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Professor Kisewetter war spät abends nach einem Konzertbesuch nach Hause gekommen. Obwohl er müde und abgespannt aussah, setzte er sich doch an den Schreibtisch, um noch etwas zu arbeiten. Aus einer Mappe, die zuunterst eines ganzen Stoßes von engbeschriebenem Papier lag, holte er ein paar Blätter hervor, die mit feiner stenographischer Kritzelschrift beschrieben waren. Er setzte eine Brille mit scharfen Gläsern auf und begann, die stenographischen Aufzeichnungen mit seiner steilen, kantigen Schrift in ein dickes schwarzes Buch zu übertragen.

Der Fernsprecher klingelte, und Kisewetter mußte seine Arbeit unterbrechen. Er tat es ungern, mit ärgerlich zusammengezogenen Brauen.

„Kisewetter. Wer dort?“ sprach er in die Muschel hinein.

„Sie werden mich nicht kennen, Mr. Kisewetter ...“ lautete die Antwort. Der Professor hatte dabei sofort den Eindruck, der Sprecher befinde sich in großer Aufregung.

„Was wünschen Sie?“ erkundigte er sich ruhig.

„Wissen Sie, daß Maising heute früh verhaftet wurde?“ klang es zurück.

Die schmale, feingegliederte Hand des Professors umkrallte den Hörer etwas fester. Das war aber das einzige Zeichen dafür, daß ihn diese Nachricht irgendwie berührte.

„Warum melden Sie mir das? Wer sind Sie?“ fragte er gleichgültig.

„Ich bin ein Freund Maisings“, antwortete der Fremde. Ich dachte, Sie würden Maising helfen wollen. Schließlich kann es Ihnen doch nicht gleichgültig sein, ob Maising ...“

„Es ist mir gleichgültig“, unterbrach Kisewetter den Sprecher.

Eine geraume Weile war es am anderen Ende der Leitung ganz still. Aber dann sprach wieder die aufgeregte Stimme:

„Nachdem Maising Ihnen aber gewisse Dienste erwiesen hat, dürfte es wohl angebracht sein ...“

„Maising ist für seine Dienste bezahlt worden“, sagte Kisewetter.

„Entschuldigen Sie, Mr. Kisewetter, wollen Sie mich nicht verstehen, oder verstehen Sie mich wirklich nicht? Es ist unbedingt nötig, Maising zu helfen, und ich brauche dazu noch heute nacht dreitausend Dollar. Da Sie Ihrem langjährigen Freunde nicht freiwillig helfen wollen, muß ich Sie wohl dazu zwingen. Wünschen Sie vielleicht, daß Ihre Beziehungen zu Maising in den Zeitungen besprochen werden?“

„Von was für Beziehungen sprechen Sie eigentlich?“ fragte Kisewetter spöttisch. „Was wissen Sie darüber?“

Die Antwort war kurz und bündig:

„Alles!“

Der Professor schwieg, und nach einer Weile fuhr der Unbekannte eindringlich und aufgeregt fort:

„Vor einigen Tagen erzählte mir Maising im Vertrauen von der Sache. Er ist so dumm, daß er bis heute nicht begreift, wie sehr er Sie in der Hand hat. Ist das deutlich, Mr. Kisewetter? Nun, ich bin nicht so dumm wie Maising, und Sie werden noch heute zahlen oder ...“

„Mein Herr“, sagte Kisewetter gelassen. „Das einfachste wird wohl sein, Sie kommen gleich zu mir, und ich benachrichtige inzwischen die Kriminalpolizei.“

Kisewetter hatte sich wunderbar in der Gewalt. Nach dem Stimmklang zu urteilen, hätte sein Gegner nie vermuten können, daß der Professor sich bei den letzten Worten mit einem seidenen Tüchlein über die kalkweiße und vom Schweiße feuchte Stirn fuhr.

„Ich komme sofort!“ war die wütende Antwort.

„Wollen doch mal sehen, ob Sie es wagen werden ...“

Kisewetter sank merklich in sich zusammen.

„Wir wollen nicht unnütz Zeit verlieren“, sagte er etwas leiser als bisher, aber immer noch mit auffallender Ruhe. „Ich will selbstverständlich meinem alten Freunde Maising beistehen ... Natürlich, es muß sofort etwas unternommen werden ...“

„Also ich komme gleich zu Ihnen ...“

„Nein, das geht nicht ...“ Kisewetter stand auf und trat, den Hörer am Ohr, an eine große farbige Wandkarte New Yorks. „Wir wollen uns irgendwo draußen treffen. Schlagen Sie etwas vor!“

Bei diesen Worten des Professors ruhte die Spitze seines Bleistiftes schon auf der Karte und bezeichnete genau die Stelle, wo er sich mit dem Erpresser zu treffen gedachte. Es war ein ziemlich abgelegener Vorort am Hudson River. Und wirklich hatte Kisewetter schon in wenigen Minuten nach einigem Hin und Her die Abmachung gerade für diese Stelle getroffen.

„Sie werden bestimmt kommen?“ fragte der Fremde noch einmal.

„Ganz bestimmt“, versprach Kisewetter scheinbar gleichmütig.

Der Professor beeilte sich nicht. Er war etwas schwerfällig aufgestanden und ging langsam, mit gesenktem Kopf, im Zimmer auf und ab. Es war etwas Ruhiges,

Bedächtiges in seinem Gang, in seiner Haltung, und nur die auf dem Rücken ineinander verkrampften Hände — ein weißer, schimmernder Fleck auf dem feierlichen Schwarz seines Rockes — verrieten seine Gemütsbewegung.

Und dann stand Kisewetter im Hut und Mantel lange vor dem Spiegel im Vorzimmer und betrachtete sein mageres bleiches Gesicht mit den etwas eingefallenen Wangen und den großen sonderbar funkelnden Augen. Noch nie hatte er sein Spiegelbild so aufmerksam angesehen, nie war es ihm so schwer gefallen, seinen Blick davon loszureißen.

„So sieht man also aus, wenn man Angst hat“, murmelte er endlich verächtlich und wandte sich ab.

Zwei Minuten später schritt seine hohe Gestalt mit kräftigem, sicherem Schritt über den Kies des kleinen Gartens. Bald darauf saß Kisewetter in der Ecke eines Straßenbahnwagens und las aufmerksam die Zeitung.

Eine Stunde war vergangen, als er an der verabredeten Stelle eintraf. Er kannte den Mann nicht, mit dem er sprechen sollte, und er wußte nicht einmal, wie dieser Mann aussah. Aber es war anzunehmen, daß der Erpresser ihn, Kisewetter, kannte. Nun, er würde sich schon selbst melden.

Kisewetter ging ein paarmal am Ufer des Stromes auf und ab und zeigte dabei nicht die Spur von Ungeduld. Er war überzeugt, daß der Kerl irgendwo lauerte und ihn beobachtete. Erst würde der Mann sich doch davon überzeugen wollen, ob Kisewetter allein sei, und dann — — —

„Haben Sie das Geld?“ fragte plötzlich hinter dem Rücken Kisewetters dieselbe Stimme, die er nun vom Fernsprecher her kannte.

Kisewetter war zusammengefahren, obwohl er auf diese Frage vorbereitet war.

„Hier“, sagte er mit etwas heiserer Stimme und reichte dem Fremden ein Päckchen.

Der Fremde riß das Papier herunter und zählte beim Scheine einer kleinen Taschenlampe die Banknoten.

„Sie gedenken wohl von nun an so ein bißchen auf meine Kosten zu leben?“ fragte Kisewetter nachdenklich.

Der Unbekannte, im Dunkeln kaum zu sehen, obwohl er dicht neben Kisewetter stand, hörte auf zu zählen.

„Wird schon stimmen“, knurrte er und schob das Päckchen in die innere Rocktasche. „Was sagten Sie da? Ach so! Nun, ich werde mich schon melden, wenn Maising wieder Geld braucht.“

Der Mann sprach auch jetzt aufgeregt, und seine derben Hände, die immer noch die brennende Taschenlampe hielten, zitterten merklich.

„Löschen Sie doch endlich die Lampe aus“, sagte Kisewetter tadelnd. „Wollen Sie denn unbedingt, daß noch irgendein dummer Polizist auf das Licht aufmerksam wird?“

„Nein“, sagte der Fremde und lachte gezwungen auf. „Das wünsche ich genau so wenig wie Sie. Übrigens, dieser Maising ...“

Der Finger des Professors berührte den Drücker seines Revolvers genau so sicher, als schlage er damit eine Klaviertaste an. Und wie beim Berühren der Taste der Hammer unweigerlich die ihm bestimmte Bewegung macht, so brach der Fremde zusammen — genau, wie es Kisewetter gewollt hatte. Der Schuß war gar nicht laut gewesen. Wenn ihn jemand gehört hatte, war es auch nicht zu gefährlich, denn in dieser Gegend wurde jetzt nachts öfters gesprengt. Kisewetter wußte das. Nicht umsonst hatte er sich gerade diesen Platz ausgesucht.

Vorsichtig bückte er sich und zog behutsam das Päckchen mit den Banknoten aus der Brusttasche des Mannes. Er streifte dabei die rauhe, noch warme Hand des Erpressers und erschauerte. Als sei er in diesem Augenblick gleichzeitig Täter und unbeteiligter Zuschauer, stellte Kisewetter mit einer Art grausiger Neugier fest, daß seine Kinnlade heftig bebte. Einige Sekunden lang stand er untätig da, und vergeblich kämpfte sein Wille um die Wiederbeherrschung der Nerven und Muskeln.

Vielleicht lebte der Mann noch? Das war der Gedanke, den Kisewetter in sich nicht aufkommen lassen wollte. Es war gleichgültig, ob der Mann noch lebte oder nicht, ganz gleichgültig. Er mußte verschwinden, er mußte ausgetilgt, zertreten werden wie ein lästiges, gefährliches Insekt.

Endlich hatte sich Kisewetter wieder ganz in der Gewalt. Ein kräftiger Fußtritt vollendete sein Werk. Der schwere Körper dieses Mannes, von dessen Dasein Kisewetter vor zwei Stunden noch keine Ahnung gehabt hatte, rollte an der steilen Böschung des Ufers hinab und schlug mit einem klatschenden Laut auf dem Wasser auf.

Zwei Stunden später war Kisewetter wieder zu Hause. Mindestens eine Viertelstunde lang wusch er sich die Hände und blickte dabei immer wieder neugierig das Spiegelbild seines Gesichtes an. Eine Veränderung konnte er aber darin nicht feststellen.

Achtung! Totes Gleis

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