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„Also merken Sie es sich genau: Der Professor Kisewetter ist sozusagen unsere einzige Fährte. Er ist dringend verdächtig, dringend, ganz dringend! Vergessen Sie das keinen Augenblick: Dringend verdächtig, einzige Fährte.“

Stimson, Chefinspektor bei der New Yorker Kriminalpolizei, seufzte nach diesen Worten auf wie nach schwerer Arbeit. Langsam erhob er sich von seinem bequemen Sessel und stampfte auf das Fenster zu. Hier blieb er stehen, tat einen tiefen Zug aus seiner Zigarre und sah seinen Untergebenen prüfend und erwartungsvoll an.

Kapitän Wessley stand in ehrerbietiger und dabei doch freimütiger Haltung neben dem Riesenschreibtisch seines Vorgesetzten. Wessley war jung, jünger als alle Beamten, die je das Arbeitszimmer des Chefinspektors hatten betreten dürfen. Trotz dieser Jugend aber und trotz seinem geringen Dienstgrade hielt Stimson große Stücke auf ihn und betraute ihn oft mit recht knifflichen Aufgaben. Nie aber bekam Wessley ein freundliches Wort oder ein Lob von Stimson zu hören, denn nach der unerschütterlichen Überzeugung dieses hohen Vorgesetzten war bei den ihm unterstellten Beamten nur Strenge, Strenge und nochmals Strenge am Platz, — und bei Wessley ganz besonders! Dieser junge Kapitän sollte und mußte vergessen, daß er als Sohn des verstorbenen Jugendfreundes Stimsons hier eine Art bevorzugte Stellung einnahm. Leider aber dachte Wessley nicht im entferntesten daran, diesen für ihn günstigen Umstand außer acht zu lassen.

„Haben Sie die Stichwörter behalten?“ fragte Stimson ärgerlich, da der Kapitän, ohne zu antworten, über Stimsons Kopf hinweg durchs Fenster sah, wo hoch in den Lüften die halsbrecherischen Leistungen eines Flugzeugführers seine Aufmerksamkeit in Anspruch nahmen.

Wessley verneigte sich.

„Ich habe sie mir gemerkt“, sagte er mit seiner jugendlich-frischen Stimme und wandte den Blick wieder seinem Vorgesetzten zu. „Dringend verdächtig, einzige Fährte.“

„Ausgezeichnet!“ knurrte Stimson und strich die Falten des Rockes über seinem Bäuchlein glatt. „Sie wissen, daß das Einprägen von Stichwörtern schon den halben Erfolg bedeutet. Man kann sich diese Kennworte gar nicht oft genug vorsagen. Also, ich wiederhole: Sie gehen noch heute zu dem Musikprofessor Kisewetter, stellen sich ihm als Baron Steinitz aus Lichtenstein vor und erklären, Sie hätten so viel Gutes über seinen Musikunterricht gehört, daß Sie unbedingt bei ihm lernen wollten. Sie geben an, schwerreich zu sein, und der Kostenpunkt beim Musikunterricht spielt bei Ihnen gar keine Rolle. Das bezahlt die Kriminalabteilung.“

„Das darf ich dem Professor aber nicht sagen“, mutmaßte der junge Beamte.

Stimson warf dem Kapitän einen vernichtenden Blick zu, der aber gleichzeitig forschend war. Es gelang dem Chefinspektor jedoch nicht, im Gesicht seines Untergebenen auch nur die Spur eines Lächelns zu entdecken.

„Sie haben mich wieder falsch verstanden“, sagte Stimson vorwurfsvoll. „Einem Kinde müßte es einleuchten, daß Sie dem Professor nicht weismachen, Sie seien schwerreich, um nachher zu erklären, Ihren Unterricht bezahle die Kriminalabteilung. Nun, sagen Sie mal, haben Sie auch einen anständigen Anzug?“

Prüfend blickte Wessley an seinem dunkelblauen Anzug hinab.

„Dieser Anzug ist erst zweimal chemisch gereinigt und nur einmal gewendet“, erwiderte er ernst. „Die paar Flecken, die im letzten Jahr daraufgekommen sind, sieht man nur bei Tageslicht.“

„Sie sind einfältiger, als es die Polizei erlaubt“, tadelte Stimson kopfschüttelnd. „Merken Sie es sich: Ein Baron Steinitz, der schwerreich ist, trägt keine gewendeten und chemisch gereinigten Anzüge. Ich werde Ihnen also einen Scheck ausschreiben, und Sie besorgen sich sofort einen guten Anzug. Eigentlich müßte er nach Maß gearbeitet sein, aber ... Na, das läßt sich nicht ändern. Wie steht es übrigens mit Ihrem Mantel, mit Hut, mit Schuhwerk? Hm?“

„Das ist alles auf den gereinigten und gewendeten Anzug abgestimmt“, antwortete Wessley gleichmütig, und sein Vorgesetzter merkte nicht, daß diese Antwort auch ein wenig hoffnungsvoll klang: Ein armer Kriminalbeamter hatte nicht oft Gelegenheit, sich auf einmal vollständig neu einzukleiden.

Seufzend füllte Stimson den Scheck aus.

„So, das genügt für alles“, sagte er. „Aber daß Sie mir nun auch einen Baron darstellen, wie er im Buche steht. Würde, Würde, mehr Würde, junger Mann! Merken Sie sich das Stichwort — es wird Ihnen nützen. Und Ihre Berichte erwarte ich nur durch den Fernsprecher oder schriftlich. Keinesfalls dürfen Sie mehr hierher kommen, solange die Angelegenheit nicht geklärt ist. Und noch eines: Vergessen Sie nicht, mit dem Professor deutsch zu sprechen. Er ist Deutscher und wird das zu schätzen wissen. Nur weil auch Sie aus Deuschland stammen, haben wir Sie für diese Aufgabe ausersehen. Bilden Sie sich ja nicht ein, Sie verdankten es Ihrer Tüchtigkeit, von der ich leider nie viel gemerkt habe. Auf Wiedersehen!“

*

Drei Stunden später hastete Kapitän Wessley mit Riesenschritten die Treppenstufen zu Professor Kisewetters Wohnung hinauf. Der junge Kriminalbeamte war wirklich wie ein sehr reicher Baron gekleidet, aber seine ungestüme Eile paßte wenig zu dem Bild, das sich Stimson von einem Baron machte. Es war jedoch schon so spät geworden, daß Wessley fürchtete, die Zeit zu versäumen, zu der ein lernbegieriger Baron einen Musikprofessor aufsuchen durfte. Daher hielt er seine Eile für unbedingt angebracht. „Hauptsache — die Stichwörter“, murmelte er heftig atmend. „Einzige Fährte, dringend verdächtig, schwerreicher Baron und — Würde, Würde, Würde!“ Als Kapitän Wessley zum drittenmal „Würde“ sagte, geschah ein Unglück. Mit einer Geschwindigkeit, die durchaus nichts Würdevolles an sich hatte, war er bis zur nächsten Treppenbiegung gekommen und sah zu spät, daß ihm entgegen mit noch viel größerer Schnelligkeit eine junge Dame die Treppe hinunterlief. Mit dem geübten Blick des Autofahrers erkannte Wessley sofort, daß ein Zusammenstoß unvermeidlich war.

Die beiden jungen Leute prallten mit einer Wucht zusammen, die es als Wunder erscheinen ließ, daß keiner von ihnen zu Boden stürzte. Mit hochroten Gesichtern standen sie sich jetzt gegenüber und betrachteten den angerichteten Schaden. Wessleys nagelneues Stöckchen, ohne das er sich einen Baron gar nicht denken konnte, war mitten durchgebrochen: Der Karton, den die junge Dame in der Hand gehalten hatte, war arg eingedrückt und lag am Boden. Wessley bückte sich, hob den Karton auf und reichte ihn der jungen Dame.

„Ein bißchen beschädigt ...“ murmelte er verstört, denn so zornig die Augen dieses Mädchens auch blitzten, er hatte doch erkannt, daß die Besitzerin des Kartons sehr hübsch war.

„Sie sind mir ja der Richtige!“ rief sie erzürnt aus. „Kommen wie ein Schuljunge die Treppen heraufgerannt, zerbrechen das Geburtsgeschenk für meine Freundin und halten es nicht einmal für angebracht, sich zu entschuldigen. Schämen Sie sich!“

„So, so ...“ knurrte Wessley verblüfft. „Und dieser zerbrochene Stock ... hm ... zählt wohl gar nicht? Und hatten Sie nicht ebenfalls mindestens ein Achtzig-Kilometer-Tempo, mein Fräulein?“

„Ich bin ganz langsam gegangen, mein Herr!“ erklärte sie entschieden. „Übrigens finde ich es einfach weibisch, wenn Sie jetzt die Schuld auf mich schieben wollen. Sie sind sehr ungezogen, mein Herr!“ Wessley atmete auf.

„Ich will Ihnen jetzt etwas Niederschmetterndes sagen“, versetzte er ernst. „Ich wollte Sie schonen, aber Sie haben es nicht anders verdient. Hören Sie: Vor Ihnen steht niemand anderes als Baron Steinitz aus Lichtenstein.“

„Wären Sie nur in Lichtenstein geblieben“, sagte sie, warf den Kopf stolz in den Nacken und ließ den jungen Mann einfach stehen.

Wessley gestand sich ein, daß er sich von der Ehrerbietung, die Baronen in Amerika entgegengebracht wurde, ein übertriebenes Bild gemacht hatte. Verstimmt hielt er die zerbrochenen Stücke seines neuen Stöckchens aneinander, aber er erkannte zu seinem Leidwesen, daß der Schaden durch Leimen nicht wieder gutzumachen sei. Er zuckte die Achseln, legte das Stöckchen am Treppenabsatz hin und stieg jetzt bedeutend würdevoller als vorhin noch zwei Treppen hinauf. Hier endlich erblickte er das Messingschild des Musikprofessors.

Achtung! Totes Gleis

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