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Jeremias Perkins, der Leiter und eigentliche Besitzer des großen Warenhauses „J. Perkins & Co.“ warf noch einen Blick auf die vor ihm auf dem Schreibtisch ausgebreiteten Papiere, dann schob er sie alle zusammen in eine Mappe und drückte auf einen der zahlreichen Klingelknöpfe.

„Schicken Sie sofort Mr. Allan hierher!“ schrie er so unwillig auf den herbeieilenden Sekretär ein, daß dieser die feste Überzeugung gewann, Mr. Allan würde für irgendein Vergehen sofort entlassen werden.

Mr. Allan nahm die ihm etwas boshaft mitgeteilte Nachricht von dem Wunsch seines Vorgesetzten mit gleichmütiger Ruhe entgegen. Er rückte seine altmodische Brille auf die Stirn, schneuzte sich in sein buntes Taschentuch, legte die Feder hinters Ohr und rutschte von seinem hohen Schemel herab.

„Ihnen droht ein Donnerwetter“, warnte der junge Sekretär beinahe freudig. „Beeilen Sie sich ein wenig.“

Mr. Allan war ein alter Mann, und nichts konnte ihn so sehr ärgern wie ein anmaßendes Benehmen junger Leute ihm gegenüber. Er blieb stehen, warf dem Sekretär einen giftigen Blick zu und duckte sich. Dadurch wurde sein Rücken so krumm, daß er Ähnlichkeit mit einem Buckel gewann.

„Sie Grünschnabel!“ sagte Allan zornig, und seine faltigen Hände zitterten vor Aufregung. „Donnerwetter? Nichts wird es geben! Der alte Allan macht keine Fehler. Der alte Allan versteht seine Sache noch immer besser als ihr ... junges Gemüse!“

Obwohl Mr. Allan etwas schwerhörig war, hörte er doch durch die sorgfältig hinter sich verschlossene Tür das Gelächter einiger Angestellten. Er wußte genau, welche es waren; er hätte ihre Namen aufzählen können, obwohl sie immer nur hinter seinem Rücken gelacht hatten. Mr. Allan war — und das vermutete keiner dieser „Grünschnäbel“ — ein sehr guter Menschenkenner, und es fiel ihm daher gar nicht schwer zu erraten, welche von den Angestellten einem dummen jungen Vorgesetzten zuliebe über einen alten Mann lachen würden.

Es schien fast, als hätte sich Allan heute ungeachtet seiner unzweifelhaften Menschenkenntnis doch etwas verrechnet: Jeremias Perkins empfing ihn tatsächlich mit einem Donnerwetter.

„Machen Sie die Tür zu!“ schrie er auf, sobald Allan sein Arbeitszimmer betreten hatte. „Ganz zu, zum Teufel! Ich habe mit Ihnen ein ernstes Wörtchen zu reden.“

Mr. Allan schloß die Tür. Er machte sie wunschgemäß „ganz zu“, und das bedeutete bei der schweren Polsterung dieser Tür, daß kein Wort einer noch so laut geführten Unterredung draußen verständlich sein würde.

Als sich Allan umwandte, war mit dem zornigen Chef eine sonderbare — allerdings nicht für Allan — Verwandlung vorgegangen. Er stand händereibend auf und eilte Allan mit einem liebenswürdigen Lächeln auf den Lippen entgegen.

„Bitte, Mr. Allan“, sagte er einladend und wies auf den bequemen Schreibtischsessel. „Es ist alles zur Durchsicht bereit.“

„Etwas Neues?“ erkundigte sich Allan zerstreut und ließ sich mit einer so ruhigen Selbstverständlichkeit am Schreibtisch nieder, daß ein Beobachter unschwer erraten hätte, er tue dies nicht zum ersten und auch nicht zum zwanzigstenmal. So nahm man nur Besitz von einem Platz, der ein angestammtes Recht darstellte.

„In gewissem Sinne — ja“, erwiderte Perkins zuvorkommend und öffnete vor seinem Buchhalter die Mappe mit den vorhin durchgesehenen Papieren. „Man hat einem neuen Kriminalbeamten Witterung gegeben.“

„Alle Unterlagen schon beigebracht?“

„Hier, bitte.“

Aufmerksam betrachtete Allan durch die wieder auf der Nasenspitze sitzende Brille drei Lichtbilder, die alle denselben jungen Mann darstellten. Zwei der Bilder zeigten ihn etwas dürftig gekleidet, auf der dritten Aufnahme dagegen sah er aus, als hätte er sich eben erst im Kaufhaus „J. Perkins & Co.“ vollständig neu eingekleidet.

„Name?“ fragte Allan. Er wußte, daß sich der Name sowohl auf der Rückseite der Bilder als auch auf sehr vielen der ihm vorgelegten Papiere finden ließe; aber Mr. Allan studierte eben die Gesichtszüge des abgebildeten Mannes und hatte daher keine Zeit, den Namen zu suchen.

„George Wessley“, antwortete Perkins. „Nennt sich jetzt Baron Steinitz aus Lichtenstein. Ging sofort spornstreichs zu Professor Kisewetter.“

„Wie heißt dieser Professor?“

„Kisewetter. Er ist Musikprofessor. Gewissermaßen eine Größe auf seinem Gebiet.“

Allan lächelte merkwürdig.

„Da wird George Wessley wohl Musikunterricht nehmen müssen“, brummte er hüstelnd. Dann griff er nach einem Bogen, auf dem er bereits alles Nähere über George Wessley vermerkt fand. Er ersah daraus, daß Wessley achtundzwanzig Jahre alt war und sich seit sieben Jahren im Dienste der Kriminalpolizei befand. Er hatte sich nie besonders ausgezeichnet, aber bei seinem geringen Dienstgrade war das auch kaum zu erwarten. Er war Vollwaise und anscheinend überzeugter Junggeselle. Liebesgeschichten von längerer Dauer waren jedenfalls nicht erwähnt. Zum Schluß des Berichtes stand der bedeutsame Vermerk: „Lebt vom Gehalt, hat nie Geld.“

„Ich halte den Mann nicht für gefährlich“, sagte Perkins nach einer Weile, da Allan immer noch in den Bericht starrte, den er doch längst zu Ende gelesen haben mußte.

„Ihr Urteil ist etwas verfrüht und natürlich ganz unbegründet“, tadelte Allan. „Haben Sie sich die Lichtbilder näher angesehen? Nicht dieses, auch nicht das hier ...“ Dabei warf Allan zwei Bilder achtlos beiseite. „Das dritte Bild — sehen Sie? — verrät mir einiges. Wie kommt es, daß ein Mensch auf zwei Bildern ganz bedeutungslose Gesichtszüge hat, auf dem dritten aber ... Oder nennen Sie das auch bedeutungslos?“

Perkins betrachtete das Bild aufmerksam.

„Ich habe gerade diesem Bild wenig Bedeutung beigemessen, da der Photograph selbst angab, es sei ganz unähnlich geworden.“

„Oh, diese Grünschnäbel!“ rief Allan vorwurfsvoll aus. „Dabei haben wir hier bestimmt Wessleys wahres Gesicht vor uns, vielleicht ein Gesicht, das noch keiner von seinen Vorgesetzten zu sehen bekam.“

„Also gut“, erklärte Perkins verdrossen. „Wenn Sie den Mann für so bedeutend halten, werde ich ihn beseitigen lassen.“

„Das werden Sie hübsch bleiben lassen. Thorntons Bande hat fünf Detektive hintereinander beseitigt, und dadurch fand der sechste dann ganz leicht die richtigen Spuren. Nein, so arbeitet der alte Allan nicht: Wessley darf kein Härchen gekrümmt werden. Er soll beobachtet werden — aus achtungsvoller Entfernung beobachtet werden. Niemand darf ihm so nahe kommen, daß Wessley ihn bemerkt. Die Beobachter sind täglich abzuwechseln.“ Perkins lachte gereizt auf.

„Ich glaube, wenn wir eine Versicherungsgesellschaft wären, und dieser Wessley hätte bei uns sein Leben hoch versichert, wir könnten ihn nicht sorgsamer betreuen. Ich möchte wissen, wie Sie seine Arbeit unschädlich zu machen gedenken, Mr. Allan?“

„Da gibt es noch andere Mittelchen“, versetzte Allan verschmitzt lächelnd. „Ein Weib muß uns helfen. Wessley ist in dem gefährlichsten Alter und hat noch keine ernsthaften Liebesgeschichten erlebt. Also? Sehr einfach. Sagen Sie mal, diese Smith, die an der Kasse siebzehn sitzt, gehört doch auch zu Ihren Auserwählten?“

„Sie weiß Bescheid“, erwiderte Perkins kurz. „Sie hat schon wiederholt sehr gute Arbeit geliefert.“

„Das paßt ja glänzend!“ rief Allan begeistert. „Sagen Sie mal ... Sehen Sie, ich verstehe da nichts mehr davon ... Aber hat ihre Nackenlinie nicht etwas Aufregendes für einen jungen Mann? Oder das schöne, blonde, gewellte Haar?“

Perkins lächelte verächtlich.

„Das Haar hat ihr Friseur sowohl schön als auch blond und gewellt gemacht. Und die Nackenlinie? Bedaure, aber ich habe noch nichts daran gefunden. Aber sie hat — wie man sagt — rassige Beine und einen seelenvollen Blick. Ob sie Seele hat, entzieht sich meiner Kenntnis.“

„Ist auch gar nicht nötig“, widersprach Allan. „Der Blick genügt uns doch vollkommen. Also geben Sie der jungen Dame noch heute den Auftrag. Wie sie Wessley kennenlernt, ist ihre Sache. Aber es muß schnell geschehen, sehr schnell.“

„Auf Ihre Veranwortung, Mr. Allan.“

„Nebenbei bemerkt — haben Sie etwas über XYZ erfahren?“

„Nichts, Mr. Allan.“

„Ein bißchen wenig, Mr. Perkins“, bemerkte Allan höhnisch. „XYZ raubt einen ganzen Eisenbahnzug aus, es vergehen zwei volle Wochen, und wir haben erfahren — nichts! Großartige Arbeitsleistung.“

„Aber die Polizei hat bis heute ebenfalls nichts erfahren.“

„Die Polizei?“ Allan lachte auf. „Die Polizei wüßte heute bestimmt mehr als wir, wenn sie sich nicht in die hübsche, aber irrige Ansicht verbohren würde, wir hätten diesen Eisenbahnzug ausgeraubt. Ausgerechnet wir! Und dabei hatten wir doch nur die Absicht, und XYZ tat es! Er muß entdeckt werden, verstanden? Der Mann muß seine Tat büßen. Wir lassen uns nicht ins Handwerk pfuschen, das sage ich Ihnen ein für allemal ...!“

Mr. Allan hatte sich richtig in Wut gesprochen. Perkins kannte das; seit zwei Wochen war es immer dasselbe, und doch konnte er nichts daran ändern. Es gab irgendwo in den Staaten einen Mann, den man hier XYZ getauft hatte, der ihnen ein Geschäft nach dem anderen verdarb; aber wo dieser Mann war und wie er in Wahrheit hieß, das hatte man bis jetzt vergeblich zu ergründen versucht.

Die Klingel des Fernsprechers gab ein schwaches Zeichen, und Perkins kam diese Ablenkung sehr gelegen.

„Hier Perkins“, rief er in die Sprechmuschel, und dann horchte er aufmerksam, wobei er sich auf einem Blatt Papier Vermerke machte.

„Die neueste Meldung über unseren Freund Wessley“, sagte er, nachdem er den Hörer wieder eingehängt hatte.

„Nun?“

„Er hat sich gestern abend, nachdem er die Wohnung des Professors verließ, einen Hund gekauft.“

Allan starrte den Sprecher ratlos an.

„Einen Hund —?“

„Einen Schäferhund“, ergänzte Perkins ruhig. „Er bezahlte dafür vierzig Dollar und blieb noch dreißig schuldig.“

„Einen Hund —?“ wiederholte Allan nachdenklich.

„Ja, es ist ein ehemaliger Polizeihund, der gewissermaßen aus dem Dienst entlassen wurde, weil er drei Schutzleute hintereinander gebissen hatte.“

„Und den hat Wessley gekauft?“ murmelte Allan verwundert. „Na, wohl bekomm’s.“

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