noch nichts sagte, begann Wessley aufs neue:

„Ich will es Ihnen leichter machen und lieber Fragen stellen“, sagte er ermunternd. „Sie lebten mit Maising zusammen, nicht wahr?“

„Ja, natürlich. Ich habe sonst niemanden auf der Welt“, erwiderte sie ruhig und sah ihn erstaunt an.

„Und heute früh wurde Maising verhaftet“, fuhr er fort. „Weshalb, wissen Sie nicht?“

„Nein.“

„Sie haben auch keinen Verdacht?“

„Nein.“

Wessley seufzte.

„Aber Sie müssen doch inzwischen über die Sache nachgedacht haben. Ist Ihnen da im Leben Maisings nichts nachträglich eigentümlich erschienen? Nun?“

Sie schien zu überlegen, aber Wessley war überzeugt, sie dachte nicht darüber nach, was sie ihm verraten, sondern, was sie ihm verheimlichen sollte. „Er ... er hatte in letzter Zeit mehr Geld als sonst ...“, sagte sie nach einer Weile unschlüssig.

„Na, sehen Sie, das ist schon etwas!“ rief Wessley scheinbar sehr befriedigt, obwohl er den erwähnten Umstand gerade deswegen für bedeutungslos hielt, weil sie ihn selbst verraten hatte. „Mit der Zeit werden wir das Rätsel schon noch lösen“, plauderte er unbefangen weiter. „Schmeckt Ihnen der Tee? Ja? Mir gar nicht. Die Alte versteht nicht, Tee zu kochen. Was denken Sie, was für einen Tee ich in China zu trinken bekam! Ein Gedicht, sage ich Ihnen ... Wodurch bestritt denn Maising seinen Lebensunterhalt? So ein bißchen Gelegenheitsgeschäfte, nicht wahr?“

„O nein“, widersprach sie hastig. „Er hatte eine gute Anstellung.“

„So? Aber wo und bei wem wissen Sie natürlich nicht?“ forschte Wessley weiter. Er hatte sich von diesem Maising ein ganz bestimmtes Bild gemacht, und in dieses Bild paßte eine feste Anstellung nicht gut hinein, außer — wenn sie nur vorgetäuscht war. „Nicht wahr, die Geschichte mußte irgendwie geheimgehalten werden? Niemand durfte erfahren, wo und bei wem er arbeitete? Nun? War es so?“

Starr und erschrocken sah sie ihn an.

„Woher wissen Sie das?" fragte sie furchtsam. „Oh, Sie haben schon nachgeforscht ...“

„Unsinn! Ich möchte wissen, wann ich Zeit zum Nachforschen gehabt hätte. Es ist nur eine Vermutung von mir. Also weiter! Sie wissen somit nicht, bei wem Maising angestellt war. Das ist sehr schade, denn ich vermute stark ...“

„Doch, ich weiß, bei wem er arbeitete“, sagte sie rasch. „Nur die anderen durften es nicht erfahren, aber vor mir machte er kein Geheimnis daraus.“

„Das wundert mich“, versetzte Wessley kopfschüttelnd. „Da konnten Sie doch die Sache sehr leicht nachprüfen und feststellen, daß alles nur Schwindel war.“

„Wieso denn Schwindel?" fragte sie ein wenig aufgeregt.

„Wir wollen uns nicht streiten", beschwichtigte er sie. „Also, bei wem arbeitete Maising?"

„Beim Musikprofessor Kisewetter", antwortete sie ganz ruhig.

Wessley setzte die Teetasse, die er in der Hand hielt, so hart auf die Schale, daß die Tasse zerbrach. „Bei Kisewetter? Na, jetzt wird’s spannend!" rief er verblüfft aus, sprang auf und rannte erregt im Zimmer auf und ab.

„Was ist denn mit Ihnen? Was haben Sie denn?" erkundigte sie sich ratlos.

„Oh, nichts von Bedeutung.“ Plötzlich blieb er neben ihr stehen. „Nun denken Sie einmal nach, Miß Alice“, bat er. „Hat Maising in der letzten Zeit mal mit Ihnen oder in Ihrer Gegenwart von einem Eisenbahnüberfall gesprochen?“

„Ja, vom letzten Eisenbahnüberfall bei St. Louis“, erwiderte sie sogleich. „War das nicht vor etwa zwei Wochen?“

„Jawohl“, knurrte Wessley. „Es war vor zwei Wochen. Hm ... Sie erinnern sich wohl nicht, was Maising damals darüber sagte?“

„Oh, sehr gut sogar. Er war sehr in Sorge, es könnte vielleicht auch das Kistchen geraubt sein, das Professor Kisewetter mit demselben Postzug nach Kansas geschickt hatte.“

„Aha! Nun, und wie war es? Erwies sich das Kistchen auch als geraubt?“

„Ja, aber das machte nicht viel aus, denn Professor Kisewetter hatte es hoch versichert. Es befanden sich darin wertvolle Noten.“

Wessley nahm seine hastige Wanderung durchs Zimmer wieder auf.

„Ich fange an zu begreifen“, murmelte er. „Natürlich, nur so kann es sein.“ Wieder blieb er vor Alice stehen. Er nahm ihre Hand in die seine und sah ihr forschend in die Augen.

„Nun seien Sie mal ganz offen, Miß Alice!“ redete er ihr zu. „Die Geschichte mit der Versicherung hatten Sie doch mit Maising schon vorher ganz genau besprochen? Verstellen Sie sich nicht — ich durchschaue jetzt die ganze Sache.“

Sie schüttelte langsam den Kopf.

„Ich verstehe Sie nicht“, sagte sie traurig und vorwurfsvoll.

„Wissen Sie, was Sie sind?“ fragte er ärgerlich und ließ ihre Hand los. „Sie sind entweder unglaublich einfältig oder die durchtriebenste Frauensperson, die mir vorgekommen ist.“

„Dann bin ich eben unglaublich einfältig“, meinte sie bekümmert. „Ich verstehe Sie wirklich nicht.“

„Na, wir werden ja sehen!“ Wessley warf einen Blick auf die Taschenuhr. Dann trat er rasch an den Lichtschalter und löschte das Licht aus. Gleich darauf hörte Alice, wie die Vorhänge beiseite rauschten.

„Kommen Sie, schauen Sie sich den Hudson an“, sprach Wessleys Stimme aus dem Dunkel.

Sie schritt vorsichtig tappend aufs Fenster zu. Das nächtliche Bild des breiten Flusses war etwas überwältigend Schönes. Der sich im Wasser spiegelnde Mond, die vielen blinkenden Lichter der Dampfer, Leuchttürme und der am Ufer liegenden Häuser erweckten gradezu den Eindruck, als hätte irgendein großer Meister dieses Bild kunstvoll und mit Liebe so geschaffen.

„Treten Sie, bitte, hierher“, sagte Wessley und schob Alice genau zwischen die beiden Fenster. Dann nahm er aus dem Schränkchen des Schreibtisches eine Stehlampe, die nebeneinander zwei Birnen hatte — eine rote und eine grüne. Gleich darauf hatte er am Steckkontakt den elektrischen Strom eingeschaltet, und dann erlebte Alice etwas Sonderbares.

In rascher Folge wechselten sich das rote und grüne Licht ab. Auch mehrmals hintereinander flammte grün auf, dann wieder rot. Das ganze dauerte nicht länger als eine Minute, dann zog Wessley den Stecker aus der Dose, und es war wieder ganz dunkel.

„Was war das?“ fragte sie erstaunt.

„Eine Art Morse“, erwiderte er kurz. „Das heißt, es ist eigentlich sogar Morse, nur so abgeändert, daß diese Nachricht nur der lesen kann, für den sie bestimmt ist.“

„Und welche Nachricht ...“ begann sie zögernd.

„Ich sandte eben folgende Anfrage hinaus“, erklärte er ihr: „Feststellen, wer Maising. Warum heute verhaftet. Antwort morgen Frühpost.“

„Und Sie glauben ...?“

Mit einer Handbewegung zerschnitt Wessley ihre Rede.

„Morgen früh werde ich es wissen. Verlassen Sie sich darauf.“

Sie schüttelte ungläubig den Kopf.

„Und können Sie auf diese Weise auch durch Lichtzeichen Nachrichten erhalten?“

„O ja“, sagte er ruhig. „Ich habe sogar eben eine solche Nachricht abgelesen.“

„Und sie lautet ...“

Sekundenlang schien es, als wolle er ihre Frage zurückweisen. Aber dann antwortete er ruhig:

„Gefahr!“

Achtung! Totes Gleis

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